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»Die Onker laufen in ihr Verderben!« sagte Gafard voller Zufriedenheit.

Wir saßen im Sattel unserer Sectrixes auf einer leichten Anhöhe der von Nik-nik-Büschen bedeckten Klippen. Zu unserer Linken lag funkelnd das Meer. Das Land zur Rechten streckte sich flach und langweilig einem fernen Horizont entgegen, an dem die Hitze alle Umrisse zu wabernden Gespenstern machte. Der Wind trieb Sandwirbel dahin.

In der Tiefe, knapp eine halbe Dwabur entfernt, marschierten zairische Kolonnen in Richtung Westen. Wie großartig sie aussahen mit den zahllosen roten Bannern und dem Funkeln der Sonne auf Waffen und Rüstungen! Sectrix-Kavallerie sicherte die Flanken, die Infanterie marschierte in der Mitte. Immer weiter rückten sie vor, eine mächtige Armee aus den Festungsstädten Pynzalu und Zimuzz, aus den Binnenstädten Jikmarz und Rozilloi und aus den zahlreichen Dörfern der fruchtbaren Gebiete.

Ich erkannte viele der stolzen, herausfordernden Symbole auf den Bannern. Gerechtigkeit und Hoffnung marschierten dort unten, Stolz und Ehre.

In der Armee entdeckte ich nur eine kleine Truppe Krozairreiter. Ich vermutete, daß der größte Teil der Krzy im Westen mit Pur Zenkiren und den Generälen der vereinten Armee kämpfte.

Mein Herz schlug schneller, als ich die großartige Armee auf die massierten grünen Banner zurücken sah.

Gafard, der Kämpfer des Königs, saß auf seiner Sectrix, lachte leise vor sich hin und zerrte immer wieder an seinem schwarzen Bart. Nach den ursprünglichen Befehlen, die die magdagsche Armee in die vorgesehenen Positionen brachte, hatte er keine weiteren Anweisungen mehr erteilt.

Zwei Sennächte waren seit meinem katastrophalen Entführungsversuch vergangen, seit der Nacht, da der berühmte Krozair, der Lord von Strombor, den Voller des Königs stahl. Obwohl man fleißig danach Ausschau hielt, war das Schiff noch nicht wieder gesichtet worden.

Ich hatte gehofft, das Flugboot über den zairischen Truppen wiederzuentdecken. Die Zairer hatten wie die Teufel geschuftet, diese Armee zusammenzustellen, um die Armeen des Westens zu unterstützen. Jetzt waren wir der Truppe plötzlich in den Weg getreten. Die Roten griffen zielstrebig an. So reagierten sie nun mal darauf, wenn die Grünen Grodnos an ihrer Küste Fuß gefaßt hatten.

Gafard hatte seinen Plan, Pynzalu anzugreifen, aufgegeben. Die Garnison der Stadt war in der nun aufmarschierenden zairischen Armee enthalten. »So sparen sie uns viel Mühe und viele Männer«, hatte er gesagt und bestimmt, daß ich ihn zusammen mit Nalge, Nath, Insur, Gontar und Gerigan in den Kampf begleiten sollte.

»Möchte wissen«, sagte Gontar jetzt, »ob der Lord von Strombor heute unter den Onkern ist!«

»Hoffentlich«, antwortete Gafard, der Meeres-Zhantil, »ist er es nicht.«

Natürlich sahen Gafards Männer in diesen Worten eine andere Bedeutung als ich; ich warf dem General einen schnellen Seitenblick zu und deutete seine Hoffnung anders. Er hoffte, daß Pur Dray nicht einem achtlosen Lanzenstoß zum Opfer fiel. Gafard wollte vielmehr persönlich gegen den großen Krozair antreten, so vermutete ich jedenfalls.

Ich mußte in aller Fairneß zugeben, daß ich allmählich nicht nur die Besessenheit der verdammten Grodnim gegenüber Pur Dray teilte und ihn in der dritten Person sah, sondern auch sehr überrascht war, daß seine Legende noch fünfzig Jahre später so sehr verbreitet war. Ich konnte mir kaum vorstellen, daß am Auge der Welt seither kein anderer Krozair einen vergleichbaren Bekanntheitsgrad erreicht hatte.

