9
Die rote Sonne von Antares, Zim, bewegte sich vor der grünen Sonne Genodras über den Himmel. Ein kleiner, doch eng geschlossener Kriegertrupp ritt in schnellem Tempo über die Ebene und wirbelte eine große Staubwolke auf. Ihr Ziel war das Nordtor des unheimlichen Magdag. Ringsum ragten die Megalithen auf, monströse Bauwerke, die enorme dunkle Schatten warfen.
Wenn die beiden Sonnen einander verfinsterten, fanden in den Riesensälen der Gebäude fürchterliche Riten statt. Feiern, an denen nur die Höchsten im Lande teilnehmen durften. Das gewöhnliche Volk drängte sich in den Slumwohnungen zusammen, zitternd den Zorn Zairs über dem Land erwartend.
Wie immer würde Genodras hinter der Flanke Zims hervorkommen und auf diese Weise verdeutlichen, daß Grodno nach wie vor an der Macht war.
Wir ritten im Galopp. Die Sonnen rückten in ihrem Zyklus wieder auseinander. Unsere Mäntel bauschten sich im Wind, unsere Sectrixes mühten sich schnaubend, denn sie rochen die Ställe, sie wußten, daß der Ritt beinahe vorbei war.
Der Himmel wirkte weit und doch bedrohlich, er war durchzogen von ockerfarbenen Wolken; einige rabenähnliche Vögel flatterten als schwarze Punkte vor dem Licht. Die Köpfe gesenkt, Staub aufwirbelnd, so rasten wir auf das Nordtor des bösen Magdag zu.
In unserer Mitte, umgeben von Pachaks, ritt eine Gestalt in einer Rüstung und einem Umhang, auf dem kostbare Edelsteine schimmerten. Sie war wie ein Krieger angetan, doch die aufrechte, anmutige Haltung der Frau der Sterne war nicht zu verkennen.
Ich war dankbar, daß man Pachaks zu ihrem Schutz abgestellt hatte. Pachaks sind ungemein loyal, ihr Nikobi-System sorgt dafür, daß sie eingegangene Verpflichtungen zuverlässig ausführen. Als Söldner stehen sie weit über dem Durchschnitt.
Die Hufe der Sectrixes hallten über das Pflaster unter dem Tor. Vorbeihuschende Torbogen mit der magdagschen Grodnim-Spitze, dahinter Wächter, in deren Waffen sich die grellen Sonnenstrahlen spiegelten. Die Echos unserer Hufschläge hallten von den gelben Steinwänden wider. Menschen eilten uns aus dem Weg. Ein Korb mit Gregarians wurde umgestoßen, und die reifen Früchte rollten über die Straße und wurden zertrampelt.
Wir ritten auf dem kürzesten Weg zum Jadepalast. Gafard, der die Spitze hielt, war in Gedanken versunken.
Natürlich war man im Palast auf die Heimkehr des Herrn vorbereitet. Männer brüllten durcheinander, Sklaven eilten hin und her, und Duhrra und ich suchten das kleine Gemach auf, das man uns für den persönlichen Gebrauch zur Verfügung gestellt hatte. Die Kammer lag im hinteren Teil des Palastes hoch unter dem Dach, und wir vermochten einen Hof zu überschauen, in dem Swods jeden Tag viel Exerzierschweiß vergossen. Gafard würde uns holen lassen, wenn er uns brauchte. Die Zwischenzeit verbrachten wir, wie es im Grünen Magdag unvermeidlich war, mit einem Streitgespräch darüber, wie wir am besten zu den Roten zurückkehren konnten.
Ich war sicher, daß Duhrra entweder vergessen oder nie ganz begriffen hatte, wer ich in Wirklichkeit war. Schließlich hatte er im belagerten Shazmoz nur einige kurze Gesprächsfetzen zwischen Pur Zenkiren und mir mitbekommen; dies war der einzige Hinweis, den er haben konnte, daß ich nicht der Dak war, als den ich mich ausgab. Für Duhrra war die Sache ganz einfach: wir mußten aus Magdag fliehen und auf die zairische Seite des Binnenmeeres zurückkehren.
Auf mich wartete dort natürlich die Sklaverei an Bord einer Galeere, denn ich war ein verstoßener Krozair, ein Apushniad.
Nachdem wir gebadet und eine reichhaltige Mahlzeit verspeist hatten und uns gerade mit dem Gedanken an ein paar hübsche Krüge vertraut machten, erreichte uns der Ruf.
