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Im späten achtzehnten Jahrhundert hatte ich in der englischen Marine gedient, in Nelsons Flotte, und eine härtere Erziehung gibt es nicht. Als Sklave war ich darüber hinaus ausgepeitscht und verprügelt worden und hatte bis an den Rand der Erschöpfung arbeiten müssen. Außerdem war ich ein Prinz gewesen, der sich ein Leben in Luxus leisten konnte, und zuletzt König. Und ein Spion, der sich bemüht hatte, einer verfeindeten Nation wichtige Geheimnisse zu entreißen.
Während mich Gafard kritisch musterte und meine Kleidung und mein Auftreten festlegte und mich mit weisen Worten über mein Verhalten während der Audienz unterwies, sagte ich mir mehrmals, daß meine Erfahrungen eigentlich ausreichen müßten, um die bevorstehenden Ereignisse mühelos zu überstehen.
Doch trotz aller inneren Versicherungen, trotz aller neuen Erkenntnisse, trotz meiner Sorge, daß ich das alte innere Auge verloren haben könnte, spürte ich Gefahren auf meinem Weg. Ich konnte mit dem lauten Schrei »Zair! Zair!« aus der Reihe ausbrechen und um mich hauen, bis ich niedergeschlagen und an den Fersen aus dem Saal gezogen wurde. Das war eine Möglichkeit.
Doch es stand zuviel auf dem Spiel, als daß ich mir diesen Luxus gönnen konnte.
Meinem Inselstromnat Valka, das zum vallianischen Reich gehörte, standen garantiert neue blutige Kämpfe gegen das gefährliche hamalische Reich bevor. Meine Pflicht lag bei diesem Land, und bei meiner Frau Delia. Und nicht zu vergessen die anderen Pflichten, um die ich mich nur selten kümmerte – mein Königreich Djanduin hatte seinen Herrscher seit langer Zeit nicht mehr gesehen, ebenso mochten sich das edle Haus Strombor und meine Klansleute von Felschraung und Longuelm vernachlässigt fühlen.
Nein, ich mußte mich zurückhalten, mußte mich diesem Wahnsinnigen ergeben, diesem Genod Gannius.
Er würde nie erfahren, daß ich nur deswegen auf der Welt war weil ich an jenem ersten Tag am Großen Kanal dem Gebot der Herren der Sterne gefolgt war und das Leben seiner Eltern gerettet hatte. Ohne mich hätte es ihn nie gegeben. Mit dieser Tat hatte ich ganz Zairia in Leid und Kummer gestürzt, ohne es zu wissen lediglich von egoistischen Zielen erfüllt, denn ich wollte unbedingt erreichen, daß ich auf Kregen bleiben durfte ...
Riesig und ehrfurchtgebietend ist die Stadt Magdag. Mächtige Mauern umschließen die zahlreichen Hafenanlagen. Am Wasser steigen die teuren Bauwerke in zahllosen Stufen empor. Zahllose funkelnde Tempel erheben sich zur Ehre Grodnos, und überall herrscht Gedränge und lebhaftes Treiben.
Magdags Besonderheit, das Kennzeichen, das sie über die meisten anderen Städte erhebt, ist das unglaublich große Areal mit den Megalithen. Über unzählige Dwaburs erstrecken sich kolossale Bauwerke, entstanden aus einem unstillbaren Hunger ständiger Erweiterung heraus. Tausende von Sklaven und Arbeitern sind hier ständig am Werk, errichten ewig neue Säle und Höfe und Pavillons, ziehen neue Türme und Kuppelbauten empor, alle zur Ehre und zum Ruhm Grodnos des Grünen. In Magdag wird ständig gebaut. Als Sklave, als Schreiber hatte ich dort mitgewirkt, ich war auch in die Geheimnisse um die Gründe für diese Baubesessenheit verwickelt worden.
Gafard wurde in seiner Preysany-Sänfte getragen, ich ritt auf einer Sectrix hinter ihm – so bewegten wir uns durchs Gewimmel der Straßen. Die Megalithen, die mächtigen Blöcke, zerrissen den Horizont. Alles überragend, eindrucksvoll, düster, schienen sie Magdag eher zu belasten.
