18 »Wir haben uns verfahren«, sagte Felicia
niedergeschlagen.
»Nein«, sagte Ian. »Verfahren, das
war vor fünf Minuten. Jetzt sind wir verloren. Am Ende. Erledigt.
Sind wie Rinderschädel in Comic-Wüsten. Wie Von-Dutch-Caps. Absolut
out. Wir sind tot.«
»Alter«, sagte Lance, »findest du
nicht, dass deine Reaktion ein bisschen übertrieben ist?«
»Ach, jetzt hört euch den Typen
an, der uns in diese totale Scheiße geritten hat. Er sagt, ich
übertreibe. Ich übertreibe! Es ist Sonnabendabend, Lance. Ich
sollte jetzt Sex haben. Aber stattdessen … tja, ich kann noch nicht
mal sehen, wo zum Teufel ich bin.«
Das jedenfalls stimmte. Beinahe
zwanzig Minuten lang war der Regen aufs Auto geplatscht und hatte
jegliche Sicht durch die Windschutzscheibe unmöglich gemacht. Die
Kreatur schob sich vorsichtig über die einsamen, ländlichen Straßen
South Carolinas. Ringsum zuckten Blitze. Sie entdeckten keine
einzige der Orientierungshilfen, nach denen sie Ausschau halten
sollten. Die Autobahn hatten sie jedenfalls nicht gefunden. Sie
hatten sich tatsächlich mehr als verirrt.
»Dieser Bulle hat uns eine
Scheißwegbeschreibung gegeben«, sagte Lance. »Dieser ganze Staat
ist Scheiße, bis jetzt jedenfalls. Miserable Ausschilderung.
Mädchen, die so aussehen wie Leute, die sie nicht sind. Zu viel
Regen.«
»Da vorne, ist das was?«, fragte
Felicia. Sie deutete auf ein helles, gelbes Pünktchen.
»Vielleicht«, sagte Ian. »Oder es
ist bloß ein anderes Auto. Könnte alles sein.«
Die Scheibenwischer sausten
lärmend hin und her, bewirkten aber nichts. Langsam rollte der
Wagen auf den goldenen Flecken zu, der immer größer wurde. Nach
mehreren angstvollen Sekunden erkannten sie, dass es sich um ein
von hinten erleuchtetes Schild handelte, auf dem einfach ELMO
stand. Weder das Schild noch das Gebäude – ein weißes, einstöckiges
Haus mit Aluminiumwänden und wenigen, kleinen Fenstern – wiesen in
irgendeiner Form darauf hin, welche Art von Waren oder
Dienstleistungen bei Elmo angeboten wurden. Aber das war den drei
Freunden egal. Sie brauchten Hilfe. Ian stellte das Auto direkt vor
dem Eingang ab und sie stürzten ins Haus.
Obwohl der Abstand zwischen dem
Vorderteil der Kreatur und dem Eingang zu Elmo kaum drei Meter
betrug, waren sie pitschenass, als sie das Gebäude erreichten.
Verblüfft und erfreut stellten sie fest, dass Elmo ein sauberes
Restaurant mit Klimaanlage war. Die Wände waren mit Wimpeln,
Plaketten und Schwarz-Weiß-Fotos aus der glorreichen Vergangenheit
einiger Football-Teams geschmückt. Eine füllige, ältere Frau, die
an einem Tisch gesessen hatte, erhob sich schnell, strich über ihre
toupierten Haare und schritt energisch auf die drei zu. Sie trug
eine rosa Schürze, braune Kniestrümpfe und eine weiße
Kellnerinnentracht.
»Ach, du meine Güte, wie seht ihr
denn aus, ihr Armen«, sagte sie liebenswürdig. »Ihr seid ja völlig
durchnässt.« Sie zog drei Speisekarten von der Theke und lächelte.
»Raucher oder Nichtraucher?«
»Oh«, fing Ian an, »wir wollen
nicht …«
»Nichtraucher bitte«, sagte
Felicia bestimmt. Sie packte Ian an der Hand. »Wir sollten uns den
Weg erklären lassen und warten, bis der Regen nachlässt, Ian.