Ich legte Kettenhemd und Waffen an, ehe ich dem Relt in Gafards Privatgemächer folgte. Die Sonne war längst untergegangen, und die Frau der Schleier stand über den steilen und flachen Dächern. Der lange Schatten des Turms der Wahren Zufriedenheit lag über dem letzten Korridor.
Doch es handelte sich nicht um eine Privataudienz. Etliche Offiziere Gafards drängten sich im Vorzimmer zum Arbeitsraum. Dazu gehörte natürlich auch Grogor, der mich mit düsterem Blick musterte. Die anderen starrten mich wortlos an und senkten dann die Köpfe. Sie kannten die Intrigen, die in Magdag gesponnen wurden, viel besser als ich.
Endlich wurden wir hineingerufen. Gafards Arbeitszimmer war voller Bücher, Papiere und Landkarten und sonstiger Utensilien, die ein Kämpfer an Land und auf dem Meer braucht. Auf verschiedenen Tischen waren außerdem sechs Jikaidaspiele aufgebaut, alle in verschiedenen Stadien des Kampfes.
Auf Gafards Geheiß setzten wir uns.
»Gernus«, begann er ernst. »Wir haben ein schlimmes Problem. Ich muß euch sagen, daß der König mit der letzten Entwicklung im Kampf gegen die Rasts aus Zair gar nicht zufrieden ist. Shazmoz ist nicht erobert worden. Vielmehr ist Entsatz für Shazmoz gekommen.«
Ein Raunen ging durch das Zimmer, einige Stimmen meldeten sich mit fragendem Murmeln.
»Ja, kein Wunder, daß ihr erstaunt seid. War denn Shazmoz nicht völlig eingeschlossen, dicht davor, wie ein reifer Apfel zu fallen? Jetzt berichtet mir der König, sein Name sei gepriesen, daß Shazmoz nicht nur unbesiegt ist, sondern sogar Verstärkung erhalten hat, und daß die Cramphs der Roten nach Westen vorstoßen.«
Ich muß zugeben, daß mich diese Nachricht doch etwas aufmunterte. Gewiß, ich hatte es aufgegeben, mich über die Entwicklung im Kampf zwischen Rot und Grün aufzuregen; trotzdem machte mein Herz nun einen kleinen Sprung.
»Was ist über Prinz Glycas zu berichten, Gernus?« fragte Grogor, Gafards Stellvertreter.
»Aye, eine gute Frage, Grogor! Der König hat schlimme Nachrichten von Prinz Glycas, der unsere Armeen dort gegen Zair befehligt. Aber die Katastrophe kann ihm nicht zur Last gelegt werden. Er hat bis zum letzten auf eine Entscheidung gedrängt, aber da geschahen zwei Dinge, die uns Shazmoz nahmen.«
Wenn sich Pur Zenkiren, der in Shazmoz das Kommando führte, auf seine alten Kräfte besonnen hatte, die durch seinen persönlichen Kummer in den Hintergrund gedrängt worden waren, mochte den Grünen eine zweite Überraschung bevorstehen. Anscheinend hatte er es überwunden, daß er damals nicht zum Ersten Abt der Krozairs von Zy gewählt worden war.
Gafard sprach bereits weiter; er zählte zwei Dinge an den Fingern ab. »Erstens kam eine ausgeruhte und starke Streitmacht aus dem Hinterland und überraschte die Belagerer Shazmoz' im Rücken. Sie stand unter dem Kommando eines verdammten zairischen Edelmannes, eines gewissen Roz Nazlifurn. Er koordinierte seinen Vorstoß mit dem Kommandanten der Ostarmee Roz Nath Lorft.«
Endlich verstand ich, warum sich Pur Zenkiren unterbrochen hatte, um mir nicht zuviel zu verraten – und ich freute mich darüber. Die Krozairs waren bestimmt glücklich über ihren Erfolg.
Gafard fuhr fort: »Und zweitens schwemmte eine gigantische Flutwelle die Schiffe davon. Dadurch verloren wir einen großen Teil unserer Vorräte. Wir bemühen uns bei den Todalpheme um eine Erklärung, deren Aufgabe es doch eigentlich ist, solche Katastrophen am Großen Kanal zu verhindern.«
Ich hielt mein Gesicht starr und ruhig. Die Woge hatte also Shazmoz erreicht und die Schiffe der verdammten Grodnim fortgeschwemmt. Also, das war wirklich eine gute Nachricht! Sicher hatte das Wasser unterwegs auch bedauerliche Schäden angerichtet, hatte manchem braven Mann das Boot, einen Schuppen oder das Haus genommen. Dies erfüllte mich mit einem Schuldgefühl, doch es freute mich auch, daß die von mir erzeugte Flutwelle nicht nur die menahemischen Argenter mit König Genods Flugbooten vernichtet, sondern auch zu dem zairischen Sieg bei Shazmoz beigetragen hatte.
