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DIE ›KÖNIGIN DES IMPERIUMS‹

 

 

Boba Fett stand in der Schlange, die darauf wartete, an Bord des Luxusliners ›Königin des Imperiums‹ zu gehen, der bald zu einer Reise mit mehreren Zwischenstopps nach Velga Prime ablegen würde. Das Linienschiff war das Schwesterschiff der ›Stern des Imperiums‹, die für die Haj Schiffahrtsgesellschaft flog, und ebenso groß und üppig ausgestattet wie diese.

Boba Fett ging von einer Landeplattform im Orbit aus an Bord des Linienschiffs, doch außer ihm warteten dort noch beinahe tausend andere darauf, den Großraumer betreten zu können, so daß jede Warteschlange mehrere hundert Lebewesen umfaßte. Der Kopfgeldjäger beobachtete das langsame Vorwärtskommen der Wartenden und rechnete mit mindestens zehn weiteren Minuten, bevor er frei ausschreiten und seinen großen, schweren Reisekoffer in seine Kabine tragen konnte.

Die Schlange schob sich ein paar Schritte vorwärts, und der Kopfgeldjäger stieß, als er nachrückte, den schweren Koffer mit dem Fuß weiter. Einen kurzen Augenblick lang genehmigte er sich die Vorstellung, was wohl geschehen würde, wenn er plötzlich als sein wahres Selbst in Erscheinung treten würde: als Boba Fett, in seiner mandalorianischen Rüstung, und nicht, wie gegenwärtig, als Anomide verkleidet.

Er hatte herausgefunden, daß es von Zeit zu Zeit notwendig war, als jemand anderer aufzutreten. Und Anomiden waren perfekte Wesen, wenn es darum ging, als Tarnung zu dienen, da kaum einer von ihnen seine Gestalt je in gewöhnlicher Straßenkleidung präsentierte.

Sie waren gertenschlanke Humanoide aus dem Yalblari-System, und ihre charakteristische Kleidung bestand aus übergroßen Kutten, die sie vom (ebenfalls verhüllten) Kopf bis hinunter zu den sechsgliedrigen Füßen bedeckten. Außerdem trugen sie Handschuhe und Stimm-Masken, so daß sie kaum ein Stückchen ihrer durchscheinenden weißlichen Haut zeigten. Anomiden besaßen feines graues Haar, blattförmige Ohren und große silbrig-blaue Augen.

Boba Fett trug eine Gesichtsmaske unter seiner Stimm-Maske, die den ganzen Kopf einschloß. Dabei handelte es sich um eine Maske von hoher Qualität, die seinen Zügen angepaßt worden war, so daß sie auf natürliche Weise den Bewegungen seines Gesichts folgte. Die silber-blauen ›Augen‹ waren in die Maske eingelassen und so konstruiert, daß er mit ihnen fast so gut wie mit den eigenen Augen sehen konnte.

Gleichwohl fühlte er sich ohne seine Rüstung und ohne die Erweiterung seiner Sinne irgendwie nackt. Wenn er die Rüstung trug, konnte er auf eine ganze Reihe visueller Hilfsmittel, ein verbessertes Gehör sowie jede Menge anderer Sensordaten zurückgreifen, die auf den Kontrollen an der Innenseite seines Helms angezeigt wurden. Jetzt, da er lediglich die anomidische Kutte, den Kapuzenumhang, die Maske sowie die Handschuhe trug, kam er sich entblößt und verletzlich vor – viel zu verletzlich.

Aber es mußte sein. Wenn Boba Fett den Versuch unternommen hätte, als er selbst eine Passage auf der ›Königin‹ zu buchen, wäre auf der Stelle Panik ausgebrochen. Jeder einzelne Passagier an Bord und außerdem ein Großteil der Besatzung wäre davon überzeugt gewesen, daß er das auserkorene Opfer des Kopfgeldjägers sein müsse. Jeder Bürger, so hatte Fett bereits vor langer Zeit entdeckt, wurde von Schuldgefühlen geplagt. Praktisch jedes intelligente Lebewesen in der Galaxis hatte in seiner Vergangenheit irgend etwas getan, an das er, sie oder es sich plötzlich erinnerte und in dem der Betreffende einen ausreichenden Grund sah, eine Belohnung auf seinen Kopf auszusetzen.

Das Wesen, das einst der Protektorgeselle Jaster Merel war und sich in Boba Fett verwandelt hatte, den berüchtigtsten Kopfgeldjäger der Galaxis, studierte das Verhalten der Bürger, denen es begegnete, schon seit Jahren, während er Belohnungen der einen oder anderen Art hinterherjagte. Er hatte erlebt, wie sich das Gesicht einer jungen Mutter, die ihr Kind an sich drückte, veränderte, sobald sie ihn kommen sah, hatte beobachtet, wie sie ihr Baby gegen den Busen drückte, als wolle er, Boba Fett, ihr das Kleine aus den Armen reißen und sie beide verschleppen.

Einige Male waren Bürger einfach in Panik geraten, wenn er sich ihnen nur näherte; sie warfen sich auf den Boden, platzten stotternd mit ihren verhängnisvollen (und zumeist eingebildeten) Vergehen heraus und winselten um Gnade… bloß um sich anschließend in einer Mischung aus Erleichterung und heraufdämmernder Entrüstung eilfertig zu korrigieren, sobald ihnen aufging, daß sie nicht Boba Fetts Beute waren und sich grundlos erniedrigt und ihre Geheimnisse offenbart hatten…

Die Schlange bewegte sich wieder ein Stück weiter. Boba Fett musterte unwillkürlich die Menge ringsum, doch er rechnete eigentlich nicht damit, hier auf seine Beute zu stoßen. Bria Tharen war während des letzten Zwischenstopps auf Corellia an Bord der ›Königin‹ gegangen. Es war sehr unwahrscheinlich, daß sie während des kurzen Aufenthalts über Gyndine das Schiff verlassen würde.

Der Kopfgeldjäger hatte die Chance vertan, Tharen einzuholen, als diese an Bord der ›Königin‹ gekommen war, da sie das Schiff in letzter Minute vor dem Ablegen und unter einem falschen Namen betreten hatte. Die Haj Schiffahrtsgesellschaft, die sich dem Imperium gegenüber nach außen hin loyal verhielt, war dafür bekannt, daß sie der Rebellenallianz gelegentlich, sofern es ihr paßte, einen Gefallen tat. Bei der kurzfristigen Buchung der Frau hatte ganz sicher jemand Offizielles die Fäden gezogen. Außerdem hatte Bria Tharen ihre derzeitige falsche Identität noch niemals zuvor benutzt. Dieses Mal reiste sie als Bria Lavval, als unbedeutendes Starlet und Cabaret-Sängerin, die zu einem Engagement in einem der großen Casinos auf Nar Shaddaa, dem ›Chance Castle‹, unterwegs war.

Boba Fett hatte Zugang zu einer riesigen Menge Daten aus zahlreichen Quellen überall in der Galaxis. Da er gelegentlich auch im Auftrag des Imperiums jagte, konnte er sogar auf imperiale Daten mittlerer Geheimhaltungsstufe Zugriff nehmen. Außerdem konnte er mannigfaltige Nachrichtenkanäle sowie die Datenbanken der Gilde nutzen. Fett hatte seine Systeme angewiesen, bestimmte ›vorrangige‹ Namen und physische Profile anzuzeigen. Und als eines Morgens in seinen Datensammlungen eine Bria Lavval auftauchte (auf der Passagierliste der ›Königin‹, nachdem das Schiff an jenem Morgen Corellia verlassen hatte), ergab eine rasche Überprüfung der ID der Frau sowie ihrer Beschreibung eine mehr als siebzigprozentige Wahrscheinlichkeit, daß es sich tatsächlich um Bria Tharen handelte – eine der Führerinnen des corellianischen Widerstands.

Aber nur der unmittelbare Augenschein würde Fett davon überzeugen, daß sie die richtige Frau war. Und da war er nun und stand in der Warteschlange, um an Bord des riesigen Linienschiffs zu gehen. Die ›Königin‹ war über zwei Kilometer lang und für fünftausend Passagiere ausgerichtet. Das Schiff bot nahezu alle Annehmlichkeiten, die sich kultivierte Lebewesen jeglicher Art nur wünschen konnten… überdachte Pools und Heilbäder, Casinos, Null-G-Einrichtungen, Trainingsräume sowie protzige Geschäfte, in denen Wohlhabende jede Menge Credits ausgeben konnten.

Fett bewegte sich abermals ein Stück weiter und stieß den Koffer vor sich her, der seine in Geheimfächern verstaute mandalorianische Rüstung sowie eine Auswahl an Waffen enthielt. Die Wände des Koffers waren mit Durinium verstärkt, einer Legierung, die Sensorenstrahlen abwehrte. Und in der äußersten Schicht des Koffers steckten winzige Mikroprojektoren, die jedem Scanner falsche Daten über den Inhalt vorgaukeln würden.

Er gelangte schließlich an die Spitze der Schlange und zeigte seine ID, das Ticket und seine Creditbons vor. Der Schiffsangestellte, der seine Reservierung überprüfte, entbot sich, ihm einen Trägerdroiden zu rufen, doch Fett lehnte höflich ab, seine strenge Stimme drang vibrierend durch die Maske.

Anomiden verständigten sich untereinander nicht durch eine gesprochene Sprache, sondern durch eine ausgeklügelte und überdies sehr schöne Zeichensprache. Sie waren allgemein als gesellige Wesen bekannt; Boba Fett hoffte daher, daß es an Bord keine echten Anomiden gab. Wenn dem doch so war, würde er eine Erkrankung vorschützen und in seiner Kabine bleiben müssen, da er die anomidische Zeichensprache nicht beherrschte. Doch keine der Personen auf der Passagierliste hatte Yablari als ihre Heimatwelt angegeben.

Als er die Sicherheit seiner Kabine erreicht hatte, verstaute Fett den schweren Koffer, überzeugte sich jedoch zuvor davon, daß er die Diebstahlschutzvorrichtung aktiviert hatte. Jeder, der den unseligen Versuch unternahm, den Koffer aus Fetts Kabine zu entfernen oder diesen auch nur zu öffnen, würde mindestens seine Finger verlieren.