Schluss mit dem blinden Fahren. Schluss mit dem Suchen nach einem
Abzweig an einem Klärtank oder sonst was. Ihr setzt euch hin und
esst was. Trinkt einen Kaffee. Ich setze mich und fühle mich wie
kalte Kinderkacke.«
Sie folgten der Kellnerin zu einer
freien Sitzecke. Es gab nur freie Plätze. Auch am Tresen. Im
Restaurant befanden sich lediglich Ian, Felicia, Lance, die
Kellnerin und ein trübsinniger, alter, fettverklebter Mann, der
sich einen grauenvollen Plattendecker frisiert hatte. Mit höchster
Wahrscheinlichkeit handelte es sich um Elmo.
»Wollt ihr was trinken, während
ihr in die Karte guckt?«
Ian und Lance bestellten Kaffee.
Felicia bat um Wasser mit einer Scheibe Limette.
»Limetten ham’ wer nich’«, sagte
die Kellnerin heiter. »Das Ritz sin’ wer nicht.« Sie rauschte
davon. Der Regen prasselte an die Fenster des Restaurants.
Ian ließ seine Blicke über die
Wände schweifen. Sie blieben an einem großen, alten Relief eines
lederbehelmten Footballspielers hängen. Der Spieler trug einen Ball
und in dem Ball war eine kleine Uhr. Ian stand auf und machte ein
paar Schritte darauf zu.
»Guter Gott«, sagte er
schließlich. »Es ist schon nach fünf.« Er schüttelte den Kopf. »Ich
bin erledigt. Fertig. Es war ein tapferer, unsinniger Versuch. Der
eindeutig nicht zum Erfolg führen wird.« Er rutschte auf die Bank
der Sitzecke und ließ dann den Kopf mit einem Knall auf die
furnierte Tischplatte fallen. Lance rempelte ihn an.
»Nun komm schon, Ian. So schlimm
ist es auch wieder nicht. Wir sind doch gar nicht mehr weit von
Charleston, oder? Hast du nicht gesagt, wir würden gegen halb acht
da sein? Na, dann kommen wir eben ein bisschen zu spät.«
»Wir kommen schon einen ganzen
Tag zu spät, Lance. Bei einem Besuch, der insgesamt nur zwei
Tage dauern sollte. Und in sechsunddreißig Stunden muss ich zur
Arbeit. Und am Donut-Anzug klebt Käsetaschen-Kotze. Ich bin fertig.
Fertig. Tot, tot, tot.«
»So was sagt man nicht. Der Regen
wird aufhören, die Sonne wird scheinen, wir werden zurück auf die
Straße finden, und gegen neun –, spätestens um zehn – wird diese
Braut Danielle zum Auto gestürzt kommen, um dich zu begrüßen.
Wahrscheinlich nackt.«
»Weil ja bis jetzt alles wie
geschmiert gelaufen ist«, sagte Ian verbittert.
Die Kellnerin brachte die
Getränke.
»Wollt ihr was essen?«
»Schinkenspeck«, sagte Lance
fröhlich. »Ich möchte einen Teller Schinkenspeck, Ma’am.«
»Für mich nichts«, sagte
Felicia.
»Ich möchte Toast«, sagte ein
trübsinniger Ian. »Weißes Brot, bitte.«
»Alter!«, sagte Lance und stupste
Ian mit dem Ellbogen an. »Denk an deinen Auftritt!«
»Oh, seid ihr Künstler?«, fragte
die Kellnerin.
»So was Ähnliches«, sagte Felicia.
Sie zeigte auf Lance. »Der Typ da ist Schauspieler.« Dann blickte
sie Ian an. »Mein anderer Freund ist Footballspieler. Und ich, ich
bin so was wie eine Animateurin.«
»Wie schön«, sagte die
Kellnerin.
»Ma’am, bringen Sie meinem Kumpel
hier lieber auch ’nen Teller Schinkenspeck«, grinste Lance. »Er hat
heute wirklich ein großes Spiel – sein erstes. Sein
allererstes.«
Die Kellnerin blickte Ian an, der
immer noch über dem Tisch hing.
»Bisschen schmächtig für’n
Footballspieler, oder? Da bist du wohl eher ein Punter* oder so
was?«
»Genau«, sagte Felicia. »Sie haben
es erraten.«
Die Kellnerin schlenderte zur
Küche. Felicia lachte leise vor sich hin, Lance schlürfte seinen
Kaffee und baute eine Pyramide aus Kaffeesahne-Näpfchen.
»Ich denke, wir kommen heute Abend
noch hin«, sagte Ian zu seinem Platzdeckchen.
