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Wenn die Herren der Sterne die Hand nicht im Spiel hatten, so steckten die Savanti hinter dieser Entwicklung. Eine solche Tat lag im Bereich ihrer Möglichkeiten, besaßen sie doch Kräfte, an die ich bisher keinen großen Gedanken verschwendet hatte, was vielleicht ein Fehler gewesen war. Wenn die Herren der Sterne, deren Kräfte ich sonst kaum kannte, mich wie ein Yoyo von der Erde und zurück befördern und Gewitter über ein Schiff bringen konnten, mußte es den Savanti doch möglich sein, eine Horde von Meerespiraten zu einem bestimmten Schiff zu dirigieren. Dazu bedurfte es keines großen Könnens. Oder war es doch nur ein dummer Zufall?

Die vier offenen Ruderboote der Räuber kamen näher; sie waren viel kleiner als reguläre Kampfruderer, die Ruderbäume bewegten sich in geschlossenen Dollen aus Tau und Stiften, und Rammsporne oder Bugkanten waren nicht sichtbar.

»Du siehst wie ein Kämpfer aus«, sagte Kapitän Andapon zu mir. »Aber dein Freund ...«

»Ich kämpfe einarmig«, sagte Duhrra der Tage.

Der Schiffsführer nickte kurz und machte sich daran, seine Mannschaft auf den Kampf vorzubereiten. Die verdammten Menahemer sind das Kämpfen gewöhnt. Wenn ich diesen Satz so überdenke, muß ich hinzufügen, daß die meisten kregischen Nationen im Kriegführen geübt sind, aber natürlich nimmt nicht jeder einzelne an solchen Kämpfen teil. Vielleicht sollte man sagen, daß der Anteil der Krieger in der kregischen Bevölkerung größer ist als auf der Erde der Neuzeit.

Ein blutiger Kampf stand uns bevor. Hätte sich Kapitän Andapon kampflos ergeben, hätten uns die Piraten vermutlich bis zum letzten Mann abgeschlachtet. Andererseits beurteilte ich unsere Siegchancen sehr schlecht, denn die Angreifer waren uns zahlenmäßig weit überlegen.

Die Männer unterhielten sich, und ich hörte, wie sie den Großen Armipand anflehten, er möge die Piratenrasts mit Krankheiten schlagen oder anderweitig vernichten. Seltsam, daß man dermaßen mit Menschen fühlen kann, die eigentlich Todfeinde sind. Ich mochte die Menahemer nicht, doch in diesen Minuten vor dem Kampf vermittelten sie mir ein seltsames Hochgefühl. Wenn wir getötet wurden, würden wir alle gemeinsam zu den Eisgletschern Sicces eingehen, als Klingenkameraden.

Die vier Boote kamen näher und trennten sich außerhalb der Varter-Schußweite, um uns von zwei Seiten anzugreifen. Die Vartermannschaften fetteten ihre Waffen ein, spannten sie, richteten sie aus, wählten die kantigsten Felsbrocken, die geradesten Pfeile aus. Die Varter ist eine Art Schleuder; mit großer Durchschlagskraft verschießt sie Eisenbolzen oder Felssteine in flacher Wurfbahn. Über Katapulte verfügte die Chavonth von Mem nicht. Allerdings ragte sie höher aus dem Wasser, so daß ihre Varters früher schießen konnten als die der angreifenden Boote. Mit einem schrillen Klirren wurde die erste Varter betätigt. Der Felsbrocken fiel neben dem vordersten Boot ins Meer, eine weiße Fontäne stieg hoch. Die anderen drei Varter folgten, und die Steine flogen davon. Gleich darauf begannen die Varters aus den Booten zu schießen. Ein Felsbrocken stürzte auf unser Deck und zerschmetterte zwei Männer und einen Schiffsjungen. Das weckte in mir böse Erinnerungen an die Royal Navy auf der guten alten Erde.

Es gab zwar keinen dröhnenden Kanonendonner, kein Grollen der zurückstoßenden Waffen auf dem Holz, keine dichten Pulverdampfwolken. Doch in allem anderen wurden die Erinnerungen wach. O ja, ich hatte lange genug unter Nelson gekämpft!