König Genods Empfang lief nach dem erwarteten Schema ab. Es herrschte ein blendender Prunk, zahlreiche komplizierte Rituale mußten beachtet werden, unverständliche Regeln waren einzuhalten. Durch zahlreiche Höfe wurden wir geleitet, Marmortreppen hinauf, und durch mächtige Torbögen, die nach oben hin etwas spitz zuliefen, wie es bei den Grodnim üblich war. Überall standen reglose Wächter; sie bewegten nur die Augen und musterten jeden prüfend. Sie waren in eine Vielfalt prachtvoller Uniformen gehüllt, und ich prägte mir alle Einzelheiten von Rüstungen und Bewaffnung ein. Vielleicht würde mir das bald von Nutzen sein.
Kammerherren in grünen Heroldsröcken und mit goldenen Stäben schritten voraus. Fanfaren schmetterten, was meiner Ansicht nach dazu bestimmt war, die Besucher bei Hof vor Schreck zusammenfahren zu lassen. Immer weiter ging unsere Wanderung, bis wir schließlich das Vorzimmer des Audienzgemachs erreichten. Wie viele kregische Paläste, die ich kannte, war der Palast Grodnos des Allwissenden ein Labyrinth von Zimmern und Kammern und Geheimgängen. Ich bewahrte Haltung und sah mich ungezwungen um, wie es sicher von mir erwartet wurde; doch zugleich hatte ich das Langschwert in der Scheide gelockert, und meine rechte Hand hielt sich bereit.
Endlich marschierten Gafard und ich in die grelle Pracht des Audienzgemachs.
Licht, Farben, funkelnder Tand. Fächer wurden hin und her geschwenkt, bloße Schultern waren zu sehen, Seidenstoffe und Pelze, Rüstungen aus Eisen und Stahl, und überall die grüne Farbe in verschiedensten Schattierungen und Materialien.
Die Ausstattung, die den Besucher beeindrucken sollte, bedrückte mich eher. Was hatte ich, der ich ein Anhänger Zairs gewesen war, hier zu suchen, auch wenn die Krozairs von Zy mich verstoßen hatten?
Das Lairgodont war an vielen Stellen abgebildet. Wachen mit Speeren und Schwertern und in schimmernden Rüstungen standen an den Wänden entlang. Auf ihren polierten Helmen erhoben sich Silberskulpturen von Lairgodonts. Dem Künstler, der die Darstellung geschaffen hatte, war es gelungen, die gewalttätige und heimtückische Art des Tiers einzufangen. In dem weit aufklaffenden Maul zeigten sich gefährliche Hauer. Die Körperschuppen waren bis ins letzte Detail dargestellt. Der Schwanz mit den Widerhaken war drohend erhoben, die gefährlichen kraftvollen Klauen verhießen den Tod.
Wir marschierten über den weiten Marmorfußboden zum anderen Ende des Saals. Drei Sitzgelegenheiten erhoben sich dort; auf dem mittleren, dem höchsten Thron saß König Genod.
Die Eisenbeschläge unserer Sandalen hallten durch den Saal.
Gafard gab das Musterbild eines Kriegers ab, beladen mit Ehre und Reichtum, rücksichtslos und grausam im Bewußtsein seiner überlegenen Kraft.
Ich, Gadaks Gefolgsmann, marschierte einen halben Schritt links hinter ihm. Ich trug einen weißen Umhang mit grünen Mustern über dem Kettenhemd, darüber eine grüne ärmellose Weste die mit Silber bestickt war. Den Genodder trug ich an der rechten Schulter, das Langschwert an einem Wehrgehänge zu meiner Linken. So marschierten wir an den Reihen der Wächter vorbei, an den Gruppen der Höflinge und Beamten und hohen Offiziere, an den herausgeputzten Frauen, von denen jede die langen grünen Federn anders trug. Das von oben hereindringende Licht erzeugte ein geradezu blendendes Funkeln in dieser Szene, in der das verhaßte Grün vorherrschte.
Wir machten an einer goldenen Linie im Marmor halt. Ich hob den Blick und betrachtete zuerst die beiden niedrigeren Thronsitze.
Rechts saß ein kleiner eingeschrumpfter Mann, dessen Alter ich auf weit über zweihundert schätzte. Ich vermutete in ihm den weisen Ratgeber des Hofes, vielleicht auch einen Zauberer, und das eingefallene Gesicht und die beweglichen dunklen Augen, die mich an die Augen einer Echse erinnerten, bestätigten mir, daß er eine wache Intelligenz besaß.
Auf dem linken Thron saß – der Atem stockte mir in der Kehle und ich mußte mich gewaltsam beherrschen. In meinem häßlichen Gesicht durfte sich kein Muskel rühren.
O ja, diese Frau kannte ich!