»Das ist die richtige
Einstellung«, sagte Lance.
»Juhu. Toll«, warf Felicia ein.
»Mit einer total Fremden pennen. Das solltest du nicht verpassen,
Ian.« Sie schob sich aus der Bank und stand langsam auf. »Ich gehe
zum Auto und hole meine Zahnbürste. Ich habe beschlossen, mich
nicht mehr zu übergeben. Zeit, sich frisch zu machen.«
* Im Amerikanischen ein Wortspiel: Ein Punter
bezeichnet einen Footballspieler auf einer bestimmten Position,
aber auch einen Freier.
»Bringst du bitte meinen Lacai
mit?«, sagte Ian.
Felicia runzelte die Stirn.
»Willst du gucken, was die Internet-Schnecke macht?«
»So was in der Richtung.« Er warf
Felicia die Schlüssel der Kreatur zu, dann ließ er sich tief in den
arschförmigen Sitz der Bank fallen. Er seufzte.
»Der Speck wird dich wieder auf
Trab bringen. Das Protein. Gibt dir Energie. Hab ich
gelesen.«
»Das Fett wird meine Gefäße
verstopfen. Ich falle tot um.«
»Oder so. Egal.« Lance blickte Ian
ins Gesicht, dann beugte er sich ganz nah zu ihm und sagte beinahe
flüsternd: »Alter, das ist nicht gut. Du bist zu deprimiert, zu
ängstlich. Als wolltest du diese wunderschöne Angelegenheit als
eine von Ian Laffertys Lebensleistungen abhaken: ›Beste Zensuren,
regelmäßige Anwesenheit, Höchstpunktzahl bei Halo, Sex mit einem
heißen College-Mädchen …‹ Und das versaust du dir gerade. Na ja,
ich gebe zu, dass ich auf dieser Reise für ein paar unnötige
Aufenthalte gesorgt habe …«
Ian setzte ein finsteres Gesicht
auf.
»… und das tut mir auch leid«,
sagte Lance. »Echt. Aber Ian, trotzdem solltest du dich psychisch
darauf einstimmen. Es ist doch noch Zeit. Du wirkst einfach so
…«
»Ängstlich. Ich weiß«, sagte Ian.
»Ich kann’s nicht abschütteln.«
»Aber was macht dir denn Angst? Du
hast das doch perfekt eingefädelt, Alter.«
Die Eingangstür schwang auf und
brachte eine Reihe von Glöckchen zum Klingeln, die über dem
Durchgang angebracht waren. Felicia war auf dem Weg zum und vom
Auto wieder patschnass geworden. In der linken Hand hielt sie eine
Zahnbürste und Zahnpasta, in der rechten Ians Lacai und die
Schlüssel. Ihre Sandalen quatschten, als sie durch den Raum
stapfte.
»Regnet es noch?«, fragte Ian
lächelnd.
»Ich finde nass sein nicht schön.«
Felicia ließ den Lacai und die Schlüssel auf den Tisch fallen, dann
platschte sie zur Toilette.
»Also«, sagte Lance und wandte
sich erneut Ian zu. »Wir haben festgestellt, dass du ängstlich
bist. Was genau macht dir denn Angst?«
»Wovor sollte ich denn
keine Angst haben? Vor dem Sex muss man erst mal reden. Da
kann schon jede Menge schiefgehen. Ich habe das Mädchen ja
schließlich noch nie gesehen und sie hält mich für einen total
anderen Typen. Dann ist da die Sache mit dem Fummeln, Ausziehen,
Vorspiel-Ding. Gott weiß, wie das läuft – ich habe überhaupt keine
Ahnung. Dann die Sache mit dem Kondom. Ich muss locker und erfahren
wirken und ich muss den Mangoquatsch verbergen. Nicht leicht. Und
dann der Sex. Was mache ich mit meinen Händen? Was für Töne muss
ich von mir geben? Was ist, wenn sie keine Geräusche macht?
Wa…?«
»Okay, Alter. Ich brauche nicht
die ganze Nummer … äh … sozusagen. Das war eine schöne
Zusammenfassung. Mein Rat ist einfach: Nicht denken, Ian. Bloß
nicht überanalysieren.«
»Klar, sicher. Klingt einfach.
