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Triathlon ist eine tolle Sache. Leider gehört zum härtesten Sport der Welt auch die Teildisziplin Schwimmen. Nicht, dass unser Achim ein Weichei wäre. Vor heimischen Raubfischen hat er aber schon Respekt.

 

Der schleimige Klumpen, den die Wellen auf den Sand geschubst haben, könnte ein ehemaliges Käsebrötchen sein. Oder Teil einer Pampers. Oder vormaliger Inhalt dieser Schwäne, die keine zehn Meter entfernt im Schilf lauern, mit Heimtücke im Knopfauge. Sie werden mich anfallen, sobald ich ins Wasser gehechtet bin.

Es ist kurz vor sieben und menschenleer an der Krummen Lanke, abgesehen von ein paar Walkern, die mit ihren Stöckchen Schlangenlinien in den Waldboden ziehen. Walker sind egal. Die fallen als Zeugen aus. Walker sind die Hirntoten unter den Waldbesuchern. Hat man jemals gehört, dass ein Walker eine Leiche im Wald fand? Nein, es waren immer Jogger. Walker legen sich wahrscheinlich entkräftet neben eine Leiche und warten auf den Krankenwagen, der sie nach Hause transportiert, liegend natürlich.

Manche Gedanken macht man sich nur, um Zeit zu gewinnen. Zum Beispiel, wenn man in Badehose im Sand steht, sich das Wasser grau und feindselig um die Füße schleicht und die eher unschönen Teile der Nahrungskette wie ein Absperrband vor einem liegen.

Warum um Himmels willen sollte ich da reinspringen? Warum überhaupt schwimmen? Es gibt Boote, Brücken, Uferwege, Jesus. Schwimmen ist die unökonomischste aller Fortbewegungsarten. Maximal anstrengend bei minimalem Vorwärtskommen. Nass und kalt ist es obendrein. Schwimmen ist eine reine Notfallfähigkeit, die man beherrschen sollte, aber praktisch nie anwenden muss im Leben. Es sei denn, man will Triathlet werden.

Bis zu den Waden habe ich mich schon ins Wasser vorgearbeitet. Irgendwas schnappt nach meinen Füßen. Wie war die Geschichte mit dem Killerwels, der letzten Sommer einen Pudel vom Ufer in den See gerissen hat? Und die Schlingpflanzen erst, die da draußen lauern. Man verheddert sich, schlägt um sich, verheddert sich noch mehr und unerbittlich ziehen einen die Pflanzen hinab. Exakt auf diesen Moment wartet der Wels. Und dann schnappt er zu und frisst mich auf.

Ein Walkerpärchen hat sein mörderisches Tempo gedrosselt und steht nun kichernd hinter mir. Die beiden haben ihre Krückstöcke in den Sand gerammt und reißen sich die Hochtechnologiefasern von den schlaffen Leibern. Ein Aroma von altem Iltis hängt plötzlich über dem Morgen. Schlimmer als Walker sind nur nackte Walker. Die beiden Sportskanonen stürzen sich quiekend ins Wasser. Angeber, dämliche. Also gut. Ich zähle leise bis drei. Dann ein paar kraftvolle Schritte, die Arme ausgebreitet und den Johnny Weissmüller gemacht.

Vorsichtshalber beginne ich mit Brustschwimmen. Kraulen ist so eine Sache: Nach sechs bis sieben Zügen bin ich vollständig entkräftet. Und der Weg zur Boje ist weit. Sobald sich mein sensibler Hochleistungsorganismus an die feindliche Umgebung gewöhnt hat, werde ich ein paar Kraulzüge machen. Dann Brust zum Erholen. Dann wieder Kraul. In ein paar Jahren werde ich dank dieser ausgefeilten Methodik 100 Meter am Stück bewältigen können.

Wenn man das Ufer hinter sich gelassen hat, wird das Wasser sauberer. Leider auch kälter. Ich schwimme und schwimme, aber die verdammte Boje kommt keinen Millimeter näher. Vielleicht eine Wanderboje. Ich werde die ersten Kraulzüge machen. Wie war das noch? Dreier-Atmung, wegen der Stabilität, den Arm anwinkeln und unter den Körper drücken, die flache Hand am Oberschenkel entlang aus dem Wasser führen, so als ob man sie aus der Hosentasche zieht.

Verdammt. Zu viel Technik gleichzeitig. Ich schlucke Wasser. Husten. Luftschnappen. Zu Hilfe. Wo bleibt die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger? Wozu schmeiße ich mein ganzes Leben lang in jeder Kneipe ein paar Münzen in die Plastikschiffe auf dem Tresen? Ich mache toter Mann. Das Wasser schmeckt merkwürdig. In irgendeinem Berliner See soll seit 60 Jahren ein britisches Jagdflugzeug liegen, samt Pilot. Ich schwimme lieber wieder. Was ist, wenn ausgerechnet heute Morgen der letzte Rest vom Sicherheitsgurt durchgegammelt ist und der arme Kerl direkt unter mir aufsteigt? Ich spüre schon was an meinem Bauch. Da, die Boje.

Auf dem Rückweg mache ich zehn brillante Kraulzüge am Stück. Ich spüre respektable Muskelstränge in den Schultern wachsen. Die Schwäne lauern am Ufer, aber sie haben offenbar Respekt vor meiner kraftvollen Anmut. Ich denke an Hawaii. Wenn das hier 380 Meter waren, dann müsste ich nur noch neunmal hin und zurück. Was kümmern mich die Quallen, Haie und Flugzeugträger im Pazifik. Ich habe nackte Walker und gierige Welse überlebt.

Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer
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