Eines der vier Boote scherte aus, seine Steuerbordruder waren von einem Felsbrocken zerschmettert worden, die Bordwand war aufgerissen, Männer sprangen ins Wasser und schwammen hektisch auf das nächste Boot zu. Unsere Takelage wurde zerschossen, Flanschen und Rahstücke fielen klappernd herab. Ein Bogenschütze stürzte kreischend vom Hauptmast. Es begann nach Blut zu riechen, das sich hellrot über die Decksplanken ergoß.

»Fertigmachen zum Abwehren der Enterer!« brüllte Andapon. Er eilte zu seiner Poopleiter, kletterte hinauf und drängte sich durch die Heckwache nach Steuerbord. Zu seinem Brustpanzer trug er einen riesigen Helm mit einem Buschen blauer und grüner Federn. Er schwang sein Rapier. Ich folgte ihm, denn das erste Boot hatte uns fast erreicht.

Meine Gedanken waren so sehr mit den Savanti und den Herren der Sterne beschäftigt, daß ich das Offensichtliche übersah. Ich hatte die bevorstehende Zusammenkunft als gewöhnlichen Kampf angesehen, ohne weiter darüber nachzudenken. Als Andapon nun einen zornig-verblüfften Schrei ausstieß und die Männer, die bei ihm waren, ebenfalls zu brüllen begannen, wachte ich auf.

Und schon rannte ich auf dem Poopdeck nach vorn, sprang die Leiter hinab, eilte zum Absatz des Achterdecks und brüllte und schwenkte das verdammte Ghittawrer-Langschwert über meinem Kopf. Ich kam beinahe zu spät. Vorn brüllten zahlreiche Männer durcheinander, und die auf dem Vorderdeck postierten Menahemer taumelten angeschlagen zurück. Da es keine Plankenverbindung gab, lief ich über das Deck und sprang auf die Luken und von dort zur Steuerbordseite hinüber. Noch mehr Männer drängten über das Vorschiff herbei. Wenn ich die Piraten richtig beurteilte, würden sie durch die Vorderpforten in das Vorschiff eindringen.

Männer folgten mir. Wir stürmten vor und stellten uns den Piraten im direkten Kampf. Es waren wilde, langhaarige Gestalten, in alle möglichen Rüstungsteile gekleidet. Gold und Silber glitzerte an ihren Körpern. Breite Schals und Federn umwehten sie. In ihrer Mitte befanden sich auch Frauen. Der Kampf weitete sich aus, als wir, getragen von unserem Tempo, weiter vorstürmten. Hinter uns ertönte Geschrei; Kapitän Andapon hatte offenbar erkannt, daß er sich durch das langsam angreifende Boot am Heck beinahe hätte täuschen lassen. Wir zerschlugen die Gruppe der Angreifer und trieben sie über den Bug ins Meer zurück.

Ein Mann kroch auf den Fuß des Bugspriets und wich entsetzt zurück. Sechs Pfeile trafen ihn gleichzeitig, und mit jämmerlichem Schrei stürzte er in sein feuchtes Grab.

»Nach unten!« brüllte ich.

Als ich waffenschwingend Anstalten machte, einen Angriff durch die vordere Luke nach unten zu führen, erkannte ich, daß Duhrra nicht mehr bei mir war. Bis jetzt war er mir überallhin gefolgt und hatte mir mit seinem heißen Atem stets dicht im Nacken gesessen. Im Nahkampf waren wir voneinander getrennt worden. Bei Vox! Wenn die elenden Räuber Duhrra der Tage umgebracht hatten, sollte es ihnen leid tun!

Andapon sammelte eine Gruppe seiner Männer um sich. Er erkannte, daß ich bereit war, mich im Unterdeck umzutun. Sein Erster Offizier lebte nicht mehr. In diesem Augenblick raste ein Felsbrocken über das Deck, ohne jemanden zu treffen. Folglich setzte eines der angreifenden Boote den Beschuß fort. Andapon würde sich um die Leute kümmern, die am Heck zu entern versuchten. Ein weiteres Boot war versenkt. Damit blieb ein Schiff übrig.

»Wo ist das verfluchte Boot hin?« brüllte ich. Die Menahemer zuckten zusammen. Einer meldete sich von der Schiffsmitte. Ich glaubte nicht, daß die Piraten von dort entern würden, doch der Mann deutete zur Backbordseite. Im nächsten Augenblick traf ihn ein Pfeil in den Hals und ließ ihn stumm zurücktaumeln.

