2
Ich habe schon einmal gesagt, daß gegen die grüne Farbe grundsätzlich nichts zu sagen ist – sie ist angenehm und beruhigend. Die grüne Vegetation macht aus unserer Erde eine großartige Welt. Würde das Grün plötzlich aus dem Spektrum verschwinden, wäre es ein großer Verlust für uns alle. Doch als ich in jener schmutzigen Taverne im Ausländerhafen Magdags saß, überkam mich ein dermaßen starker, bitterer, zorniger Haß auf alles Grüne, daß ich die Augen zusammenkniff und den schlichten irdenen Krug kraftvoll umfaßte. Der Ton brach, und der widerliche grüne Wein ergoß sich über den Tisch.
Das Serviermädchen stieß einen leisen Schrei aus.
Da kam ich wieder zu mir. Natürlich meinte sie nicht, daß vallianische Schiffe überhaupt nicht mehr nach Magdag kamen. Das Binnenmeer liegt im westlichen Teil des Kontinents Turismond, ein wenig nach Westen versetzt. Es wird von Ost-Turismond durch einen gefährlichen Bodenspalt getrennt, aus dem übelriechende und Halluzinationen erzeugende Dämpfe aufsteigen, außerdem von den Stratemsk, einer gewaltigen Bergkette, von deren Gipfeln die Menschen annehmen, daß sie Zim und Genodras berühren, die rote und die grüne Sonne von Antares. Alle Kreger waren davon überzeugt, daß man die Stratemsk nicht zu Fuß überqueren konnte. Am Binnenmeer gab es außerdem keine Flugboote. So war schon ein Schiff aus den Äußeren Ozeanen erforderlich, um jene stürmischen Meere zu befahren, um den Damm der Tage im Westen hinter sich zu lassen und vorbei an Donengil und mit dem Zim-Strom nach Norden durch das Cyphren-Meer zu steuern, dann vorbei an der Nordspitze des Kontinents Loh und von dort endlich in östlicher Richtung nach Vallia.
Nein. Nein, das Mädchen konnte nicht meinen, daß die vallianischen Galleonen überhaupt nicht mehr nach Magdag kamen, sie wollte vielmehr sagen, daß die vallianischen Seeleute nicht mehr in ihre Taverne kamen, in das Netz und Dreizack.
Diesen Gedanken äußerte ich mit leiser Stimme, doch sie zuckte zurück.
»Nein, Gernu. Seit König Genod, sein Name sei gepriesen, den Hafen für vallianische Schiffe geschlossen hat, sind keine Galleonen mehr gekommen.«
»Er hat was?«
»Gernu ...« Ihre Stimme klang sehr leise.
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgestoßen. Ein Schwall frischer Luft drang herein, die leicht nach Fisch roch, Männer drängten sich in die Schänke, Apim und Diffs, setzten sich plaudernd und lachend an etliche Tische und verlangten Wein.
Das Mädchen warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf die Silbermünze in meiner Hand und ließ mich wie einen Dummkopf sitzen.
Natürlich konnte ich mich auf einem Argenter einschiffen und nach Pandahem fahren. Aber – nein, eine andere Möglichkeit gab es nicht, so wenig mir das gefiel.
Pandahem, die große Insel südlich von Vallia, war seit jeher Vallias Rivale in Wirtschaft und Machtanspruch gewesen. Pandahem zerfiel in eine Anzahl von Nationen, in einem dieser Länder, Tomboram, hatte ich Freunde. Der neue üble magdagsche König Genod Gannius hatte sich mit meinen Feinden in der pandahemischen Nation Menaham verbündet. Er wollte Flugboote aus Hamal beziehen und diese durch die Menahemer nach Magdag transportieren lassen. Mit einer unbesiegbaren Luftstreitmacht hätte er die Zairer mühelos vernichten können. Ich hatte diesem Plan eine Riegel vorgeschoben, zumindest für die nächste Zeit. Zweifellos würde er es wieder versuchen. Aber bis dahin hatte ich dem Auge der Welt den Rücken gekehrt und befand mich längst wieder auf Valka, meiner Insel vor der vallianischen Küste. Aber ... wenn ich nach Hause wollte, mußte ich mich in einem Argenter aus Menaham einschiffen.
