17
Ich, Gadak der Überläufer, spuckte auf meinen Gurt und begann energisch zu polieren. Gürtel und Riemen lagen auf dem alten Sturmholztisch. Andere Männer der Wachabteilung beschäftigten sich auf die gleiche Weise. Wir wollten ordentlich aussehen, wenn uns die angemieteten Entführer des Königs ihren Besuch machten.
Gafard hatte sein typisches Lächeln aufgesetzt, als ich ihm Bericht erstattete. »Du bist also zu mir gekommen, Gadak, obwohl du weißt, daß der König dich ohne weiteres auf die Galeeren schicken kann?«
»Wenn das Grodnos Wille ist, dann ...«
»Schon gut. Und woher soll ich wissen, daß du mit diesem ... Nodgen dem Getreuen nicht etwas ganz anderes besprochen hast?« Gafard hob verächtlich die Faust. »Welcher Hochmut! Er gibt sich einen Namen, der ein Anagramm des königlichen Namens ist. Wahrlich, er muß treu sein, der Cramph!«
»Ich habe die Vereinbarung getroffen, die ich dir eben berichtet habe. Ich soll dasselbe tun wie der törichte Genal der Sommersprossige. Den Wein der Wächter vergiften und alle Türen aufmachen.«
Gafards Faust beschrieb einen Kreis in der Luft.
»Und dann wären zehn meiner besten Leute tot!«
»Diesmal soll es besser ablaufen, und in der Mitte der Wache wenn kein Wachwechsel stattfindet.«
Gafard hatte schließlich einen Plan geschmiedet, der mir wieder einmal bewies, daß er seine hohe Position nicht umsonst bekleidete. Der Plan war brutal und einfach und konnte klappen – zunächst.
Ich sollte alles tun, was Nodgen der Getreue verlangte. Nur sollte ich die Wächter nicht vergiften, die ihre Bewußtlosigkeit nur vortäuschen würden. Doch ich sollte die Türen öffnen und mich dann im Hintergrund halten.
»Du versteckst Männer, die gegen die Schwarzmaskierten kämpfen sollen?«
»Nein«, Gafard genoß das Pläneschmieden. Wäre es nicht um die Frau der Sterne gegangen, hätte ihm dieses verstohlene, raffinierte Tauziehen sicher soviel Spaß gemacht wie Genod. »O nein. Wir lassen heimlich ein Sklavenmädchen holen, eine hübsche Shishi. Ich werde sie nett behandeln. Ich werde sie meine Frau der Sterne nennen. Sie wird sich glücklich wähnen, vom Kämpfer des Königs auserwählt zu sein.«
»Und dieses Mädchen werden die Männer des Königs entführen«, sagte ich.
»Wenn sie bei ihrer Geschichte bleibt und wirklich schön ist, wird der König zufrieden sein. Als König werfe ich ihm sein Verhalten nicht vor, nur als Mann. Er hat das Yrium, und was er tut, das tut er eben.«
So spuckte ich aus und polierte und überdachte meine Rolle.
Wenn in meinem schwarzen Herzen überhaupt Raum für Mitleid war, dann wohl kaum für die Sklavin, die im Turm der Wahren Zufriedenheit wohnen sollte. Wenn alles klappte, würde sie die Geliebte des Königs werden. Wenn sie ihm gefiel, mochte sie höchste Ehren und höchsten Einfluß erlangen. Jedenfalls würde sie viel besser behandelt, als sie normalerweise erwarten durfte.
Wenn sie aber aus der Rolle fiel und der König einen seiner Wutanfälle bekam, konnte sie von seiner Hand sterben – aber das war eine Gefahr, die wir alle eingingen.
Mit diesen und anderen gleichermaßen unschönen Gedanken machte ich mich am nächsten Tag auf den Weg, um Nodgen zu melden, daß alles vorbereitet sei. Wir waren an einem Weinladen in der Allee der Tausend Schmuckstücke verabredet. Der ausgestellte Schmuck klimperte in der Meeresbrise, billig und bunt, und viele Frauen sahen sich staunend um und machten ihre Einkäufe. Der Weinladen befand sich in einer Ecke, und ich wartete draußen. Wenn ich jetzt schon hintergangen werden sollte, brauchte ich Platz für mein Schwert.
Nodgen schickte dieselbe Bande, die mich schon einmal zu ihm geführt hatte. Die Männer beäugten mich, und in ihren Augen stand der Wunsch, es mir heimzuzahlen.
»Es ist alles arrangiert«, sagte ich. »Gebt mir das Gift.«
Sie überreichten mir das Fläschchen und weigerten sich, mir mehr Geld zu geben. Nachdem sie noch einmal Nodgens Drohungen wiederholt hatten, verschwanden sie in der Menge. Ich machte kehrt und entfernte mich in der entgegengesetzten Richtung. Dabei kam ich in eine Gegend des Marktes, die ich noch nicht kannte, einen kleinen Platz, auf dem Calsanys verkauft wurden. Die schwerfälligen Tiere standen friedlich herum, umringt von Männern – Kaufleuten, Händlern, Karawanenführern, Treibern. Die ganze Szene war voller Bewegung – Handzeichen wurden gegeben, Geld wechselte den Besitzer, Tiere wurden begutachtet. Staub wirbelte empor.