»Los, Jungs!« brüllte ich wie in alten Zeiten und stürmte unter Deck.

In dem Halbdämmer, durchstochen von Sonnenlicht aus den Ruderpforten und aus einem von Felsbrocken geschlagenen Loch, erschienen die Umrisse von Männern.

»Chavonths!« brüllte ich und griff an.

In diesem Augenblick drang ein Sonnenstrahl durch eine Öffnung, aus der ein Mann herabsprang. Das Licht spiegelte sich auf einem schweißfeuchten kahlen Schädel, von dem eine schwarze Locke herabhing.

»Duhrra!«

»Du kommst gerade richtig. Sie stürmen wie die Leems«, sagte er.

Die Besatzung des letzten Bootes strömte herein, um ihren Freunden zu helfen, die bereits eingedrungen waren, während wir den Angriff auf dem Vorschiff zurückschlugen. Jetzt standen wir uns im Dämmerlicht gegenüber. Bei Krun, ihre Zahl war enorm!

Im engen Vorschiff kam es zum erbitterten Nahkampf. Gegen kaum erkennbare Gegner mußten wir antreten. Es war ein vages Hauen und Stechen, ein unterdrücktes Keuchen und Ächzen vor Anstrengung, dann und wann durch schrille Schreie unterbrochen, wenn der Stahl seine Opfer forderte. Das gestohlene Ghittawrer-Schwert in meiner Hand forderte seinen roten Tribut.

Rings um mich fielen die Männer, aber die Seewölfe drangen unerbittlich vor. Duhrra und ich blieben dicht beieinander und kämpften schließlich Rücken an Rücken. Schritt um Schritt wurden wir zurückgedrängt, auf die niedrige Holztür zu, die aus dem Vorschiff auf das Mitteldeck führte. Ich drängte Duhrra herum, bis ich den Piraten gegenüberstand.

»Dak!« rief er entrüstet.

»Raus mit dir! Den ersten Cramph, der mir folgt, nimmst du dir vor!«

Wortlos verschwand er.

Ich hieb links, rechts, links, dann machte ich kehrt und raste zur Tür. Als ich ins Freie schoß, verdeckte Duhrras mächtiger Körper die Sonne.

Im nächsten Augenblick zuckte sein Langschwert herab und schlug dem ersten unvorsichtigen Räuber den Kopf ab.

Die Tür ließ sich nicht verschließen. Die Räuber stürmten waffenschwingend und mit Triumphgebrüll ins Freie.

Duhrra und etliche Söldner des Schiffes, Rapas, Brokelsh und Womoxes – traten zum Angriff an und vermochten die Flut der Piraten eine Weile einzudämmen. Der Wind rührte sich nicht, die Sonnen brannten herab. Das Deck war glitschig von vergossenem Blut. Und immer wieder zuckten unsere Klingen vor.

»Achtung! Pfeile!« brüllte da eine Stimme.

Ich nahm die Fäuste am Griff der Ghittawrer-Klinge auseinander, bereit, die Geschosse abzuwehren. Drei vermochte ich zur Seite zu schlagen, ehe mich neues Geschrei hinter uns veranlaßte, einen hastigen Blick über die Schulter zu werfen.

Kapitän Andapon und der Rest seiner Mannschaft wurden nach vorn gedrängt. Die Piraten waren auch am Heck durchgebrochen. So befand sich die Argentermannschaft nun zwischen den beiden Piratengruppen. Es war abzusehen, wann unsere Gegenwehr erlahmen würde.

»Beim Schwarzen Chunkrah!« sagte ich. »Wenn wir schon untergehen müssen, wollen wir wenigstens eine große Mannschaft von denen mit auf die Reise zu den Eisgletschern Sicces nehmen!«

Wir waren eingekreist.

Die Piraten hörten auf, mit Pfeilen zu schießen, damit sie keine eigenen Leute trafen. Ich musterte die Männer vor mir und suchte mir einen geeignet erscheinenden Kataki aus, der einen stahlbewehrten Schwanz in den Kampf führen konnte.

»Hai Jikai!« brüllte ich.