Bei Vox! Welch ein Triumph für die verdammten Menahemer, sollten sie herausfinden, daß sie den Prinz Majister von Vallia in ihrer Gewalt hatten!
Duhrra blickte mich stirnrunzelnd an. Sein kahler Schädel schimmerte im Lampenlicht; über seiner Schulter lag sein einziger Haarschmuck, der Zopf.
»Dein Gesicht verrät nichts, Dak. Doch will mir die Nachricht schlimm erscheinen.«
»Ja, sie ist schlimm.«
»Dann kannst du nicht nach Vallia zurückkehren. Du mußt mich begleiten – nach Sanurkazz oder nach Crazmoz, meine Heimat. Unterwegs werden wir schöne Abenteuer erleben.«
Ich konnte ihm nicht antworten.
Duhrra, den ich Duhrra der Tage getauft hatte, wußte bei weitem nicht alles über mich; nicht einmal, daß ich mir vor vielen Jahren als Ruderkapitän auf dem Binnenmeer einen Ruf erworben hatte. Die Cramphs von Magdag hatten gezittert, wenn sie meinen Namen nur hörten, Pur Dray, Krozair von Zy.
Duhrra nannte mich Dak, ein Name, den ich mir in Ehren erworben hatte, wenn ich auch annahm, daß er gehört hatte, wie ich mit meinem richtigen Namen angeredet wurde. Doch kam er nicht darauf zu sprechen. Die Krozairs sind eine exotische Sorte Männer, selbst für die eigenen Landsleute, die sich nicht der Ehre und dem Ruhm eines Krozairdaseins verschrieben haben.
Das Serviermädchen bediente die Neuankömmlinge. Es handelte sich um Söldner, die es nicht lassen konnten, mit ihren Heldentaten zu prahlen. Nach kurzer Zeit brachte sie uns Voskfleisch und Loloo-Eier und Huliper-Auflauf, außerdem einen neuen Krug mit dem scheußlichen grünen Blut des Dag.
Ich warf das Silberruder hoch. »Du hast dies vergessen.«
Sie knickste, fing die Münze auf und ließ sie in ihrem Ausschnitt verschwinden.
»Vielen Dank, Gernu. Möge Grodno dir lächeln.«
Ich hätte jetzt denken können: Zair lächelt mir bestimmt nicht. Doch ich beschäftigte mich damit, die Möglichkeiten, nach Vallia zurückzukehren, zu durchdenken.
»Iß«, sagte Duhrra. »Iß, mein Herr. Hinterher wirst du dich besser fühlen.«
Und damit hatte er natürlich recht. Ich aß. Es schmeckte scheußlich. Ich nahm mir eine Handvoll Palines, kirschenähnliche Früchte von vorzüglichem Aroma, die mir schon manchesmal Sorgen und Kopfschmerzen vertrieben hatten und die es überall in Kregen zu geben schien.
Ich mußte mir eingestehen, daß ich ziemlich angeschlagen war. Schon oft in meinem Leben hatte ich schlimme Erfahrungen machen müssen. Dieses Gefühl des Gefangenseins aber lähmte mich. Einundzwanzig Jahre lang hatte ich mich in der Falle gefühlt, einundzwanzig lange Jahre, die ich nach dem Willen der Herren der Sterne auf der Erde verbringen mußte. Damals hatte ich nichts unternehmen können, um diesen Zustand zu beenden. Natürlich hatte ich es versucht. Ich war dabei auf eine seltsame Frau gestoßen, die sich auf der Erde Madame Iwanowna nannte und auf Kregen Zena Iztar. Doch nachdem ich nun wieder hier war und im Augenblick gegenüber den Herren der Sterne keine Pflichten hatte, trennten mich lediglich Zeit und Entfernung von meinen Liebsten – so dachte ich damals.