Die planmäßige Reiseroute der ›Königin‹ sah vor, daß das Schiff eine Reihe von Bestimmungshäfen ansteuern und dort vorübergehend festmachen würde. Sein Weg würde durch einige der gefährlichsten Regionen des imperialen Raums führen – unter anderem war auch ein Zwischenstopp bei Nar Hekka im Hutt-Raum vorgesehen, nicht gerade ein paradiesischer Teil der Galaxis, aber Nar Hekka war Nal Hutta oder Nar Shaddaa ohne Zweifel vorzuziehen. Fett vermutete, daß Bria Tharen dieses Linienschiff genommen hatte, weil es eines der größten war und damit auch eines der sichersten. Immerhin hatte es in jüngster Zeit zahlreiche Übergriffe von Piraten gegeben.

Während der folgenden drei Tage wanderte Fett in seiner anomidischen Verkleidung im ganzen Schiff umher und blieb zumeist für sich. Er identifizierte Bria Tharen am ersten Tag und folgte ihr, um herauszufinden, wo ihre Kabine lag. Er fand heraus, daß sie eine Suite bezogen hatte, die sie mit drei Männern teilte. Zwei der Männer waren älter als sie, und Fett vermutete, daß sie ebenfalls Offiziere des corellianischen Widerstands waren. Der dritte Mann war etwas Mitte Dreißig und der Art nach zu urteilen, wie er sich hielt, ein betagter Veteran zahlreicher Kämpfe, der den corellianischen Offizieren als Leibwächter und Sicherheitsbeauftragter diente.

Die beiden Offiziere und der Leibwächter trugen, ebenso wie Bria Tharen, zivile Kleidung, und die Frau hielt sich selten allein außerhalb ihrer Kabine auf. Häufig war sie von männlichen Bewunderern umgeben, obwohl Fett auffiel, daß sie niemals einen dieser Männer in ihre Unterkunft mitnahm; sie schenkte ihnen lediglich bisweilen ein Lächeln oder flirtete mit ihnen. Sie spielte Sabacc, wobei sie darauf achtete, nicht zuviel zu verlieren oder zu gewinnen; sie sah sich in den Geschäften um, kaufte indes niemals etwas von Bedeutung. Fett behielt sie ständig im Auge und entwickelte in aller Ruhe seine Taktik…

 

Lando Calrissian liebte es, an Bord von Kreuzfahrtschiffen zu reisen, und machte in jüngster Zeit, seit er die ›Millennium Falcon‹ an Han Solo verloren hatte, häufig davon Gebrauch. Nachdem Han und Vuffi Raa ihn zu einem mehr als durchschnittlichen Piloten gemacht hatten, hätte er eigentlich irgendeines der gebrauchten Schiffe für sich selbst verwenden können, die in seinem Raumschiffmarkt abgestellt waren, aber Lando fand an keinem von ihnen besonderen Gefallen. Er wartete noch auf das richtige Schiff. Sein ideales Raumschiff würde luxuriöser sein als die praktische ›Falcon‹ – aber in jeder Hinsicht ebenso schnell und verteidigungsfähig wie diese. Lando schaute sich nach einer netten Yacht zu einem fairen Preis um. Doch bisher hatte er noch keine entsprechenden Angebote erhalten.

Davon abgesehen besaßen private Schiffe keine Casinos. Und Lando liebte Casinos. Er hatte während des zurückliegenden Jahres viel Zeit in Casinos zugebracht und daran gearbeitet, seinen Vorrat an Credits aufzufrischen.

 

Das Sabacc-Turnier hatte den jungen Spieler ruiniert, doch seither war es ihm gelungen, Hans Leihgabe von eintausendfünfhundert Credits in mehrere tausend zu verwandeln. Er war dazu in der Lage, Han das Geld zurückzuzahlen, das er sich vor einigen Monaten, ehe sein Freund in den Korporationssektor aufgebrochen war, geborgt hatte.

Die ›Königin des Imperiums‹ und ihr Schwesterschiff, die ›Stern des Imperiums‹, gehörten beide zu Landos liebsten Transportmitteln, um in der Galaxis herumzureisen. Sie waren zwar nicht so schnell wie manche der neueren Schiffe, aber es konnte keinen Zweifel geben, daß die Haj Schiffahrtsgesellschaft genau wußte, wie man einen Luxusliner baute. Außerdem waren die ›Königin‹ und der ›Stern‹ wirklich groß, was in diesen Zeiten mit ihrer Vielzahl von Piratenübergriffen ein außerordentlicher Vorteil war.

Diesmal hatte er sich, um die Heimreise anzutreten, für die ›Königin‹ entschieden. Von Nar Hekka aus würde er leicht eine Systemfähre nach Nar Shaddaa nehmen können. An diesem speziellen Abend trug Lando sein neustes modisches Outfit: ein rotes besticktes Hemd zu einer engen schwarzen Hose sowie ein rot-schwarzes kurzes Cape, das ihm mit verwegenem Schwung über die Schulter fiel. Das dunkle Haar und der Bart waren dank eines Ausflugs zum Schiffsfriseur tadellos getrimmt. Die schwarzen weichen Stiefel schimmerten im matten Glanz echter Numatra-Schlangenhaut. Calrissian sah gut aus, und die bewundernden Blicke einiger weiblicher Gäste des Clubs entgingen ihm nicht.

Lando saß im protzigsten Nachtclub der ›Königin‹, der ›Sternenwind Lounge‹, und verfolgte eine äußerst vielversprechende Partie an einem der Sabacc-Tische. Seine befriedigend schwere Creditbörse war nahe am Körper sicher in einer geheimen Innentasche verstaut. Er würde auf dieser Reise etwa das Vierfache dessen einnehmen, was ihn das teure Ticket gekostet hatte. Keine schlechte Gewinnspanne.

Wenn er spielte – eine überaus ernsthafte Beschäftigung! –, übte sich Lando in Enthaltsamkeit, er rührte kaum irgend etwas Alkoholisches an. Doch im Augenblick entspannte er sich, schlürfte Tarkenianische Wildblume und knabberte eine Handvoll getrockneter und gesalzener Jer-Rüsselkäfer. Die Band der ›Sternenwind Lounge‹ war recht gut und spielte eine Auswahl älterer Schlager sowie moderne Jizzstücke, und zahlreiche Gäste tanzten. Lando beäugte die Damen, die ohne Begleitung in der Lounge weilten, und fragte sich, ob eine von ihnen ihn so sehr interessierte, daß er sie um einen Tanz bitten wollte.

Sein Blick kehrte immer wieder zu einer Frau zurück, die nicht mit einem, sondern gleich mit zwei Begleitern an einem Tisch saß. Menschlich, ja, und atemberaubend schön. Langes rötliches Haar, das mit juwelenbesetzten strahlend blauen Kämmen hochgesteckt war, ein Gesicht, das der perfekten Figur in nichts nachstand. Lando vermochte nicht zu sagen, ob sie zu einem ihrer Begleiter in romantischer Beziehung stand. Sie saß nahe bei beiden, lächelte und neigte sich zuerst dem einen, dann dem anderen zu, als diese ihr etwas ins Ohr flüsterten.

Doch je länger Lando sie beobachtete, desto mehr gelangte er zu der Überzeugung, daß keiner der beiden etwas mit ihr hatte. Ihr Lächeln war irgendwie eher… kameradschaftlich als romantisch. Es gab kein Anzeichen einer anhaltenden Intimität in den kurzen Berührungen der Schultern, die sich ihr näherten.

Lando trank aus und war fast soweit, an den Tisch zu gehen und die hübsche Fremde zu fragen, ob sie Lust hatte zu tanzen, als die exzellente, aus Rughja bestehende Band – Umjing Baab und sein Swingtrio – ihren gegenwärtigen Auftritt beendete. Die Band hatte nur drei Mitglieder, aber da jeder Rughja über fünfzehn bewegliche Glieder verfügte und mindestens zehn Instrumente gleichzeitig spielte, hörte sie sich wie ein echtes Orchester an. Wenn man Umjing Baab und seinen beiden Bandmitgliedern zusah, war es eigentlich sehr schwer, irgend etwas anderes als Gliedmaßen zu erkennen, die in verschiedene Instrumente ausliefen, obwohl in dem Gewirr dann und wann eines der zahlreichen Augen eines der Lebewesen auszumachen war.

Die Band war überaus vielseitig und spielte alles von Swing-Bop bis zu einer Auswahl moderner Jizzmusik. Der Spieler applaudierte höflich, nachdem sie eine ruhige Version von ›Moods and Moons‹ beendet hatten, dann setzte er sich wieder auf seinen Platz, während der Bandleader, Umjing Baab, sein Kloohorn senkte, von dem Nalargon wegrückte und sich zur Lautsprecheranlage schlängelte.

Die Stimme des Rughja besaß ein mechanisches Timbre… was nicht verwunderlich war, da sie künstlich erzeugt wurde. Die Rughja waren eine Spezies, deren natürliche Form der Verständigung für Humanoide unhörbar war. Als Umjing ›sprach‹, reflektierten seine glänzenden malvenfarbenen oberen Gliedmaßen das Scheinwerferlicht. »Guten Abend, Herrschaften. Heute abend haben wir einen Ehrengast, eine Berühmtheit, von der ich hoffe, daß wir sie dazu bewegen können, uns mit einem Stück zu beglücken! Begrüßen Sie mit mir… Bria Lavval!«

Lando spendete abermals höflichen Beifall, doch sein Applaus wurde schon bald aufrichtig, als er entdeckte, daß der Bandleader die schöne Fremde meinte. Errötend und lächelnd erhob sie sich halb von ihrem Platz, um sich zu verbeugen, doch dann hob sie die Schöße ihres langen stahlblauen Kleides – eine Farbe, die ihr Haar vortrefflich zur Geltung brachte – und stieg die Stufen zum Musikpavillon hinauf.

Nachdem sie sich kurz mit Umjing Baab besprochen hatte, trat sie ans Mikrophon und tippte mit einem ihrer geschmückten, in Pumps steckenden Fußspitzen den Takt mit, als die Rhythmussektion einstieg, dann stimmte die Band eine verlangsamte Version des Hits ›Smoky Dreams‹ an.

