10
Die mächtige Faust Magdags streckte sich geballt über das Auge der Welt.
Zehn erstklassige Ruderer, der kleinste ein Hundertundzwanzig-Ruderer, geleiteten hundertundfünfzig Breitschiffe mit fünfundzwanzigtausend Soldaten – Infanterie, Kavallerie, Artillerie. Die Truppe war ausgewogen zusammengesetzt, die Varters brandneu und die Bewaffnung mustergültig. Trotzdem hätte ich die ganze Armada am liebsten auf dem Meeresgrund gesehen, mit Ausnahme des Ruderers Volgodonts Klauen, der meine Frau der Sterne an Bord hatte.
Ich reiste ebenfalls an Bord des Flaggschiffes.
Mit frischem Wind segelten wir in südlicher Richtung, das Meer war ruhig, und die Rudersklaven konnten sich von ihren Mühen ausruhen. Die Brise trieb ihren Gestank von den Achterdecks und den verzierten hohen Poopdecks fort.
Mir, der ich Krozair von Zy gewesen war und dem Roten Zair gedient hatte, war der Anblick der elenden nackten Sklaven ein Dorn im Auge, doch ich hielt mich zurück. Früher hätte ich in einer solchen Situation niemals stillsitzen und untätig bleiben können. Jetzt akzeptierte ich die Dinge, die das Schicksal für mich bereithielt – oder zumindest fast immer –, und dachte daran, daß ich ebenfalls schon auf Ruderbänken gelitten hatte, nicht nur für die Oberherren Magdags, sondern auch für die Krozairs von Zy.
Wenn Zair es zuließ, würde ich eines Tages zu meiner alten Loyalität zurückkehren können. Im Augenblick war ich ein Grodnim und gedachte die Rolle bis zum bitteren Ende durchzuhalten. Der arme Duhrra ließ sich in diesen Tagen kaum an Deck blicken. Wir teilten uns eine winzige Kabine im vorderen Teil des Achterdecks, und ich hielt mich ebenfalls öfter dort auf.
Die Standarte, für die ich verantwortlich war, hing mit den Fahnen anderer Oberherren in der großen Achterkabine. Meine Dame der Sterne hatte sich ein schlichtes weißgrünes Banner mit der goldenen Darstellung eines Zhantils, einer Rose und dreier Sterne ausgesucht.
Sie hielt sich während der Fahrt in ihrer Kabine auf. Der König hatte einen Agenten bestimmt, eine Art Crebent, der auf dem Flaggschiff mitfuhr und der seine Augen überall hatte. In dem Bewußtsein, daß alle unsere Taten dem König hinterbracht werden würden, waren wir alle sehr auf der Hut.
Die Galeere Volgodonts Klauen erwies sich auf dieser Fahrt als ein vorzügliches Schiff. Sie war ein Ruderer mit den Kennziffern acht-sechs-drei hundertundachtzig. Das hieß, daß sie auf jeder Seite drei Ruderreihen hatte mit jeweils dreißig Ruderern. In der untersten Reihe saßen drei Mann an jedem Ruder, auf dem Deck darüber sechs und auf dem Oberdeck acht Mann. Diese Männer waren splitternackt und kahlrasiert. Über der oberen Sklavenreihe erstreckte sich ein weiteres Deck als Sonnenschutz und als Kampfbasis für die Bewaffneten.
Gafard hatte die Ausrüstung der Expedition zwar ziemlich eilig betrieben, doch als wir nun unterwegs waren, gab er Befehl, langsam zu fahren. Nur ein Ruderdeck war bemannt; die Sklaven wechselten sich bei der Arbeit ab und schonten auf diese Weise ihre Kräfte.
Der Ruderer verfügte über nur einen Mast, und ich wunderte mich zum wiederholten Male, weshalb die Oberherren dem Beispiel der Zairer nicht folgten und ihren Schiffen zwei Masten gaben. Beide Typen besaßen das Vordersegel, eckig und smaragdgrün. In der Mitte die Golddarstellung des springenden Zhantil, das Symbol für den Meeres-Zhantil Gafard, den Kämpfer des Königs.
