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Es folgte ein kurzer Feldzug, der zwar verbissen und blutig ausgetragen wurde, der aber nichts Interessantes brachte, bis auf eine Demonstration der Methoden, mit denen die Oberherren in ihren Gebieten Ordnung wahrten und mit denen sie Grenzverletzern Einhalt geboten.
Die Menschen, die jenseits des Flusses lebten, führten zumeist ein Nomadendasein. Unabhängig davon lagen jedoch an günstigen Stellen größere Siedlungen. Das riesige Gebiet im Norden Turismonds war eigentlich ziemlich unbekannt, und wir waren erst weniger als zweihundert Dwaburs in einen Bereich eingedrungen, der sich nach Schätzungen der Todalpheme sechshundert Dwaburs weit bis zum Pol erstreckte.
Die Nomaden dieser Gegend hatten wenig mit meinen Klansleuten gemein.
Gewiß, sie besaßen große Chunkrahherden und wohnten in großartigen Zelten, und wenn sie auf Wanderschaft waren, vibrierte der Boden. Sie hatten ihre Sitten und Gebräuche, die mich damals faszinierten. Sie nannten sich Ugas und zerfielen in zahlreiche Stämme und zahlreiche Diffrassen, welche die Stämme und Nationen bildeten. Allerdings hatten sie keine Zorcas zum Reiten und ihre Bewaffnung bestand aus primitiven Langbögen, kleinen Langschwertern und Kurzbögen. Dafür ritten sie die schon erwähnten Hebra und ließen sich von einer Hunderasse bewachen, die Ugafaril genannt wurde, auf die die Grodnim aber gar nicht gut zu sprechen waren, denn die wachsamen Tiere vereitelten mehr als einen gut geplanten Überfall.
An den Aktionen nahm ich teil, so gut ich konnte, während Duhrra mir unwillig folgte.
Ich möchte Sie nicht mit den Einzelheiten des Feldzuges langweilen. Wir fingen Leemköpfe, die wirklich Scheußliches begangen hatte, so daß ich keine Skrupel verspürte, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Ugas standen auf einem anderen Blatt, aber sie waren erfahrene Kämpfer, und nachdem sie eine Abteilung Grodnim umgebracht hatten, entspannte sich die Atmosphäre. Überhaupt wurde ich kaum in direkte Kämpfe verwickelt denn Gafard setzte mich vornehmlich als Adjutanten und Boten ein.
Eines Tages überraschten wir einen Kriegstrupp der Ugas, und Duhrra und ich erlebten den mutigen Angriff der Fremden aus erster Hand. Hebras gingen zu Boden, Schwerter wurden geschwungen, Staub stieg in dichten Wolken empor. Als alles vorüber war, inspizierte ich unsere Beute.
Es hatte sich um eine Sklavenkarawane gehandelt, und wir ließen etliche Grodnim frei, die vor uns aufs Gesicht fielen, den Arsch hochreckten und Grodno jammernd für ihre Rettung dankten.
In der Gruppe der Sklaven sah ich einige Männer und Frauen die schlohweißes Haar hatten.
Logischerweise nahm ich zunächst an, daß es sich um Gons handelte, eine Rasse, die sich sorgfältig den Kopf schert.
»O nein, Gadak«, sagte der junge Nalgre, der Sohn eines magdagschen Oberherrn, der eines Tages selbst Oberherr sein würde – und somit ein Kandidat für meine Klinge. »Das sind Meeres-Werstings. Am besten bringen wir sie gleich um und sparen uns den Ärger.«
»Sind sie denn so gefährlich?«
»Wie ahnungslos du doch bist, Renegat!« Es gefiel den jungen Schnöseln, uns immer wieder mit der Nase darauf zu stoßen, wenn Gafard nicht in der Nähe war. »Sie sind ein Seevolk und müßten zu den Eisgletschern Sicces geschickt werden, bei Goyt!« Er zog seinen Genodder zur Hälfte und starrte dabei stirnrunzelnd auf die Gruppe nackter weißhaariger Sklaven.
Später hatte ich Gelegenheit, mit den Meeres-Werstings zu sprechen. Ihre Sprache unterschied sich kaum von dem allgemein bekannten Kregisch. Ich suchte mir einen kräftigen Mann in der Blüte seiner Jahre aus, der mit gefesselten Händen und Füßen dicht neben einer Frau saß, die nicht im eigentlichen Sinne schön war, die aber einen festen Körper, ein angenehmes Gesicht und eine hübsch geschwungene Stirn hatte.
