18 »Wir haben uns verfahren«, sagte Felicia niedergeschlagen.
»Nein«, sagte Ian. »Verfahren, das war vor fünf Minuten. Jetzt sind wir verloren. Am Ende. Erledigt. Sind wie Rinderschädel in Comic-Wüsten. Wie Von-Dutch-Caps. Absolut out. Wir sind tot
»Alter«, sagte Lance, »findest du nicht, dass deine Reaktion ein bisschen übertrieben ist?«
»Ach, jetzt hört euch den Typen an, der uns in diese totale Scheiße geritten hat. Er sagt, ich übertreibe. Ich übertreibe! Es ist Sonnabendabend, Lance. Ich sollte jetzt Sex haben. Aber stattdessen … tja, ich kann noch nicht mal sehen, wo zum Teufel ich bin.«
Das jedenfalls stimmte. Beinahe zwanzig Minuten lang war der Regen aufs Auto geplatscht und hatte jegliche Sicht durch die Windschutzscheibe unmöglich gemacht. Die Kreatur schob sich vorsichtig über die einsamen, ländlichen Straßen South Carolinas. Ringsum zuckten Blitze. Sie entdeckten keine einzige der Orientierungshilfen, nach denen sie Ausschau halten sollten. Die Autobahn hatten sie jedenfalls nicht gefunden. Sie hatten sich tatsächlich mehr als verirrt.
»Dieser Bulle hat uns eine Scheißwegbeschreibung gegeben«, sagte Lance. »Dieser ganze Staat ist Scheiße, bis jetzt jedenfalls. Miserable Ausschilderung. Mädchen, die so aussehen wie Leute, die sie nicht sind. Zu viel Regen.«
»Da vorne, ist das was?«, fragte Felicia. Sie deutete auf ein helles, gelbes Pünktchen.
»Vielleicht«, sagte Ian. »Oder es ist bloß ein anderes Auto. Könnte alles sein.«
Die Scheibenwischer sausten lärmend hin und her, bewirkten aber nichts. Langsam rollte der Wagen auf den goldenen Flecken zu, der immer größer wurde. Nach mehreren angstvollen Sekunden erkannten sie, dass es sich um ein von hinten erleuchtetes Schild handelte, auf dem einfach ELMO stand. Weder das Schild noch das Gebäude – ein weißes, einstöckiges Haus mit Aluminiumwänden und wenigen, kleinen Fenstern – wiesen in irgendeiner Form darauf hin, welche Art von Waren oder Dienstleistungen bei Elmo angeboten wurden. Aber das war den drei Freunden egal. Sie brauchten Hilfe. Ian stellte das Auto direkt vor dem Eingang ab und sie stürzten ins Haus.
Obwohl der Abstand zwischen dem Vorderteil der Kreatur und dem Eingang zu Elmo kaum drei Meter betrug, waren sie pitschenass, als sie das Gebäude erreichten. Verblüfft und erfreut stellten sie fest, dass Elmo ein sauberes Restaurant mit Klimaanlage war. Die Wände waren mit Wimpeln, Plaketten und Schwarz-Weiß-Fotos aus der glorreichen Vergangenheit einiger Football-Teams geschmückt. Eine füllige, ältere Frau, die an einem Tisch gesessen hatte, erhob sich schnell, strich über ihre toupierten Haare und schritt energisch auf die drei zu. Sie trug eine rosa Schürze, braune Kniestrümpfe und eine weiße Kellnerinnentracht.
»Ach, du meine Güte, wie seht ihr denn aus, ihr Armen«, sagte sie liebenswürdig. »Ihr seid ja völlig durchnässt.« Sie zog drei Speisekarten von der Theke und lächelte. »Raucher oder Nichtraucher?«
»Oh«, fing Ian an, »wir wollen nicht …«
»Nichtraucher bitte«, sagte Felicia bestimmt. Sie packte Ian an der Hand. »Wir sollten uns den Weg erklären lassen und warten, bis der Regen nachlässt, Ian. Schluss mit dem blinden Fahren. Schluss mit dem Suchen nach einem Abzweig an einem Klärtank oder sonst was. Ihr setzt euch hin und esst was. Trinkt einen Kaffee. Ich setze mich und fühle mich wie kalte Kinderkacke.«
Sie folgten der Kellnerin zu einer freien Sitzecke. Es gab nur freie Plätze. Auch am Tresen. Im Restaurant befanden sich lediglich Ian, Felicia, Lance, die Kellnerin und ein trübsinniger, alter, fettverklebter Mann, der sich einen grauenvollen Plattendecker frisiert hatte. Mit höchster Wahrscheinlichkeit handelte es sich um Elmo.