Der Wind ließ nicht nach, und wir machten gute Fahrt.
Die beiden vorstehenden Plattformen am Bug waren mit großen, eindrucksvollen Varters bestückt. Diese Katapulte waren zwar nicht ganz so groß wie die Gros-Varters aus Vallia, doch sie reichten aus, um einen Felsbrocken durch leichtes Schanzwerk brechen zu lassen. Ich ging nach vorn, um die Waffen zu betrachten und dachte dabei an meine verrückten Abenteuer mit Nath und Zolta, meinen beiden alten Ruderkameraden, mit denen ich immer sehr gern zusammengewesen war.
Gafard fand mich dort an die Reling gelehnt, die Gischt und das schäumende Wasser tief unten beobachtend.
Er kam sofort zur Sache.
»Ich habe zu dir von Verrat gesprochen, Gadak.«
»Ja, Gernu.«
Er lehnte sich mit dem Rücken an die Reling und ließ den Blick über die Decks wandern. Männer gingen ihren Pflichten nach. Niemand konnte unser Gespräch mithören. Sein bronzebraunes Gesicht nahm einen zornigen Ausdruck an, und die rechte Faust legte sich um den Griff seines Genodders.
»Ich vertraue dir etwas an, Gadak. Obwohl ich mich für Magdag und den König zerreiße, würden sich die anderen Oberherren freuen, wenn ich eine entscheidende Niederlage einstecken müßte.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen.«
»Als wir die Armee verlassen hatten, wurde unser Lager nachts von Männern in schwarzer Kleidung heimgesucht. Mein Eigentum wurde durchwühlt, das große Zelt, das meiner Frau der Sterne gehört, vernichtet.«
»Warum das?«
»Warum nehme ich meine Dame wohl immer mit, selbst ins Feld, wo es für Frauenhände keine vernünftige Arbeit gibt?«
Er bot mir eine Möglichkeit zum Einhaken. Ich ergriff die Gelegenheit, wobei ich wie gewohnt ein Risiko einging. Ich hätte verflixt weit schwimmen müssen bis zur nächsten Insel ...
»Der König gibt dir einen Auftrag, und wenn du die Dame mitnimmst, schickt er Männer, um dich zu überraschen und sie zu stehlen.«
Es war ohne Belang, welche Reaktion ich erwartet hatte. Jedenfalls brach dieser Mann, dieser bronzegesichtige, schwarzhaarige Renegat mit dem wilden Blick in lautes Lachen aus. Er verschluckte sich beinahe vor Heiterkeit.
»Bei Genodras, Gadak! Du packst den Chunkrah bei den Hörnern!«
Ich schwieg.
Er wischte sich die Tränen aus den Augen und fuhr energisch fort. »Du hast natürlich recht. Es wäre nur dein Schade, diese Worte jemals zu wiederholen!«
»Gewiß.«
»Du gefällst mir. An dir ist etwas – ich kann es nicht näher bezeichnen –, das mich anzieht. Von jedem anderen Oberherrn wärst du längst an deinen Gedärmen aufgehängt worden. Ich begreife manchmal selbst nicht, weshalb ich auf dich höre ...«
»Wenn die bestimmte Person, die wir eben erwähnten, dir die Frau nehmen will, dürfte es in ganz Grodnim kein wirksames Versteck für dich geben.«
Er starrte mich düster an und fluchte. Aber ich hatte recht.
»Dann müssen die Wachen immer auf der Hut sein. Wenn sie schwarzgekleidete Männer umbringen, die sich in der Nacht anschleichen, kann niemand mit dem Finger auf mich zeigen. Ich bin ein getreuer Diener des Königs. Aye, bei Goyt! Trotz allem bewundere ich den Mann, denn im Krieg und in der Staatsführung ist er ein Genie – eigentlich in allem, außer dieser einen Kleinigkeit. Und dabei hat er das Yrium{*}, zu tun, was er will, und es dennoch als rechtmäßig dastehen zu lassen.«
Wieviel Yrium Genod auch besitzen mochte: wenn er Gafard die Frau der Sterne wegnahm, wie würde dieser Mann reagieren, wie würde sein Gewissen über seinen höchsten Herrn entscheiden? Diese Frage stellte ich mir insgeheim. Würde er womöglich zum Schwert greifen?