»Ihr habt Pech gehabt, Dom«, sagte ich, hockte mich neben ihn und bot ihm ein Stück Brot an, das ich zuvor in Suppe getaucht hatte.
»Danke Herr. Gib es lieber meiner Frau.«
Das tat ich und reichte ihm ein zweites Stück. Ich achtete darauf, daß er mit seinen gefesselten Händen nicht an meine Waffen herankam.
»Ihr seid Meeres-Werstings?«
Er runzelte die Stirn. »Das ist der törichte Name, den uns die Barbaren und ihr unwissenden Grodnim gegeben habt.«
»Wie heißt ihr denn richtig, und woher kommt ihr?«
Während unseres Gesprächs teilte ich weitere Stücke durchtränktes Brot aus – auch an die anderen Gefangenen in der Nähe.
»Wir sind Kalveng. Wir befahren das Meer und haben überall an der Westküste Turismonds unsere Häfen. Wenn unsere Langboote durch die Gischt schießen und unsere Waffen über das dunkle Meer schimmern, erzittern alle Menschen.«
»Ich bin noch nie dort gewesen. Ist es sehr kalt?«
Er blickte mich an, als sei ich ein Idiot. »Nicht mehr, als ein Kreger mit Kettenhemd und einem Schwert in der Hand ertragen kann.«
Das Gespräch ging noch weiter. Ich hatte den Eindruck, als ließen sich diese Menschen nicht durch Ketten einschüchtern. Wäre ich ein König gewesen, dessen Land durch die Untaten dieser Wesen bedroht war, hätte ich mich vielleicht doch noch auf den Rat des jungen Nalgre eingelassen.
Der Kalveng vor mir, Tyvold ti Vruerdensmot, sichtlich ein stolzer und störrischer Bursche, erzählte mir viel über die unbekannten Länder des nordwestlichen Turismond. Die Küste ist von zahlreichen Buchten und Fjorden durchstoßen. Im Hinterland gibt es viele Seen; ein weites Gebiet voller Leben und Menschen, Nomadenvölker und andere Völker, die in ihren Festungen und Städten blieben. So wie sich die Menschen des Binnenmeeres nach innen gewendet haben, zum Auge der Welt, so sehr halten sich die Nationen des Nordwesten von den anderen fern.
»Wie heißt du?« fragte Tyvold ti Vruerdensmot.
»Gadak.«
Er sah mich erstaunt an. »Und das ist alles?«
»Aye!«
»Du machst doch keine Scherze mit mir?«
»Nein. Du bist gefesselt, und ich bin frei. Darin liegt kein Scherz.«
»Ich habe dich aber gesehen, als die Sklaven flohen und die Fackeln wirbelten und das Feuer sein Ziel fand. Du bist ein Mann mit einem Geheimnis.«
Ich stand langsam auf. »Und wenn du heute nacht fliehen könntest ... würdest du sofort nach Hause zurückkehren?«
Die Sehnsucht auf seinem Gesicht rührte mich.
»Ja!«
»Auf direktem Wege?«
Er verstand, was ich meinte. »Ja, Herr. Auf direktem Wege.«
Ich sagte nichts mehr, sondern wandte mich ab. Die leere Schale blieb zurück.
In derselben Nacht brach ein Dieb in ein Vorratszelt ein und stahl eine Menge Nahrung und Kleidung. Am nächsten Morgen wurde ein bewußtloser Rapawächter entdeckt, dem nichts fehlte außer den Meeres-Werstings, die er hatte bewachen sollen. Die Meeres-Werstings waren verschwunden, und die Suche verlief ergebnislos. Die Führung des Suchtrupps wurde dem Mit-Renegaten Gadak übertragen, und obwohl sich Gadak mit größter Sorgfalt im Norden umschaute, fand er keine Spur der geflohenen Sklaven. Damit, und mit etlichen Flüchen, war die Angelegenheit erledigt.
Nalgre hob die manikürten Fingernägel zu den Goldspitzen an seinem Hals. »Das wären sowieso keine guten Sklaven geworden. Wir hätten sie schließlich doch töten müssen.« Damit nicht genug er mußte noch inbrünstig hinzufügen: »Eine hübsche Chance für ein bißchen Spaß verschenkt!«
Ich sagte nichts, sondern wandte mich ab. Ich überlegte, wie die kalte Heimat der Kalvengs aussehen mochte.