Als ich aufblickte, starrte ich in die Augen eines Söldners vom Nachbartisch. Ich faßte den Entschluß, auf kürzestem Weg zu Delia zurückzukehren, was immer kommen mochte.
Meine Gedanken beschäftigten sich mit dem verdammten menahemischen Argenter, als ich merkte, daß der Söldner am Nebentisch langsam aufstand.
Duhrra hielt den Atem an.
Der Söldner war ein Fristle. Der kräftige, menschlich wirkende Körper steckte in einem Kettenpanzer. Der katzengleiche Kopf mit dem gestreiften Fell, den Schlitzaugen und den weit gespreizten Schnurrbarthaaren richtete sich bösartig in meine Richtung. Er lockerte den Krummsäbel, den alle Fristles tragen, und kam an meinen Tisch.
»Du siehst mich an, Dom«, sagte der Fristle drohend. »Das gefällt mir nicht.«
Ich wußte sofort, was geschehen war. Gedankenverloren hatte ich meine innere Qual und meinen Zorn sichtbar werden lassen. Der Fristle hatte das gesehen und darin eine Beleidigung vermutet.
Ich seufzte. »Du irrst dich, Dom«, begann ich. »Ich wollte nicht ...«
Das war ein schwerer Fehler.
»Nennst du mich einen Lügner?«
»Aber überhaupt nicht!« Ich suchte nach Worten. Ich erlebte eine solche Situation nicht zum erstenmal. In meiner Rolle als Hamun ham Farthytu hatte ich in Ruathytu, der Hauptstadt Hamals, die Rolle eines Feiglings gespielt. Auch hier wollte ich jedem Ärger aus dem Wege gehen, schon wegen Duhrra. »Nein, Dom. Ich würde dich nie einen Lügner nennen, es sei denn, du wärst einer.«
»Cramph!« fauchte er und brachte es fertig, selbst dieses einfache Wort nach Art einer Katze herauszuzischen. »Rast!« fuhr er fort.
Ein Rast ist ein sechsbeiniges Nagetier, das sich vornehmlich von Abfall und Unrat ernährt. Auch ich hatte dieses Wort schon verschiedentlich gebraucht.
Ich stand auf, stand sehr langsam auf.
»Ich habe dich nicht absichtlich angesehen. In diesem Punkt lügst du. Du nennst mich einen Cramph, einen Rast, und das ist auch gelogen.« Langsam bewegte sich meine rechte Hand vor dem Körper vorbei auf den Schwertgriff zu. »Es will mir scheinen Dom, daß du ein chronischer Lügner bist!«
»Bei Odifor, Apim!« Der Krummsäbel blitzte. »Ich muß dir beibringen, was sich schickt!«
Die Kameraden des Fristle lehnten sich bequem zurück. Spöttisch lachend rieten sie ihrem Freund, den sie Cryfon den Hitzkopf nannten, mich sanft zu behandeln, mir nur ein Auge auszustechen, mir die Klinge nicht mehr als zwei Fingerbreit unter die Haut zu stoßen und dergleichen mehr.
Er hatte keine Angst vor meinem Langschwert. In der Enge des Schankraums war das schnelle und gefährliche Krummschwert sicher von Vorteil. Das magdagsche Langschwert, das er zusätzlich trug und das zweifellos die Initialen G.G.M. trug, blieb unbeachtet.
Ich trat zur Seite, um Platz zu gewinnen, und zog das Langschwert. Die Lampen warfen ihr Licht auf die Klinge, die frisch gereinigt worden war.
Die Söldner am Tisch verstummten plötzlich.
Der Fristle, der noch eben sein Krummschwert schwungvoll bewegt hatte, erstarrte. Der Atem zischte ihm aus dem katzenhaften Mund.
»Beim Grünen!« sagte er.
Duhrra bewegte sich hinter mir und ich vermutete, daß er seinen Armstumpf wieder verhüllte.