Am nächsten Tag war uns klar, daß eine mühsame Etappe vor uns lag. Die Ruder wurden hinabgelassen, die angeketteten Sklaven wurden mit Peitschen angefeuert, sich Mühe zu geben. Der Himmel wölbte sich weit und blau über uns. Viel Wind würde es heute nicht geben, vielleicht eine leichte Brise am Abend, die uns aber, wenn wir Pech hatten, genau ins Gesicht blasen konnte.
Auf dem Binnenmeer, das oft sehr flach ist, gibt es unzählige kleine und kleinste Inseln, die wir jeweils als Nachtquartier ansteuerten. Die nächste Etappe jedoch würde die ganze Nacht hindurch bis in den nächsten Vormittag dauern, ehe wir die Benarej-Inseln erreichten. Hier sollte eine Schwadron von Ruderern zu uns stoßen, um den Konvoi auf dem letzen Abschnitt zur Südküste zu begleiten.
Nun, der Tag schleppte sich dahin. Die Ruderer mühten sich redlich. Die Sonnen schimmerten messingfarben, grünlich-rubin-rot, und stachen selbst durch die Sonnensegel, die wir überall gespannt hatten. Wir schwitzten sehr. Der Gedanke an die Sklaven unter Deck und die Hitze, die sie dort erdulden mußten, stimmte mich gereizt.
Als Krozair von Zy hätte ich sicher eine Entschuldigung gefunden, nach unten zu gehen, die Peitschen-Deldars zu töten und die Sklaven zu befreien, um das Schiff für Zair zurückzuerobern. Aber das allein hätte nicht genügt, um mich in meinen alten Stand als Krozair einzusetzen. So etwas war für einen Krozair eine ganz einfache, logische Tat. Aber ich war kein Krozair mehr. Also schwitzte ich und ließ meinen Zorn an Duhrra aus und stellte mich in den Bug, um die Linie des Horizonts zu beobachten.
Allmählich veränderte der Himmel seine Farben. Ich schaute genau hin. Es mochte sich um einen ganz gewöhnlichen Rashoon handeln, aber auch um die viel gefährlichere Manifestation der Herren der Sterne, die wieder einmal in mein Geschick eingreifen wollten.
»Natürlich muß es jetzt passieren, wo wir keine Leeküste zum Schutz haben.«
Ich wandte mich um.
Der Schiffs-Hikdar Nath ti Hagon hatte sich neben mich gestellt. Er starrte widerwillig auf den heraufziehenden Sturm. Er mochte mich nicht, und wer konnte ihm das nach der Szene in der Achterkabine verdenken, als ich zum erstenmal an Bord der Volgodonts Klauen gebracht wurde? Aber der Zorn auf die Elemente lockerte ihm die Zunge.
»Das wird ein hübsches Unwetter«, sagte ich in dem Bewußtsein, daß dies die ruhigste und beste Antwort war, die ich in diesem Augenblick geben konnte. Ich wandte mich ab, um nach achtern zu gehen. Doch er hielt mich mit leiser Stimme auf.
»Du weißt, daß ich dich nicht mag, Gadak. Aber hör mir zu. Wenn du unseren Herrn irgendwie hintergehst, bringe ich dich um!«
Schock? Freude? Ärger? Meine Gefühle überstürzten sich.
»Du brauchst mir nicht zu sagen, was meine Pflicht ist, Nath ti Hagon«, sagte ich. »Aber damit du ruhig schlafen kannst, will ich dir sagen, daß es meine Aufgabe ist, meinen Herrn zu schützen. Sieh du nur zu, daß du ihn nicht deinerseits enttäuschst.« Damit wandte ich mich zum Gehen.
Er sagte nichts weiter, und ich vermutete, daß er mir mit zornigen Augen nachblickte und mich am liebsten in Stücke gerissen hätte. Ich eilte nach unten, um dafür zu sorgen, daß in unserer Kabine alles gut festgezurrt war.