Plötzlich meldete sich eine Stimme aus einer Gruppe um einen ungewöhnlich großen Calsanytreiber. »Bei Grodno! Er ist es! Ich weiß es! Pur Dray! Der Lord von Strombor!«
Das war sehr unangenehm. Ich zog das Halstuch hoch und stürzte mich zwischen die nächsten Calsanys.
Doch in dem allgemeinen Durcheinander, im Geschrei und Gebrüll der Tiere und im wallenden Staub vermochte ich mich auf die andere Seite des Platzes zu schlagen und in einer Gasse zu verschwinden. Leute drehten sich nach mir um. Ich brüllte: »Haltet den Dieb!« und deutete auf einen oder zwei Leute, die Anstalten machten mitzulaufen. Erde oder Kregen – dieser Ausspruch ist immer nützlich.
Meine Beschreibung der Szene mag lustig klingen, doch es war – beim Schwarzen Chunkrah! – eine verdammt ernste Sache.
Ich hatte gehofft, daß die Menschen mein häßliches Gesicht vergessen hätten. Doch fünfzig Jahre sind auf Kregen eben kürzer als auf der Erde. Außerdem hatten einige Kreger Grund, sich an Pur Dray zu erinnern, den bekanntesten Krozair am Auge der Welt. Überraschend war die Entwicklung also nicht. Doch sie paßte mir gar nicht in den Kram. Außerdem hatten vermutlich die vielen Gerüchte über die Rückkehr Pur Drays an den Nerven der Magdager gezerrt. Jedenfalls wurde am nächsten Tag, am Tag vor dem heimtückischen Anschlag, ein armer Teufel in der Seidengasse als Pur Dray erkannt und erstochen. Als er an den Füßen fortgezerrt wurde, meldete sich niemand, der den ersten Ruf ausgestoßen haben wollte. Dieser Zwischenfall war für alle Magdager eine Lehre.
Der entscheidende Tag dämmerte herauf.
Gafard empfing mich in der Pracht seiner Waffenkammer. »Ist alles bereit?« fragte er forsch.
»Aye, Gernu. Das Gift ist weggeschüttet. Die Wächter kennen ihre Rollen. Grogor ...«
»Ich werde ihm seine Ablehnung nachsehen. Auf diese Charade möchte ich nicht verzichten. Vielleicht gefällt es dem König eines Tages, die Geschichte bei einer Party erzählt zu bekommen. Es muß doch der Tag kommen, daß er seine Position erkennt und meine Frau der Sterne nicht weiter verfolgt.«
Doch seine Stimme klang wenig überzeugt.
»Und nun zu wichtigeren Neuigkeiten«, sagte er lebhaft. »Ich glaube, daß Pur Dray in der Stadt ist! Es gibt keine andere Möglichkeit. Der Mann schmiedet bestimmt Pläne gegen das Grün; er arbeitet für Zair!«
Wie gemein und klein ließen mich diese Worte dastehen!
»Ich muß ihn kennenlernen. Irgendwie muß es arrangiert werden. Es gibt da etwas zwischen uns zu klären.«
Ich wollte ihn nicht nur reizen, als ich sagte: »Als Ghittawrer hast du seinen Ruf doch nicht zu fürchten. Pur Drays Taten liegen in der Vergangenheit. Seit er von den Toten zurückkehrte, hat er keine großen Jikais mehr vollbracht.«
Er starrte mich an.
»Du sprichst von Dingen, die du nicht verstehst, Gadak. Pur Dray war der größte Krozair auf dem Auge der Welt. Niemand zweifelt daran oder will ihm diesen Ruf streitig machen. Und heute bin ich der größte Ghittawrer am Auge der Welt. Wer das bezweifelt, bekommt meine Hand zu spüren.«
»Und doch ist das eine in der Vergangenheit und das andere im Heute.«
»Du meinst es gut, Gadak. Doch es gibt Fragen der Ehre, die über deinen Verstand gehen.«
Wenn er damit meinte, daß er einen Kampf mit Pur Dray suchte, um zu beweisen, wer der Bessere war, so verstand ich das. Doch ich begann zu ahnen, daß die Lage nicht ganz so einfach war. Hier ging es um mehr als eine offene Konfrontation. Gafard bekämpfte eine Legende. Das ist immer schwieriger als gegen einen Gegner aus Fleisch und Blut anzutreten.
In meiner Schlauheit legte ich mir alles genau zurecht. Gadak der Überläufer war ein dummer Onker! Wenn er nur ...
Aber ohne das Wörtchen Wenn wären wir alle reich und glücklich.