Er hob die Klinge, und ich trat zur Seite, fing den gefährlichen Hieb seines Schwanzes mit der linken Hand ab und zerrte daran. Er geriet ins Taumeln. Ich nahm mir die Zeit, mit der Rechten auf einen Burschen einzuhauen, der mich von der Seite niederschlagen wollte, dann ließ ich das Langschwert herumzucken und hieb die Klinge in die Stelle zwischen Hals und Schulter. Der Kataki stürzte zu Boden. Ich ließ seinen Schwanz los, hieb kräftig nach links und rechts und sprang in die Reihe der Menahemer zurück.

Wenn ich schon die Reise zu den Eisgletschern Sicces antreten sollte, dann mit einem richtigen Jikai.

Die Piraten zögerten, wußten nicht, wie sie vorgehen sollten.

Die Männer, von meiner spektakulären Einzelaktion angetan oder deprimiert, machten Anstalten, kämpfend unterzugehen. Die Piraten begannen zu brüllen und griffen an.

Die nächsten Minuten sind mir als eine Folge verwischter Eindrücke in Erinnerung – zuschlagen und hacken, zustoßen, ducken. Ich teilte kraftvolle Schwerthiebe aus, wie sie gegen eine gute Rüstung erforderlich sind. Plötzlich wurde ich auch aus Richtungen bedrängt, wo eigentlich Kameraden hätten stehen müssen. Es schienen immer mehr Piraten zu werden, anstatt weniger. Ich spürte einen Stoß an meiner linken Hüfte, doch ehe der Brokelsh seine Klinge zurückziehen konnte, hatte ich ihm den Arm abgeschlagen. Einen Augenblick später mußte ich einen Riesensatz zur Seite machen, um vor einem Rapa zurückzuweichen, der darauf bestand, mit seinem Hals durch meine Klinge zu kommen. Er stürzte auf das Deck. Ein anderer erschien an seiner Stelle.

Kapitän Andapon lag am Boden, noch immer brüllend, und versuchte mit schwachen Bewegungen, zwei Angreifer abzuwehren, die ihm den Kopf abgeschlagen hätten, wären Duhrra und ich nicht dazwischengegangen.

Nur noch wenige Menahemer waren auf den Beinen.

Ein rauher Schrei gellte. Die kämpfenden Piraten wichen zurück, obwohl sie gar nicht wußten, was es mit dem Ruf auf sich hatte. Dann hob eine der Piratenfrauen den Arm. Einen Augenblick lang war der Kampf unterbrochen.

Von grünen Flaggen eingehüllt, kam ein Ruderer auf den Argenter zu. Bewaffnete drängten sich auf dem schmalen Deck hinter dem stolz gereckten Bug, und der Enterbaum war angehoben, bereit, herabgelassen und ausgefahren zu werden. Die drei Reihen Ruder hoben sich im Gleichtakt wie die Flügel eines riesigen Raubvogels.

»Ruderer!« brüllte ein Pirat. »Aus Magdag!«

Danach war uns der erbauliche Anblick einer Piratenarmee vergönnt, die den sinkenden Argenter verließ. Hastig kehrten die Männer in ihre drei kleinen Boote zurück und stießen verzweifelt ab. Sie begannen heftig zu rudern, vermochten sich aber nicht einig zu werden, in welchem Rhythmus gezogen werden sollte.

»Gerettet!« sagte Duhrra. »Und ausgerechnet durch Magdag!«

»Dank sei Pandrite, daß das Schiff im rechten Augenblick kam«, sagte Kapitän Andapon und hielt sich die verwundete Seite.

Die nun folgenden Ereignisse waren sogar noch lehrreicher als die Flucht der Piraten. Der unbekannte Kommandant des Ruderers verstand sein Handwerk.

Weißes Wasser schäumte unter dem langen Rammsporn aus Bronze, vor dem sich jedes Schiff in acht nehmen mußte. Der magdagsche Rudererkapitän zog sein Boot herum, als liefe es auf Schienen, und nahm das erste Boot der Piraten aufs Korn. Die Ramme traf, zerschmetterte das kleine Fahrzeug und schleuderte zahlreiche Gestalten ins Wasser.