Bria Lavval begann zu singen. Lando hatte in seinem Leben schon vielen Sängerinnen gelauscht, und sie war weit davon entfernt, zu den besten zu gehören. Sie beherrschte ihre Atmung nur unzureichend, daher verschluckte sie einige der hohen Noten. Doch ihre Stimme war kräftig, sie traf jeden Ton, und ihr Alt klang angenehm rauh. Angesichts ihrer Figur, des Gesichtes und ihres Lächelns war Lando gewillt, ihr den Mangel an professioneller Technik nachzusehen. Nur wenige Augenblicke, nachdem sie ihr Lied begonnen hatte, waren alle männlichen Humanoiden wie Wachs in ihren Händen.

Sie sang mit großer Leidenschaft von verlorener Liebe, von zartfühlender Traurigkeit, von verschwommenen Erinnerungen, die mit der Zeit ganz vergingen… Lando war vollkommen fasziniert. Als sie ihre Gesangsnummer beendete, klatschte er ebenso laut wie der Rest des Publikums. Sie lächelte, errötete und gestattete es Umjing Baab, sie zu ihrem Tisch zu begleiten. Baab verneigte sich darauf tief vor ihr und kehrte dann zu seinen Rughja-Bandmitgliedern zurück.

Während das Swingtrio zu einer eingängigen Melodie ansetzte, sprang Lando ohne zu zögern auf und ging zu der Sängerin, wobei er um ein Haar einen reichen alderaanischen Bankier angerempelt hätte, den Lando früher am Abend um viele seiner überschüssigen Credits erleichtert hatte.

Als er Lady Lavvals Tisch erreichte, verbeugte er sich vor ihr und ließ sein bestes und charmantestes Lächeln aufblitzen. »Darf ich bitten?« fragte er und bot ihr seinen Arm.

Sie zögerte einen langen Augenblick, warf jedem der Männer, die bei ihr saßen, einen Blick zu und zuckte dann andeutungsweise die Achseln. »Danke«, entgegnete sie und stand auf. Lando geleitete sie auf die Tanzfläche.

Sie blickte um sich und runzelte ein wenig besorgt die Stirn. »Oh, mein Lieber, ich fürchte, ich beherrsche diesen Tanz überhaupt nicht.«

Lando war überrascht. Der Margengai-Schieber war bereits seit mindestens fünf Jahren populär. »Es ist ganz einfach«, antwortete er, legte ihr eine Hand auf die Schulter und verschränkte die Finger der anderen Hand mit ihren. »Ich zeige es Ihnen.«

Anfangs ließ sie ein paar Schritte aus und trat ihm mit den Absätzen ihrer Abendschuhe auf die Zehen, doch nach ein paar Minuten und dank Landos erfahrener Anleitung kapierte sie es allmählich. Sie besaß einen guten Sinn für die zeitliche Abstimmung, und auch ihre Reflexe funktionierten einwandfrei. Nachdem sie die verzwickte Schrittfolge einmal gelernt hatte, machte ihr das Tanzen, wie Lando deutlich erkennen konnte, großen Spaß. Sie war beinahe ebenso groß wie er, und während sie sich über die Tanzfläche bewegten, flogen ihnen immer mehr bewundernde Blicke von den Zuschauern an den Tischen zu.

»Gut, Sie haben es raus«, sagte Lando. »Sie sind ein Naturtalent.«

»Ich habe seit Jahren nicht getanzt«, gab sie ein bißchen atemlos zu, als die Band ein schnelles Stück anstimmte. Lando drehte sie mit Schwung in einen Boxnov-Three-Step. Sie war ein bißchen aus der Übung, aber es war nicht zu übersehen, daß sie diesen älteren Tanz schon mal getanzt hatte.

»Sie machen das großartig«, ermutigte er sie. »Ich bin der glücklichste Mann auf diesem Schiff, da ich eine Partnerin wie Sie gefunden habe.« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln; die Bewegung des Tanzes und das Kompliment färbten ihre Wangen rot. »Schmeichler.«

Lando setzte eine scheinbar beleidigte Miene auf. »Ich? Ich habe ein Wahrheitsgelübde abgelegt, Lady Bria… was für ein schöner Name. Sie sind Corellianerin, nicht wahr?«

»Ja«, sagte sie und versteifte sich ein wenig in seinen Armen. Ihr Blick wurde mit einem Mal wachsam. »Wieso?«

»Ich habe nur gerade gedacht, daß ich diesen Namen zuvor erst einmal gehört habe. Ist er auf Ihrer Heimatwelt weit verbreitet?«

»Nein«, erwiderte sie. »Mein Vater hat ihn aus den Anfangssilben der Namen meiner Großmütter zusammengesetzt: Brusela und Iapahgena. Er wollte mir nicht alle beide aufladen, sie aber dennoch beide ehren.«

»Clever«, meinte Lando. »Offenbar ein Mann von großem diplomatischen Feingefühl und Takt.«

Sie lachte ein wenig, doch ihre Fröhlichkeit hatte einen traurigen Unterton. »So ist mein Vater«, pflichtete sie ihm bei. »Lando, ich bin überrascht, daß Sie sagen, Sie hätten bereits eine andere Bria kennengelernt. Ich dachte immer, ich wäre ein Einzelstück.«

»Wahrscheinlich sind Sie das auch«, entgegnete Lando. »Die andere Bria, die ich kannte, war ein Raumschiff. Mein Freund Han nannte seinen SoroSuub Starmite, den er von mir gemietet hatte, Bria.«

Sie verpaßte einen Schritt, erholte sich jedoch rasch. »Han?« wiederholte sie. »Ich kannte mal einen Corellianer mit Namen Han. Ist Ihr Freund Corellianer?«

Lando nickte und wirbelte sie schwungvoll herum. Als sie wieder in seinen Armen gelandet war, fuhr er fort: »Han Solo und ich kennen uns schon ewig. Sagen Sie mir nicht, daß Sie ihn kennen!«

Sie lachte wieder ein wenig. »Das tue ich. Es muß derselbe Mann sein. Braunes Haar, bräunliche Augen mit einem Anflug von Grün, eine Idee größer als Sie. Hat ein sehr charmantes schiefes Lächeln.«

»Oh Mann«, sagte Lando und wölbte eine Augenbraue. »Sie kennen ihn gut, nicht wahr? Dieser Kerl kommt viel herum, wie?«

Sie errötete angesichts seines wissenden Blicks, wandte die Augen ab und konzentrierte sich einen Moment lang auf die komplizierten Tanzschritte. Als sie wieder aufschaute, blickten ihre Augen kühl und ein wenig amüsiert. »Er ist bloß ein Teil meiner Vergangenheit, so wie zahlreiche andere Männer«, erklärte sie. »Sie haben doch bestimmt auch ein paar Leichen in ihrem Frachtraum, oder?«

Lando, dem bewußt wurde, daß er einen Nerv getroffen hatte, war froh, das Thema fallen lassen zu können. »Und ob«, nickte er.

Sie tanzten noch einige Runden miteinander, und Lando genoß ihre Gesellschaft außerordentlich. Er sah sich nach ihrem Tisch um und entdeckte, daß ihre Begleiter die Lounge verlassen hatten. »Wer waren die Typen, die mit Ihnen am Tisch saßen?«

Sie zuckte die Achseln. »Geschäftspartner, sonst nichts«, erwiderte sie. »Feldron ist mein Agent, und Renkov mein Manager.«

»Verstehe«, sagte Lando, der insgeheim erfreut war. Sie war ganz offensichtlich ehrlich, und keiner der beiden war für sie irgendwie von romantischem Interesse. »Haben Sie vielleicht noch Lust auf einen Drink? Irgendwo, wo wir ein bißchen mehr… unter uns sind?«

Sie warf ihm einen abschätzenden Blick zu, dann nickte sie und trat einen Schritt zurück, aus seinen Armen. »In Ordnung. Das würde mir gefallen. Wir könnten uns über… gemeinsame Bekannte unterhalten.«

Lando griff nach ihrer Hand und führte sie an die Lippen. »Gemeinsame Bekannte also«, sagte er.

»In meiner Kabine, Nummer 112, sagen wir in dreißig Minuten?«

»Dreißig Minuten«, gab Lando zurück. »Ich werde jede einzelne Minute zählen.«

Sie lächelte ihn an, ein Lächeln, in dem gleichermaßen verschämte Belustigung wie Vergnügen lag, drehte sich um und ließ Lando am Rand der Tanzfläche stehen. Er sah zu, wie sie fortging – eine höchst angenehme Beschäftigung. Sie kam zum Eingangsportal, huschte an einem Anomiden vorbei, der dort herumstand, den Tanzenden zusah und der Musik lauschte, und entschwand seinem Blick.

Lando lächelte. Jetzt muß ich nur noch die beste Flasche Wein auf diesem Pott und einen Strauß Blumen auftreiben, dachte er und marschierte forsch auf die Bar zu. Noch neunundzwanzig Minuten, und die Zeit läuft…

Bria zwang sich, wieder auf den Teppich zu kommen, während sie den Gang zu ihrer Unterkunft entlangschritt. Doch sie war außer sich, als ihr voll bewußt wurde, daß sie schließlich doch noch Neuigkeiten von Han erfahren hatte! Lando Calrissian war augenscheinlich mehr als nur ein flüchtiger Bekannter. Bria war so erpicht darauf, zu ihrer Kabine zu gelangen, daß sie fast rannte. Endlich! Jemand, der ihn gut kennt, der mir sagen kann, wie es ihm geht, was er treibt… wo er ist!

Als sie ihre Kabinentür erreicht hatte, überkam sie der Gedanke, daß Han sich vielleicht auf Nar Shaddaa aufhielt, dem Ziel ihrer Reise. Konnte es sein, daß sie ihn in rund achtundvierzig Stunden wirklich sehen würde? Der Gedanke erregte sie, obwohl er sie gleichzeitig auch mit Bangigkeit erfüllte. Wie würde es nach über neun Jahren sein, ihm nahe zu kommen?