Wenn die Grodnim behaupten, die Meeres-Werstings hätten keine guten Sklaven abgegeben, wußten sie, wovon sie sprachen. Einige Rassen scheinen für das Sklavendasein bestimmt zu sein, und man muß für sie kämpfen und ihnen Rückgrat verleihen, denn im Angesicht Zairs oder Opaz' ist niemand zum Sklaven geboren. Für diese Art von Rasse sind die Xaffer ein typisches Beispiel.
Andere Rassen bringen Männer und Frauen hervor, die die Sklaverei auf keinen Fall erdulden; diese Geschöpfe sterben einfach durch eigene Willenseinwirkung, oder sie suchen den Tod von der Hand ihrer Herren.
Und dann gibt es Rassen mit einem sturen Stolz, der sich schlecht mit dem Sklavenjoch verträgt. Diese Rassen sind zahlreich. Meine vierarmigen Djangs akzeptieren die Sklaverei, wenn es nicht anders geht, doch ein Herr, der so töricht war, einen Dwadjang zu unterjochen, hat es nicht leicht mit seinem Diener.
Wie Sie wissen, bin ich mehr als einmal Sklave gewesen, und dasselbe gilt zu meiner Schande auch für Delia. Ich fragte mich, wie meine Kinder zu dieser Frage stehen mochten. Die älteren Zwillinge Drak und Lela mußten jetzt sechsunddreißig Jahre alt sein. Prinz Drak verwaltete mein Inselstromnat Valka und war ein Krozair von Zy. Lela hatte, soweit ich unterrichtet war, fünf ernsthafte Heiratsanträge ausgeschlagen. Die anderen Zwillinge, Segnik und Velia, mußten jetzt im fünfundzwanzigsten Jahr stehen. Ich hatte sie zuletzt im zarten Alter von drei Jahren gesehen, als sie lachend auf den hohen Terrassen von Esser Rarioch herumtobten. Segnik trug inzwischen den Namen Seg und war ebenfalls ein Krozair von Zy, und Velia war wie Lela bei den Schwestern der Rose erzogen worden und mußte sich zweifellos auch ihrer Verehrer erwehren. Ich fragte mich, wie meine Kinder wohl geraten waren und ob ich sie je wiedersehen würde – und dieser Gedanke ließ all die düsteren Kräfte des Widerstandes in mir aufsteigen.
Ich wollte diese Rolle vollenden: ich wollte mich wie ein Grodnim verhalten, um ein Sprungbrett zu haben für meine Flucht mit Duhrra, eine Flucht, die mir die Chance eröffnen sollte, wieder Krozair von Zy zu werden. O ja, ich hatte mir diese Aufgabe gestellt. Ich wollte wieder Krozair von Zy werden, wenn dies der einzige Weg war, dem Auge der Welt zu entkommen und zu meinen Lieben zurückzukehren.
Was die Rote Bruderschaft von Zy anging, so führte ich im Augenblick ein Ghittawrer-Langschwert, trug das Grün und fluchte geflissentlich auf Grodno. Doch mein einziger Gedanke war die Flucht.
Als der letzte Barbarenhäuptling der Gegend überwältigt worden war, verkündete Gafard, daß wir nach Magdag zurückkehren würden. Eine starke Streitmacht sollte zurückbleiben und künftigen Unruhen vorbeugen. Die Grodnim schienen nicht zu erkennen, daß die Ugas keine Barbaren waren. Es gab Wilde im Norden, das wußten wir alle, doch sie lebten weiter entfernt und im Unfrieden mit den Ugas. Eines Tages würden sie aus den nördlichen Bergen nach Süden drängen, die Ugas und Siedlungen überrollend, auf der Suche nach den süßen Früchten des Auges der Welt.
Geschichte und Geschicke gehen ihre eigenen Wege, auf Kregen ebenso wie auf der Erde.
Während des Rückmarschs kam uns auf einer erschöpften Hebra ein Bote entgegen und wurde sofort zu Gafard geleitet. Unser Kommandant hatte mich in den letzten Tagen kühl behandelt, aber nicht feindselig. Nach kurzer Zeit ließ er mich durch Nalgre holen. Gafard blickte ernst zu mir herüber.
»Ein Befehl vom König, Gadak. Wir müssen nach Magdag reiten und dort schneller als der Wind eintreffen.« Er neigte sich im Sattel zu mir herüber. »Am Binnenmeer gibt es Probleme. Ich möchte dich an meiner Seite sehen, denn ich ahne Verrat.« Er stellte sich in den Steigbügeln auf und schwenkte die Klinge. »Wir reiten! Nach Magdag!«