»Wir fahren also an die Südküste, Gernu?«
»Ja. Wir übernehmen eine Rudererschwadron, dazu Breitschiffe mit Söldnern und Soldaten. Wir landen und überfallen die vereinten zairischen Armeen von hinten. Der König, sein Name sei gepriesen, ist zuversichtlich, daß wir die Verluste wettmachen können.«
Hierin also lag die Aufgabe des Lieblingsgenerals und -admirals des Königs!
Die Vorbereitungen waren unter der Leitung des Hyr-Gernu-Admirals des Königs bereits fortgeschritten. Dies war ein Mann von weit über hundertundsiebzig Jahren, der sich sehr dankbar zeigte, daß er die Expedition nicht selbst führen mußte; die eigentliche Macht lag bei Gafard, dem Kämpfer des Königs, dem Meeres-Zhantil.
Trotz des allgemeinen Durcheinanders mußte ich nun ernsthaft meine Lage überdenken.
Duhrra sah seinen Weg klar vor sich. Sobald er die Südküste erreichte, wollte er sich von den Grünen lösen und zu seinen Kameraden zurückkehren. Voller Verachtung würde er dann den Namen Duhrra ablegen und sich wieder Zair zuwenden.
In unserem Zimmer sagte ich zu ihm: »Die Grodnim haben deinen Namen dem König in Sanurkazz übermittelt. Du giltst als Abtrünniger!«
Seine breite gepanzerte Brust schwoll an. »Das mag sein, Dak, Gadak, aber ich werde alles erklären. So wie du es mir erklärt hast. Der König wird das verstehen, denn er ist weise und gerecht.«
Ich hatte König Zo vor fünfzig Jahren zum letztenmal gesehen; ich lächelte nicht.
»Was seine Weisheit angeht, so ist daran nicht zu zweifeln. Doch seine Gerechtigkeit – du würdest dich in große Gefahr begeben.«
»Ich weiß. Das gilt für uns beide. Doch ich vertraue auf die Gerechtigkeit Zairs.«
Dazu war nichts weiter zu sagen. So schnitt ich ein neues Thema an: »Und wenn wir dann vor König Zo gebracht werden und jämmerlich um Gnade flehen, könnten wir doch den Renegaten Gafard gleich mitbringen, in Ketten!«
Duhrra wandte sich langsam zu mir um. Sein dümmlich aussehendes Gesicht war gerötet. »Das wäre eine großartige Tat!« sagte er. »Aber obwohl ich die Grünen hasse wie jeder Rote, vergesse ich die Vergangenheit nicht. Trotz seiner Verderbtheit hätte ich keinen Spaß daran, Lord Gafard seinen Feinden auszuliefern.«
Er sprach im vollen Ernst. Er teilte meine Gefühle.
In mancher Beziehung entsprach Gafards früheres Leben dem meinen. Aus einfachsten Verhältnissen war er in ein Leben hineingewachsen, das ihm keine Chancen zu bieten schien. Er hatte seine Lage zu bessern versucht, indem er ein Jikaidast wurde, und zwar ein guter. Dann hatte er für die Roten gekämpft, war bei der zairischen Justiz angeeckt – soweit ich wußte, hatte er einem Roten Bruder die Zähne eingeschlagen – und hatte eine Zeitlang auf den Galeeren gedient, ehe er zu den Grodnim kam. Und als er dann die Flagge gewechselt hatte, war ihm das Glück überraschend zur Seite gestanden.
»Nein, Duhrra«, sagte ich. »Er ist ein Mann, obgleich er ein Abtrünniger ist. Trotz seiner Schurkereien ist er liebenswert. Und vergiß die Frau der Sterne nicht.«
»Es muß ein guter Kern in ihm stecken«, sagte Duhrra.
»Andererseits hat er verdammt viele gute Zairer zu Zim emporgeschickt.«
»Dafür wird er natürlich büßen.«
Damit meine Pläne Erfolg haben konnten, brauchte ich eine ähnlich sensationelle Prise wie Gafard. Ich konnte ihn am Ende einer Kette anschleppen und auf der Krozairinsel Zy abliefern – ich könnte ihn Pur Kazz, dem Ersten Abt, vorstellen und damit vielleicht wieder Aufnahme in den Orden finden.