Als sie die Kabinentür aufschloß, zitterten ihre Hände. Sie war dermaßen in Erinnerungen an Han gefangen, daß nichts, absolut nichts sie warnte. In der einen Sekunde öffnete sich die Tür vor ihr, und in der nächsten warf sie ein harter Stoß mit solcher Wucht durch den Türrahmen in das Wohnzimmer der kleinen Suite, daß sie nicht einmal genug Luft zum Schreien hatte.

Ihre hochhackigen Pumps rutschten auf dem gebohnerten Fußboden aus, sie strauchelte und versuchte sich zu fangen. In dem Moment, als sie stürzte, spürte Bria, wie sich etwas Scharfes in ihr Kreuz bohrte.

Ihr blieb nur ein Augenblick, um zu begreifen, daß ihr irgend-eine Droge injiziert worden war, die sie außer Gefecht setzte. Während sie fiel, gelang es ihr mit letzter Kraft, sich ein wenig zu drehen, und sie sah einen fremden Anomiden hinter sich im Türrahmen stehen.

Bria brachte einen leisen erstickten Schrei hervor, mit dem sie ihre Freunde warnen wollte, bevor alles um sie her verschwamm…

Verschwamm…

…und schwarz wurde.

Boba Fett sah zu, wie die Tharen-Frau zu Boden sackte und bewegungslos liegenblieb. Er schloß rasch die Tür zum Gang hinter sich und trat tiefer in den Raum – als der ältere Mann, mit dem Tharen reiste, aus dem Kabinett zur Rechten geschossen kam.

Boba Fett streckte einen Arm aus, ballte die Faust, und ein tödlicher Pfeil – im Unterschied zu dem einschläfernden Geschoß, das die Frau gefällt hatte – sauste auf den älteren der beiden Rebellenoffiziere zu und bohrte sich in seine Kehle. Der Mann fand nur noch Zeit für ein atemloses Keuchen und war tot, bevor er den Boden berührte.

Der zweite Mann zögerte nicht, sondern kam direkt auf Boba zu. Der schlug seinen Umhang zur Seite und stand reglos da, als der andere mit einem wortlosen Schrei auf ihn losging.

Der Rebellenführer mochte ein guter Offizier sein, wenn es darum ging, Strategien und militärische Attacken zu planen, aber er war kein Experte für unbewaffneten Nahkampf. Boba Fett blockte seinen Schwung mit einem Unterarm ab, und konterte dann mit einem harten tödlichen Schlag, der den Kehlkopf des Mannes zertrümmerte.

Fett sah leidenschaftslos zu, wie der Rebellenoffizier starb. Es dauerte nicht länger als eine Minute. Dann drehte er den Toten um, da er ihn und seinen ebenfalls toten Kameraden in eine Ecke des Raumes schleifen und ein paar Laken über sie breiten wollte – es ging ihm dabei eher darum, die Entleerungsgerüche der plötzlich Dahingeschiedenen zu ersticken, als um irgendeine Form von Schicklichkeit.

Boba Fetts Gesichtskreis war durch die Maske, die er trug, an den Rändern beschnitten. Ohne seinen mandalorianischen Helm und die speziellen Sensoren wurde der Kopfgeldjäger nicht mehr frühzeitig vor Gefahren gewarnt. Er duckte sich im selben Moment, als der Rebellenleibwächter lautlos und mit einer Gefährlichkeit zuschlug, die den beiden älteren Männern abgegangen war.

Der Jäger wirbelte herum und ging auf Abstand zu dem jüngeren Mann, und während Fett das tat, schüttelte er den schweren Mantel des Anomiden ab und schleuderte ihn dem Leibwächter ins Gesicht. Doch sein Gegner befreite sich mit einer einzigen fließenden Bewegung und griff wieder an. Er war vielleicht Anfang Dreißig und nur mit einer kurzen Hose bekleidet. Der Mann hatte, als seine Offiziere ihren verhängnisvollen Angriff durchführten, offenbar im Nebenraum geschlafen.

Dieser Typ, das wußte Fett auf Anhieb, war ein Soldat der kämpfenden Truppe, der darauf trainiert war, seine Hände und Füße als Waffen einzusetzen – ebenso, wie er darauf trainiert war, das Vibromesser zu benutzen, das er in einer Hand hielt.

Boba Fett lächelte leicht hinter seinen beiden Masken; die Herausforderung bereitete ihm Vergnügen, und sie kam zudem von jemandem, der unzweifelhaft wußte, was er tat. Fett besaß noch einen zweiten tödlichen Pfeil, den er hätte verwenden können, doch er entschied sich dagegen. Eine kleine Übungseinheit war ihm durchaus willkommen. Es war lange her, seit er sich zuletzt einen waffenlosen Kampf gegönnt hatte. Nur wenige Widersacher waren die Zeit wert.

Der Mann tänzelte wieder auf ihn zu. Das Vibromesser hielt er bereit, um ihn mit einem Schnitt auszuweiden. Boba Fett ließ ihn kommen, duckte sich in allerletzter Sekunde, machte einen Katzbuckel wie ein Null-G-Tänzer und wirbelte dann aus der Angriffslinie. Aus der Bewegung heraus zuckte seine Hand hervor und verpaßte dem Soldaten eine schallende Ohrfeige hinter das rechte Ohr. Es gelang dem Mann jedoch, im letzten Moment auszuweichen, so daß der Schlag, der ihn bewußtlos machen sollte, ihm lediglich die Sinne trübte. Er strauchelte ein wenig, schüttelte den Kopf und wollte mehr.

Boba Fett war ihm liebend gern zu Diensten. In einer erbitterten Parodie der Manier, in der Lando Calrissian und Bria Tharen noch vor wenigen Minuten in der ›Sternenwind Lounge‹ getanzt hatten, tänzelten die Gegner umeinander. Der Wächter stürzte sich erneut nach vorne, und wieder wartete Boba Fett und wich der Bewegung erst in allerletzter Sekunde aus. Ein weiterer Hieb ließ den Corellianer keuchen, diesmal traf Fetts Spann die Innenseite seines Knies. Das Bein des Leibwächters knickte ein, und zum ersten Mal las Fett Furcht in seinen Augen. Er wußte, daß er deklassiert war, und doch überwand er den Schmerz und die Schwäche und griff wieder an. Ein Mann, der seine Pflichten kennt und nicht vor ihnen zurückschreckt, dachte Fett. Bewundernswert. Die Belohnung für seinen Mut wird ein schneller, leichter Tod sein…

Zum ersten Mal wich Fett der Attacke nicht aus. Sein Fuß schoß zu einem gezielten Tritt vor und traf mit überwältigender Wucht auf das Handgelenk des Mannes. Das Vibromesser flog davon. Fett wirbelte herum, um dem Kampf ein Ende zu bereiten. Ein weiterer schwungvoller Hieb hinter das andere Knie, und der Mann erschlaffte, seine Beine vermochten ihn nicht mehr zu tragen. Aber darauf kam es auch gar nicht mehr an, den Fett hatte seinen Hals bereits mit einem Griff umfangen, der so hart und unnachgiebig war wie Durastahl. Ein kurzer Ruck zur Seite, und der Leibwächter sackte tot in seinen Armen zusammen.

Boba Fett schleifte den Mann in die Ecke und legte ihn dort ab, dann schaffte er auch die übrigen Toten dorthin. Er warf die Laken von einem der Betten über die Leichen. Als er damit fertig war, sah er, daß die Tharen-Frau sich zu bewegen begann.

Als Bria wieder zu sich kam, war sie so fest verschnürt, daß sie im ersten Moment nicht einmal daran dachte, dagegen aufzubegehren. Sie war allein im Wohnzimmer und saß, gegen einen der großen Sessel gelehnt, auf dem üppigen Teppich. Ihr Schädel brummte, und sie war furchtbar durstig, doch davon abgesehen war sie unversehrt.

Doch da war die Angst. Bria hatte schon zuvor brenzlige Situationen erlebt, im Kampf, aber sie war noch nie in Gefangenschaft geraten. Man konnte sich unmöglich noch hilfloser fühlen, allein mit der Frage, wer einem dies angetan hatte – und wieso. Das mußte dieser Anomide gewesen sein, doch Bria hatte noch nie etwas mit diesen Nichtmenschen zu schaffen gehabt, sie konnte sich daher nicht vorstellen, warum einer von ihnen ihr etwas zuleide tun wollte. Vielleicht war dieser Anomide ein Kopfgeldjäger. Das war die einzige schlüssige Erklärung…

Sie befeuchtete sich die Lippen, holte tief Atem und setzte zu einem Schrei an, der sogar außerhalb der geschlossenen Kabinentür zu hören sein würde. Doch im gleichen Moment bemerkte sie zweierlei: die Leichen ihrer Kameraden, die mit Bettüchern bedeckt und so sorgfältig aufgestapelt waren, daß sie von der Tür aus für niemanden zu sehen sein würden – und den Klangschwamm. Das kleine Gerät war in ihrer Nähe auf dem Boden plaziert worden, und das blinkende Licht verriet ihr, daß es aktiv war. Es würde jeden Schrei, den sie hervorbringen konnte, zuverlässig absorbieren. Bria schloß den Mund und die Augen und ließ resigniert den Kopf gegen den Sessel sinken. Großartig. Wer auch immer dieser Anomide ist, er hat an alles gedacht.

Wer konnte er sein? Der Nichtmensch war augenscheinlich binnen weniger Minuten mit Darnov, Feitran und sogar Treeska fertig geworden (und Bria wußte um dessen Reputation als Kämpfer ohne Waffen). Sie konnte das Chrono an der Wand sehen und stellte fest, daß sie nur zehn Minuten ohnmächtig gewesen war. Während sie so dasaß und verzweifelt versuchte, sich etwas einfallen zu lassen, öffnete der Anomide die Kabinentür und kam herein. Er trug einen großen, schweren Reisekoffer, den er mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden abstellte. Als er sah, daß Bria wach war, ging er ins Bad und kam mit einem Glas Wasser zurück. Er ging neben ihr in die Knie, schaltete den Klangschwamm ab, damit sie seine Stimme verstehen konnte.