Die Wirklichkeit lag wohl in dem Umstand, daß Gafard mit seinem leidenschaftlichen Interesse, das allgemein bekannt war, die Geschichten über den Lord von Strombor nicht in Vergessenheit geraten ließ. Nachdem nun Pur Dray ins Leben zurückgekehrt und von den Krzy zum Apushniad erklärt worden war, und nachdem man ihn tatsächlich gesichtet hatte, summte es im Lager natürlich von Mutmaßungen und Gerüchten.

In der Faszination gegenüber einem Roten Krozair lag bei den Oberherren der Grünen sicher auch das unangenehme Wissen, daß Pur Dray die geheimen schrecklichen Riten kannte, die sich in den Megalithen zur Zeit des Großen Todes abspielten, in der kurzen Zeit, da die rote Sonne die grüne verdeckt. Wenn man vernünftig darüber nachdachte und darauf verzichtete, den Amüsierten oder Zynischen zu spielen – was eben zu einfach gewesen wäre –, waren der Name und die Taten Pur Drays, des Lord von Strombor, Krozair von Zy, von einer schrecklichen und bösen Aura umgeben.

Die Truppen der Roten marschierten mit wehenden Bannern weiter. Die Armee der Grünen wartete stumm, und ihre grünen Flaggen bewegten sich nicht weniger eindrucksvoll im Schein der Sonnen.

Gafard schätzte die Entfernungen ab. Wir alle sahen die Unruhe der Roten Kavallerie auf den Flügeln. Die Reiter würden jeden Augenblick angreifen, ein Strom gepanzerter Männer, der gegen die Reihen der Grünen Infanteristen anrollte. Vor diesen Infanteristen aber stand eine schimmernde schräge Mauer aus Lanzenspitzen.

Ich kannte die Formation dort unten auf dem Sandboden. Ich hatte sie selbst geschaffen. Die Massiertheit der Lanzen in der starken Phalanx sollte den Schock des Kavallerieangriffs auffangen. Die Hellebardiere und Schwertkämpfer sollten die Lanzenträger vor den anderen Schwertkämpfern schützen. Dazu die Keile der Armbrustschützen, die in gesteuertem Rhythmus ihre Pfeile verschossen. Und die Schilde – jene Feiglingswaffe – die Schilde sollten die Männer schützen und die Geschosse der kurzen geraden Bögen und Armbrüste des Feindes ablenken. O ja, ich hatte diese Kampfmaschine entworfen, um die wohlgerüsteten Oberherren Magdags zu vernichten. Jetzt gebrauchten dieselben teuflischen Oberherren mein Kampfgerät, neugebildet mit eigenen Swods, um meine Kameraden in Zair zu schlagen. Ich kann Ihnen sagen, meine Gedanken waren in diesem Augenblick wahrhaft düster. Dennoch hoffte ich, daß die Zairer siegen würden.

Ich wußte, was meine Arbeit wert war, ich kannte das Genie Genod Gannius' und ahnte voller Qual und Reue den Ausgang des Kampfes voraus.

Was ich tun würde, stand bereits fest; diesmal sollte mich nichts davon abhalten.

Das rote Tuch steckte in meiner Tunika. Ich wollte das Rot anlegen, mein Langschwert ziehen und die Lanzenträger von hinten angreifen, sobald der Angriff rollte. Vielleicht gab es dann eine kleine Chance für die Krozairs, die Roten Brüder, die Krieger Zairs. Die Chance war denkbar gering; trotzdem konnte ich nicht anders.

Plötzlich zuckte ein Schatten über den Boden, wir blickten hoch und sahen den zweisitzigen Voller mit König Gannius in einer prachtvollen grüngoldenen Rüstung; er beugte sich über die Flanke und ermutigte seine Truppen.

Wenn er Brandgeschosse dort oben hatte ...

Die Armee der Grünen stieß ein dumpfes Willkommensgebrüll aus. Die Roten antworteten mit trotzigem Geschrei. »Grodno! Zair! Grün! Rot!« So hallte es durcheinander.

