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Die große Leere nach dem Marathon. Was tun mit der vielen freien Zeit? Einfach so loslaufen, ohne Plan, ohne Panik vor 42 Kilometern? Das geht nicht. Ohne Schiss kein Schritt zu viel. So funktioniert der Läufer manchmal.

 

Die Angst vorm Marathon hatte mich strukturiert: Jeder Bissen, jeder Atemzug, jede freie Sekunde, jede Vitaminpille, jeder Gedanke, alles drehte sich um die viereinhalb überflüssigsten Stunden meines Lebens. Es gab keine Zeit nach, immer nur die vor dem Laufen: Kaum hatte man die Schuhe abgestreift, die käsigen Socken abgepellt und einen Blick auf die schrumpeligen Zehen geworfen, da meldete sich auch schon der General namens schlechtes Gewissen: »Das war ja nicht so doll heute. Morgen musst du mehr trainieren, härter. Schneller sein. Dünner sein. Gestern hast du schon geschwänzt.«

Und jetzt? Plötzlich liegt alles hinter dem Marathon. Vor mir ist nur ein großes schwarzes Loch. Und dieses Gefühl, jämmerlich versagt zu haben. Mehr als 260 Minuten – welch eine Schmach. Narbe, Stigma, Kainsmal. Ich hasste jede Sekunde, die über vier Stunden lag. Sekunden sollte man abschaffen. Und Minuten gleich mit. Diese kleinen Zeiteinheiten sind wie Steuerprüfer: Kaum sind sie da, verhält man sich hektisch und absonderlich.

Schade, dass wir im Erdgeschoss wohnen. Der Sprung aus dem Fenster könnte mich nur umbringen, wenn ich mit dem Ohr an einer von Monas Rosen hängen bleibe und sie mich daraufhin erschießt. Was sollte ich mit meinem Leben anfangen? Lesen? Aber Bücher ohne Trainingspläne interessieren mich nicht. Musik hören? Dexy’s Midnight Runners vielleicht. »Runaway« von Linkin Park? Oder Tom Petty: »Running down a dream«? Mona sagt, ich soll die Musik leiser machen. Ich langweile mich.

Vielleicht sollte ich mal wieder mit meiner Frau reden? Aber worüber? Die letzten Monate hatten wir keinen Satz gewechselt, der nicht mit Laufen zu tun hatte.

Ich: »Wo sind meine Laufsocken?«

Sie: »In irgendeinem deiner verkeimten Klamottenhaufen, die überall rumliegen.«

Ich: »Willst du einen drahtigen Mann oder nicht?«

Sie: »Bring Brötchen mit.«

Drei Kilogramm habe ich allein in dieser Woche draufgepackt. Bestimmt nur Wasser. Ich will trotzdem nicht laufen. Meine Knie tun weh. Alles tut weh, wenn kein Wettbewerb droht. Aber ich will auch nicht nicht laufen. Ich fühlte mich wie eine Frau: Das Leben als Strudel steter Widersprüche. Klare Sache, ich bin schizophren. Und laufabhängig. Sollte ich eine Drogenberatung konsultieren? Wo war die Selbsthilfegruppe »Lerne leben ohne laufen«? Leider war ich viel zu schwach, um aufzustehen, sogar zu schwach zum Denken. Ich hatte eine Motivationskrise. Herrlich.

Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer
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