»Dieses Schlafmittel verursacht großen Durst. Das hier ist klares Wasser. Ich habe nicht die Absicht, Ihnen Schaden zuzufügen. Die Belohnung für sie wird nur bei unbeschädigter Übergabe bezahlt.«

Er hielt ihr das Wasser hin, und Bria streckte sich danach, doch dann zögerte sie. Was, wenn dies ein imperialer Kopfgeldjäger oder Agent war? Was, wenn das Wasser mit einer Wahrheitsdroge versetzt war? Obwohl Mund und Rachen mittlerweile höllisch brannten, schüttelte sie den Kopf. »Vielen Dank auch«, brachte sie heraus. »Ich bin nicht durstig.«

»Natürlich sind sie das«, sagte der Anomide. »Ihre jämmerlichen Rebellengeheimnisse interessieren mich nicht.« Er schob die Stimm-Maske zur Seite und nahm einen tiefen Schluck. »Das Wasser ist gut«, versicherte er und hielt es ihr wieder hin.

Bria blinzelte zu ihm hinauf, dann obsiegte der Durst. Sie trank in langen Zügen, der Anomide half ihr. Dann erst rückte er die Stimm-Maske wieder zurecht. Bria lehnte sich gegen den Sessel an ihrem Rücken und sagte: »Sie sind kein Anomide. Diese können ohne ihre Stimm-Maske nicht sprechen. Sie sind also offenbar ein verkleideter Kopfgeldjäger. Wer sind Sie?«

Der Anomide betrachtete sie mit ausdruckslosen silberblauen Augen. »Sehr aufmerksam, Bria Tharen. Ich bin erfreut über Ihre Reaktion. Hysterie ist so ermüdend und sinnlos. Was meine Identität angeht… Sie kennen mich vielleicht unter meinem angenommenen Namen Boba Fett.«

Boba Fett? Bria sank gegen den Sessel, riß die Augen auf und kämpfte gegen die Furcht an, die schon die beiläufige Erwähnung dieses Namens brachte. Sie ertappte sich dabei, daß sie zum ersten Mal seit Jahren zu den Göttern ihrer Kindheit betete. Im nächsten Moment fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen. »Boba Fett…«, brachte sie heraus. »Ich kenne diesen Namen. Ich hätte nicht gedacht, daß Sie sich mit den winzigen imperialen Kopfgeldern abgeben. Die Belohnung, die die Imperialen auf mich ausgesetzt haben, ist Ihre Zeit nicht wert.«

Der Kopfgeldjäger nickte. »Richtig. Das Kopfgeld des Besadii-Clans ist hundertmal so hoch.«

»Teroenza«, flüsterte Bria. »Das muß es sein. Das letzte Mal, als ich davon hörte, waren es fünfzigtausend Credits, nicht hunderttausend.«

»Die Besadii haben es verdoppelt, nachdem Sie die ›Joch des Heloten‹ gekapert hatten.«

Bria versuchte zu lächeln. »Es ist doch schön, so berühmt zu sein«, sagte sie. »Die ›Joch‹ war ein Sklavenschiff. Ich mußte sie aufhalten, und es hat mir nicht leid darum.«

»Gut«, erwiderte er. »Daher sollten wir unsere kurze Beziehung so angenehm wie möglich gestalten. Möchten Sie noch etwas Wasser?«

Bria nickte, und Fett holte ihr noch ein Glas. Dieses Mal nahm sie das Wasser, ohne sich lange bitten zu lassen. Bria versuchte sich daran zu erinnern, was sie in ihrer Ausbildung über Gefangenschaft gelernt hatte. Sie trug keine Uniform, und sie besaß keine ›Einschlafhilfe‹, die ihren Leiden ein Ende hätte setzen können. Sie war weit weg von Nal Hutta oder Ylesia… zwischen hier und dort konnte viel geschehen. Sie beschloß, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten und Fett erst mal reden zu lassen, sofern ihr dies möglich war. Ihre Instruktionen besagten, daß die Befreiung um so leichter fiel und die Chancen wuchsen, daß die Bewacher unachtsam wurden, je mehr diese ihr Opfer als eine wirkliche Person betrachteten.

Bria war sich darüber hinaus der Tatsache bewußt, daß die Chancen, Boba Fett könnte ein Schnitzer unterlaufen, verschwindend gering waren. Außerdem konnte sie im Augenblick ohnehin nichts anderes unternehmen, oder? Sie gab sich Mühe, nicht nach den von Laken verdeckten Leichen in der Ecke zu schauen.

»Wissen Sie«, sagte sie, »ich habe viel von Ihnen gehört. Ich frage mich bloß, ob alles, was man so über Sie erzählt, der Wahrheit entspricht.«

»Zum Beispiel?«

»Daß Sie ihren eigenen Ehrenkodex haben. Daß Sie der vollendete Jäger sind, aber kein Tyrann, und daß es Ihnen kein Vergnügen bereitet, Schmerz zuzufügen.«

»Richtig«, nickte er. »Ich bin Moralist.«

»Wie denken Sie über das Imperium?« wollte Bria wissen, als er sich an dem schweren Koffer zu schaffen machte, den er in den Raum geschleppt hatte. Sie erhaschte einen Blick auf seinen berühmten Helm.

»Ich denke, das Imperium ist die gesetzmäßige Regierung, auch wenn es in mancher Hinsicht moralisch korrumpiert sein mag. Ich befolge seine Gesetze.«

»Moralisch korrumpiert?« rief Bria und reckte den Hals. »Wie das?«

»In vielerlei Hinsicht.«

»Nennen Sie mir eine.«

Er warf ihr einen Blick zu, und sie fragte sich, ob er sie jetzt auffordern würde, den Mund zu halten, doch einen Moment später antwortete er: »Die Sklaverei. Sie ist eine unmoralische und für alle Beteiligten unwürdige Einrichtung.«

»So ist es!« rief Bria aus. »Dann haben wir etwas gemeinsam. Ich mag die Sklaverei auch nicht besonders.«

»Ich weiß.«

»Ich war Sklavin«, fuhr sie fort. »Es war schrecklich.«

»Ich weiß.«

»Sie wissen sehr viel über mich, scheint mir.«

»Ja.«

Bria befeuchtete sich die Lippen. »Dann wissen Sie auch, daß Teroenza, oder wer auch immer zur Zeit die Besadii führt, vorhat, mich auf irgendeine langsame und scheußliche Weise zu töten, stimmt’s?«

»Ja. Verhängnisvoll für Sie, profitabel für mich.«

Bria nickte und faßte ihn mit einem berückenden Blick ins Auge. »Da Sie so viel über mich wissen, ist Ihnen wohl auch bekannt, daß ich einen Vater habe, stimmt’s?«

»Ja.«

»Dann… ich weiß, es klingt ungewöhnlich, aber unter diesen Umständen… vielleicht hätten Sie ja nichts dagegen…« Bria verlor den Faden und rang um Selbstbeherrschung. Ihr wurde erst in diesem Moment wirklich klar, daß sie verloren war und daß es ihr nicht gelingen würde, hier wieder herauszukommen.

»Was?«

Sie atmete tief durch. »Ich habe meinen Vater seit Jahren nicht mehr gesehen. Wir standen uns immer sehr nahe. Meine Mutter und mein Bruder taugen nicht viel, aber mein Vater…« Bria hob die Schultern. »Sie verstehen schon. Als ich mich dem Widerstand anschloß, wußte ich, daß es zu gefährlich sein würde, ihn wiederzusehen. Zu gefährlich für uns beide. Aber ich fand Möglichkeiten – sichere Möglichkeiten –, ihn wissen zu lassen, daß ich am Leben bin. Mehrmals im Jahr erhält er auf komplizierten Umwegen Nachricht von mir. ›Bria geht es gut‹… In der Art eben.«

»Fahren Sie fort.« Die Stimme des Kopfgeldjägers war absolut ausdruckslos.

»Na ja, wie auch immer… Ich will nicht, daß er ewig auf eine neue Nachricht von mit warten muß. Könnten Sie ihn wissen lassen… daß ich tot bin? Er bedeutet mir viel. Er ist ein guter Mann, ein anständiger Mann. Er zahlt seine Steuern an das Imperium, er ist ein ehrbarer Bürger und alles. Wenn ich Ihnen also seinen Namen und die Adresse gebe, könnten Sie ihm dann eine Botschaft schicken. ›Bria ist tot!‹ Sonst nichts.«

Zu Brias Überraschung nickte Boba Fett. »Das werde ich tun. Was…?« Der Kopfgeldjäger unterbrach sich, als die Türglocke anschlug. Boba Fett kam – wie ein jagendes Raubtier – mit einer einzigen nahtlosen Bewegung auf die Füße.

Die Glocke ertönte noch einmal. Undeutlich, durch den Klangschwamm gedämpft, hörte Bria, wie jemand außerhalb der Kabine rief: »Bria? He, ich bin es, Lando!«

»Calrissian«, sagte Boba Fett leise. Rasch drehte der Kopfgeldjäger den Klangschwamm wieder voll auf. Er ging zum Eingang, löste den Riegel und bezog Stellung hinter der Tür.

»Lando, nein!« schrie Bria. »Geh weg!« Doch der Klangschwamm saugte das Geräusch auf und absorbierte es. Anstatt den Raum zu füllen, war ihr Schrei nicht lauter als ein Flüstern.

Lando umfaßte die Blumen und die Flasche Wein ein wenig fester und trat ungeduldig durch die Tür von Bria Lavvals Unterkunft. »Sorry, ich bin ein paar Minuten zu spät dran«, sagte er. »Der Florist hatte schon geschlossen, daher mußte…«

Calrissian verstummte irritiert, seine Augen weiteten sich, als er Bria, die neben einem großen Sessel mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf dem Boden saß, und dann den von Laken verdeckten Stapel in der Ecke erblickte. Er wich zurück, als ihm aufging, daß er einen schlimmen Fehler gemacht hatte.

Hinter dem Spieler fiel die Tür ins Schloß. »Was ist hier los?« wollte Lando wissen, doch er hörte seine Stimme nur als gedämpfte, unterdrückte Klangfolge. Als er Brias Blickrichtung erkannte, drehte er sich um und entdeckte einen Anomiden, der ihn betrachtete.

»Schön, Sie wiederzusehen, Calrissian«, sagte der Anomide. »Sie haben Glück, daß ich niemals Geschäft und Vergnügen vermische.«

»Was…?« setzte Lando an, dann fiel sein Blick auf den großen Koffer, der geöffnet auf dem Boden lag. Seine dunklen Augen wurden daraufhin noch größer. »Fett«, sagte er.