»Wollt ihr was trinken, während ihr in die Karte guckt?«
Ian und Lance bestellten Kaffee. Felicia bat um Wasser mit einer Scheibe Limette.
»Limetten ham’ wer nich’«, sagte die Kellnerin heiter. »Das Ritz sin’ wer nicht.« Sie rauschte davon. Der Regen prasselte an die Fenster des Restaurants.
Ian ließ seine Blicke über die Wände schweifen. Sie blieben an einem großen, alten Relief eines lederbehelmten Footballspielers hängen. Der Spieler trug einen Ball und in dem Ball war eine kleine Uhr. Ian stand auf und machte ein paar Schritte darauf zu.
»Guter Gott«, sagte er schließlich. »Es ist schon nach fünf.« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin erledigt. Fertig. Es war ein tapferer, unsinniger Versuch. Der eindeutig nicht zum Erfolg führen wird.« Er rutschte auf die Bank der Sitzecke und ließ dann den Kopf mit einem Knall auf die furnierte Tischplatte fallen. Lance rempelte ihn an.
»Nun komm schon, Ian. So schlimm ist es auch wieder nicht. Wir sind doch gar nicht mehr weit von Charleston, oder? Hast du nicht gesagt, wir würden gegen halb acht da sein? Na, dann kommen wir eben ein bisschen zu spät.«
»Wir kommen schon einen ganzen Tag zu spät, Lance. Bei einem Besuch, der insgesamt nur zwei Tage dauern sollte. Und in sechsunddreißig Stunden muss ich zur Arbeit. Und am Donut-Anzug klebt Käsetaschen-Kotze. Ich bin fertig. Fertig. Tot, tot, tot.«
»So was sagt man nicht. Der Regen wird aufhören, die Sonne wird scheinen, wir werden zurück auf die Straße finden, und gegen neun –, spätestens um zehn – wird diese Braut Danielle zum Auto gestürzt kommen, um dich zu begrüßen. Wahrscheinlich nackt.«
»Weil ja bis jetzt alles wie geschmiert gelaufen ist«, sagte Ian verbittert.
Die Kellnerin brachte die Getränke.
»Wollt ihr was essen?«
»Schinkenspeck«, sagte Lance fröhlich. »Ich möchte einen Teller Schinkenspeck, Ma’am.«
»Für mich nichts«, sagte Felicia.
»Ich möchte Toast«, sagte ein trübsinniger Ian. »Weißes Brot, bitte.«
»Alter!«, sagte Lance und stupste Ian mit dem Ellbogen an. »Denk an deinen Auftritt!«
»Oh, seid ihr Künstler?«, fragte die Kellnerin.
»So was Ähnliches«, sagte Felicia. Sie zeigte auf Lance. »Der Typ da ist Schauspieler.« Dann blickte sie Ian an. »Mein anderer Freund ist Footballspieler. Und ich, ich bin so was wie eine Animateurin.«
»Wie schön«, sagte die Kellnerin.
»Ma’am, bringen Sie meinem Kumpel hier lieber auch ’nen Teller Schinkenspeck«, grinste Lance. »Er hat heute wirklich ein großes Spiel – sein erstes. Sein allererstes.«
Die Kellnerin blickte Ian an, der immer noch über dem Tisch hing.
»Bisschen schmächtig für’n Footballspieler, oder? Da bist du wohl eher ein Punter* oder so was?«
»Genau«, sagte Felicia. »Sie haben es erraten.«
Die Kellnerin schlenderte zur Küche. Felicia lachte leise vor sich hin, Lance schlürfte seinen Kaffee und baute eine Pyramide aus Kaffeesahne-Näpfchen.
»Ich denke, wir kommen heute Abend noch hin«, sagte Ian zu seinem Platzdeckchen.