Die zairische Kavallerie griff an, eine Sturzflut aus roten Bannern, die sich auf die Masse der Piken zuwälzte. Ich zügelte Blaue Wolke ein Stück hinter den anderen Adjutanten Gafards Sie hatten sich in den Steigbügeln aufgestellt, um das Drama unter uns besser verfolgen zu können. Jetzt war der Augenblick gekommen, das Rot anzulegen und hinabzupreschen. Das mochte zwar kein Jikai sein, doch bei den Krozairrufen, die zu mir heraufschallten, und dem Engagement der Roten konnte ich nicht anders ...

Aus dem Augenwinkel nahm ich einen Schatten wahr und drehte mich hastig um, das rote Tuch halb hervorgezogen.

Ein Pachak, dem ein Arm als blutiger Stumpf herabhing, war zu Gafard geritten. »Mein Herr – Verrat – wir wurden überrascht – getötet – Männer in Schwarz ...«

Der Pachak stürzte aus dem Sattel seiner erschöpften Hebra.

Gafard hob den Kopf und stieß einen Schrei aus.

Ich schob das rote Tuch in mein Gewand zurück und trieb Blaue Wolke an.

»Gadak! Dir traue ich. Nimm Grogor! Nath ti Hagon! Nimm dir Männer – egal, wen, und reite los, Gadak! Meine Frau der Sterne – meine Perle, mein Liebling ... reite, Gadak! Reite so, wie du mich liebst!«

Ich liebte den Teufel zwar nicht, doch die Frau der Sterne – das war etwas anderes.

Was weiß ich heute noch über meine Gedanken und Gefühle jenes Moments? Ich wußte, daß die zairische Armee unter mir verloren war, denn ich hatte das Instrument ihrer Vernichtung selbst geschaffen. Doch es würde andere Gelegenheiten geben, andere Schlachten.

Auch im nachhinein bedaure ich meine Entscheidung für die Frau nicht. Hätte ich nur Zauberkräfte besessen! Doch ich bin ein sterblicher Mensch, und die Fantasievorstellung der abrupt erfüllten Wünsche gehört in die kregischen Mythen und Legenden und nicht in die krasse Wirklichkeit dieser schönen und schrecklichen Welt unter den Sonnen von Scorpio.

Ich ritt los.

Grogor, Gafards Stellvertreter, zögerte keinen Augenblick lang. Er gab einer Abteilung Sectrixreiter, ausgewählten Apim und Diffs, einen knappen Befehl, riß sein Tier herum und war mit flatternder Mähne und wehenden Federn losgeprescht. Wir verständigten noch Nath ti Hagon, Gafards Schiffs-Hikdar, und ritten dann als geschlossene Gruppe vom Schlachtfeld. Wir ließen den Kampf hinter uns, die sichere Niederlage der Roten, die der geniale König Genod die Schlacht von Pynzalu nannte.

Wo immer Gafard seine geliebte Frau auch versteckt hatte, die Schwarzgekleideten hatten sie gefunden. Eine Hoffnung blieb mir allerdings. Der Voller war von Genod selbst gesteuert worden, und er hatte sich über dem Schlachtfeld aufgehalten. So ging der Kampf gegen Männer, die Sectrixes ritten wie wir.

Doch in einem Detail war meine Beurteilung der Lage falsch.

Wir galoppierten durch das fast verlassene Lager, den Troß durcheinanderwirbelnd. Wir rasten an den Reihen der Zelte vorbei. Ich hatte mit Blaue Wolke die Spitze übernommen.

Der Pachak, der Gafard gewarnt hatte, mußte nicht nur mutig sondern auch sehr intelligent gewesen sein. Er hatte gekämpft, bis er erkannte, daß die Lage hoffnungslos war. Dann hatte er nicht etwa weitergemacht und sein Leben sinnlos verschwendet, sondern war geflohen, um den Kämpfer des Königs zu unterrichten. Kurz hinter dem Lager sahen wir plötzlich einige grüne Mäntel im Winde wehen. Eine Gruppe Sectrixreiter bewegte sich die Dünenhänge hinab, ihr Ziel war offensichtlich der Strand. Ein Ruderer wartete dort, die Heckleiter war herabgelassen. Unter den grünen Umhängen sah ich nicht das übliche Weiß oder Grün oder das Aufblitzen eines Kettengewebes, sondern schwarzen Stoff.