Ich glaube, der Anblick der Frau der Sterne beeinflußte damals schon die Entscheidung. Ich hatte ihr Gesicht gesehen und mit ihr gesprochen. Ich spürte die Anziehung, und war fest davon überzeugt, daß sie Gafard so sehr liebte, wie er sie. Und dann der Mann selbst, selbstbewußt, hart, doch liebenswert, großzügig, freundlich. Die beiden Hälften seiner Persönlichkeit waren sich nicht fremdartiger als die beiden Seelen, die in meiner Brust wohnten.
Der Gedanke, daß ich ihn gemein verraten könnte, nachdem er mir die Hand zur Freundschaft gereicht hatte, machte mich krank.
Für meine Delia hätte ich es natürlich sofort getan. Es gab nichts, was ich für meine Delia nicht getan hätte. Dagegen kam die Frau der Sterne nicht an, oder ...?
Mein unvorhergesehener und unmittelbarer Kontakt zu der Frau der Sterne veranlaßte Gafard, mir eine Aufgabe anzuvertrauen, mit der auf Kregen große Ehre verbunden ist. Ich habe schon berichtet, daß auf dieser Welt die Banner und Standarten von Armeen und Schiffen mit besonderer Verehrung behandelt werden. Ähnliches gibt es auch auf der Erde. Es gab Armeen, in denen Männer nur zu gern bereit waren, allein dafür zu sterben, daß sie die Ehre hatten, die Flagge zu tragen. Nun ja, Einfalt ist sicher eine verbreitete Eigenschaft.
Zu Gafard gerufen, fand ich ihn in einer langen weißen Seidenrobe vor; er hatte die alltäglichen Sorgen zunächst beiseite geschoben. Er saß in einem der luxuriösen Salons seines Palastes, ein Raum mit gepolsterten Wänden, zierlichen Möbelstücken, weicher Beleuchtung und zahlreichen Topfpflanzen, deren Duft schwer in der schwülen Luft hing. Zahlreiche Weine standen zur Auswahl. Er winkte den Hausdiener fort und hieß mich näher kommen. Ich trug Kettenhemd und Waffen, eine Angewohnheit, von der ich nicht abwich, seit ich Grodnim geworden war.
»Setz dich, Gadak – möchtest du Wein? Ich will dir etwas mitteilen, und anschließend habe ich noch ein zweites Anliegen.«
»Ich erwarte deine Befehle, Gernu.«
Eine Fristlesklavin in Schmuck und Perlen schenkte den Wein ein. Gafard wartete, bis sie fertig war, und winkte sie dann fort. Wir waren allein. Er reichte mir den Weinkelch, der aus massivem Gold bestand und an Schalenrand und Stiel große Rubine trug. Ich nippte daran und bedeutete ihm durch Zeichen meinen Dank. Es war Zondwein.
»Wenn wir früher diesen Wein tranken, Gernu«, sagte ich in dem Bemühen, ihn dazu zu bringen, das Gespräch zu beginnen, »sagten wir immer ›Gesegnete Mutter Zinzu! Das tat gut!‹«
»Jene Zeit sollte lieber vergessen bleiben.« Er trank hastig. Dabei wirkte er weniger erregt, als aufgekratzt. »Du, Gadak, wirst die Standarte meiner Frau der Sterne tragen.«
Ich starrte ihn mit aufgerissenem Mund an.
»Mund zu, du Fambly! Hör gut her!«
Ich schloß den Mund hörbar.
»Sie wird mich auf der bevorstehenden Expedition begleiten. Sie wird sich als Mann kleiden und auch so reisen, als großer Gernu. Dies aus Gründen, die dich nicht betreffen. Ihre Kabine an Bord der Volgodonts Klauen ist vorbereitet. Niemand wird sie sehen. Doch als Oberherr braucht sie ihr Banner. Dies obliegt dann dir.«
Da wußte ich, was von mir erwartet wurde. Ich neigte den Kopf. »Diese Ehre habe ich nicht verdient, doch ich werde ihr bis in den Tod nachkommen.«
Einem Grünen Grodnim bedeutete ein solches Versprechen nichts.