»Gernu!« sagte der Fristlesöldner Cryfon der Hitzkopf. »Ich wußte ja nicht ... Ich hatte keine Ahnung. Verzeih, Gernu, verzeih mir tausendmal.«
Nachdem er mich eben noch Rast und Cramph genannt hatte und anfänglich auch Dom, eine freundschaftliche Begrüßung, gab er sich nun größte Mühe mit Gernu, dem Grodno-Gruß gegenüber einem hochstehenden Herrn oder Lord.
»Ich habe dich nicht absichtlich angestarrt.«
»Nein, natürlich nicht, Gernu. In diesem Punkt habe ich gelogen, schlimm gelogen, Odifor sei mein Zeuge.«
Einer der Söldner, ein stämmiger Numim, dessen goldenes Fell im Schein der Samphronöllampen herrlich schimmerte, rief: »Du suchst dir doch immer wieder die Falschen aus, Cryfon!« Dann verneigte er sich vor mir. »Gernu – verzeih dem armen Onker. Trinkst du eine Schale Wein mit uns?«
Er war ein Deldar, Anführer und Sprecher der kleinen Gruppe. Ich wandte mich zu ihm um und merkte dabei, daß ich noch das erbeutete Grodnim-Langschwert in der Hand hielt. Ich machte eine grüßende Bewegung damit und steckte es fort. Dabei begriff ich, was hier geschah. Das Symbol auf der Klinge! Der Lairgodont und die Strahlensonne! Als ich die Waffe auf dem Damm der Tage erbeutet hatte, war mir durchaus bewußt, daß mich das Zeichen in Schwierigkeiten bringen konnte. So hatte ich die Smaragde herausgebrochen und das Symbol mit einem rauhen Stein überschliffen; trotzdem hatten die Männer Form und Beschaffenheit des Zeichens sofort gesehen und ihre Rückschlüsse daraus gezogen. Aus welchem anderen Grunde sollte ein Grüner Bruder eine einfache Taverne wie das Netz und Dreizack besuchen?
Doch ein Grüner Bruder, ein Ghittawrer Grodnos, war ein Mann, den man nicht verärgerte, mochte er auch noch so heruntergekommen sein. Das lag nicht nur an dem Langschwert, von dem die Männer überzeugt waren, daß es Cryfon den Hitzkopf getötet hätte. In dem schockierten Verhalten der Söldner lag zugleich die Unterwerfung vor der Macht mystischer Disziplinen, vor der Kraft der Religion, vor der Aura der Unbesiegbarkeit.
Ähnliche, wenn auch nicht ganz so heftige Reaktionen hatte ich in Sanurkazz beobachtet, wenn gedankenlose Prahler sich plötzlich einem Krozairbruder gegenübersahen. Die Zairer sind allerdings von Natur aus ungebärdig und neigen zu rauhen Scherzen selbst wenn es um die mystischen Orden geht – allerdings überzeugen sie sich vorher, daß kein Krozairbruder in Hörweite ist. Die Grodnim sahen das Ganze entsprechend ihrer religiösen Einstellung viel enger. Ihr Glaube war fanatischer. Sie rückten weniger vom Wege ab. Ihnen bedeutete das Grün eben alles.
War dies ein Grund, warum im Augenblick das Grün die Oberhand über das Rot gewann?
»Ich danke dir, Deldar«, sagte ich förmlich im Tonfall eines Ghittawrerbruders. Ähnlich hätte sich auch ein Krozair geäußert. »Ihr seid sehr freundlich. Doch ich habe zu tun.«
Er nickte hastig. »Das verstehe ich, Gernu. Möge dich das gesegnete Licht Grodnos begleiten.«
»Und dich ebenfalls.«
Also, wenn er es ehrlich meinte, dann ich auch!
Wir warfen Münzen auf den Tisch, um für Essen und Wein zu bezahlen, und verließen das Lokal. Vor dem Haus atmete Duhrra einmal tief ein.
»Elende Grodnim!« sagte er.
Diese Situation hatten wir ohne Schaden überstanden. Trotzdem war ich entschlossen, das gefährliche Symbol loszuwerden. Allerdings wollte ich die Waffe selbst behalten, denn eine bessere würde ich so schnell nicht finden.