Der Ruderer verlangsamte die Fahrt nicht. Eine Ruderbank schaltete in tadellosem Rhythmus auf Rückwärtsbewegung, die andere Seite zog weiter nach vorn. So drehte der Ruderer auf der Stelle. Wie ein riesiger Leem stürzte sich das Schiff auf das zweite Piratenboot. Das dritte wußte, daß es nicht mehr fliehen konnte. Seine Ruder kamen völlig verwirrt zum Stillstand. Männer stellten sich auf und schwenkten Lumpen. Doch der Ruderer schonte sie nicht.

Wir hörten die Kommandos und dann das seltsame doppelte Dröhnen der Trommel. Pfeifen schrillten, die Ruder kamen im Wasser zum Stillstand und bremsten den Ruderer in unglaublich kurzer Zeit ab. Ein Boot wurde mittschiffs zu Wasser gelassen gefolgt von einem zweiten. Das erste machte sich daran, die halb ertrunkenen Piraten aus dem Wasser zu ziehen, das andere kam auf den sinkenden Argenter zu.

Die wenigen Männer, die von der Argentermannschaft noch am Leben waren, sprachen in hysterischer Erleichterung durcheinander. Einige liefen unter Deck, um ihre Besitztümer heraufzuholen. Kapitän Andapon sah sich bekümmert auf seinem Schiff um.

»Meine schöne Chavonth von Mem! Die Rasts haben sie versenkt!«

»Aber du hast dein Leben noch, Kapitän!«

»Mein Leben! Und was ist mit der Fracht? Mit dem Gewinn dieser Fahrt? Ach, warum hat Opaz mich verlassen?«

Nun, ich konnte seine Reaktion verstehen. Nun saß er ebenfalls am Binnenmeer fest.

Das Boot vom Ruderer machte fest, und Männer kamen an Bord, harte, kampferfahrene Gestalten, Oberherren Magdags.

Sie blieben einen Augenblick lang stehen und überschauten die Szene: das Deck voller Leichen, blutbefleckt, der Kapitän um sein schönes Schiff und das verlorene Vermögen trauernd, die Überlebenden, die verzweifelt ihren Besitz einsammelten, und dazwischen zwei energisch wirkende, blutbesudelte Gestalten, die dort standen, wo der Kampf am heftigsten getobt hatte.

Der Hikdar, der eine grüne Robe, einen schimmernden Helm und ein Kettenhemd trug, ging vorsichtig zwischen den Leichen hindurch und vermied es, in Blutlachen zu treten.

»Dein Schiff sinkt, Kapitän«, sagte er zu Andapon. »Du nimmst die Gastfreundschaft unseres Ruderers in Anspruch.«

Dann blickte er mich an. »Du trägst das Grün, Dom. Stammst du aus Magdag?«

»Nein«, antwortete ich und legte mir hastig eine Geschichte zurecht. »Aus Goforeng.« Es handelte sich um eine Grodnim-Stadt, über die ich einiges wußte. Ich hatte schon verschiedene Angriffe auf den Hafen durchgeführt – viele Jahre war das jetzt her –, und sie lag ein gutes Stück im Osten.

»Anscheinend weiß man in Goforeng gute Krieger zu schulen.«

»Das ist freundlich. Aber wir müssen dir danken für unsere Rettung. Wir waren so gut wie verloren.«

»Das ist offensichtlich. Am besten kommt ihr sofort an Bord.«

Und er geleitete mich und den widerstrebenden Kapitän über die Bordwand ins wartende Boot.

Duhrra hatte inzwischen unsere Sachen geholt; seine Rechte steckte wieder vorn in dem Umhang. Ich half ihm. Der Hikdar hob die schwarzen Augenbrauen. Er war ziemlich hochmütig.

Das Boot brachte uns zum Ruderer hinüber. Kapitän Andapon vermochte den Blick nicht von seinem Schiff zu nehmen. Der Argenter, die Chavonth von Mem, ging schäumend unter, als wir das Achterdeck des Ruderers erklommen.

Oh, welche Erinnerungen wurden in mir wach, der ich auf einem magdagschen Ruderer als Sklave geschuftet und später als Kapitän einen zairischen Ruderer befehligt hatte, als gefürchtetster Korsar des Binnenmeeres!