Seit unserem letzten Zusammentreffen hatte sie sich verändert. Sie war rundlicher geworden, die Konturen der Schönheit in ihrem Gesicht wirkten weicher, ließen sie unzufriedener erscheinen denn je. Trotzdem war ihre einzigartige Schönheit noch zu erkennen. Das dunkle Haar hatte sie sich nach der allgemeinen Mode grün färben lassen. Die dunklen Augen blickten mich an, und ich setzte einen starren Ausdruck auf. Es war lange her, seit wir uns in Magdag gegenübergestanden hatten, damals gingen meine Voskschädel dem sicheren Sieg entgegen, ein Sieg, der ihnen auf grausame Weise doch noch entrissen worden war. Unser letztes Gespräch war von Zorn und unerfüllten Sehnsüchten bestimmt gewesen. Sie hatte meinen alten Voskschädel als lächerlich bezeichnet und hatte mit der Reitpeitsche nach mir geschlagen, doch ich hatte mich noch rechtzeitig ducken können.
Prinzessin Shusheeng. O ja, ich kannte sie.
Würde sie mich ihrerseits erkennen?
Wie entsetzt war sie gewesen, als sie erfuhr, daß ich Krozair von Zy war, Lord von Strombor!
Ich stand starr vor den Thronsitzen und wagte es schließlich doch, den Blick zum Glanz des Königs zu erheben.
Er war ein stattlicher Mann, dieser König Genod. Auf den ersten Blick bemerkte ich das Feuer in ihm, die ungezügelte Energie, das Lodern des Genies, das andere Menschen führen und inspirieren konnte. Zugleich sah ich in den tiefliegenden schwarzen Augen die Grausamkeit eines Leems. In der scharfen Nase, dem arrogant geschnittenen Gesicht, in den dünnen Lippen sah ich Symbole, die, sosehr man es auch bestreiten will, einen Mann kennzeichneten, der sich selbst und seine Ziele stets an allererster Stelle sieht. Stirnrunzelnd blickte er auf uns herab, und der bunte Glanz seiner Kleidung und seiner Edelsteine verblaßte neben der düsteren Macht dieses Gesichts.
»Lahal, Gafard.«
»Lahal, Majister.«
Mehr sagten die beiden nicht zueinander; trotzdem glaubte ich plötzlich ein wenig mehr von der Bindung zwischen ihnen zu verstehen. Herr und Bediensteter, Gehirn und Werkzeug, so ergänzten sie sich. Diese beiden waren in der Lage, das Binnenmeer zu unterwerfen!
Prinzessin Shusheeng, die einmal flehend vor mir auf den Knien gelegen hatte, nackt bis auf den grauen Sklavenschurz, rührte sich nicht. Ich warf ihr einen kurzen Blick zu und bemerkte keine äußere Veränderung in ihrem Gesichtsausdruck. Es war lange her; außerdem galt der berüchtigte Krozair, der Lord von Strombor, als tot. Und vielleicht hatte ich mich in all den Jahren auch etwas verändert. Außerdem stand ich im Schatten Gafards, der mir das Licht von den hohen Fenstern versperrte.
Gafard hatte mich darauf vorbereitet, daß diese Audienz zugleich die öffentliche Aufnahme in die Gemeinschaft der Grünen bedeuten würde. Nach dieser Zeremonie würde ich ein Grodnim sein. Später würde der König mich unter vier Augen empfangen zu einem Gespräch, das mir mehr Aufschluß geben mochte über die Dinge, die von mir erwartet wurden.
Ich machte mir klar, daß Prinzessin Shusheeng einen Großteil ihres Ehrgeizes hatte befriedigen können. Sie und ihr teuflischer Bruder, Prinz Glycas, hatten in Magdag vorankommen wollen. Inzwischen war Genod Gannius auf der Szene erschienen, hatte seine Armeen im Triumph nach Magdag geführt und herrschte nun hier in der Stadt der Megalithen. Und er hatte Shusheeng zu seiner Gefährtin gemacht. Wenn Glycas nicht tot war, mußte er irgendwo in der Stadt sein; der Gedanke gefiel mir ganz und gar nicht.
Die Kammerherren lösten mir den Genodder vom Schultergurt und trugen die Waffe zu einem Chuktar, einem prachtvoll gerüsteten Chulik. Nach etlichem Hin und Her sollte der Genodder durch die Priester gesegnet werden, die in grünen Roben bereitstanden. Dann würde der König die Klinge küssen, die mir anschließend zurückgegeben wurde. Zum Schluß mußte ich die Waffe ebenfalls küssen und bekam sie wieder umgehängt. Damit war die Aufnahme vollzogen.