Die Söldner stammten von Galeeren aus dem benachbarten Hafen. Zweifellos fanden sie das Netz und Dreizack seit dem Ausbleiben vallianischer Schiffe viel attraktiver. Es gab dort Platz und bessere Bedienung und sicher auch einen Preisnachlaß. Es waren harte, tapfere Männer, wie ich sie auf dem Auge der Welt oft bekämpft hatte. Wie lange würden sie brauchen, um die Wahrheit zu ahnen? Daß der freche Apim das Ghittawrer-Schwert lediglich gefunden oder womöglich gestohlen hatte!
Wir stiegen auf. Ich hatte keinen Plan, was ich jetzt tun wollte waren doch alle meine Pläne von einer vallianischen Galleone abhängig gewesen, einem Schiff, das es hier nicht geben würde.
Wir ritten an dem Argenter vorbei.
»Es will mir scheinen«, sagte ich, »daß wir unsere Passage hier buchen müssen.«
»Ich werde dich trotzdem begleiten, Dak.«
»Aye.« Als wir uns begegneten, hatte Duhrra sein Geld als Ringer verdient. Ich hatte das vage Gefühl, daß er nicht zum erstenmal zur See fahren würde. »Möglich, daß ich für die Passage bezahlen muß.«
»Wäre doch nur gerecht. Nimm das Geld, das du dem vallianischen Kapitän gegeben hättest.«
Schweigend ritt ich auf meiner Sectrix weiter, dann sagte ich: »Für ein pandahemisches Schiff dürfte das nicht genügen.« Ich konnte ihm nicht sagen, daß ich als Prinz Majister von Vallia auf einem vallianischen Schiff nichts hätte bezahlen müssen.
»Suchen wir uns eine Herberge und legen wir uns schlafen«, fuhr ich fort. »Wir sprechen morgen früh mit dem Argenterkapitän.«
»Dann müssen wir ein paar Leuten die Kehlen durchschneiden und ihnen das Gold wegnehmen.«
»Wir wollen zuerst mit dem Kapitän sprechen und seinen Preis erfragen.«
Ich zügelte mein Tier, und Duhrras Sectrix wich schnaubend zur Seite aus. Die Tiere waren unruhig, weil sie noch nicht gefüttert und getränkt worden waren.
»Hör gut zu, Duhrra der Tage. Du mußt hier den Grodnim spielen – den Grund dafür verstehst du.«
»Aye. Man würde uns die Gedärme aus dem Leib ...«
»Wenn wir den Argenter aus Menaham betreten, mußt du das Wort Vallia überhaupt vergessen. Höchstens darfst du ein paarmal tüchtig darauf fluchen. Menaham und Vallia kommen nicht besonders gut miteinander aus.«
Die Augen mit den schweren Lidern musterten mich im Fackelschein einer nahen Dopa-Taverne.
»Ich verstehe. Jetzt sehe ich das Problem schon klarer.«
»Denk daran – es geht auch um deinen Hals.«
Die Nacht verbrachten wir im Gasthaus Zum Missalbaum, ein kleines Stück vom Hafen entfernt. Für den Wirt waren wir zwei einfache Reisende, die ein Bett brauchten. Die Sectrixes wurden von einem lahmen Relt versorgt, einer Diff-Rasse, die mit den Rapas verwandt ist, deren Wildheit aber völlig vermissen läßt.
Der Argenterkapitän stellte am nächsten Tag keine Fragen, er zeigte sich nicht daran interessiert, warum wir das Auge der Welt verlassen wollten, und dafür war ich dankbar, denn ich hatte mir den Kopf nach einem vernünftigen Grund zermartert. Der Mann fuhr sich mit der Hand durch den breiten schwarzen Bart und musterte uns nüchtern abschätzend. Er trug einen Goldring in jedem Ohr, eine Angewohnheit, die mir zuwider war. Trotzdem war er ein harter Mann, wie er es in seiner Position sein mußte, und erwies sich bei den Verhandlungen als äußerst zäh.