Denn ich mache das ja andauernd!«
»Ian, wir sind darauf gepolt. Wir
alle. Es gibt nichts Natürlicheres. Milliarden Jahre Evolution et
cetera. Wenn Sex schwierig wäre, wären wir alle Bäume. Oder sonst
was. Du wirst schon wissen, wo deine Hände hinsollen, und du wirst
wissen, wo alles andere hinsoll. Und wenn was schiefläuft, wen
juckt denn das? Das ist doch das Schöne an dieser ganzen Sache. Es
hat keine Folgen. Null. Nichts. Denn für dieses Mädchen bist du
nicht du. Du bist nicht Ian Lafferty, der Donut-Junge und schräge
Science-Fiction-Freak.«
Ian machte wieder ein finsteres
Gesicht.
»Tut mir leid. Ich meine, ich will
damit nicht sagen, dass ich dich so sehe. Also, nicht direkt. Ich
will sagen, dass du für dieses Mädchen ein total anderer Mensch
bist. Du bist Ian Lafferty, der Football-Protz aus dem Nordwesten.
Und Montag früh wird Danielle buchstäblich hunderte Meilen weit weg
sein. Jenseits deines Alltags. Also, ganz egal, was heute Nacht
passiert – du sabberst aufs Laken, du pisst ins Bett, du gluckst
wie ein Huhn, was auch immer –, du wirst Danielle nicht am Montag
in der Schule treffen. Also gibt’s überhaupt keinen Druck.«
»Ich vermute, du hast recht«,
sagte Ian und starrte mit leerem Blick auf sein Essbesteck.
»Aber eines solltest du bedenken«,
fügte Lance hinzu. »Ich meine nicht befürchten. Sondern
bedenken.«
»Was?«
»Du möchtest, dass es eine Weile
dauert. Also, der Sex, nicht die Beziehung.« Lance bekam einen
düsteren Ausdruck. »Es gibt bestimmte Dinge, die du hinterher nicht
von Danielle hören willst, so was wie: ›Oh, das passiert vielen
Jungs, Ian.‹ – ›War’s das, Ian?‹ Oder: ›Bei mir hat sogar Niesen
schon länger gedauert und sich besser angefühlt, Ian.‹ Das sind
schlimme Sätze. Schlussakkorde von enttäuschendem
Geschlechtsverkehr. Aber es gibt Techniken, die dir diese Sätze
ersparen.«
»Du meinst, wie man vorzeitige
Ej…?«
»Sprich es nicht mal aus. An so
was darfst du gar nicht erst denken. Das ist keine technische
Angelegenheit, überhaupt nicht, sondern nur eine psychische. Also,
halt dir die Birne frei.« Lance tippte mit dem Zeigefinger an seine
Schläfe. »Lass den Gedanken gar nicht erst da rein, Alter. Sonst
entwickelst du üble Angewohnheiten.«
Ian beäugte ihn skeptisch. »Woher
hast du die ganze Scheiße?«
»Ich bin ein leidenschaftlicher
Leser.«
»Ach ja? FHM? Maxim?
Playboy?«
»Ich lese eine Vielzahl von
Publikationen, Ian. Einige sind wissenschaftlich, andere weniger.
Und zudem habe ich auf diesem Gebiet ein wenig mehr Erfahrung als
du, glaube ich.«
»Okay. Aber dann sag mir doch, wie
ich das, was wir nicht zu benennen wagen, vermeiden kann.«
»Du musst an was denken, was
überhaupt nichts mit Sex zu tun hat. An etwas, das dir hilft, den
Akt zu verlängern. An eine Person oder eine Sache, die dir Freude
bereitet. Darauf musst du dich konzentrieren. Sonst bist du fertig,
bevor sie überhaupt erst anfängt. Das ist nicht gut. Denn dann sagt
sie die Sachen, die du nicht hören willst. Du wirst dich
entschuldigen, sie wird dich trösten – das ist nicht gut. Nach dem
Sex möchtest du auf keinen Fall getröstet werden. Also konzentriere
dich auf was anderes, während du dabei bist.«
Ian lachte. »Ich soll versuchen,
es nicht zu genießen?«
»Ian, du wirst es auf jeden Fall
genießen. Du wirst es genießen, auch wenn sie furzt und
Weihnachtslieder singt. Ein Typ genießt einfach, anders geht das
gar nicht. Es ist Sex. Du versuchst nur, den Genuss ein bisschen
hinauszuzögern.«
Die Kellnerin stellte zwei Teller
auf den Tisch, auf jedem lagen drei Scheiben Schinkenspeck.