»Ja«, entgegnete der Kopfgeldjäger. »Und das sollte besser das letzte Wort sein, das ich von Ihnen höre, Calrissian. Ich bin nicht wegen Ihnen hier. Kooperieren Sie, und ich lasse Sie vielleicht am Leben. Sie könnten mir von Nutzen sein.«

Lando war zu klug, um ihm zu widersprechen. Behutsam legte er den Wein und die Blumen ab. Kurz darauf fand er sich ein paar Meter neben Bria auf dem Boden sitzen, ebenso wirksam gefesselt und den Rücken gegen das Sofa gelehnt.

Boba Fett sah Bria scharf an. »Sie und ich werden morgen, sobald wir an der Landeplattform von Nar Hekka festgemacht haben, die ›Königin‹ verlassen. Wir werden dicht nebeneinander gehen. Ich werde eine Waffe tragen, allerdings keine, die bei einer Durchsuchung oder einer Sicherheitsüberprüfung entdeckt werden könnte. Sie werden immer dicht an meiner rechten Seite bleiben und den Mund halten. Verstanden?«

Sie nickte. »Ja. Aber was ist mit Lando?« Der Unterton in ihrer Stimme machte deutlich, daß sie Angst um ihn hatte; deshalb warf der Spieler ihr einen dankbaren Blick zu.

»Calrissians Leben hängt von Ihnen ab, Bria Tharen. Wenn Sie mir Ihr Wort geben, niemanden zu alarmieren, werde ich ihn hier zurücklassen, gefesselt und geknebelt, aber lebend.«

Bria hob die Augenbrauen. »Sie verlassen sich auf mein Wort?«

»Warum nicht?« fragte er mit einem spöttischen Unterton zurück. »Sie erachten das Leben Unschuldiger für wertvoller als ihr eigenes. Ich kenne Leute Ihres Schlages. Aber um das ganz klar zu machen… ich habe vor, Calrissian, bevor wir verschwinden, mit einem ferngesteuerten Detonator zu verkabeln. Wenn wir auf irgendwelche Schwierigkeiten stoßen, werden die Reinigungsdroiden seine Überreste von den Wänden kratzen müssen.«

Lando schluckte schmerzhaft. Bria sah den Spieler an und lächelte ihm ermutigend zu. »Sie haben recht, was mich betrifft. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich Ihnen keine Schwierigkeiten machen werde.«

»Gut«, erwiderte Fett. »Im Augenblick…« Der Kopfgeldjäger verstummte, als plötzlich mit ohrenbetäubender Lautstärke ein Alarmsignal durch die ›Königin des Imperiums‹ schrillte. Lando richtete sich sofort auf, und seine Augen weiteten sich. Was zum…?

Fünfzehn Sekunden später machte die ›Königin‹ einen Satz – anders konnte man es nicht ausdrücken. Das riesige Raumschiff schlingerte wie eine Boje auf stürmischer See. Landos Magen geriet in Aufruhr, und er kippte auf die Seite. Er sah sich nach Bria um, der es irgendwie gelungen war, ihre aufrechte Position beizubehalten, sah, daß sie würgte und dagegen ankämpfte, sich übergeben zu müssen.

»Was geht hier vor?« keuchte sie. Lando, der sich an Boba Fetts Befehl erinnerte, den Mund zu halten, beschränkte sich darauf, sich nach Möglichkeit wieder aufzurichten.

»Wir haben den Hyperraum verlassen«, berichtete Fett. »Die Sicherheitssysteme müssen einen unerwarteten Schwerkraft-schatten erfaßt und automatisch darauf reagiert haben.«

Lando zollte dem Kopfgeldjäger für dessen Scharfsinn insgeheim Beifall, als es ihm endlich gelang, sich auf die andere Seite zu rollen und aufzusetzen – mit auf den Rücken gefesselten Händen ein hartes Stück Arbeit.

»Was könnte das verursacht haben?« wollte Bria wissen. »Ein Maschinenschaden?«

»Schon möglich«, antwortete Fett. »Aber wahrscheinlich eher ein Angriff. Ein imperialer Kreuzer der Abfang-Klasse könnte ein Raumschiff ohne weiteres aus dem Hyperraum holen.«

»Aber wieso sollten die Imperialen ein Kreuzfahrtschiff angreifen?« fragte Bria. Lando hatte sich das auch schon gefragt, und ihm fiel keine Antwort darauf ein. Bria legte die Stirn in Falten, während sie sich auf die Vibrationen des Schiffs konzentrierte. »Was den Angriff angeht, haben sie recht«, rief sie. »Wir sind in einem Traktorstrahl gefangen.«

Der Kopfgeldjäger packte seinen Reisekoffer und zerrte ihn hinter einen Wandschirm. Lando konnte das leise Rascheln von Kleidern hören, die ab- und angelegt wurden.

Der Spieler konnte Brias Blick einfangen und bewegte die Lippen. »Vertrauen Sie mir, Lady Bria. Folgen Sie mir, wenn wir einen Ausweg finden.« Er mußte seine Worte mehrmals wiederholen, bis sie verstand, nickte und ihm unsicher zulächelte.

Ein paar Minuten später tauchte der Kopfgeldjäger wieder auf, nun in seine mandalorianische Rüstung gehüllt. Er trug ein Blastergewehr, seine einzige sichtbare Waffe, doch Lando wußte aus Erfahrung, daß der Jäger ein wandelndes Arsenal gutverborgener Wehrhaftigkeit war. Er ging jetzt zu Bria und entfernte ihre Fußfesseln, dann tat er Lando denselben Gefallen.

»Sie beide kommen mit mir«, sagte er. »Und… Calrissian… denken Sie daran, Sie sind entbehrlich. Lady Tharen… wenn Sie irgend etwas versuchen, stirbt Calrissian, klar?«

»Ja«, entgegnete Bria.

Lando nickte und versuchte ungeachtet der zusammengebundenen Hände ohne Hilfe auf die Beine zu kommen. Boba Fett half Bria derweil in einer Parodie zuvorkommenden Benehmens beim Aufstehen. Sie schwankte ein wenig auf den hohen Absätzen, streckte abwechselnd die Füße aus und verzog wegen des Kribbelns das Gesicht.

Fett hob den Klangschwamm auf, deaktivierte ihn und verstaute ihn in einer Hosentasche. Jetzt, da das dämpfende Gerät abgeschaltet war, konnte Lando den Lärm von Blasterfeuer und schnellen Schritten hören.

Ein Lautsprechersystem dröhnte: »An alle Passagiere… bitte bleiben Sie ruhig und in Ihren Kabinen. Es gibt einen Eindringlingsalarm. Aber unsere Crew arbeitet daran, die Ordnung wiederherzustellen. Wir werden Sie über den Fortgang der Ereignisse auf dem laufenden halten. An alle Passagiere…«

Aber sicher, dachte Lando. Sie stellen die Ordnung wieder her… ganz bestimmt tun sie das… Der Spieler warf Bria einen Blick zu. Sie sah ihn an und zuckte vage die Achseln.

Sie kamen zur Tür, und Fett winkte Lando. »Aufmachen!«

Auf dem Gang herrschte das pure Chaos. Sie mußten unter dem Türrahmen ausharren, bis ein Haufen schreiender Passagiere – die meisten trugen lediglich Nachthemden und Hausmäntel – an ihnen vorbeigehastet waren. Fett betrachtete prüfend ein kleines, handtellergroßes Gerät in seiner Hand. »Nach rechts«, befahl er dann.

Lando und Bria gehorchten. Der Spieler empfand es als erstaunlich schwierig, mit auf dem Rücken gefesselten Händen zu laufen. Es wirkte sich irgendwie nachteilig auf seinen Gleichgewichtssinn aus.

Sie mußten einige Male ausweichen, um kreischenden Horden von Reisenden den Vortritt zu lassen. Das Blasterfeuer wurde, während sie allmählich zu den Shuttledecks gelangten, immer lauter. Sie ließen die Passagierkabinen hinter sich und benutzten eine Reihe von Laufbändern, zu denen Fett sie dirigierte. Den Geräuschen nach zu urteilen, befand sich das Zentrum des Schußwechsels in der Nähe der Andockbuchten.

Das Schlachtgetöse schwoll an und kam unaufhörlich näher. Als sie sich dem Hangar näherten, stießen sie auf Leichen, die den Gang versperrten; die meisten trugen Uniformen, die sie als Angehörige der Schiffsbesatzung auswiesen. Einige der Toten gehörten zu den Passagieren, doch keiner trug eine imperiale Uniform. Bria warf Lando, während sie weiterstolperten, einen Blick zu. Ihre Gelassenheit angesichts des Gemetzels überraschte ihn – schließlich verursachte der Anblick von Leichen den meisten Bürgern Übelkeit.

Lando strengte die Augen an, um einen Blick auf die Angreifer zu erhaschen, doch bisher waren sie keinem von ihnen über den Weg gelaufen. Er leckte sich die trockenen Lippen. Er wußte, daß er auch mit gefesselten Händen irgend etwas unternehmen mußte, ehe sie zu dritt in eine Fähre stiegen. In einer Fähre hätten sie keine Chance. Er blickte seine Mitgefangene von der Seite an und schätzte ihre Fähigkeit ein, ihm beizustehen, falls er etwas versuchte.

Im nächsten Moment drängte sich ihm die Frage auf, weshalb diese hübsche junge Frau – sie konnte nicht viel älter als fünfundzwanzig sein – eigentlich von Boba Fett gejagt wurde. Sie mußte mehr sein, als es den Anschein hatte, und was er bisher von ihr gesehen hatte, bestätigte diese Vermutung. Die meisten Bürger würden angesichts des gefürchtetsten Kopfgeldjägers der Galaxis zu einem Haufen zitternden Protoplasmas zusammenschrumpfen. Aber Bria war ganz offensichtlich kein Exemplar der Gattung Normalbürger…

Sie bogen auf ihrem Weg zum Shuttledeck um eine Ecke… und liefen schnurstracks einer Entermannschaft in die Arme. Lando blieb abrupt stehen, Bria stoppte direkt neben ihm. Sie starrten in die Gesichter von zwölf oder dreizehn zwielichtigen Figuren, deren schreiend bunter, knalliger, nicht zueinander passender Aufzug Landos Gespür für modischen Stil ernstlich verletzte. Außerdem waren sie mit grellen Klunkern behängt.

