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Ich, Gadak, ein Grüner Grodnim von sehr zweifelhafter Loyalität, schaute mürrisch zu, während die Armee an Land ging. Die Reihen der Infanteriesoldaten, der Sectrixes, der an Land rollenden Varters schien kein Ende nehmen zu wollen. Hebrareiter rückten ebenfalls aus; von diesen Kundschaftern erhofften sich die Grodnim einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Zairern.

Ich stand am Achterdeck der Volgodonts Klauen, die auf den Strand gezogen worden war. Duhrra stand neben mir und atmete keuchend durch den geöffneten Mund.

Seit der Begegnung mit dem Krozairschiff erfüllte mich Unruhe. Der Goldene Chavonth und das Symbol der Krozairs, das nabenlose Speichenrad im roten Kreis – dies alles hatte mich aufgeschreckt. Ich wurde daran erinnert, daß ich ja in den Orden zurückkehren mußte, wenn ich das Binnenmeer verlassen wollte, und daß ich bisher nur sehr wenig dazu getan hatte.

Meine Pläne hingen von einem großen Streich ab, einem Hai Jikai.

Wir waren in einer tiefen Meeresbucht an der Südküste gelandet, etwa zwanzig Dwaburs östlich von Shazmoz. Zwanzig Dwaburs weiter östlich erhob sich die zairische Festungsstadt Pynzalu, ziemlich weit im Binnenland, außerhalb der Reichweite von Piraten und Landungstruppen, dennoch aber schwer bewehrt, wie die meisten Städte an der Südküste.

Nachdem Shazmoz zunächst befreit worden war, hatte sich die vereinte zairische Armee in Richtung Westen umgetan und dort mehrere Grodnim-Positionen aufgerollt. Unser Erscheinen im Rücken dieser Front sollte zumindest den Nachschub stören. Schon hatten wir einen Versorgungstrupp abgefangen – und dagegen hatte ich wirklich nichts unternehmen könne. Sogar Küstenschiffe konnten aufgebracht werden. Sobald die Breitschiffe Armee und Vorräte an Land gesetzt hatten, sollten sie nach Magdag zurückkehren. Sie wurden in kurzer Zeit mit Nachschub zurückerwartet. So saßen wir denn mitten auf den Verbindungswegen der Roten und waren bereit, in jede Richtung loszuschlagen.

Wir hatten uns weiterer überraschender Angriffe durch zairische Ruderer erwehren müssen, doch die erste katastrophale Attacke des Goldenen Chavont hatte sich nicht wiederholt. Ich redete mir aus, daß Gafard auf den Nachschub warten würde. Der König und sein General hatte vor der Entscheidung gestanden, entweder die halbe Armee mit vollem Troß oder die ganze Armee mit beschränkten Vorräten in den Kampf zu schicken. Nach meiner Auffassung hatte der König richtig entschieden, auch wenn man Gafards Persönlichkeit in Betracht zog. Man durfte nicht vergessen, mit welcher Langsamkeit eine Armee vorankommt, wenn sie zu Fuß marschieren muß und Zug- und Packtiere für Geräte und Vorräte mitführt und es keine mechanischen Transportmittel gibt.

Ich nahm an, daß Gafard im Osten zuschlagen würde, in Pynzalu.

Wenn diese Festung zerstört und ihre Vorräte erobert waren, wenn Gafards Ruderer diese Küstenstreifen beherrschten, hatte er den nötigen Rückhalt, um sich nach Westen zu wenden. Mit Prinz Glycas auf der anderen Seite, hatten die Grodnim dann die Zairer in der Zange.

Wie lange Sanurkazz brauchen würde, um die Lage zu erkennen und eine neue Armee gegen Pynzalu zusammenzuziehen, konnte nur vermutet werden. Ich wußte nicht, wie weit die finanziellen Mittel des Südens bereits erschöpft waren. Bekannt wir mir allerdings, daß beide Seiten schon große Summen für den Krieg aufgewendet hatten. Rot und Grün! Pah! Trotzdem spürte ich mein Blut schneller durch die Adern rinnen.

Nachdem ich wieder einmal einen ganzen Tag lang auf meiner Hebra Nachrichten hin und her befördert hatte – wobei ich übrigens die Zusammensetzung der Armee bestens kennenlernte –, marschierte Duhrra zu mir ins Zelt. Er war angeheitert.

»Heute nacht!« sagte er und warf sich auf sein Bett. »Heute nacht, mein Gadak der Grünen – heute nacht rücke ich aus!«

Ich nahm ihm die Flasche ab und roch daran. Dopa. Ich warf das Ding in die mondhelle Nacht hinaus, holte eine Wasserflasche und schüttete den ganzen Inhalt über Duhrra der Tage und sein Bett aus. Prustend und brüllend richtete er sich auf. Ich legte ihm eine Hand über den Mund. »Duhrra der Tage«, sagte ich dramatisch flüsternd. »Halt den Mund, wenn dir dein Leben lieb ist!«

Er starrte mich über meine Hand hinweg an.

»Wenn du ausrücken willst, mußt du einen Plan haben. Du brauchst Nahrung und Wasser, ein Reittier, einen Fluchtplan. Onker! Denk darüber nach, Duhrra der Tage!«

Ich nahm die Hand weg.

Er atmete heftig ein. Seine Augen waren blutunterlaufen.