»Den Toast bring ich gleich«,
sagte sie. Der Regen prasselte nicht mehr so heftig an die Fenster.
Ian wartete, bis die Kellnerin weit genug weg war.
»Und wie zögerst du den
Genuss hinaus?«, fragte er.
»Ich? Ich denke an deinen Vater.
Aber das heißt nicht, dass das bei dir auch funktioniert.«
Ian zuckte zusammen und sprang von
der Bank auf, als wäre er von einer Elektroschockpistole getroffen
worden.
»Krass, eh!«, schnaufte er.
»Ist was mit dem Speck, mein
Junge?«, fragte die Kellnerin.
»O nein, Ma’am. Das war wegen
meinem Freund hier. Entschuldigung.«
Ian setzte sich wieder. Lance
zuckte die Achseln. Der Toast kam.
»Alter, für mich ist der Mann
Larry Lafferty mein Zahnarzt. Das ist perfekt. Dein Vater steht für
Schmerzen. Männliche Autorität. Dazu der abgefahrene Geruch der
Latex-Handschuhe. Ich kann neun, zehn Minuten an deinen Vater
denken, wie der Bohr…«
»Igitt! Hör auf!«, verlangte Ian
und wedelte protestierend mit einer Hand. »Schluss für heute.
Ernsthaft. Das ist krass, Mann. Das halte ich nicht aus.«
Felicia ließ sich den beiden
gegenüber auf die Bank fallen und legte ihre Zahnbürste auf die
Serviette.
»Was war denn los?«, fragte
sie.
»Das ist nichts für dich«, fauchte
Ian.
»Ich habe Ian gerade erzählt, dass
ich an seinen Vater denke – du weißt schon, der Mann mit den
Zahnarztinstrumenten und den Fluoriden –, damit ich beim Sex länger
durchhalte.«
Lance lächelte. Felicia schien
ungerührt.
»Okay, kann ich mir vorstellen«,
sagte sie. »Aber ich hätte es nicht wissen müssen. Aber
klar, vorstellen kann ich mir das.«
Ian schmierte wütend Butter und
Marmelade auf seinen Toast. Lance ließ ein Stück Schinkenspeck wie
eine Pfeife aus dem Mund hängen. Felicia trank vorsichtig von ihrem
Wasser.
Die Kellnerin kam an ihren Tisch,
um Kaffee nachzugießen.
»Darf’s noch was sein?«
»Nein, Ma’am«, sagte Ian. »Nur die
Rechnung bitte. Oh, und wenn Sie uns erklären können, wie wir auf
die Autobahn kommen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Wir haben uns
verfahren.«
»Schatz, wenn du hier bist und
nicht von hier bist, dann hast du dich wirklich verfahren.
Die Autobahn ist ungefähr drei Minuten von hier. Fahr einfach in
die Richtung, aus der ihr gekommen seid, ungefähr hundert Meter.
Auf der Linken siehst du eine Lamafarm – die gehört auch Elmo. Er
züchtet Lamas. Die erkennt ihr sofort.« Die drei Freunde starrten
einander an. »Also, an der Farm müsst ihr abbiegen, noch eine Meile
fahren und dann an einem Stopp-Schild links. Da ist ein altes
Long-John-Silver-Restaurant. Könnt ihr nicht verfehlen. Das bringt
euch direkt zur Straße 26.«
Sie kritzelte kurz was auf ihren
Block, dann ließ sie die Rechnung auf den Tisch fallen. Ian nahm
seinen Lacai.
»Chattest du schon wieder mit
deiner Freundin, Ian?«, fragte Felicia. »Vielleicht solltest du ihr
sagen, dass, na ja, dir dein Fuß vom Kicken wehtut oder so was.
Halt die Illusion aufrecht.«
Ja, genau das habe ich
vor.
»Nein, ich chatte nicht mit ihr.
Will bloß … was anderes checken.«
Ian klickte durch die Fotos auf
seinem Lacai. Zwischen den Fotos von Danielle am Strand tauchten
Bilder von Felicias Abschiedsparty vor den Ferien auf. Danielle
blickte ernst, gestelzt, erotisch; Felicia sah schräg aus, offen
und unberechenbar. Auf einem der Bilder hatte sie die Fingerspitze
in der Nase stecken und lächelte vertrottelt.
