16
Schwarze Magvögel kreisten am Himmel. Auf der Backbordseite glitt der kleinere Leuchtturm vorbei, der am Ende der Mole stand. Die Mauer schwang sich zur Seite fort und gab den Blick frei auf den weiten Außenhafen. Zwei Ruderer liefen gerade aus, die Segel gesetzt; auf den Decks herrschte das hektische Treiben, das in den ersten Burs jeder Fahrt üblich ist. Die Volgodonts Klauen wurde von langsamen, gleichmäßigen Ruderschlägen vorangetrieben.
Das Steintor, das in den Cothon, das innere Hafenbecken, führte, lag nun direkt vor unserer Ramme. Nath ti Hagon gab knappe Befehle an den Rudermeister in seiner Kabine und an die zwei Steuer-Deldars, die geschickt mit ihren Steuerrudern hantierten.
Zu der Gruppe, die bei mir auf dem Achterdeck stand, gehörte Gafard, der sich jedoch diesmal damit zufriedengab, seinem Ersten das Kommando zu überlassen. Das Wasser im Hafen war praktisch unbewegt. Die Zufahrt zum Cothon war erweitert worden, um Platz zu bieten für die ausgebreiteten Ruder eines Schiffes. Viele andere Hafenbecken haben nur schmale Zufahrten, so daß Galeeren von anderen Booten hindurchgeschleppt oder vom Kai aus getreidelt werden müssen.
Als wir die Enge hinter uns hatten, schrillten Pfeifen, der Trommel-Deldar ließ seinen Abschlußrhythmus erklingen, und alle Ruder hoben sich und verharrten ausgestreckt. Die Ruderer von der Bauart der Volgodonts Klauen liegen einigermaßen gerade im Wasser, im Gegensatz zu kleineren Schiffen, die so sehr schaukeln, daß man vorsichtig auftreten muß und die Ruder im Wasser bleiben, damit das Schiff nicht kentert.
Der Cothon war von langen, schrägen Schiffshangars gesäumt, schmalen Bauwerken, mit zwei Schiffsliegeplätzen unter einem Dach, dem Wasser zugeneigt. Kräne und Flaschenzüge sorgten dafür, daß die Ruderer aus dem Wasser gezogen werden und Sklaventrupps sich an die Arbeit machen konnten. Die offenen Fronten der Schuppen mit den verzierten Säulen und magdagschen Stützbögen ließen sich bei schlechtem Wetter mit Holztüren verschließen, und ihre dichten Reihen wirkten wie warme anheimelnde Nester. Kaum breiter als ein Ruderer, waren sie hundertundachtzig Fuß lang oder länger. Dies war nicht der Hafen des Königs. Die Schuppen dort waren natürlich größer. Das eindrucksvolle massive Gebäude dahinter, das beinahe wie ein Tempel aussah, war das Arsenal der Jikgernus – der Kriegerlords –, hier wurden die vielfältigen Versorgungsgüter gelagert, welche die Ruderer brauchten. Der Geruch dieses Hauses war unverkennbar.
Ein Stück zur Seite erhob sich über den Schiffsschuppen ein echter Tempel, der majestätisch im Sonnenlicht schimmerte. Von grünen Kacheln geschmückt, bot der Tempel des Meeresgottes Shorush-Tish einen herrlichen Anblick. Der First der vielfältig gestalteten Dächer wurde von Marmordarstellungen zahlreicher Ruderer gekrönt, die fast ein Drittel der vollen Größe erreichten. Diese Schiffe überragten Seeleute und Sklaven, die sich unten in den engen Gassen drängten.
Es ist bemerkenswert – wenigstens erschien es mir damals so –, daß der blauhaarige Meeresgott Shorush-Tish von den Grodnim und den Zairern gleichermaßen verehrt wurde. In allen anderen Glaubensdingen nahmen die Grünen und die Roten eine entgegengesetzte Position ein, obwohl sie einst aus derselben Glaubensrichtung hervorgegangen waren. Die Tempel zu Ehren Shorush-Tishs waren in allen Häfen im Norden und Süden zu finden. Sogar die Proconier errichteten Altäre für den Gott, der auch bei vielen Diffrassen im Nordosten des Auges der Welt verehrt wurde – und besonders an dem kleineren Meer, das als Onyxmeer bekannt ist, weil es dort viele Chalzedon-Bergwerke gibt.
Ein Kapitän, der vor einer Fahrt Shorush-Tish kein Opfer darbrachte, handelte sehr töricht.