Wir wurden unter Deck zur Kabine des Kapitäns geführt. Unsere Männer sollten auf dem Oberdeck unterkommen, sorgfältig von den Rudersklaven getrennt. Kapitän Andapon und ich traten in die luxuriöse Achterkabine, in eine Welt einzigartiger Pracht und Macht, eine Welt, in der Arroganz und Reichtum verschwenderisch zur Schau gestellt wurden.

Wir wurden zu bequemen Polsterstühlen geführt, man reichte uns Gläser mit Wein.

»Lahal, Gernus«, sagte der Kapitän beim Eintreten. »Ihr habt Wein? Gut. Jetzt berichtet mir das Wesentliche.«

Kapitän Andapon war nicht nur ein erfahrender Seebär, sondern kannte sich auch mit den Oberherren Magdags gut aus. Er machte keine Umschweife.

»Lahal, Gernu. Wir saßen in einer Flaute fest. Wir kämpften. Sie hätten uns vernichtet, wärst du nicht rechtzeitig eingetroffen, und dafür danke ich dir aus tiefstem ...«

»Sehr gut.« Der Kapitän brachte Andapon mit einer Handbewegung zum Schweigen und blickte mich an. »Mein Schiffs-Hikdar berichtet, du hast gut gekämpft. Er meldet, du seist aus Goforeng. Ich warne dich – ich rieche eine Unwahrheit auf viele Dwaburs. Ich möchte die Wahrheit hören!«

Wie typisch für die Oberherren Magdags! Und wie erfrischend zugleich! Ich war in letzter Zeit doch etwas verweichlicht.

Ich blieb beim Sprechen sitzen.

»Lahal, Kapitän. Wenn du mir nicht glauben willst, daß ich aus Goforeng komme, ist das deine Sache.«

Die Adjutanten und Ordonnanzen des mächtigen Mannes hielten entsetzt den Atem an. Andapon neigte sich in seinem Sitz ein wenig von mir fort, als wolle er mit diesem undankbaren und selbstmörderisch veranlagten Verrückten nichts mehr zu tun haben.

Noch ehe jemand etwas sagen konnte, bemerkte ich in einem Tonfall, den ich für ganz normal hielt: »Du hast uns deinen Namen noch nicht genannt.«

Wieder japsten die Anwesenden verblüfft. Der Schiffs-Hikdar der sich ziemlich wichtig zu nehmen schien, zog sein Schwert. Ich blickte ihn an. »Warum ziehst du dein Schwert, Dom? Möchtest du sterben?«

Das Gesicht des Hikdars rötete sich. »Gernu!« flehte er seinen Kapitän an. »Willst du das dulden? Gibst du mir die Erlaubnis, diesen widerlichen ...«

»Bleib ruhig, Nath. Hier steckt mehr, als wir vermutet haben.« Der Kapitän des Ruderers musterte mich mit kritischem Blick. Sein schwarzgelocktes Haar war geölt und auf dem Kopf zusammengerafft. Die lange grüne Robe wurde an der Hüfte durch einen Gürtel zusammengehalten, und an der rechten Seite trug er ein Kurzschwert. Er hatte das Gesicht eines Raubvogels, mutig und arrogant, zwei hellblaue Augen und ein Kinn wie ein Rudererbug – ja, das waren Äußerlichkeiten. Doch in dem Gesicht lag nicht nur das Bewußtsein großer Macht, sondern echte Macht.

»Ich finde«, sagte er, »daß du mir deinen Namen sagen solltest, ehe ich mich vorstelle. Das würde mir höflich erscheinen.«

»Dak«, antwortete ich und zögerte nur einen Sekundenbruchteil lang. Ich mußte mir auf der Stelle einen überzeugenden Nachnamen einfallen lassen. »Dak ti Foreng«, fuhr ich fort und hob den Blick. »Und du?«

Der Hikdar trat einige Schritte vor, entrüstet über mein Verhalten und doch nicht willens, das Pappattu entgleisen zu lassen.

»Du hast die Ehre, vor Gafard zu stehen, Rog von Guamelga, Kämpfer des Königs, Prinz des Zentralen Meeres, Besieger Zairs, Meeres-Zhantil, Ghittawrer von Genod ...«

Während Hikdar Nath diese Titelaufzählung noch eine gute Weile fortsetzte, musterte mich Gafard mit einem dünnen, ironischen Lächeln. Damit schien er die Torheit des äußerlichen Pomps zu bestätigen. Doch ich hakte an einer Tatsache fest, an einem einzigen wichtigen Umstand in der langen eindrucksvollen Liste. Er führte keinen Nachnamen. Kein Mann in seinem Rang und mit seiner Macht wäre freiwillig ohne Nachnamen durch die Welt gegangen. Hier lag der Schlüssel zu seinem Wesen.