So stand ich denn und wartete auf die nächste Etappe dieser Charade.
Niemand rührte sich.
Mein Blick fiel auf den König. Er hatte die rechte Hand halb erhoben, er wollte das Zeichen zum Anfangen geben. Doch die Hand bewegte sich nicht, zitterte nicht einmal. Der alte Gelehrte hatte den Mund halb geöffnet. Shusheengs Hand lag über einer goldenen Brosche auf ihrer Brust.
Kein Ton war aus der Masse der Höflinge im hellen Audienzgemach zu vernehmen, kein Mensch rührte sich. Ich drehte mich zu der hohen Doppeltür um. Was geschah dort?
Im nächsten Augenblick erschien Zena Iztar in der offenen Doppeltür und ging an den versteinerten Gestalten vorbei auf mich zu. Wie immer war sie eine sehr eindrucksvolle Erscheinung. Sie trug ihre rotgoldenen Roben mit einem schmalen grünen Leibtuch, und die Edelsteine an ihrem Gewand brachten es fertig, König Genods Audienzsaal billig erscheinen zu lassen.
Sie blieb ein Stück vor mir stehen und schüttelte den Kopf. »Dray Prescot! Ich möchte wissen, was du hier tust!«
»Das liegt doch auf der Hand!«
»Für mich nicht – ebensowenig für die Herren der Sterne oder die Savanti.«
»Dann sind sie – und du – nicht gerade intelligent.«
Sie lächelte nicht. Vielmehr schüttelte sie noch einmal den Kopf. »Wenn wir unsere Intelligenz benutzen, wie du uns anheimstellst, könnten wir zu dem Schluß kommen, daß du hier etwas Böses tun willst.«
»Natürlich ist es etwas Schlechtes!«
Eine winzige Linie erschien zwischen den Augenbrauen.
»Madame Iwanowna, Zena Iztar, wir sind uns bisher dreimal begegnet: hast du dabei nicht mitbekommen, daß ich ein schlechter Mensch bin?«
»Und doch wurdest du von den Savanti erwählt und später auch von den Herren der Sterne?«
»Danach habe ich selbst nicht gestrebt.«
»Und doch fiel die Wahl auf dich.«
Ich war nicht so dumm, zu fragen, warum die Wahl wohl auf mich gefallen war. Die Savanti, die übermenschlichen Bewohner Aphrasöes, der Schwingenden Stadt, holten viele Menschen von der Erde, unterwarfen sie einem Test und bildeten sie als Savapim aus, als ihre Agenten, die auf Kregen zum Wohle der Apim, des Homo Sapiens, wirken sollten. Mein Verhalten hatte den Savanti nicht gefallen, und so hatte man mich aus dem Paradies verstoßen. So hatte ich dann auf Kregen gekämpft und mir ein eigenes Paradies geschaffen, mein Leben mit Delia. Die Herren der Sterne setzten mich nach Belieben für ihre Ziele ein. Dabei machte ich mir keine Illusionen, ich bildete mir nicht ein, etwas Besonderes zu sein, ein Mann, dem auf dieser weiten fremden Welt eine große Zukunft winkte: mein Leben hing vielmehr von den Auswirkungen der miteinander konkurrierenden Interessen anderer Wesen ab.
»Ich hatte dich gewarnt, Pur Dray«, sagte Zena Iztar. »Ich habe dir gesagt, man würde dir nicht gestatten, das Auge der Welt zu verlassen.«
»Ich bin nicht mehr Pur Dray.«
»Das mag stimmen. Aber du sollst dir diesen Titel zurückgewinnen, du sollst deine rechtmäßige Position als Mitglied der Krozairs von Zy wieder einnehmen.«
»Das alles liegt hinter mir.«
»Wenn du nicht tust, was ich dir sage, wirst du nicht vom Binnenmeer loskommen.«
In der Zeit, da ich noch prahlte und plante, da ich nach Magdag ritt und den Argenter bestieg, um nach Hause zu fahren – in der Zeit mußte ich tief in meinem Inneren gewußt haben – nein, ich hatte gewußt –, daß ich das Auge der Welt nicht verlassen konnte. Jene unvorstellbaren und unversöhnlichen Kräfte die außerhalb von Zeit und Raum wirkten, hielten mich fest. Solange das von ihnen Gewünschte nicht eintrat, mußte ich hierbleiben, ein freier Mann im Bereich des Binnenmeeres; dennoch hier festgehalten wie zuvor auf der Erde, meiner Heimat.