Obwohl ich in Glaubensdingen eigene Wege ging, hatte ich mich diesem Brauch angepaßt. Schon viele Ringe und Schalen hatte ich den blaugekleideten Priestern Shorush-Tishs in seinem großen Tempel in Sanurkazz übergeben.
Die üblichen Landeformalitäten wurden erledigt. Die Sklaven wurden zu ihren Unterkünften gebracht. Sie würden bald einen anderen Schiffsplatz erhalten, denn Magdag war gezwungen, sich mit allen Kräften dem Krieg zu widmen.
Dennoch standen die Vorzeichen gut für König Genod und die Oberherren Magdags, für die ganze Grodnim-Allianz. Ich hatte mich inzwischen einigermaßen von der Serie der Katastrophe an der Südküste erholt. Nun waren wir nach Magdag zurückgekehrt. Für alle anderen bedeutete es die Heimkehr. Für mich die Chance, meine Pläne voranzutreiben, Pläne, die um den König, um Gafard und einen Voller kreisten.
König Genod hatte seine Schlacht von Pynzalu wirklich gewonnen. Es waren nur wenige Gefangene gemacht worden; darüber freute ich mich zwar, doch wußte ich, daß die Wahrheit im Sande verscharrt liegt oder auf der Flucht war nach Pynzalu und ins Hinterland. Diesen Kampf, das kann ich Ihnen versichern, habe ich gern versäumt.
Gafard sprach nicht von den Dingen, die sich zwischen ihm und Genod abspielten. Schließlich war ich, was ihn betraf, lediglich ein Renegat, den er zum Freund erhoben hatte, dem er Arbeit gab und der zufällig mit seiner Geliebten auf eine Art in Berührung gekommen war, welche er bisher mit dem Tod bestraft hatte. So hatte ich gewissermaßen eine privilegierte Position, soviel war klar, aber das ging nicht über Angelegenheiten seines Haushalts hinaus.
Er hatte der Gruppe, die die Frau der Sterne gerettet hatte überreichlich und mit Gold gedankt. Wir wußten durchaus, was wir getan hatten; doch die Männer unter Grogors Kommando waren ausgesuchte Kämpfer, die Gafard persönlich ergeben waren. Niemand konnte dem Kämpfer des Königs vorwerfen, daß er schwarzgekleidete Mörder und Entführer getötet hatte.
Trotzdem gab Genod das Kommando über die Armee bei erster Gelegenheit an Genal Furneld, den Rog von Giddur, und rief Gafard nach Magdag zurück. Dieser Vorgang wurde der Armee gegenüber damit erklärt, daß Prinz Glycas in Kürze sowieso die Gesamtarmee übernehmen würde, während der Kämpfer des Königs für andere Aufgaben gebraucht wurde.
Genal Furneld war ein Oberherr Magdags von der unangenehmen Sorte, und ich ging ihm aus dem Weg. Er war kampfesdurstig an der Südküste eingetroffen. Die Armee hatte einen Mann wie ihn verdient. Gafard hatte sich nichts anmerken lassen und leichthin gesagt, Genal Furneld könne seinetwegen vor Pynzalu hockenbleiben und anfrieren. Niemand glaubte, daß der Neue die Stadt mit dem Schwung des Meeres-Zhantils erobern würde. Das hatte mich doch etwas aufgemuntert.
Die Frau der Sterne kehrte in ihre Gemächer im Turm der Wahren Zufriedenheit zurück, und Gafard unterstellte mich dem Kommando Grogors in seinem Wachbataillon.
Von Grogor erwartete ich nichts Gutes, doch der Mann überraschte mich. Er saß in dem kleinen Wachraum in der Maue neben dem Eingang zum Turm, ein karges, zweckmäßig eingerichtetes Zimmer. »Gadak, der einmal ein Zairer war, möge mir zuhören, und zwar gut.«
Ich hatte meine Pläne, sonst hätte ich ihn vielleicht niedergeschlagen. Doch seine nächsten Worte brachten mich ganz davon ab.
»Du hast mir einmal gesagt, Gadak, daß es dir nicht darum ginge, meinen Platz einzunehmen. Damals glaubte ich dir nicht aber das war falsch.« Er griff nach einem Lederbeutel und trank glucksend. »Gesegnete Mutter –« Fluchend hielt er inne.
»Ja, es ist manchmal schwer«, sagte ich.