»Das ist die richtige Einstellung«, sagte Lance.
»Juhu. Toll«, warf Felicia ein. »Mit einer total Fremden pennen. Das solltest du nicht verpassen, Ian.« Sie schob sich aus der Bank und stand langsam auf. »Ich gehe zum Auto und hole meine Zahnbürste. Ich habe beschlossen, mich nicht mehr zu übergeben. Zeit, sich frisch zu machen.«
* Im Amerikanischen ein Wortspiel: Ein Punter bezeichnet einen Footballspieler auf einer bestimmten Position, aber auch einen Freier.
»Bringst du bitte meinen Lacai mit?«, sagte Ian.
Felicia runzelte die Stirn. »Willst du gucken, was die Internet-Schnecke macht?«
»So was in der Richtung.« Er warf Felicia die Schlüssel der Kreatur zu, dann ließ er sich tief in den arschförmigen Sitz der Bank fallen. Er seufzte.
»Der Speck wird dich wieder auf Trab bringen. Das Protein. Gibt dir Energie. Hab ich gelesen.«
»Das Fett wird meine Gefäße verstopfen. Ich falle tot um.«
»Oder so. Egal.« Lance blickte Ian ins Gesicht, dann beugte er sich ganz nah zu ihm und sagte beinahe flüsternd: »Alter, das ist nicht gut. Du bist zu deprimiert, zu ängstlich. Als wolltest du diese wunderschöne Angelegenheit als eine von Ian Laffertys Lebensleistungen abhaken: ›Beste Zensuren, regelmäßige Anwesenheit, Höchstpunktzahl bei Halo, Sex mit einem heißen College-Mädchen …‹ Und das versaust du dir gerade. Na ja, ich gebe zu, dass ich auf dieser Reise für ein paar unnötige Aufenthalte gesorgt habe …«
Ian setzte ein finsteres Gesicht auf.
»… und das tut mir auch leid«, sagte Lance. »Echt. Aber Ian, trotzdem solltest du dich psychisch darauf einstimmen. Es ist doch noch Zeit. Du wirkst einfach so …«
»Ängstlich. Ich weiß«, sagte Ian. »Ich kann’s nicht abschütteln.«
»Aber was macht dir denn Angst? Du hast das doch perfekt eingefädelt, Alter.«
Die Eingangstür schwang auf und brachte eine Reihe von Glöckchen zum Klingeln, die über dem Durchgang angebracht waren. Felicia war auf dem Weg zum und vom Auto wieder patschnass geworden. In der linken Hand hielt sie eine Zahnbürste und Zahnpasta, in der rechten Ians Lacai und die Schlüssel. Ihre Sandalen quatschten, als sie durch den Raum stapfte.
»Regnet es noch?«, fragte Ian lächelnd.
»Ich finde nass sein nicht schön.« Felicia ließ den Lacai und die Schlüssel auf den Tisch fallen, dann platschte sie zur Toilette.
»Also«, sagte Lance und wandte sich erneut Ian zu. »Wir haben festgestellt, dass du ängstlich bist. Was genau macht dir denn Angst?«
»Wovor sollte ich denn keine Angst haben? Vor dem Sex muss man erst mal reden. Da kann schon jede Menge schiefgehen. Ich habe das Mädchen ja schließlich noch nie gesehen und sie hält mich für einen total anderen Typen. Dann ist da die Sache mit dem Fummeln, Ausziehen, Vorspiel-Ding. Gott weiß, wie das läuft – ich habe überhaupt keine Ahnung. Dann die Sache mit dem Kondom. Ich muss locker und erfahren wirken und ich muss den Mangoquatsch verbergen. Nicht leicht. Und dann der Sex. Was mache ich mit meinen Händen? Was für Töne muss ich von mir geben? Was ist, wenn sie keine Geräusche macht? Wa…?«
»Okay, Alter. Ich brauche nicht die ganze Nummer … äh … sozusagen. Das war eine schöne Zusammenfassung. Mein Rat ist einfach: Nicht denken, Ian. Bloß nicht überanalysieren.«
»Klar, sicher. Klingt einfach. Denn ich mache das ja andauernd!«
»Ian, wir sind darauf gepolt. Wir alle. Es gibt nichts Natürlicheres. Milliarden Jahre Evolution et cetera. Wenn Sex schwierig wäre, wären wir alle Bäume. Oder sonst was. Du wirst schon wissen, wo deine Hände hinsollen, und du wirst wissen, wo alles andere hinsoll. Und wenn was schiefläuft, wen juckt denn das? Das ist doch das Schöne an dieser ganzen Sache. Es hat keine Folgen. Null. Nichts. Denn für dieses Mädchen bist du nicht du. Du bist nicht Ian Lafferty, der Donut-Junge und schräge Science-Fiction-Freak.«
Ian machte wieder ein finsteres Gesicht.