»Ich habe die Krozairs überwunden!« fuhr ich dennoch fort. »Ich habe sie abgeworfen, so wie eine Schlange sich häutet. Es gibt auf Kregen andere Orte, die mir mehr am Herzen liegen.«
»Wie eine Schlange, sagst du ...«
»Na und? Ich bin schlecht, da paßt auch eine Schlange als Symbol. Allerdings verabscheue ich diese Wesen, obwohl sie doch nur ihrer Natur folgen.«
»Trotzdem muß ich dir sagen, daß du nur dann eine Chance hast, nach Valka zurückzukehren, wenn du wieder zum Krozair von Zy geworden bist.«
»Und Delia?«
Zena Iztar legte einen langen weißen Finger vor die Lippen. »Du kennst deine Frau. Du kennst ihre Entschlossenheit. Sie ist in Sicherheit und so zufrieden, wie sie es ohne dich sein kann – trotzdem wird sie alles riskieren, um dich wiederzufinden!«
»Und du willst sie zu diesem Schicksal verdammen?«
»Ich verdamme niemanden«, antwortete sie. »Seit die Welt besteht, leiden Männer und Frauen, und das wird sich bis zum Ende nicht ändern.«
»Du hast angedeutet, ich würde vor einer Entscheidung stehen, vor einer schweren Entscheidung.«
»Nicht diese elende Sache, so ernst sie auch sein mag«, tat sie meine Worte ab. »Die große Entscheidung kommt später. Außerdem habe ich gesagt, daß selbst Grodno daran schuld sein könnte, daß ganz seltsame Dinge geschehen sind.«
»Ich erinnere mich. Das war bei unserem ersten Gespräch in meinem Zimmer in London, vor der Séance.«
»Und als ich dich an den Ufern des Großen Kanals zum zweitenmal traf, warnte ich dich erneut. Du hast eine Rolle zu spielen. Ich wünschte, du würdest dich ihr mit ganzen Herzen widmen.«
»Solange ich von Delia getrennt bin, ist das unmöglich.«
»Das sehe und verstehe ich. Dazu muß ich folgendes sagen: Du mußt deinen Weg weitergehen, mit aller Konzentration, die du dafür aufbringen kannst. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich grüße dich als Pur Dray.«
Ich deutete mit einer Kopfbewegung auf den Thron. »Und wenn Shusheeng mich erkennt?«
»Ich glaube nicht, daß ... Prinzessin Shusheeng dich erkennt. Für sie kreist das Leben nur um den König. Außerdem wäre es ihr nicht recht, wenn der König wüßte, daß sie sich vor dir erniedrigen wollte und du sie verschmäht hast.«
»Aye, das hat ihr nicht gefallen.«
»Mehr habe ich dir im Augenblick nicht zu sagen.«
Gleich würde diese Frau verschwinden, all die stummen, erstarrten Gestalten ringsum würden zum Leben erwachen, die Zeremonie würde weitergehen. Der Chulik-Chuktar mit dem Kurzschwert hatte das rote Tuch bereits erhoben. Noch viele Fragen brannten mir auf der Zunge – und eine ganz besonders: »Wenn du nicht von den Herren der Sterne und auch nicht von den Savanti kommst, Zena Iztar, von wem dann?«
Ihr Blick war auf das rote Tuch in den Fingern des Chuktar gerichtet.
»Du sollst ...?«
»Ja.«
»Und es wird keine Bedeutung haben?«
»Keine.«
»Denk an meine Worte. Der einzige Ausweg für dich. Denk daran.«
»Aber ... sag mir, wer du bist, und warum ...«
Doch sie entfernte sich bereits mit geschmeidigem Gang. Die Doppeltür schloß sich hinter ihr – eine antreibende Kraft dafür war nicht zu sehen.
Ich war allein.
Das Stück Seide in den Fingern des Chulik-Chuktars zuckte hervor, als er es nun völlig aus der Tasche zog. Er hielt es in die Höhe bereit für das Signal des Königs.
Heller Fanfarenschall. Der hohe Saal füllte sich mit dem Seufzen und Murmeln der vielen hundert Menschen. Der König beendete das Signal.
Und so lief die Charade denn ab. Ich spuckte auf den roten Stoff, eine alte Rudererflagge, und trampelte darauf herum. Ich gab verschiedene Versprechen, die nichts bedeuteten, da sie im Namen Grodnos ausgesprochen wurden – und die ganze Zeit über hallten die unheimlichen Worte in meinem Voskschädel wider.
»Wenn du das Binnenmeer verlassen willst, mußt du wieder ein Krozair von Zy werden!«