»Gut.« Gafard stand auf. »Ich habe Gefallen an dir gefunden Freund Gadak. Nach dieser Expedition, wer weiß, heißt du vielleicht Gadak mit einem Ehrentitel. Komm – dies wollte ich dir zeigen.«
Er führte mich zu einer großen Tür, die er mit einem Bronzeschlüssel von seinem Gürtel öffnete. Wir betraten einen schmalen Raum, der durch hohe, schmale Fenster erhellt wurde. Eine einzige grelle Farbe herrschte hier vor.
Das Rot!
Banner und Standarten aller Arten und Formen hingen an den Wänden. Kerzenständer von Krozair-Herkunft – allerdings waren Krozair-Langschwerter nicht zu sehen. Ich sah mich gründlich um.
»Aye, Gadak, dies ist mein Trophäenzimmer. Dies sind die Trophäen meiner Schlachten und Expeditionen.«
Ich mußte schlucken. Einige Gegenstände erkannte ich wieder. Und manches Stück löste Entsetzen in mir aus. Dieser Mann, dieser Kämpfer des Königs, hatte sich wie ein Leem auf dem Binnenmeer umgetan. Langsam wanderte ich durch das Zimmer. Am anderen Ende stand eine balassgerahmte Glasvitrine in einer kleinen Nische. Das Licht fiel darauf und ließ den Inhalt hervortreten. Ich blickte hinein.
Ein roter Stoffetzen, kaum fünfzehn Zoll im Quadrat, mit verblaßter Goldbestickung, und an einer Ecke ein Streifen gelbes Tuch. Daneben lag in der Vitrine der Überrest eines Kettenhemdes. Eine Main-Gauche ... Eine Main-Gauche? Der linkshändig geführte Dolch war am Binnenmeer als Waffe nicht bekannt.
Ich wandte mich zu Gafard um. Er stand am Eingang, eine Hand an den Bart gelegt, und starrte mit einem schwer zu deutenden Ausdruck auf die Schaustücke.
»Du wunderst dich über diese lächerlichen Relikte, Gadak?«
»Trophäen deines ersten Kampfes?« fragte ich zweifelnd.
Er lächelte. »Nein, Gadak. Mein erstes Opfer sank, und wir blieben ohne Beute.« Er kam näher und blickte mit gerunzelter Stirn auf das rote Tuch. »Nein, diese Dinge bedeuten mir viel. Sehr viel. Das kannst du natürlich nicht verstehen, trotzdem spüre ich eine Wachheit in dir, einen Funken, den ich auflodern lassen könnte, wenn ich ihn richtig anzufachen verstünde.«
»Ruderattacken laufen schnell und blutig ab ...«
»Aye! Der Mann, dem die rote Flagge und das Kettenhemd und der Dolch gehörten, neigte ebenfalls zur Gewalt und zum Blutvergießen.«
Jetzt wußte ich Bescheid.
Also, das rote Tuch mit der gelben Kante mochte ein Stück meiner Flagge sein, dem gelben Kreuz auf rotem Grund. Die Farben waren verblaßt und wirkten staubig wie bei Museumsstücken. Das Kettenhemd, ein Stück von der linken Schulter und Brust, konnte mir ebenfalls gehört haben. Was die Main-Gauche betraf – meine Gedanken wanderten fünfzig Jahre zurück ...
Ja, ich war beinahe sicher, daß es sich um die Waffe handelte, die Vomanus mir gegeben hatte, jener Mann, der mir mutig zum Binnenmeer nachgereist war, weil Delia es ihm aufgetragen hatte. Es war Delias Halbbruder. Er hieß jetzt Vomanus von Vadelka. Ich hielt ihn für einen guten Freund. Ja, die Waffe mochte ihm gehört haben.
Ein komisches Gefühl, in diesem Raum zu stehen und auf Überreste der eigenen Besitztümer zu schauen, die hier feierlich ausgestellt waren, um ehrfürchtig bestaunt zu werden.
Ich klopfte leicht gegen die Vitrine. »Woher weißt du, daß diese Dinge Pur Dray gehört haben?«
Er lächelte, und es war kein ironisches oder gemeines Lächeln, es war das Lächeln des Sammlers, der für ein begehrtes Objekt einen hohen Preis bezahlt hat.
»Ich weiß, daß die Stücke echt sind. Man hat es mir nachgewiesen.«
Ich kam zu dem Schluß, daß ich jetzt ein wenig von dem sprichwörtlichen Unwissen der Krieger des Binnenmeeres an den Tag legen mußte.