Als wir dann durch das Treiben an Bord und an der Kaimauer entlanggingen, warf mir Duhrra einen vielsagenden Blick zu.
Wir strebten einer Taverne zu, die drei Häuser vom Netz und Dreizack entfernt war, und Duhrra sagte: »Eine große Summe, Dak.«
»Wir beschaffen sie uns.«
»Oh, aye, das habe ich nicht bezweifelt.«
Und wir beschafften uns das Geld; in der Folge erwachten einige Oberherren Magdags mit Brummschädeln und einer lückenhaften Erinnerung an einen Überfall in der Nacht. Ich hatte sie nicht getötet, wußte ich doch, welche Aufregung sich daraus ergeben würde. Mit ihrem Gold kauften wir uns auf dem Schiff ein.
Ein steifer Nordostwind wehte uns vor sich her, nachdem die Schlepper die Leinen losgemacht hatten. Wir setzten volles Segel – Argenter haben nur ein Segel – und machten gute Fahrt, nur wenig nach Steuerbord geneigt. Unsere Kabine hätte nicht besser sein können. Nach allem, was ich bisher so erlebt hatte, war die Unterkunft geradezu luxuriös. Die Zwillingssonne leuchtete, der Himmel wölbte sich blau über uns, Möwen und andere Vögel blieben zurück, und vor uns lagen der Große Kanal, der Damm der Tage und dann die lange Fahrt nach Süden und Osten und Norden – nach Pandahem. Von dort würde ich mich schon irgendwie bis Vallia durchschlagen.
Als die ersten schwarzen Wolken am südlichen Horizont auftauchten, schien sich eine Faust um mein Herz zu krampfen. Bei meinem ersten Aufenthalt im Binnenmeer hatten mir die Herren der Sterne bei jedem Versuch, nach Sanurkazz und Felteraz zu segeln, fürchterliche Rashoons geschickt. Rashoons, die wilden Stürme des Binnenmeeres, gehörten hier zum täglichen Leben. Die Herren der Sterne brachten aber größere und gefährliche Kräfte ins Spiel, riesige wirbelnde schwarze Wolken, Winde, die Segel zerfetzten, die ein Schiff aus dem Wasser heben und zum Kentern bringen konnten.
Sofort refften die Männer das Segel, unsere Fahrt verlangsamte sich. Ich mußte an die Frau denken, die in rotgoldener Kleidung auf einem weißen Zhyan saß, die Frau, die Zena Iztar genannt wurde und die mir gesagt hatte, ich würde das Auge der Welt noch nicht verlassen. Als ich sie fragte, ob die Herren der Sterne mich daran hindern würden, hatte sie mit einem Nein geantwortet. Ich starrte auf die düsteren Wolken und begann zu fluchen.
Kapitän Andapon schien sich keine Sorgen zu machen. Geringschätzig reckte er den Bart.
»Nur ein Rashoon. Eine Kleinigkeit für einen Seemann, der die Äußeren Ozeane kennt.«
Er hatte recht – wenn es sich wirklich nur um einen Rashoon handelte, eine örtlich begrenzte Störung.
»Keine Sorge, das zieht vorüber.«
Er hatte recht. Die schwarzen Wolken hoben sich eine Handbreit über den Horizont. Darüber erschien ein seltsames Licht. Ich blickte hinein. Die Wolken schrumpften, dünnten aus, wichen zurück. Ich kniff die Augen zusammen. Ein weißer Fleck erschien sich dem Argenter im Sturzflug nähernd. Das Schiff schwankte auf der Stelle. Kapitän Andapon rief einen Befehl, und seine Männer eilten an Deck, um das Segel wieder zu setzen. Ein bedrückender, warmer Geruch lag in der Luft, der Wind ließ nach. Der weiße Fleck kam näher. Außer mir schien niemand an Bord ihn bemerkt zu haben.
Die Sonnen beschienen den fliegenden Punkt. Ich erkannte die weiße Taube der Savanti. Lange hatte ich diese weiße Taube nicht mehr gesehen, Bote und Spion der Savanti, so wie die Herren der Sterne ihren Raubvogel schickten. Ich umfaßte die Reling. Ich konnte den Blick nicht abwenden.