Während ich dies diktiere, versuche ich in aller Ruhe zurückzudenken. Ich versuche alle Seiten zu sehen. In den Jahren nach den Ereignissen machte ich mir bittere Vorwürfe. Ich sah die Schuld allein bei mir, obwohl ich wahrlich nicht dazu neige, mich an Schuldgefühlen zu ergötzen, wie es manche schwachen Menschen tun. Doch heute weiß ich, daß ich eigentlich nichts hätte ändern können, nicht wenn die Situation so war, wie sie es war.
Gafard hatte keine Zweifel.
»Der König ist ein wunderbarer Mann, Gadak. Er denkt anders als Pur Dray und ich. Er ist ein genialer Kriegsherr, er hat das Yrium, die Macht über uns alle. Doch er hat einen Fehler – der eigentlich keiner ist.«
»Gernu«, antwortete ich ernst. Der Mann hatte mir mehr über sich enthüllt, als er glaubte. Außerdem vergaß ich nicht, daß er von der Frau der Sterne geliebt wurde. »Gernu. Was würde deiner Meinung nach geschehen, würden sich der König und Pur Dray von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen?«
Er ließ mich nicht aussprechen. Ein leichter Schauder überlief ihn, und er hob eine Hand an das Gesicht. Dann faßte er sich. »Das hinge ganz davon ab, wie sich dieses Zusammentreffen ergäbe. Ob Schwert gegen Schwert, Sectrix gegen Sectrix oder in einem Konferenzzimmer oder wo auch immer. Ich ...« Er zog die Spitzen seines Schnurrbartes herab. »Ich würde alles, was ich besitze, dafür geben, dabeizusein – und gleichzeitig dafür, diese Konfrontation nicht beobachten zu müssen.«
Etwa um diese Zeit fiel ihm ein, daß er ja ein Rog und der Kämpfer des Königs war, während ich als einfacher Überläufer vor ihm stand, als Untergebener. Er schickte mich fort.
Meine Befehle waren einfach. Ich sollte die Türen öffnen und mich verdrücken. Gafard wußte so gut wie ich, daß die Entführer des Königs mich vielleicht töten wollten, um mich zum Schweigen zu bringen. Meine Pläne hatten ein etwas ehrgeizigeres Ziel, doch nur, wenn der König seine Männer begleitete. Die Chance war gering, andererseits war Genod kein Feigling, selbst wenn er als böser Rast gelten mußte, und das Abenteuer mochte ihn reizen.
Verstohlenheit, raffinierte Pläne und wilde nächtliche Ritte im Lichte der sieben kregischen Monde – ja, auf dieser Welt habe ich dies alles durchgemacht. Ich war als Spion in Hamal, ich hatte mich mit Rees und Chido angefreundet, die an Bord eines Argenters inzwischen nach Hamal zurückgekehrt waren und Königin Thyllis zweifellos von der Unfähigkeit der Gardisten des König Genod berichten würden. Ich bedauerte es, daß ich nicht die Willenskraft besessen hatte, mich zu erkennen zu geben und ein Wiedersehen zu feiern, das sie sicher so sehr gefreut hätte wie mich. Heute nacht mochte ich nun wieder in Aktion treten müssen, vielleicht gelang es mir, den König und seinen Lieblingsgeneral zu entführen.
Das smaragdgrüne und rubinrote Feuer der Sonnen von Antares versank hinter dem Dächergewirr Magdags und warf die riesigen überlangen Schatten der Megalithen über die Erde. Die Wachen wechselten wie üblich. Im Jadepalast ging das Leben seinen normalen Gang.
Gafard hielt sich mit seiner Geliebten an einem anderen Ort auf als die Männer des Königs kamen. Die Türen standen offen. Ich beobachtete sie durch einen Spalt der Innentür und sah, wie sie den Durchgang mit Balken und Keilen versperrten. Die Wächter die ich nicht vergiftet hatte, waren eingesperrt. Diesmal kamen zehn Mann; fünf sicherten den Rückzug; fünf gingen nach oben. Nach kurzer Zeit kehrten sie mit der Shishi zurück, die sie in einen schwarzen Mantel gewickelt hatten. Das Mädchen hatte die Gegenwehr aufgegeben. Erleichtert stellte ich fest, daß keiner der Männer eine blutige Waffe trug; alle Klingen waren in den Scheiden geblieben. Stumm verschwanden die Schwarzgekleideten in der mondhellen Nacht.
Nach einiger Zeit kam Grogor herab und öffnete uns die Tür.
»Es ist vorbei«, sagte er. Das böse Lächeln auf seinem Gesicht erweckte meine Sympathie für ihn.
So nahmen wir den regulären Wachdienst wieder auf, denn außer den Gelüsten des genialen Königs gab es noch viele andere Gefahren in Magdag.
Am nächsten Tag suchte ich die vereinbarte Stelle auf, um den Rest meines Lohns, vierzig Goldruder, in Empfang zu nehmen. Doch niemand kam; ich wartete eine Zeitlang und kehrte schließlich, das Gesicht unter einem Stück grünen Tuch verborgen, in den Jadepalast zurück.
Nodgen der Getreue hatte sich als verflixt untreu erwiesen, der Cramph!