»Tut mir leid. Ich meine, ich will damit nicht sagen, dass ich dich so sehe. Also, nicht direkt. Ich will sagen, dass du für dieses Mädchen ein total anderer Mensch bist. Du bist Ian Lafferty, der Football-Protz aus dem Nordwesten. Und Montag früh wird Danielle buchstäblich hunderte Meilen weit weg sein. Jenseits deines Alltags. Also, ganz egal, was heute Nacht passiert – du sabberst aufs Laken, du pisst ins Bett, du gluckst wie ein Huhn, was auch immer –, du wirst Danielle nicht am Montag in der Schule treffen. Also gibt’s überhaupt keinen Druck.«
»Ich vermute, du hast recht«, sagte Ian und starrte mit leerem Blick auf sein Essbesteck.
»Aber eines solltest du bedenken«, fügte Lance hinzu. »Ich meine nicht befürchten. Sondern bedenken.«
»Was?«
»Du möchtest, dass es eine Weile dauert. Also, der Sex, nicht die Beziehung.« Lance bekam einen düsteren Ausdruck. »Es gibt bestimmte Dinge, die du hinterher nicht von Danielle hören willst, so was wie: ›Oh, das passiert vielen Jungs, Ian.‹ – ›War’s das, Ian?‹ Oder: ›Bei mir hat sogar Niesen schon länger gedauert und sich besser angefühlt, Ian.‹ Das sind schlimme Sätze. Schlussakkorde von enttäuschendem Geschlechtsverkehr. Aber es gibt Techniken, die dir diese Sätze ersparen.«
»Du meinst, wie man vorzeitige Ej…?«
»Sprich es nicht mal aus. An so was darfst du gar nicht erst denken. Das ist keine technische Angelegenheit, überhaupt nicht, sondern nur eine psychische. Also, halt dir die Birne frei.« Lance tippte mit dem Zeigefinger an seine Schläfe. »Lass den Gedanken gar nicht erst da rein, Alter. Sonst entwickelst du üble Angewohnheiten.«
Ian beäugte ihn skeptisch. »Woher hast du die ganze Scheiße?«
»Ich bin ein leidenschaftlicher Leser.«
»Ach ja? FHM? Maxim? Playboy?«
»Ich lese eine Vielzahl von Publikationen, Ian. Einige sind wissenschaftlich, andere weniger. Und zudem habe ich auf diesem Gebiet ein wenig mehr Erfahrung als du, glaube ich.«
»Okay. Aber dann sag mir doch, wie ich das, was wir nicht zu benennen wagen, vermeiden kann.«
»Du musst an was denken, was überhaupt nichts mit Sex zu tun hat. An etwas, das dir hilft, den Akt zu verlängern. An eine Person oder eine Sache, die dir Freude bereitet. Darauf musst du dich konzentrieren. Sonst bist du fertig, bevor sie überhaupt erst anfängt. Das ist nicht gut. Denn dann sagt sie die Sachen, die du nicht hören willst. Du wirst dich entschuldigen, sie wird dich trösten – das ist nicht gut. Nach dem Sex möchtest du auf keinen Fall getröstet werden. Also konzentriere dich auf was anderes, während du dabei bist.«
Ian lachte. »Ich soll versuchen, es nicht zu genießen?«
»Ian, du wirst es auf jeden Fall genießen. Du wirst es genießen, auch wenn sie furzt und Weihnachtslieder singt. Ein Typ genießt einfach, anders geht das gar nicht. Es ist Sex. Du versuchst nur, den Genuss ein bisschen hinauszuzögern.«
Die Kellnerin stellte zwei Teller auf den Tisch, auf jedem lagen drei Scheiben Schinkenspeck.
