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Die Läufer sind schon ein komisches Völkchen. Haben Rituale, die kein Außenstehender kapiert. Das Grüßen etwa ist eine Wissenschaft für sich. Einfach nur »Hallo« geht nicht. Spezialisten verfügen nach einigen Jahren über ein breites Repertoire – inklusive der formvollendeten Verachtung für Walker.

 

Wenn sich zwei Straßenbahnen begegnen, dann grüßen sich die Fahrer. Tippen an die Mütze, Nicken, Handheben. Früher haben sich Enten-Fahrer gegrüßt. Heute noch Motorradfahrer. Die heben meist zwei Finger. Gruppen zelebrieren per Gruß ein Wir-Gefühl, nicht nur für sich, sondern vor allem für die, die nicht dazugehören. Wir Straßenbahnpiloten, wir Lederpack, wir sind die coole Gang. Und was seid ihr, ihr Bus- und Autofahrer? Nichts.

Trotzdem bedeutet Gruppengrüßen nicht automatisch Nettsein. Denn wo Grüße sind, lauern auch Halb-Grüße, falsche Grüße, beleidigend knappe Grüße. So wird klein gehalten, was nach unten gehört.

Auf dem Pavianfelsen wird mit rotem Hintern geklärt, was Läufer per Gruß erledigen. Feine Signale verraten Millionen von Freizeitsportlern, was sie wert sind. Eine kleine Soziologie des Läufergrußes.

 

Anfänger

Rotgesichtige Achtundsechziger, die der Arzt aufgeklärt hat, dass die Jugend seit zwei Generationen vorbei ist, die Plauze weg muss und der Infarkt lauert. Das Schlurfen seiner Samba, die Adi Dassler noch persönlich zusammengenagelt hat, erzeugt eine respektable Wolke Feinstaubs, aus der heraus er jeden Läufer, der ihm begegnet, sogleich freudig anspringen will: Statt Schwanzwedeln unkontrolliertes Arme-Rudern, dazu ein gejapstes »Hallöchen, äh, ich bin der …«, um viel zu spät zu merken, dass Laufen mit Tempo und nichts mit Quatschen zu tun hat. Schon aus disziplinarischen Gründen darf man diese Exemplare niemals grüßen. Sonst fühlen sie sich in ihrem bizarren Treiben noch ermuntert. Ihr Platz: auf dem weiten Gelände unterhalb des Pavianfelsens.

 

Möchtegern-Profis

Laufen schon seit vielen Jahren, haben sich die Beine bis zum Bauchnabel enthaart, halten sich für die Größten und alle anderen für Abschaum. Frau- und kinderlos, weil es mit solchen Idioten keiner aushält. Betrachten Grüßen als Schwäche. Rotzen stattdessen kurz und vernehmlich. Psychostruktur wie Olli Kahn, hätten auch als Gefängnisaufseher Karriere gemacht. In Wirklichkeit haben sie natürlich Recht: Es macht einen Heidenspaß, diese Kretins, die sehnlichst auf ein Zeichen warten, durch Gruß-Entzug zu erniedrigen. Wegen mangelnder Sozialkompetenz auf dem Pavianfelsen höchstens irgendwo in der Mitte.

 

Frauen

  1. junge, schnelle: Haben schöne Beine, sonst leider meist zu mager. Aber ihr zarter Duft, ein Schweißfilm wie Raureif, aktiviert umgehend sämtliche auch unkontrollierte Grußreflexe. Entgegenkommenden kann man ein Lächeln abringen. Absolute Alpha-Weibchen.
  2. ältere, langsame: Sind nur durch die Turnschuhe von Spaziergängerinnen zu unterscheiden. Gucken angestrengt weg. Das haben sie bei Eduard Zimmermann gelernt. Halten Männer, die allein und in bunten Strumpfhosen durch den Wald hechten, für potenzielle Sittenstrolche. Lustig: Ein kräftiges »Guten Morgen« und sie macht vor Angst einen Satz in den Grünstreifen. Küchenhilfe bei Pavians.
  3. dicke: Blicken zu Boden. Schämen sich. Unglückliche Frustfresserin. Genervt vom Mann, der mit der Kollegin fremdgeht, und den aufsässigen Blagen. Wollen auf gar keinen Fall gegrüßt werden, denn dann würden sie ja angeguckt. Kümmern sich im sicheren unteren Drittel um die Paviankinder.

Walker (meist in Rudeln)

Unterhalten den ganzen Wald mit ihrem Gequatsche und begrüßen Läufer mitleidig. »Guck mal, wie der seine Gelenke ruiniert.« Zügig dran vorbei und auf gar keinen Fall grüßen. Nicht satisfaktionsfähig. Erlaubt ist allenfalls die Frage: »Hat mal einer ’ne Zigarette?«, die mit vielstimmigem »Ja, klar« beantwortet wird. Ihr Platz: immer drei Schritte hinter dem Anfänger.

 

Bewohner der Sächsischen Schweiz

Hier kommt es seit einigen Jahren vermehrt zu Gruß-Unfällen, wenn sich nämlich joggende Glatzen mit Lonsdale-T-Shirts am fetten Leib und nichts als Unsinn in der Birne auf einem engen Waldweg begegnen, gleichzeitig den Arm zum Führergruß emporreißen und sich dabei gegenseitig K.o. schlagen. Dürfen die Erdnussschalen am Fuße des Felsens zusammenfegen, bis sie wieder bei Sinnen sind.

 

Tempoläufer

Zu erkennen an weißlichen Klümpchen in den Mundwinkeln. Leistungsorientiert, aber umgänglich. Würden gern grüßen, sind nur zu angestrengt, wollen außerdem nicht Kohlehydrate durch hektische Bewegungen vergeuden. Maximal knappes Handheben, das sich auf den letzten Kilometern auf ein Wimpernzucken reduzieren kann. Beta-Männchen, dürfen sich das Keilen der Pavian-Chefs aber aus der Nähe angucken.

 

Alpha-Läufer

Alle, die so grüßen wie ich. Nämlich nie zuerst. Abwarten, was der andere macht. Showdown auf der Dorfstraße. Zuckt er? Ich nicht. Da plötzlich. Er kann die Hand nicht mehr ruhig halten. Sie schnellt nach oben. Er hat verloren. Huldvoll nicke ich herab, von der Spitze des Felsens, auf euch nervenschwache Frühgrüßer.

Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer
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