Die weiße Taube verharrte über mir. Ich wußte, daß die Savanti, die sterblichen, doch übermenschlichen Bewohner der Schwingenden Stadt Aphrasöe, sich wieder für mich interessierten. Ihnen hatte ich meine allererste Reise nach Kregen zu verdanken. Sie hatten einen Savapim aus mir machen wollen, einen Mann, der auf die Humanisierung der Welt hinarbeiten sollte. Indem ich Delia, die einheimische Prinzessin, von ihrem Gebrechen heilte, hatte ich in ihren Augen versagt; die Taufe im Heiligen Taufbrunnen des Zelph-Flusses in Aphrasöe heilte nicht nur ihr verkrüppeltes Bein, sondern verschaffte ihr wie mir ein tausendjähriges Leben.
Was mochten die Savanti jetzt von mir wollen? Warum hielten sich die Herren der Sterne fern? Hatte Zena Iztar dies gemeint?
Der Argenter Chavonth von Mem dümpelte in der ruhigen See. Der Himmel klarte auf. Die Sonnen strahlten hell. Absolute Windstille.
»Das kann nicht lange dauern«, meinte Kapitän Andapon. Ich bewunderte seine Gelassenheit, obwohl er aus dem Land kam, welches bei uns allgemein das verdammte Menaham genannt wurde und das sich mit Hamal gegen Vallia verbündet hatte.
Die Wachen wurden gewechselt, die Glocken läuteten, und der Ausguck meldete sich vom Hauptmast. »Segel!«
»Die bringen Wind, Pandrite sei gepriesen.«
Wir starrten nutzlos zum Ausguck empor, der nach Süden deutete. »Ruderer!« tönte seine Stimme herab.
»Der miese Armipand soll sie verschlingen!« fluchte Andapon.
Ruderer waren vom Wind unabhängig. Wir lagen nach wie vor in der Flaute fest.
Die Männer aus Menaham hatten keine Angst vor dem erbitterten Kampf zwischen den Roten und den Grünen, denn sie waren neutral. Vor Ruderern, die rote oder grüne Flaggen gehißt hatten, brauchten sie sich nicht zu fürchten.
Nach kurzer Zeit kamen die Schiffe über dem Horizont in Sicht. Bald wurde klar, daß sie uns gesehen hatten und sich das einsame Schiff näher ansehen wollten. Das war nur vernünftig. Kapitän Andapon brüllte einen Befehl, und am Hauptmast und am Bug und Heck stieg die menahemische Flagge auf: vier blaue Diagonalstreifen und vier grüne Diagonalstreifen, getrennt durch dünne weiße Linien.
Diese Flagge, gegen die ich früher gekämpft hatte, sollte mich nun vor den Roten und Grünen schützen – denn für die Grünen war ich ein verhaßter feindlicher Krozair und für die Roten ein Apushniad, ein verstoßener Krozair.
Wieder meldete sich der Ausguck.
Kapitän Andapon zeigte eine bemerkenswerte Wendigkeit für seine Größe – er sprang in die Wanten an Steuerbord und erstieg einige Schlaufen. Dann legte er die Hand über die Augen und starrte auf die Ruderer. Ehe er an Deck zurückkehrte, blickte er auf uns herab. Seine Stimme klang etwas entmutigt, aber nicht schwach.
»Weder rot noch grün. Kleine Boote, weniger als zehn Ruder pro Seite. Ihr wißt, was das bedeutet.« Seine Stimme grollte über uns dahin. »Alarm! Alles zu den Waffen! Ohne Gegenwehr sollen sie uns nicht bekommen!«
Da wußte ich ebenfalls Bescheid.
Räuber, Piraten, Seewölfe des Auges der Welt. Sie bekämpften und beraubten Zairer wie Grodnim; ihnen war es einerlei. Dieses schöne, vollbeladene Schiff aus Menaham, in der Flaute gefangen, wurde ihnen wie eine Ponsho auf dem Teller dargereicht!