»Aye.«
»Ich diene unserer Dame. Das weißt du.«
Grogors schweißfeuchtes Gesicht erhellte sich. »Bei Grodno! War das nicht ein toller Kampf? Wir haben sie wie Leems in Stücke gerissen!«
»Dafür ist uns aber die Schlacht entgangen.«
Er blickte zu mir auf, denn ich hatte mich nicht gesetzt. »Aye. Na und?«
»Nichts. Nur scheinst du mir ein Mann zu sein, der einen guten Kampf liebt.«
»Allerdings.« Mit einem Kopfnicken deutete er auf die Tür, die in den Turm führte. »Und sollte jemand anderer als unser Herr oder Leute mit seinem Symbol durch die Tür da treten wollen, entbrennt ein Kampf auf Leben und Tod.«
»Das verstehe ich.«
»Gut. Es tut wirklich gut, daß wir uns verstehen.«
Ebenerdig gab es keinen Zugang in den Turm. Der einzige Weg führte durch den Wachraum in der Mauer. Und diesen Raum und die Umgebung des Turms bewachten wir.
Neben dem Wachraum befand sich eine zweite Kammer, in dem die abgelösten Wächter schlafen und ihre Ausrüstung säubern konnten. Hier roch es nach Spucke und Politur, nach Schweiß und zu fett gekochten Speisen. Eines Tages, so hatte mir Gafard angekündigt, würde er eine neue Wachkammer bauen lassen.
Ich ließ mich formell bei Gafard melden. Er empfing mich in der Waffenkammer, wo er eine neue Lieferung Genodder inspizierte.
»Du wolltest mich sprechen?«
»Aye, Gernu. Ich bewache den Turm und bin froh darüber, fühle mich geehrt ...«
»Zur Sache!«
»Wir bewachen die Tür. Aber das Dach ... wir alle haben ein gewisses Flugboot gesehen ...«
Er ließ ein Kurzschwert auf den Tisch fallen.
»Bei Grodno! Kein ehrlicher Mann würde an so etwas denken – was nur beweist, daß du kein ehrlicher Mann bist und mir daher viel nützen kannst. Bei Goyt! Sollten es Onker wagen, sich wie Volgodonts auf mein Dach zu setzen, werden sie etwas erleben! Wir spießen die Rasts auf!«
Dies besagte natürlich nur, daß er nicht wie ich in einer Kultur gelebt hatte, in der Flugboote und Flugtiere alltäglich sind. Aus seiner Erfahrung heraus hätte er an eine solche Vorsichtsmaßnahme nicht gedacht. Jetzt jedoch ließ er das Dach sichern, wie man es in den Unwirtlichen Gebieten nicht besser hätte tun können.
Kregen ist bei all ihrer Schönheit eine harte, grausame Welt, und jeder einzelne muß hier für die Seinen sorgen, auch eine Frau. Ich hatte mich in letzter Zeit wenig darum gekümmert, glaubte mich aber auf meine Delia verlassen zu können. Sie hätte mir sicher beigepflichtet, daß ich richtig handelte, wenn ich die unbekannte Zairerin, die Frau der Sterne, zu schützen suchte.
Woher ich diese Gewißheit nahm, wußte ich eigentlich nicht. Ich habe nach bestem Vermögen zu erklären versucht, wie dieses Mädchen auf mich wirkte, und obwohl ich Gafard eine Kopfnuß zu geben gedachte, sobald ich ihn und den König zusammen mit einem Voller erwischen konnte, würde ich bei dem Schlag wohl an sie denken.
Eines Abends trat ich meinen Dienst früher als sonst an; ich war unruhig und wollte von einigen Diffs loskommen, die schmutziges Jikaida spielten, was mir nicht gefiel. Ich wanderte an der Mauer entlang, dachte an Delia und hing allen möglichen Träumen nach. Die Tür zum Wachraum stand offen, ich trat ein und stolperte beinahe über den jungen Genal den Sommersprossigen. Er hatte eine klaffende Halswunde und lebte nicht mehr.
Im nächsten Augenblick hielt ich das Langschwert in der Rechten und eine Fackel in der anderen. Die Tür zum Schlafraum der Wächter war geschlossen und durch Balken von außen versperrt.
Drei schwarzgekleidete Männer fuhren bei meinem Eintreten herum und stürzten sich auf mich.