Der Ruderer wurde auf den Sturm vorbereitet. Gafard, ein erfahrener Kapitän, wußte mit den Schiffen des Binnenmeeres umzugehen. Sein Erster Leutnant, Nath ti Hagon, hatte sein Können ebenfalls schon unter Beweis gestellt. Ich hatte eigentlich keine Angst, daß wir in dem Unwetter Schaden nehmen könnten.
Und nun trat eine andere Facette von Gafards Wesen zutage. Ein Mann in seiner Position, ein Günstling des Königs, hätte normalerweise den Admiral gespielt und das Flaggschiff von einem regulären Kapitän führen lassen. Doch für Gafard, den Kämpfer des Königs, kam so etwas nicht in Frage. Er befehligte sein Schiff wie ein Kapitän und hatte Freude daran. Der sterile und dem Schlachtfeld entrückte Ruhm der Admiralität war nichts für ihn.
Der Rashoon fiel über uns her, die Sonnen verschwanden in der Dämmerung, der dunkle Mantel Notor Zans hüllte uns ein. Der Wind heulte, die Wellen setzten Gischtkronen auf und türmten sich empor. Eine Galeere ist für solches Wetter nicht gerade ideal. Zahlreiche Arbeitsgruppen schöpften eilig Wasser, und Duhrra und ich halfen fluchend mit. Das Segel wurde in Fetzen gerissen. Es war mir eine unbändige Freude, gegen diese Naturelemente zu kämpfen, in denen zum Ausdruck kam, daß die Everoinye hier ihre Hände nicht im Spiel hatten.
Als der Rashoon endlich nachgelassen hatte, sahen wir, was aus unserem Konvoi geworden war. Duhrra mußte sich auf die Zunge beißen, um nicht einen Freudenschrei auszustoßen.
»Mach deine Weinschnute zu, Duhrra! Und wisch dir das blöde Grinsen vom Gesicht!« Ich fuhr ihn absichtlich grob an, was, wie er wohl wußte, nur zu seinem Wohl war.
Etwa fünfzig Breitschiffe waren ringsum zu sehen. Sie waren ziemlich weit auseinandergetrieben worden, doch schon wurden Segel gesetzt, schon begann sich wieder eine Art Formation abzuzeichnen. Ich suchte den Horizont ab, jenseits der Segel des Konvois, vermochte aber keinen einzigen anderen Ruderer auszumachen. Nun, die Volgodonts Klauen hatte sich hervorragend gehalten. Sie war ständig in den Wind gedreht gewesen und hatte Widerstand geleistet, soweit das einer behäbigen Galeere überhaupt möglich war. Die anderen Ruderer dagegen waren weit abgetrieben worden. Wir machten uns daran, den Konvoi zu ordnen, und nahmen wieder Kurs auf die Benarej-Inseln.
»Achtung! Segel!« rief der Ausguck auf dem hohen Bug neben den Scharnieren des Enterbaumes. »Ein Roter!«
Die Ruderer auf dem Auge der Welt haben üblicherweise drei Satz Segel an Bord – weiß für normale Fahrten, schwarz für Nachtangriffe und rot oder grün für den Ernstfall – je nach der Küste, an der das Schiff beheimatet ist. Bei dem Ruf, daß ein rotes Schiff gesichtet worden war, begann mein Herz heftiger zu schlagen.
Viele zairische Schiffe setzten auch blaue Segel, weil rot zu leicht gesichtet werden kann. Als das fremde Segel auftauchte, schimmerte es hellrot im gemischten Licht. Sekunden später sah ich den langen schlanken Schiffsrumpf auftauchen, ebenfalls rot gestrichen.
Der Bursche war also ein Kämpfer ...