Grogor machte dieselbe Beobachtung und stieß einen Schrei aus. Schon rasten wir in wahnwitzigem Galopp über die Dünenhöhen und die Sandhänge hinab. Riesige Sandwolken wurden von den Hufen aufgewirbelt.

Irgendwie schaffte es Blaue Wolke, auf ihren sechs Beinen zu bleiben. So erreichten wir den Strand. Ich riß mein Langschwert heraus, das Ghittawrer-Schwert mit dem abgeschliffenen Symbol, und galoppierte über den festen Sand.

Die Schwarzgekleideten sahen uns kommen.

In ihrer Gruppe gab es eine Auseinandersetzung.

Grogor und Nath ritten auf gleicher Höhe mit mir. Unsere drei Schwerter ragten nach vorn, versprachen dreifache Rache.

Die Schwarzgekleideten versuchten sich zum Kampf zu formieren.

Nur wenige Männer hätten sich in diesem vom Zorn beherrschten Augenblick gegen uns behaupten können.

In den Sekunden vor dem Kampf erblickte ich die Frau der Sterne.

Sie führte mit der Rechten einen langen schmalen Dolch und holte damit einen Entführer aus dem Sattel. Dann fuhr sie zu einem anderen herum, der sie aufzuspießen versuchte. Sie parierte seinen Angriff – großartig! –, täuschte und traf den Rast ins Auge. Schreiend stürzte er zu Boden, doch schon hatten wir die Gruppe erreicht. Unser Zorn war groß.

Die Langschwerter wirbelten todbringend, trafen ihr Ziel und suchten sich rot tropfend ein anderes Opfer.

Klinge klirrte gegen Klinge. Das Ghittawrer-Langschwert sang über meinem Kopf. Aye! Es sang, während es sein blutiges Werk tat. In wenigen Murs war alles vorbei. Wir waren außer Atem. Ich zog die Luft in großen Zügen ein, stieg ab und ging zu dem Mädchen, das im Sand lag. Ihr grüner Schleier war noch an Ort und Stelle; sie hatte ihn mit einer Hand festgehalten. Aber sie erkannte mich.

»Gadak! Nun hast du mich ein zweitesmal gerettet!«

»Du bist unverletzt?«

Sie stand auf und legte mir eine Hand auf die Schulter, die linke Hand. In der rechten blutbesudelten Hand hielt sie noch immer den juwelenbesetzten Dolch.

»Ich bin unverletzt. Sie wollten mich töten – zuletzt, als sie euch kommen sahen. Aber ...«

»Ja, meine Dame. Du hast ein Jikai vollbracht. Ich habe es gesehen.« Dann lächelte ich, ich, der ich von der Natur mit einem mürrischen und häßlichen Gesicht ausgestattet bin. »Ich fühle mich an eine andere Dame erinnert.«

»Ich hätte angenommen ...«, begann sie, unterbrach sich und warf den Dolch in den Sand. Sie nahm die Hand von meiner Schulter und richtete sich auf. Mit der sauberen Linken fuhr sie sich über das Haar. »Und mein Lord?« fragte sie, wie ich es nicht anders erwartet hatte. »Wie steht die Schlacht?«

»Die Schlacht wird erfolgreich verlaufen.«

Sie seufzte.

Sie war, wie ich, einst Anhänger Zairs gewesen.

Meine Männer untersuchten die Toten. Der Ruderer hatte abgelegt und entfernte sich mit heftigen Ruderschlägen über das Wasser.

Grogor drehte einen der Männer mit dem Fuß um und blickte mich von der Seite an.

Das braune Gesicht mit der roten Narbe war das Gesicht Golitas', der von Pur Dray entstellt worden war.

Wir hatten die Frau der Sterne für Gafard, den Meeres-Zhantil, gerettet; wir hatten sie vor König Genod bewahrt, und niemand konnte uns das vorwerfen. Außerdem lebte ein Mann nicht mehr der mein Gesicht gekannt hatte. Doch neben der Sicherheit der Frau der Sterne war das unbedeutend.