»Wächter! Wächter!« brüllte ich, ehe der Kampf richtig begann. »Zum Turm! Verrat!«
Dann stachen die Klingen zu und liefen klirrend aneinander entlang. Die drei waren erfahrene Kämpfer und wußten mit ihren Genoddern umzugehen. Sie hätten mich auch erwischt, wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, mein Kurzschwert zu ziehen und es nach Art einer Main-Gauche zu schleudern. Mit einem Langschwert in der anderen Hand war das keine Kleinigkeit, doch schon bekam der zweite Mann die lange Klinge in den Hals, und der dritte schrie auf und versuchte zu fliehen, doch ich hieb ihn von hinten nieder. Der erste Gegner wälzte sich noch am Boden von dem Kurzschwert getroffen, das ich geworfen hatte. Er sackte zusammen, als Grogor aus dem Hof hereinstürzte.
»Nach oben, Grogor!« brüllte ich.
Wir nahmen die Balken von der Tür, und die Männer, nervös gemacht durch den Kampflärm und von der verschlossenen Tür, stürmten heraus. In einer einzigen Woge des Zorns rannten wir die Treppe hinauf. Der Kampf dauerte nicht lange. Die Entführer hatten drei Mann im Wachraum zurückgelassen; drei andere waren oben. Wir ließen keine Gnade walten. Wir wollten sie nicht verhören. Wir wußten nur zu gut, wer sie geschickt hatte.
Bei dieser Gelegenheit sah ich die Frau nicht, denn sie hatte ihren Dolch genommen und ihre Privatgemächer unter dem Dach aufgesucht. Wir erwischten die Entführer, die aber zuvor noch ein hübsches Numim-Mädchen töten konnten. Ich fluchte. Wir kehrten nach unten zurück, sobald uns eine Apim-Zofe der Frau der Sterne versichert hatte, daß alles in Ordnung sei, und schafften die sechs Leichen fort.
Mit zuckendem Gesicht eilte Gafard gleich darauf die Treppe hinauf. Als er zurückkehrte, war er bleich vor Zorn. Ich fragte mich, was er tun würde. Eigentlich konnte er nichts unternehmen, außer dem König mit einer wohlformulierten Meldung das Mädchen zu übersenden.
»Der König stürzt sich in Unkosten«, sagte er.
Mehr nicht.
Ich glaube, in diesem Augenblick bewunderte ich ihn mehr als je zuvor. Nach diesem Zwischenfall paßten wir natürlich noch besser auf.
Drei Tage später wurde ich von Gafard mit einem Auftrag in die Stadt geschickt; so etwas gehörte zu meinen Pflichten als Adjutant. Er hatte ein Perlenhalsband bestellt, ein Perlencollier für sein Mädchen, und ich sollte das Gold für die Fassungen und Klammern abgeben.
Die Märkte Magdags sind ein seltsamer Ort, voller Treiben, wie man es von solchen Gassen kennt, doch ohne die bunte, fröhliche Art der sanurkazzischen Handelsplätze. Düster waren diese Magdager, die ihre Arbeit von Sklaven verrichten ließen, die Befehle gaben und die Peitsche schwangen, »Grak!« brüllten und alle Gewinne einsteckten. Sie verstehen sich vorzüglich auf das Bearbeiten von Leder, das allerdings gegenüber der sanurkazzischen Lederqualität abfällt. Ich fand die Arkade der Juweliere und den richtigen Laden, der vergitterte Fenster und eine schmale Tür hatte. Als das Geschäftliche erledigt war, trat ich ins Freie; dabei neigte ich den Kopf, um nicht an der niedrigen magdagschen Tür anzustoßen. Im nächsten Augenblick erschien eine Dolchspitze vor meinem Hals, eine Hand umfaßte meinen Arm, und eine Stimme sagte: »Wir wollen dir nichts tun, Dom. Folge uns ohne Aufsehen.«
Normalerweise hätte ich mich darauf nicht eingelassen. Und ich versuchte es auch: ich trat in die Richtung, aus der die Stimme erklungen war, wich dem Messer aus und zerrte einen kreischenden und sich erbrechenden Burschen über das Pflaster nach draußen – doch dann entdeckte ich einen Mann, der mit einer gespannten Armbrust auf meinen Unterleib zielte.
»Wir haben gesagt, wir würden dir nichts tun, Gadak. Wir haben ein Anliegen an dich, das du lieber nicht mißachten solltest. Du begleitest uns jetzt.«
Ein dritter Mann, der wie die anderen eine grünweiße Robe und einen hohen weißen Turban trug, näherte sich und zischte mir ins Ohr: »Du bist ein Onker! Es geht um einen Auftrag des Königs!«
Im gleichen Augenblick sah ich die nächsten Burs klar vor mir – und es war keine sehr schöne Aussicht.