Auf den Sklavendecks herrschte lautstarkes Treiben. Die Sklaven wurden zusammengedrängt und Ersatzsklaven aus dem Bugraum geholt, damit wir zusätzliche Kräfte zur Verfügung hatten. Die Männer wurden zu ihren Bänken gepeitscht und angekettet. Jedes Ruder würde in Aktion sein, jeder Ruderbaum voll bemannt. Das grüne Segel kam dröhnend herab und wurde zu einer langen Rolle zusammengedreht und verstaut. Soldaten strömten aus ihren Quartieren auf das Oberdeck. Die Varters wurden entriegelt, Männer bedienten die Winden.
Gafard, der Meeres-Zhantil, erschien auf seinem Achterdeck. Er trug eine prachtvolle weißgrüne Uniform, und sein Helm war von einem riesigen weißen Federbusch gekrönt. Ich hielt mich in der Nähe auf. Auch mein Helm trug grüne Federn.
Der Trommel-Deldar gehorchte dem Befehl des Rudermeisters und erhöhte das Tempo. Der Doppelton legte den Rhythmus vor. Die Pfeifen schwiegen. Das am Rumpf entlangströmende Wasser zischte lauter. Das Ächzen des Holzes und das Gluckern des Wassers, das atemlose Ächzen der Sklaven beim Durchziehen oder Stoßen, das Knirschen der Ruder – eine Geräuschkulisse, die mir nur zu vertraut war. Ebenso bekannt war mir das kurze, heftige Knallen der Peitschen, gefolgt von einem abgehackten Schrei, eine Tonfolge, die sich im Bauch des Schiffes ewig wiederholte. Die Peitschen-Deldars der magdagschen Ruderer kennen sich mit der alten Schlange aus.
Außerdem erklang ein Wort, das ich haßte, ein Wort, das boshaft und sadistisch hinausgeschrien wurde: »Grak! Grak, ihr Cramphs! Grak!«
Grak bedeutet: An die Arbeit! Mach zu, bis du nicht mehr kannst, oder stirb! O ja, ich habe dieses üble Wort zu oft auf Kregen gehört.
»Wenda!« brüllte der Schiffsdeldar und hämmerte mit der Faust auf die Reling des Quarterdecks. »Wenda!«{*}
Gafard stand mit erhobenem Kopf und bot in seiner prachtvollen Rüstung ein großartiges Bild. Er blickte steuerbord voraus. Das eckige rote Segel lag noch immer vor dem Wind. Doch während wir noch hinschauten, schrumpfte es ein, wurde kleiner, verzerrte sich und verschwand; vermutlich wurde es ebenso verstaut wie unser grünes Segel.
Gafard sagte leise zu seinem Schiffs-Hikdar Nath ti Hagon. »Raus damit, Nath!«
»Wie du befiehlst, so gehorche ich, Gernu!«
Nath bellte seine Befehle, und die Seeleute liefen los. Ich verfolgte die Szene fasziniert; es war lange her ...
An Stangen, die das Mittelschiff säumten, entfalteten sich die grünen Flaggen der Grodnim. Zwei parallele Reihen, so umschlossen die Flaggen das Schiff mit einer Wandung grüner Macht. Bei einem etwa hundertunddreißig Fuß langen Mittelschiff und bei drei Fuß voneinander entfernten Stangen bot sich Platz für etwa achtundzwanzig Flaggen. Diese flirrende grüne und goldene und weiße Masse bewegte sich in der ersterbenden Brise, ein großartiger Anblick, kühn, herausfordernd und – verdammt grün.
Ich erkannte, daß sich die Standarte der Frau der Sterne rechts vorn auf der Backbordseite befand. Gafards Standarte bildete dazu an Steuerbord das Gegenstück. Ich blickte zu unserem Kommandanten hinüber und begegnete seinem Blick, der das Achterdeck absuchte. Ich nickte, rückte mein Schwert zurecht und setzte mich in Bewegung.
Ich war es von der Erde her gewohnt, an Bord von Achterdeck aus zu kämpfen. In Ruderern und Schwertschiffen war es aber ratsam, dem Feind schon auf dem Bug entgegenzutreten. In dieser Position hätte ich gern Nath und Zolta bei mir gehabt. Doch was hätten sie in diesem Augenblick zu mir gesagt, da ich der Möglichkeit entgegenging, Anhänger Zairs im Zweikampf töten zu müssen – ich wagte es mir nicht vorzustellen.