»Willst du wirklich dieser andere
Typ sein, Ian? Dieses Arschloch?« Felicia lehnte sich über
den Tisch. »Ich meine, also in einer IM, da kann man ja blöde sein
und ein Mädchen Schnucki nennen und so. Aber wirklich so reden ist
was anderes. Mit einem lebendigen Menschen.« Sie nahm noch einen
Schluck Wasser. »Aber ich vermute, Lance kann das.«
»Wie ich auftrete, ist
wahrscheinlich mein kleinstes Problem«, sagte Ian und schüttelte
den Kopf.
»Was soll das heißen?«, fragte
Felicia.
»Na ja, ihr habt ja die Bilder
gesehen. Ich sehe überhaupt nicht so aus.«
Felicia und Lance schauten ihn ein
paar Sekunden lang verständnislos an. Dann riss Lance Ian den Lacai
aus den Händen.
»Nein, Ian. Das kann doch nicht
wahr sein!«, sagte Felicia und nippte weiter am Wasser.
Oh. Dann haben sie die
bearbeiteten Bilder gar nicht gesehen. Aber wie das? Scheiße.
Verdammt, verdammt, verdammt …
Lance hackte auf die Tasten des
Lacais und fing schon bald an zu lachen. Laut. Er schob das Display
Felicia hin, die in Lances’ Milchnäpfchen-Pyramide prustete. Die
kleinen weißen Teile flogen auf den Boden. Ian wusste sofort,
welches Bild sie anguckten. Es war ein eher schmeichelhaftes Foto
von ihm, aufgenommen im vergangenen Frühjahr bei einem Spiel der
Cubs, aber dennoch nicht geeignet, um es unverändert an
Internet-Bräute zu verteilen. Also hatte Ian es verbessert, bevor
er es an Danielle geschickt hatte. Er hatte sich eine dunkle Bräune
verpasst und seine langen, meist zerzausten Haare gezähmt, so dass
sie kurz, extrem gestylt und seidig glänzend wirkten. Und er hatte
sich ein kleines Bärtchen gegönnt.
»Alter!«, rief Lance laut genug,
dass sowohl Elmo als auch die Kellnerin aufschreckten. »Du bist ja
so was von verwichst. Wenn du nach Charleston kommst, wird Danielle
denken, Ian Lafferty hat seinen kleinen Bruder geschickt, der’s mit
ihr tun soll.« Er starrte Ian an. »Riesenfehler.«
»Ich hab gedacht, ihr hättet die
Fotos schon gesehen. Vorhin, als ich schlief.«
»Nein, nein«, sagte Felicia.
»Deine E-Mails waren schon unterhaltsam genug. So weit sind wir gar
nicht gekommen.« Sie blickte ihn an. »Ein Bart, Ian? Du rasierst
dich noch nicht mal. Und du warst noch nie braungebrannt. Noch nie.
Du verbrennst bloß und wirst ganz rot. Siehst aus wie ein riesiges
Radieschen. Und seit der vierten Klasse hast du keinen vernünftigen
Haarschnitt mehr gehabt.«
»Na ja, deshalb konnte ich ihr
doch kein unbearbeitetes Bild schicken. Und bedenkt bitte, ich
hatte doch nie die Absicht, dieses Mädchen zu treffen.«
»Ian!«, sagte Felicia. »Du
wirst sie treffen. Aber sie wird dich nicht erkennen.«
»Alter, du bist fertig«, sagte
Lance. »Hoffnungslos. Ich meine, ich kann dir erklären, was du
sagen sollst, und ich kann dir ein paar technische Ratschläge
geben. Aber das …« Er schüttelte den Kopf und blickte auf
das Display. »Da kann ich nichts machen. Du brauchst einen total
neuen Look.«
»Das heißt: eine talentierte
Friseurin«, fügte Felicia hinzu.
»Und wir sind am Arsch der Welt.«
Lance hielt inne. »Da kannst du echt einpacken.«
Ein paar Sekunden lang saßen sie
schweigend da. Ian erwog seine Zwangslage und glaubte langsam, dass
seine Freunde recht hatten. Aber er wusste ebenso wenig wie Lance
und Felicia, wie das Problem zu lösen war. Dann kam die Kellnerin
auf ihren Tisch zu.
»’tschuldigung«, sagte die. »Habt
ihr gesagt, ihr braucht eine Friseurin?«