»Den Toast bring ich gleich«, sagte sie. Der Regen prasselte nicht mehr so heftig an die Fenster. Ian wartete, bis die Kellnerin weit genug weg war.
»Und wie zögerst du den Genuss hinaus?«, fragte er.
»Ich? Ich denke an deinen Vater. Aber das heißt nicht, dass das bei dir auch funktioniert.«
Ian zuckte zusammen und sprang von der Bank auf, als wäre er von einer Elektroschockpistole getroffen worden.
»Krass, eh!«, schnaufte er.
»Ist was mit dem Speck, mein Junge?«, fragte die Kellnerin.
»O nein, Ma’am. Das war wegen meinem Freund hier. Entschuldigung.«
Ian setzte sich wieder. Lance zuckte die Achseln. Der Toast kam.
»Alter, für mich ist der Mann Larry Lafferty mein Zahnarzt. Das ist perfekt. Dein Vater steht für Schmerzen. Männliche Autorität. Dazu der abgefahrene Geruch der Latex-Handschuhe. Ich kann neun, zehn Minuten an deinen Vater denken, wie der Bohr…«
»Igitt! Hör auf!«, verlangte Ian und wedelte protestierend mit einer Hand. »Schluss für heute. Ernsthaft. Das ist krass, Mann. Das halte ich nicht aus.«
Felicia ließ sich den beiden gegenüber auf die Bank fallen und legte ihre Zahnbürste auf die Serviette.
»Was war denn los?«, fragte sie.
»Das ist nichts für dich«, fauchte Ian.
»Ich habe Ian gerade erzählt, dass ich an seinen Vater denke – du weißt schon, der Mann mit den Zahnarztinstrumenten und den Fluoriden –, damit ich beim Sex länger durchhalte.«
Lance lächelte. Felicia schien ungerührt.
»Okay, kann ich mir vorstellen«, sagte sie. »Aber ich hätte es nicht wissen müssen. Aber klar, vorstellen kann ich mir das.«
Ian schmierte wütend Butter und Marmelade auf seinen Toast. Lance ließ ein Stück Schinkenspeck wie eine Pfeife aus dem Mund hängen. Felicia trank vorsichtig von ihrem Wasser.
Die Kellnerin kam an ihren Tisch, um Kaffee nachzugießen.
»Darf’s noch was sein?«
»Nein, Ma’am«, sagte Ian. »Nur die Rechnung bitte. Oh, und wenn Sie uns erklären können, wie wir auf die Autobahn kommen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Wir haben uns verfahren.«
»Schatz, wenn du hier bist und nicht von hier bist, dann hast du dich wirklich verfahren. Die Autobahn ist ungefähr drei Minuten von hier. Fahr einfach in die Richtung, aus der ihr gekommen seid, ungefähr hundert Meter. Auf der Linken siehst du eine Lamafarm – die gehört auch Elmo. Er züchtet Lamas. Die erkennt ihr sofort.« Die drei Freunde starrten einander an. »Also, an der Farm müsst ihr abbiegen, noch eine Meile fahren und dann an einem Stopp-Schild links. Da ist ein altes Long-John-Silver-Restaurant. Könnt ihr nicht verfehlen. Das bringt euch direkt zur Straße 26.«
Sie kritzelte kurz was auf ihren Block, dann ließ sie die Rechnung auf den Tisch fallen. Ian nahm seinen Lacai.
»Chattest du schon wieder mit deiner Freundin, Ian?«, fragte Felicia. »Vielleicht solltest du ihr sagen, dass, na ja, dir dein Fuß vom Kicken wehtut oder so was. Halt die Illusion aufrecht.«
Ja, genau das habe ich vor.
»Nein, ich chatte nicht mit ihr. Will bloß … was anderes checken.«
Ian klickte durch die Fotos auf seinem Lacai. Zwischen den Fotos von Danielle am Strand tauchten Bilder von Felicias Abschiedsparty vor den Ferien auf. Danielle blickte ernst, gestelzt, erotisch; Felicia sah schräg aus, offen und unberechenbar. Auf einem der Bilder hatte sie die Fingerspitze in der Nase stecken und lächelte vertrottelt.