Bria zischte: »Piraten!«

Mit einem Mal paßte alles zusammen, und Lando wurde klar, was der ›Königin‹ zugestoßen war. Er hatte diesen Trick schon einmal gesehen. Die Piraten hatten das Schiff aus dem Hyperraum geholt, indem sie im Realraum einen ziemlich großen Asteroiden an einen Punkt geschleppt hatten, der genau auf der Reiseroute des Schiffs im Hyperraum lag. Dann hatte der ›Schatten‹ des Schwerkrafttrichters jenes Asteroiden den Hyperraumalarm ausgelöst und die ›Königin‹ unversehens wieder in den Normalraum zurückfallen lassen. Ein verwegener und schlauer Plan – der zudem nur mit großen Raumschiffen durchgeführt werden konnte. Mit großen Schiffen und von wagemutigen Anführern. Zum ersten Mal überkam Lando eine Woge der Hoffnung. Es muß einfach so sein! Niemand sonst würde es wagen, ein derart riesiges Schiff anzugreifen…

»Zurück, in die andere Richtung!« rief Boba Fett, und seine Gefangenen änderten folgsam die Richtung. Lando und Bria versuchten zu rennen, aber wenn Lando schon gedacht hatte, das Gehen mit gefesselten Händen sei hart, so hätte er sich doch niemals ausgemalt, daß das Laufen noch viel schlimmer sein würde. Er glaubte jeden Moment zu stürzen, und dann würde er wegen seiner Ungeschicklichkeit von Boba Fett kurzerhand erschossen werden.

Den beiden Gefangenen gelang nur ein ungelenker Laufschritt, doch Fett trieb sie an. Als sie sich jedoch einer weiteren Biegung des Korridors näherten, sah Lando ein grelles Farbgemenge aufblitzen. Neue Piraten!

»Halt!« bellte Boba Fett. Seine Stimme hörte sich durch die mechanischen Lautsprecher doppelt rauh an. Der Kopfgeldjäger stieß Bria rasch in einen Eingang, dann zerrte er Lando heran, damit er sich als lebenden Schutzschild vor sie stellte. »Keine Bewegung, Calrissian« fauchte Fett und verließ ihr Versteck, bis er voll sichtbar war.

Das Trappeln eiliger Schritte kam näher, und dann Freibeuterhorden aus beiden Richtungen zusammen. Boba Fett, der unterdessen seine Bewaffnung überprüft hatte, nahm eine gespannte, zum Kampf bereite Haltung an. Gegen wie viele Piraten? Fünfundzwanzig? Dreißig? Vielleicht mehr, schätzte Lando.

Die beiden Gruppen kamen immer näher, verlangsamten dann unsicher ihr Tempo. Lando machte ihnen daraus keinen Vorwurf. Er wäre auch nicht gern der erste, der auf Boba Fett schoß, nicht einmal unter diesen Umständen. Es war gut möglich, daß der Kopfgeldjäger ein paar der Angreifer mit in den Tod nehmen würde.

»Was ist da los?« Aus dem Hintergrund einer der beiden Meuten ließ sich eine volltönende vertraute Altstimme vernehmen. Lando stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. »Boba Fett, im Namen sämtlicher Höllen von Barab, was tun Sie denn hier?«

»Eine Jagdbeute festnehmen«, gab der Jäger zurück. »Ich habe nichts mit Ihnen zu schaffen, Captain Renthal. Ich nehme meine Beute und ein Shuttle und verschwinde.«

Lando füllte seine Lungen und brüllte: »Drea! Ich bin’s… Lando! He, was bin ich froh, dich zu sehen…« Fauchend entwich ihm die Atemluft, als der Kopfgeldjäger einen schnellen Schritt zurück machte und der Kolben von Fetts Blastergewehr Tuchfühlung mit seinem Solarplexus aufnahm. Der Spieler krümmte sich keuchend zusammen.

Langsam teilten sich die Reihen der Freibeuter, und Drea Renthal, weiblicher Piraten-Captain und Landos ehemalige Geliebte, kam zum Vorschein. Sie war eine große, kantige Frau von etwa fünfundvierzig Jahren mit modisch silbern und golden gesträhntem Haar, heller Haut und den kältesten grauen Augen, die Lando jemals gesehen hatte. Renthal trug die übliche wilde Zusammenstellung von Kleidern am Leib – rot gestreifte Strümpfe, einen purpurnen Rock, der an einer Seite hochgeschürzt war, eine rosenfarbige Seidenbluse sowie eine gepanzerte Weste. Ihr stachelig kurzes Haar war halb von einem unmöglichen Barett verdeckt, an dem eine lange, hinter ihr flatternde orangerote Feder hing.

Lando versuchte sich unter Schmerzen aufzurichten. Er wollte ihr zuwinken, aber, natürlich, seine Arme waren ja gefesselt. Außerdem würde Boba Fett ihn höchstwahrscheinlich für diese Ungehörigkeit töten.

Renthal musterte sie und sagte dann: »Lando, du hast mir nie erzählt, daß ein Kopfgeld auf dich ausgesetzt ist.«

In Wahrheit wußte Lando von mehreren Kopfgeldern, die in den Zentralregionen auf ihn ausgesetzt waren, aber gegenwärtig befand er sich im imperialen Raum. »Kein Kopfgeld, Drea«, rief er mit rauher, atemloser Stimme. »Ich war bloß… zur falschen Zeit… am falschen Ort…«

Renthal sah jetzt wieder den Kopfgeldjäger an. »Ist das wahr, Fett? Es gibt keine Belohnung für Calrissian?«

Der Jäger zögerte, dann erwiderte er: »So ist es. Ich habe noch eine alte Rechnung mit Calrissian offen. Allerdings etwas… Persönliches.«

Drea Renthal dachte lange darüber nach. »In dem Fall, Fett, sollten Sie ihn lieber gehen lassen. Lando ist so eine Art… besonderer Freund… von mir. Es könnte mir ein paar Nächte den Schlaf rauben, wenn ich Ihnen erlaube, ihn mitzunehmen. Ich sage Ihnen was: Lassen Sie ihn ziehen, und ich überlasse Ihnen eine Fähre zu Ihrer freien Verfügung.«

Boba Fett nickte. »Sehr gut.« Ohne den Kopf zu wenden, sagte er: »Calrissian… hauen Sie ab! Wir sehen uns schon wieder… eines Tages.«

Lando spürte, wie Bria sich von ihm fortbewegte, damit er verschwinden konnte. Der Spieler wünschte sich nichts mehr, als sich in Sicherheit zu bringen – zu Drea und ihrer Bande von Halsabschneidern –, doch statt dessen hörte er seine eigene Stimme sagen: »Nein, Drea, ich kann nicht ohne Lady Lavval gehen. Du kannst nicht zulassen, daß Fett sie mitnimmt.«

Boba Fett war wahrhaftig nicht oft verblüfft, aber er vernahm Landos Worte mit großer Überraschung – fast schon mit Erstaunen. Er hatte Calrissian niemals für mehr als einen aufgeblasenen, stutzerhaften Feigling gehalten. Jetzt starrte der Kopfgeldjäger den Glücksspieler an und fragte sich, ob Calrissian bloß leeres Geschwätz von sich gab, aber der gefaßte Gesichtsausdruck des Mannes verriet ihm, daß er es ernst meinte – er würde nicht ohne Bria gehen.

Fetts Blick kehrte zu Drea Renthal zurück. Wie viel mochte ihr Calrissian bedeuten? Es war nicht zu übersehen, daß der Spieler ein abgelegter Liebhaber war. Doch Renthal war eine praktisch denkende Frau. Man stieg nicht zur Anführerin einer der größten Piraten- und Söldnerflotten auf, wenn man nicht gleichermaßen pragmatisch und rücksichtslos war. Vielleicht würde sie Calrissian wegen seiner närrischen Aufführung (und das auch noch für eine andere Frau!) einfach fallenlassen.

Renthal faßte Calrissians Blick ins Auge und seufzte. »Lando, Süßer, du bist echt niedlich und ein guter Tänzer, aber jetzt gehst du für meinen Geschmack ein wenig zu weit. Warum sollte ich etwas um dieses Flittchen geben? Ist sie deine derzeitige Flamme?«

»Nein«, antwortete Calrissian. »Es ist nichts zwischen uns, Drea. Aber Bria hier ist Han Solos Freundin, und er hat sein Leben riskiert, um deine Y-Flügler und die ›Renthals Faust‹ davor zu bewahren, während der Schlacht von Nar Shaddaa von der ›Peacekeeper‹ einfach in Stücke geschossen zu werden. Ich würde sagen, du schuldest ihm was.«

Fett war abermals überrascht. Bria Tharen und Han Solo? Das lag offenbar weit zurück, da Fett sie seit über einem Jahr auf all ihren Wegen überwachte, und sie hatte in dieser Zeit keinen Kontakt mit Solo gehabt.

Renthal blinzelte. »Bria? Ihr Name ist Bria? So wie Solos Schiff? Das hier ist die Bria?«

Calrissian nickte. »Ja. Sie ist die Bria.«

Drea Renthal verzog das Gesicht und fluchte. »Lando, du stehst einfach darauf, mein Leben kompliziert zu machen, was? Dafür werde ich dir gehörig das Fell gerben, Baby. Also schön… du hast recht, eine Schuld ist eine Schuld.« Sie langte unter ihre gepanzerte Weste und entnahm ihr eine schwere Börse. »Juwelen und Creditbons, Fett«, sagte sie. »Hier müßten über fünfzigtausend Credits drin sein. Lassen Sie alle beide gehen, und sie kriegen Ihr Shuttle. Ich will keinen Kampf… aber ich lasse Sie auf keinen Fall mit den beiden davonkommen.«

Boba Fett studierte die eng gestaffelten Reihen der Freibeuter und berechnete seine Chancen, sich den Weg freizukämpfen. Da standen zweiunddreißig Piraten – kein besonders gutes Verhältnis. Boba Fetts Rüstung würde ihn schützen, möglicherweise sogar gut genug, um seine Flucht zu gewährleisten. Doch Bria Tharen trug ein trägerloses Abendkleid. Sie würde in einem Feuergefecht mit Sicherheit verletzt werden, vielleicht sogar getötet. Und ihr Kopfgeld verlangte die unversehrte Übergabe bei lebendigem Leib.