»Aye, Gadak der Grünen! Deine Argumente sind raffiniert erdacht. Dabei tust du nichts für deine Flucht! Ich bilde mir langsam ein, daß du die verdammten Grodnim wirklich liebst. Du möchtest für immer bei ihnen bleiben. Ich finde, du ...«

»Ich habe auch nicht die Absicht zu fliehen«, sagte ich kopfschüttelnd. »Ich will mich nicht mit eingekniffenem Schwanz davonschleichen. Wenn ich mich absetze, dann stilvoll, so daß jeder es mitbekommt und sagt: ›Ja, das war ein Zairer!‹«

»Hübsche Worte!«

»Aye.«

Er wußte immer noch nicht, was er von mir halten sollte. Den religiösen Ritualen, die ich insgeheim für lächerlich hielt, war ich getreu gefolgt. Er hatte wirklich ein Recht, zu zweifeln, hatte ich doch selbst zu zweifeln begonnen.

Ich bin mein ganzes Leben lang Einzelgänger gewesen. Nur gegenüber Delia hatte ich mich jemals völlig offen geäußert. Und doch habe ich auf Kregen viele gute Freunde, das wissen Sie.

»Gadak, der große Ränkeschmied!« setzte Duhrra energisch nach. »Wann soll es also passieren?«

»Sobald sich die Gelegenheit bietet.« Ich belächelte seine Wort nicht. Sein energisches Auftreten paßte zu ihm. Duhrras Bestreben, nun endlich für Zair etwas zu tun, war grundlegend richtig.

Mein Problem war, daß ich ein Hai Jikai fertigbringen mußte ein spektakuläres Ereignis, über das die Menschen überall sprechen und das sie neben andere legendäre Taten aus der kregischen Geschichte stellen würden. Eine verdammt schwierige Aufgabe das wußte ich. Vielleicht stellte ich einen zu großen Anspruch.

»Uns geht es um die Ehre, Duhrra, doch ich schockiere dich wohl nicht übermäßig, wenn ich sage, daß die Ehre nur ein ärmlicher Ersatz ist für das Leben.«

»Ach – hast du meine Flasche weggeworfen?«

»Ja – und jetzt leg dich schlafen. Ich muß nachdenken.«

Meine Gedanken kreisten um meine kregischen Freunde und um meine Charakterfehler.

Dieses Gefühl der Unzufriedenheit mit mir selbst brachte mich auf die Überlegung, daß man sich ständig bemühen muß, seine Freunde zu behalten. Jedesmal galt diese Maxime für mich. Ich war nicht der Meinung, daß meine Kameraden mir bis in alle Ewigkeit treu bleiben würden, egal, was ich auch tat Vielmehr glaubte ich mich bei meinen Freunden immer wieder beweisen zu müssen. Wenn dies ein Mangel an Verständnis ist, so mag das denkbar sein, um so mehr, als ich andererseits überzeugt war, daß meine Zuneigung zu Seg und Nath und Inch und den anderen niemals leiden würde, auch wenn sie sich zuweilen albern aufführten oder mich aus einem gewissen Mangel an Moral heraus sogar anschmierten. Hier liegt wahrscheinlich der Beweis, daß ich ein echter Einzelgänger bin.

Ich hätte es damals nicht begriffen, wäre jemand zu mir gekommen, und hätte behauptet, ich täte meinen Freunden großes Unrecht, indem ich davon ausging, daß ich ihnen verzeihen würde, egal, was sie auch taten, daß sie mir aber nicht verzeihen würden, wenn ich jemals vom Weg abkam; indem ich also meine Freundschaft zu den anderen höher bewertete als ihre Freundschaft zu mir. Ich war meiner Delia nicht würdig und auch nicht der Freundschaft Segs und Inchs und der anderen. Das glaubte ich damals wenigstens.

Dies alles führte dazu, daß am nächsten Morgen ein sehr mitgenommener Duhrra aus dem Zelt kroch, sich den Kopf hielt und ächzend nach einer Handvoll Palines verlangte.

»Dopa«, sagte ich.

»Aye, Herr, Dopa – ein schreckliches Getränk.«

»Und nur für Leute geeignet, die sich den Verstand eines Calsany antrinken wollen.«

»Bei der Infanterie gibt es viele Flaschen davon. Ich bin vom Weg abgekommen.«

Wird Dopa in ausreichender Menge getrunken, dreht jeder Kämpfer durch. Brauchte Gafard dieses Getränk, um seine großartige Armee in Kampfstimmung zu versetzen? Ich war überrascht.

Als ich zur üblichen Morgenbesprechung eintraf, machte Gafard einen seltsam hektischen Eindruck, als habe er, der erfahrene Krieger, selbst Dopa getrunken.

»Gernus«, sagte er zu den versammelten Offizieren. »Eine großartige Nachricht. Große Ehre wird uns zuteil. Der König persönlich, der Allmächtige, läßt mitteilen, daß er uns hier besuchen will – wir können schon heute mit ihm rechnen.«

Später beobachtete ich die Ankunft König Genods. Er kam mit einem Voller.

Kaum erblickte ich den Blütenblattumriß des Flugboots über dem Lager, erkannte ich, daß mir das Werkzeug in die Hand gegeben war.

Hier bot sich jetzt die Möglichkeit, ein Hai Jikai zu vollbringen.