Mit Duhrra hatte ich einige ernste Worte gewechselt. Sobald er die Gelegenheit hatte, zu den Zairern überzulaufen, wollte er es ungeachtet des Risikos tun. Andernfalls wollte er in seiner Kabine bleiben in der Hoffnung, nicht entdeckt zu werden, und wenn das nicht klappte, gedachte er sich krank zu stellen. Jedenfalls würde er auf keinen Fall die Waffe gegen einen Zairer erheben. Er hoffte, sich unter seine roten Kameraden mischen zu können. Was ich tun wollte, wußte ich nicht, während ich durch die grüne Flaggenpracht des Schiffes schritt.
Ich dachte an die Frau der Sterne. Sie hatte mir ihre Standarte anvertraut und mir einen kleinen Valkavol als Symbol überreicht. Wenn ein mutiger Zairer mir die Standarte zu nehmen versuchte, um sie im Triumph nach Sanurkazz oder in eine andere zairische Stadt zu tragen, was würde ich dann tun? Brachte ich es fertig, ihn niederzuhauen? Konnte ich die Fahne loslassen? Um der Frau willen, die mir vertraute, mußte ich wohl einen Zairer in Stücke hauen. Ich dachte an Delia und wußte, daß meine Entscheidung davon nicht beeinflußt werden konnte.
Unsere Ruder bewegten sich wie ein einziges Ruderblatt. Das andere Schiff näherte sich wie auf Schienen, die Ruder perfekt ausgerichtet, sich hebend und senkend wie die Riesenflügel eines unförmigen Raubvogels.
Der bronzene Rammsporn schnitt blauweiß durch das wirbelnde Wasser, krümmte sich an der Flanke des Schiffes zu einer weißen Linie empor und verschmolz mit der Bordwand. Der grausame Dorn würde sich in das Innere unseres Schiffes bohren. Darüber schwang sich das mittlere Dollbord empor, um am Zwischenbug zusammenzutreffen, der das gerammte Schiff wieder abgleiten ließ und auf diese Weise verhinderte, daß es den siegreichen Gegner mit ins nasse Grab zog. Der Enterbaum war hochgezogen, und die Männer in der vertrauten roten Kleidung machten Anstalten, uns das Ding mit gewaltigem Knall auf das Deck zu werfen und es als Gangway zu benutzen. Die beiden vorderen Varterplattformen waren bereits lebhaft in Aktion, ebenso wie unsere.
Die ersten Bolzen wurden abgeschossen, massive lange Holzpfeile mit Eisenspitzen. Die Entfernung zwischen den beiden Schiffen verringerte sich ständig, und bald würde man zu Eisengeschossen übergehen. Später kamen die Felsbrocken an die Reihe, die sich gnadenlos durch Holz und Fleisch ihren Weg bahnten. Ein Pfeil spießte einen Varteristen in meiner Nähe auf. Blut spritzte ihm aus dem Rücken, kreischend fiel er über Bord. Ein anderer Grüngekleideter nahm seinen Platz an der Winde ein. Die Varter knallte, und ein gefährlicher Pfeil schoß in die andere Richtung. Die Luft füllte sich mit Geschossen, da immer mehr Varters und Bögen in den Kampf eingriffen.
Die beiden Ruderer fuhren aufeinander zu; die Peitschen-Deldars gaben sich größte Mühe, der Trommel-Deldar wütete, der Rudermeister bellte die Zeit, und die beiden Kapitäne verfolgten die Entwicklung und versuchten so früh wie möglich zu erkennen, was der Gegner vorhatte. Einer der beiden mußte ausweichen. Die Möglichkeiten verringerten sich schnell, die Entscheidung mußte fallen. Und schließlich vermochte ich die Darstellungen auf den roten Flaggen zu erkennen. Ich stand bereit, mich mit einem Ruderer der Krozairs von Zy anzulegen!
Apushniad, der ich war, würde ich es fertigbringen, gegen meine Roten Brüder in Zair zu kämpfen und sie zu töten?