»Dieser Dolch hat eine seltsame Form.« Ich legte die Hand auf das Glas und drehte sie – meine rechte Hand. »Man könnte ihn halten, aber nur mit Mühe.«
Er lachte – das erste volle, echte Lachen, das ich aus seinem Munde hörte.
»Nimm die linke Hand, Gadak!«
Also führte ich die Pantomime zu Ende und legte die linke Hand über den Griff der Main-Gauche. Dann gab ich mich angemessen verblüfft.
»Du kennst Vallia?« fragte Gafard. »Unser König treibt keinen Handel mehr mit diesem Land, denn wir sind jetzt mit dem Reich Hamal verbündet, wo immer das liegen mag, und die Schiffe von Menaham kommen statt dessen zu uns. Trotzdem gibt es viele Dinge von vallianischer Herkunft in Magdag. Dieser Dolch zum Beispiel, der dem Lord von Strombor gehörte.«
Ich verlor mich in Gedenken an die vielen Jahre, die seither vergangen waren, und ihre Last ließ mich einschrumpfen, als habe Grotal mich gefangen.
Ich bin auf der Erde geboren und hatte mich noch immer nicht an die zweihundertjährige Lebensspanne auf Kregen gewöhnt, geschweige denn an die tausend Jahre, die mir vergönnt waren. Gafard und andere Kreger empfanden die vergangenen fünfzig Jahre als eine Zeit, die auf der Erde vielleicht zwanzig Jahren entsprochen hätte.
Gafard sprach weiter, und ich nahm mich zusammen.
»... höchste Ehre. Sie wartet jetzt in meinem Salon. Zeige keine Überraschung, Gadak, ich bitte dich, denn sie hat das Stück aus den vallianischen Dingen erwählt, von denen ich dir erzählt habe. Ein kleines Schmuckstück, doch ein gutes Vorzeichen für deine Zukunft bei mir.«
Ich wußte nicht recht, wovon er sprach, und warf einen letzten Blick auf die Schaustücke in dem Museum.
Die Frau der Sterne erwartet uns im Salon.
Ich vereinigte mich tief, ohne Hochmut oder Verlegenheit.
»Erhebe dich, Gadak, denn ich glaube, du möchtest ein Freund meines Lord Gafard und auch mein Freund sein.«
Ihre melodische helle Stimme verzauberte mich.
»Ich werde dir dienen, meine Dame. Deine Standarte soll nie entehrt werden.«
Sie trug keinen Schleier und war wie Gafard in Weiß gekleidet. Das schwarze Haar war in Löckchen hochfrisiert. Sie hielt den Kopf steif, doch ihre Haltung wirkte nicht arrogant. Ich genoß ihre Schönheit und wandte schließlich den Blick ab, denn ich spürte Kummer in mir aufsteigen.
»Ich möchte, daß du dies trägst, Gadak. Ein ausländisches Schmuckstück aus einem unbekannten Land jenseits der Äußeren Ozeane. Und doch ist es von Wert. Ich möchte, daß du es zur Erinnerung an mich trägst und als Dank für dein Jikai mit den Lairgodonts.« Sie hielt mir eine goldene Kette hin. »Und, was noch wichtiger ist, du hast das Leben meines Geliebten gerettet.«
Ich nahm das Schmuckstück. An der Goldkette hing eine Miniatur aus hellem Emaille und kostbaren Edelsteinen. Rot und Weiß. Das Bild eines winzigen rotweißen Vogels mit ausgebreiteten Flügeln und klaffendem Schnabel. Ein Valkavol. Dieser winzige, harmlos wirkende Vogel konnte sehr zornig werden, wenn er angegriffen wurde oder seine Jungen in Gefahr wähnte. Der Valkavol war in meinem Inselstromnat Valka zu Hause und diente meinen Soldaten als Standartenzeichen.
Ich betrachtete das Ding in meiner Hand, ein winziges goldenes, rotes und weißes Gebilde. Ich sollte ihr Standartenträger sein, und unwissentlich hatte sie mir genau das Symbol geschenkt, das über meinen valkanischen Kämpfern wehte.
»Ich danke dir, meine Dame ...« Mehr brachte ich nicht heraus.
Gafard lachte dröhnend. »Ich kann zwei Burs erübrigen. Dann kehren meine Dame und ich in den Turm der Wahren Zufriedenheit zurück.«
Ich habe keine Erinnerung mehr daran, was während dieser zwei Burs geschah. Heute bereue ich das, bereue es bitterlich, wie Sie hören werden.