Die Angst und Bitterkeit, die ich verspürte, waren eigentlich überflüssig, war ich doch entschlossen, das Binnenmeer zu verlassen. Warum zerbrach ich mir also den Kopf über die hier bestehenden Intrigen, Täuschungen und verräterischen Wechselfälle?

Als der Hikdar fertig war und energisch an seinen Platz zurückkehrte, streifte mich Gafard mit einem Blick und sagte: »Jetzt weißt du es.«

»Aye«, sagte ich.

Dieser Mann war kein echter magdagscher Oberherr. Hätte ich zu einem Oberherrn so herausfordernd gesprochen wie zu ihm, wäre mein Leben sofort verwirkt gewesen.

»Ich möchte mit diesem wilden Leem unter vier Augen sprechen. Räumt die Kabine. Nath, halte dich vor der Tür mit einem Wächter bereit. Wenn ich rufe, kommt ihr so schnell wie möglich herein.«

»Wie du befiehlst, so gehorche ich, Gernu!« bellte der Hikdar und bedeutete den anderen Männern, ihm aus der Kabine zu folgen.

Als wir allein waren, blieb Gafard eine Weile an dem langen schimmernden Tisch vor dem Heckfenster sitzen. Dann sagte er: »Du lebst gefährlich, Dom.«

»Das halte ich für richtig.«

Ich hatte mir überlegt, wie ich vorgehen wollte. Es war ein Risiko, doch ich bildete mir ein, daß Gafard etwas brauchte, was ich zu bieten hatte – oder zu bieten schien.

»Wenn ich nun den Befehl gäbe, daß du zu den Sklaven geworfen wirst?«

»Du kannst es ja versuchen«, antwortete ich.

Ihm stockte der Atem. »Ich brauche Männer wie dich«, sagte er schließlich.

Ich ahnte, daß die banalen Worte eine tiefere Bedeutung verbargen, daß ich bereits im Vorteil war. »Du sagst, du weißt, wer ich bin«, fuhr er fort. »Nun denn, ich bekenne mich stolz dazu. Der Name Gafards, des Meeres-Zhantil, ist überall am Auge der Welt bekannt. Ich bin reich, ich kämpfe für König Genod. Ich bin ein Ghittawrer in seiner Bruderschaft. All diese Dinge bin ich, doch in Zairia war ich nichts! Nichts! Es gab kein Z in meinem Namen. Gewiß, ich kämpfte für die Roten. Kämpfte sogar sehr gut, doch ich erhielt keinen Lohn. Man versagte mir den Zutritt zu den Krozairs, zu jeder anderen Roten Bruderschaft.«

»Und daraufhin bist du zum Abtrünnigen geworden?«

»Aye! Und ich bin stolz darauf. Jetzt nehme ich mir, was mir ohnehin rechtmäßig gehört!«

Seine Haltung wirkte angespannt, als rechne er damit, daß ich zu meinem Schwert greifen würde.

»Es scheint dir gutzugehen«, sagte ich. »Meinen Glückwunsch zu deiner gekonnten Navigation!«

Er spürte die Arroganz in meinen Worten. Trotzdem lächelte er.

»Du weißt, daß ich nicht von Geburt ein Oberherr Magdags bin. Doch ich habe mir diesen Titel rechtmäßig erworben. Jeder andere Grodnim-Gernu hätte dich längst an eine Ruderbank ketten lassen.«

»Ja.«

»Aber du trägst das Grün. Du führst ein Ghittawrer-Langschwert mit ausgelöschtem Symbol. Du kämpfst gut – so berichtet man mir wenigstens. Hast du dich nicht gefragt, warum du nicht sofort an die Ruder geschickt wurdest?«

Ich hob den Blick. »Warum?«

Sein Lächeln war spöttisch. »Ich bin ein Renegat, gewiß, ein abtrünniger Zairer, der jetzt Grodno dient. Aber für dich gilt dasselbe – auch du warst früher ein Anhänger Zairs!«