»Willst du wirklich dieser andere Typ sein, Ian? Dieses Arschloch?« Felicia lehnte sich über den Tisch. »Ich meine, also in einer IM, da kann man ja blöde sein und ein Mädchen Schnucki nennen und so. Aber wirklich so reden ist was anderes. Mit einem lebendigen Menschen.« Sie nahm noch einen Schluck Wasser. »Aber ich vermute, Lance kann das.«
»Wie ich auftrete, ist wahrscheinlich mein kleinstes Problem«, sagte Ian und schüttelte den Kopf.
»Was soll das heißen?«, fragte Felicia.
»Na ja, ihr habt ja die Bilder gesehen. Ich sehe überhaupt nicht so aus.«
Felicia und Lance schauten ihn ein paar Sekunden lang verständnislos an. Dann riss Lance Ian den Lacai aus den Händen.
»Nein, Ian. Das kann doch nicht wahr sein!«, sagte Felicia und nippte weiter am Wasser.
Oh. Dann haben sie die bearbeiteten Bilder gar nicht gesehen. Aber wie das? Scheiße. Verdammt, verdammt, verdammt …
Lance hackte auf die Tasten des Lacais und fing schon bald an zu lachen. Laut. Er schob das Display Felicia hin, die in Lances’ Milchnäpfchen-Pyramide prustete. Die kleinen weißen Teile flogen auf den Boden. Ian wusste sofort, welches Bild sie anguckten. Es war ein eher schmeichelhaftes Foto von ihm, aufgenommen im vergangenen Frühjahr bei einem Spiel der Cubs, aber dennoch nicht geeignet, um es unverändert an Internet-Bräute zu verteilen. Also hatte Ian es verbessert, bevor er es an Danielle geschickt hatte. Er hatte sich eine dunkle Bräune verpasst und seine langen, meist zerzausten Haare gezähmt, so dass sie kurz, extrem gestylt und seidig glänzend wirkten. Und er hatte sich ein kleines Bärtchen gegönnt.
»Alter!«, rief Lance laut genug, dass sowohl Elmo als auch die Kellnerin aufschreckten. »Du bist ja so was von verwichst. Wenn du nach Charleston kommst, wird Danielle denken, Ian Lafferty hat seinen kleinen Bruder geschickt, der’s mit ihr tun soll.« Er starrte Ian an. »Riesenfehler.«
»Ich hab gedacht, ihr hättet die Fotos schon gesehen. Vorhin, als ich schlief.«
»Nein, nein«, sagte Felicia. »Deine E-Mails waren schon unterhaltsam genug. So weit sind wir gar nicht gekommen.« Sie blickte ihn an. »Ein Bart, Ian? Du rasierst dich noch nicht mal. Und du warst noch nie braungebrannt. Noch nie. Du verbrennst bloß und wirst ganz rot. Siehst aus wie ein riesiges Radieschen. Und seit der vierten Klasse hast du keinen vernünftigen Haarschnitt mehr gehabt.«
»Na ja, deshalb konnte ich ihr doch kein unbearbeitetes Bild schicken. Und bedenkt bitte, ich hatte doch nie die Absicht, dieses Mädchen zu treffen.«
»Ian!«, sagte Felicia. »Du wirst sie treffen. Aber sie wird dich nicht erkennen.«
»Alter, du bist fertig«, sagte Lance. »Hoffnungslos. Ich meine, ich kann dir erklären, was du sagen sollst, und ich kann dir ein paar technische Ratschläge geben. Aber das …« Er schüttelte den Kopf und blickte auf das Display. »Da kann ich nichts machen. Du brauchst einen total neuen Look.«
»Das heißt: eine talentierte Friseurin«, fügte Felicia hinzu.
»Und wir sind am Arsch der Welt.« Lance hielt inne. »Da kannst du echt einpacken.«
Ein paar Sekunden lang saßen sie schweigend da. Ian erwog seine Zwangslage und glaubte langsam, dass seine Freunde recht hatten. Aber er wusste ebenso wenig wie Lance und Felicia, wie das Problem zu lösen war. Dann kam die Kellnerin auf ihren Tisch zu.
»’tschuldigung«, sagte die. »Habt ihr gesagt, ihr braucht eine Friseurin?«