Wenn man mich erkannt hatte – aber das Risiko war eigentlich sehr gering. Auf unserem Marsch durch die belebten Straßen hätte ich mich mehrfach verdrücken können, doch ich tat es nicht. Ich war davon überzeugt, daß der narbengesichtige Golitas mich nur wegen der grellen Beleuchtung erkannt hatte. Ein Blick aus dem Augenwinkel und ein greller Blitz zeigen oft mehr als der längste Blick. Unterwegs befeuchtete ich also meinen Schnurrbart und zog die Spitzen noch mehr herab. Nein – ich nahm nicht an daß der König mich sprechen wollte, weil man in mir den Erzfeind Magdags erkannt hatte, den berüchtigten Krozair Pur Dray.
Das Haus, in das ich geführt wurde, befand sich nicht in der Nähe des Palasts; die hohe Majestät machte sich mit solchen Dingen nicht die Hände schmutzig. Der Mann, der mir seine Wünsche offenbarte, hatte einen rundlichen Bauch, Augen mit dicken Tränensäcken und einen traurigen Bart. Er stellte sich als Nodgen der Getreue vor, und man brauchte wirklich kein Genie zu sein, um zu erkennen, was die Cramphs von mir wollten.
Ich sollte dafür sorgen, daß die Wachraumtüren offenstanden, ich sollte den Entführern den Weg freimachen – doch diesmal sollte alles besser klappen. Natürlich wußte Nodgen der Getreue nicht, was aus seiner ersten Entführergruppe geworden war. Ich sagte ihm nur, daß die Männer alle umgekommen waren.
»Dann geht es diesmal um deinen Hals, Gadak. Wir kennen dich, Überläufer. Du würdest deine Seele für einen Ob verkaufen!«
Das konnte sein – doch nicht auf der Erde und auch nicht auf Kregen.
»Und der junge Genal der Sommersprossige? Werdet ihr mit mir umspringen wie mit ihm, nachdem er euch die Tür aufgemacht hatte?«
»Er war ein Onker. Er hätte geredet.«
»Und ich tue das nicht?«
Er war ärgerlich. Am besten verfolgte ich dieses Thema nicht weiter, sonst mochte er mich vorzeitig aus meiner Verpflichtung entlassen – mit einer kostenlosen Passage zu den Eisgletschern Sicces. So erklärte ich mich einverstanden. Immerhin saßen diese Männer am längeren Hebel.
»Wenn du uns verrätst, endest du auf den Ruderbänken und schuftest dir die Seele aus dem Leib ... Es würde dir nicht gefallen, das kann ich dir versichern.«
»Woher willst du das wissen?« setzte ich an. Doch ich verzichtete auf den Zusatz: Elender Dickwanst!
Wir schlossen unseren Handel ab. Fünfzig Goldruder. Ein stolzer Preis. Ich preßte den Männern eine Anzahlung von zehn Goldrudern ab. Zweifellos gingen sie davon aus, daß sie meiner Leiche die Summe wieder abnehmen konnten, nachdem ich ihnen die Tür geöffnet hatte. Die genaue Zeit wurde festgelegt, in drei Tagen sollte es passieren, dann wurde ich im Marktviertel wieder ausgesetzt. Ich kehrte in Gafards Jadepalast zurück. Dabei blickte ich zum Turm der Wahren Zufriedenheit empor. Ich lächelte nicht, doch ich dachte an die Frau.
Jeder normale Mann hätte alles für den König getan, schon um den Galeeren zu entgehen.
Was bedeutete schon ein Mädchen angesichts der Freiheit, meine Pläne am Auge der Welt weiterzuverfolgen, meinen Wunsch, zu Delia zurückzukehren. Und mußte sich nicht jedes Mädchen über die Reichtümer freuen, die ihr ein König als Gegenleistung für ihre Gunst zu bieten hatte?
Doch ich dachte an die Zuneigung, die zwischen Gafard und der Frau der Sterne bestand, an ihre tiefe Liebe. Ob Gafard die Liebe einer so großartigen Frau verdient hatte, war mir egal. Sie wollte ihn. Er mochte sie ebenfalls begehren, aber das zählte nicht. Hier waren allein ihre Wünsche ausschlaggebend.
Der König mußte der Onker aller Onker sein, wenn er sich einbildete, einen so freien, wilden Geist wie den ihren zähmen zu können!