Boba Fett beäugte die schwerbewaffneten Piraten, dann sah er Bria Tharen an und spürte widerwillig das kurze Aufflackern eines Gefühls, das er als Erleichterung erkannte. Tharen würde heute nicht qualvoll sterben, oder morgen, während der verderbte Hohepriester von Ylesia sich die winzigen Händchen rieb und vor Freude gluckste.

Fett atmete tief durch. »Die Belohnung für sie beträgt einhunderttausend Credits«, sagte er.

»Wow!« Renthal sah zu Bria hinüber. »Was, im Namen aller Nachtdämonen von Kashyyyk, hast du angestellt, Süße? Na schön, Fett, Sie Blutsauger.« Sie wandte sich ihrer Mannschaft zu, öffnete die Börse und hielt sie ihren Leuten hin. »Na los, Herrschaften. Ich sammle die fünfzig Prozent meines Anteils an der ›Königin‹ schon jetzt ein. Hier rein, bitte!«

Es sprach für Renthals Reputation, daß kaum ein unwilliges Murren sich erhob. Die Piraten gruben in ihren Taschen und Geldbörsen, und schon bald war ihr Beutel prall gefüllt.

Sie wirbelte herum und warf ihn dem Kopfgeldjäger zu. Fett fing den Beutel, wog ihn in der Hand und ergab sich schließlich in das Unvermeidliche. Schließlich war Renthals Lösegeld für Bria Tharen recht ansehnlich.

Der Kopfgeldjäger neigte den Kopf vor Lando und sagte: »Ein andermal dann, Calrissian.«

Der Spieler ließ in einem bissigen Grinsen die Zähne blitzen. »Ich freue mich schon darauf.«

Dann nickte Boba Fett Bria zu. »Später, meine Dame.«

Sie reckte sich zu ihrer vollen Größe, und der Kopfgeldjäger mußte ihre Selbstbeherrschung bewundern. »Ich hoffe nicht. Ich werde gut achtgeben.«

Boba Fett drehte sich zu Renthal um und sagte: »Zum Shuttledeck geht es dort entlang.«

»Richtig«, erwiderte die Freibeuterin. »Herrschaften, gewähren wir Master Fett hier ungehinderten Durchgang zu den Beibooten. Wir wollen doch keinen Ärger mit ihm, oder?«

Die Menge teilte sich respektvoll und öffnete dem Kopfgeldjäger einen breiten Durchgang. Boba Fett durchschritt die Reihen der Piraten mit ernster Würde. Auch die Piraten auf dem Shuttledeck ließen ihm eine breite Gasse. Fett wählte eine Fähre aus, stieg hinein, checkte die Instrumente, signalisierte seine Bereitschaft zum Abflug und sah zu, wie sich das Hangartor des großen Raumschiffs vor ihm auftat.

Sekunden später sauste der Kopfgeldjäger bereits durch die Schwärze des Weltalls.

Allein…

 

Bria schwirrte der Kopf von dem unverhofften Wechsel des Schicksals. Gerade hatte sie sich noch dem Tod überantwortet, und im nächsten Augenblick befand sie sich in Sicherheit an Bord des Piraten-Flaggschiffs ›Renthals Wachsamkeit‹. Die ›Wachsamkeit‹ war ein riesiges Raumschiff, zweimal so groß wie Brias Marauder-Korvette. Drea Renthal hatte den imperialen leichten Kreuzer der Carrack-Klasse nach der Schlacht von Nar Shaddaa aus dem All geborgen. Mit ihrer corellianischen Korvette ›Renthals Faust‹ und dem Geschwader Y-Flügler verfügte die Piratenführerin so über eine beeindruckende Armada.

»In dem Moment, als mir klar war, daß Piraten uns geentert hatten, wußte ich, daß es sich um Dreas Bande handeln mußte«, teilte Lando Bria mit, als eine Handvoll Freibeuter sie zu dem Flaggschiff brachten, während Renthal ihre Operation auf der ›Königin‹ fortsetzte. »Ich hatte schon mal erlebt, wie sie diesen Trick mit dem Schwerkraftschatten eines Asteroiden abgezogen hat. Nur Drea konnte genug Feuerkraft besitzen, um es mit einem so großen Schiff wie der ›Königin‹ aufzunehmen.«

Bria sah den Spieler an. »Lando, ich bin Ihnen sehr dankbar… Sie haben sich, obwohl sie es nicht mußten, für mich eingesetzt. Das erforderte wirklichen Mut.«

Lando lächelte charmant. »Was sonst hätte ich tun können? Sie sind viel zu hübsch, um Sie Boba Fett zu überlassen.«

Bria lachte. »Um Boba Fett habe ich mir eigentlich keine Sorgen gemacht, sondern um… die Leute, die mich haben wollen. Eine widerwärtige Bande. Verglichen mit denen ist Boba Fett ein Gentleman und Musterschüler.«

Sie wurde wieder ernst und wies dann mit dem Daumen in die ungefähre Richtung, in der die ›Königin des Imperiums‹ lag. »Was geschieht jetzt mit den Passagieren? Ist Renthal…« Sie zögerte. »…eine Sklavenhändlerin?«

Lando schüttelte den Kopf. »Drea? Nein. Sie ist wegen der schnellen Credits im Geschäft. Der Sklavenhandel ist ihr zu aufwendig. Sie greift sich die Wertsachen, plündert das Schiff aus und nimmt vielleicht ein paar Gefangene, um Lösegeld zu erpressen. Aber sobald das Lösegeld bezahlt ist, läßt sie die Leute unbeschadet wieder laufen. Drea ist Geschäftsfrau. Sie ist rücksichtslos, wenn die Situation es erfordert, verstehen Sie mich nicht falsch, aber sie ist keine Sklavenhändlerin.«

Sie blickte ihn prüfend an, und Lando streckte die Hand aus und ergriff die ihre. »Vertrauen Sie mir, Lady Bria, ich würde Sie niemals belügen.«

Bria nickte sichtlich beruhigt. »Ich vertraue Ihnen ja, Lando«, versicherte sie dann. »Wie könnte ich nicht, nachdem Sie mich vor Boba Fett gerettet haben? Ich hätte nicht gedacht, daß Sie das tun würden.«

Lando schüttelte den Kopf und lächelte ironisch. »Manchmal überrasche ich mich sogar selbst.«

»Und Drea Renthal wird uns nach Nar Shaddaa bringen?«

»Oh ja«, nickte Lando. »Sie haben im ›Chance Castle‹ eingecheckt, nicht wahr?«

Sie zögerte, warf ihm einen verstohlenen Seitenblick zu, und sagte dann: »Nun… darüber mache ich mir eigentlich keine Gedanken. Ich werde eine Fähre von Nar Shaddaa nach Nal Hutta nehmen. Ich muß eine sehr wichtige Verabredung einhalten.«

Lando hob verblüfft die Augenbrauen. »Was, in der Galaxis, will eine hübsche Dame wie Sie bei einer Bande übelriechender Verbrecher wie den Hutts?«

Jetzt lächelte sie ironisch. »Tja…«

Lando wartete, und als sie nichts weiter sagte, half er aus: »Bria… Sie können mir wirklich vertrauen. Ich möchte Ihr Freund sein.«

Sie atmete darauf tief durch. »Ich bin zu einem Gespräch mit Jiliac dem Hutt verabredet. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich ihn soweit hatte, mich zu empfangen. Ich will ihm… ein geschäftliches Angebot unterbreiten.«

Lando runzelte die Stirn. »Dann müssen Sie tatsächlich eine Fähre nach Nal Hutta nehmen. Jiliac der Hutt ist vor einem Jahr Mutter geworden, und sie war, glaube ich, seitdem nicht mehr auf Nar Shaddaa.«

Bria nickte. »Ich gehe, wohin immer es nötig ist, und rede, mit wem immer ich muß.« Sie blickte zu Lando auf. »Stimmt es, daß Han auf Nar Shaddaa lebt?« Sie konnte einen Anflug von Hoffnung in der Stimme nicht unterdrücken.

Doch Lando schüttelte den Kopf und sah sie mitfühlend an. »Ich fürchte, Sie kommen zu spät. Han ist vor fast einem Jahr in den Korporationssektor aufgebrochen und seither nicht wieder aufgetaucht. Ich habe keine Ahnung, ob er jemals wiederkommt.«

Bria biß sich auf die Lippen. »Oh.« Eine Sekunde später hob sie den Blick wieder und nickte. »Nun, so spielt das Leben. Ich bin ja nicht mal sicher, ob er mich überhaupt sehen wollte.«

Lando lächelte abermals. »Ich kann mir keinen Mann denken, der Sie nicht sehen wollte. Es war dumm von ihm, sie ziehen zu lassen, wenn Sie mich fragen.«

Bria lachte bitter. »Ich bin sicher, daß Han Ihnen da nicht zustimmen würde.«

In diesem Augenblick setzte die Fähre in der Andockbucht der ›Wachsamkeit‹ auf. Bria raffte ihre Röcke und erhob sich von ihrem Sitz. Lando bot ihr gemessen seinen Arm, um sie die Rampe hinunter zu geleiten.

»Übrigens«, sagte er dann, »wie, um alles in der Welt, sind sie eigentlich zu dieser Belohnung auf Ihren hübschen Kopf gekommen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Das ist eine sehr, sehr lange Geschichte.«

Er nickte. »Ohne Zweifel… aber da Drea noch ein paar Stunden brauchen wird, bis sie mit der ›Königin‹ fertig ist, haben wir jede Menge Zeit…«

»Nun, viel darf ich Ihnen nicht verraten…« Sie unterbrach sich.

Er lächelte. »Warum überrascht mich das bloß nicht? Ich sage Ihnen was… ich treibe eine Flasche auf, und Sie erzählen mir den freigegebenen Teil. Abgemacht?«

Bria lachte. »Abgemacht.«