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Echte Triathleten kennen kein Pardon. Sie trainieren wie die Wilden. Frau und Kind? Egal, die stören nur. Damit die Lieben nicht rebellieren, sondern brav spuren, hilft manchmal eine geniale Finte.

 

Ich hatte Karl und Mona einen Ausflug versprochen, am Wochenende. Vom Briesensee hatte ich geschwärmt, seinen feinsandigen Gestaden, dem romantischen Café, der Ruhe dort im Spreewald kurz vor Cottbus. Meine Familie wunderte sich: Warum verzichtete der alte Spinner auf wertvolle Trainingszeit und wollte stattdessen ostzonale Kohlehydrathalden aufsuchen? Die Frage war berechtigt. Aber hätte ich die Wahrheit sagen sollen, dass mir meine Familie nur als Tarnung dient für einen Spionageausflug? Mona würde ich mit einem Spaziergang Arm in Arm am Strand korrumpieren und Karl mit Magnum Mandel.

Mona roch den Braten ziemlich schnell. Kaum hatten wir die Autobahn verlassen, fuhren vor und hinter uns ausschließlich Autos mit Rennrädern auf dem Dach oder im Kofferraum des Kombis. »Achim«, sagt Mona drohend, »wo schleppst du uns hin?« Ich pfiff ein fröhliches Lied und antwortete bestgelaunt: »Zum Briesensee, Schatz, dem schönsten Gewässer Brandenburgs.« Mona tippte sich an die Stirn. »Ganz Brandenburg besteht aus schönsten Gewässern. Warum geigen wir anderthalb Stunden durch die Gegend?«

Die Straßensperre gab deutlich zu früh die Antwort. »Huch«, sagte ich und tat überrascht. »Aha!«, sagte Mona. »O nein«, stöhnte Karl von hinten. Sie hatten mich erwischt. »Wegen einer Triathlon-Veranstaltung ist die Durchfahrt nicht möglich«, verhieß das selbst gemalte Schild, dem der Dorfpolizist daneben zusätzlich Autorität verlieh. Die Autos wurden auf eine Wiese zum Parken geschickt, ein Trecker zog die Menschen auf einem Anhänger zum See. Damit war wenigstens schon mal Karl besänftigt.

Mona schwieg und guckte wie Angela Merkel. Wir saßen auf dem Anhänger zwischen Einkaufstaschen mit Neoprenanzügen und Männern, die Adilette zum Fleece-Pullover trugen. Ihre Frauen saßen daneben, streichelten ihre Helden und redeten ihnen gut zu wie hypernervösen Galoppern vor dem Start. Sie wachten über Plastikwannen, Müllsäcke und Flaschen mit bunten Essenzen. Sie waren stolz auf ihre Männer. Würde Mona je stolz auf mich sein? Sah gerade nicht so aus.

Wer je dachte, Läufer hätten einen Sockenschuss, wird beim Triathlon eines Besseren belehrt. Die wahrhaft Bekloppten treffen sich hier. Am Strand hatten sich die ersten in ihre Großkondome gezwängt und windmühlten mit den Armen. In etwa fünf Kilometern Entfernung waren Aufblasbojen zu sehen. Ein Landkilometer ist zu Wasser objektiv mehr, viel mehr. Vor allem, wenn man die Strecke schwimmen muss. Karl steckte einen Zeh in den Briesensee. »Igitt«, schrie er, »saukalt.«

Mein Winora-12-Gang hätte im Wechselgarten alle Mitathleten angelockt. Sie hätten sich schlapp gelacht. Was der durchschnittliche deutsche Familienvater in die Verspoilerung seines 3er-BMW pumpt, das investiert der Triathlet in Kohlefasern. O Campagnolo mio. Mona steht maulig am Ufer. Sie ahnt ja gar nicht, was wir in den letzten Jahren gespart haben. Demnächst werden wir wohl ein wenig investieren müssen, schon um der Binnenkonjunktur aufzuhelfen. Ich wollte immer schon ein zweites Konto anlegen, wegen des häuslichen Friedens.

Am Strand wurde es voller, ein Mann mit Megafon erklärte, wann wer in welcher Richtung wie oft wo entlanglaufen müsse. Ich verstand kein Wort. Noch fünf Minuten bis zum Start der ersten Gruppe: olympische Distanz, 1500 Meter Schwimmen, 40 Kilometer Radfahren und 10 Kilometer Laufen. Meine. Vielleicht. Danach die wahren Helden: Mitteldistanz, 2200, 84, 20, die Hälfte von Hawaii. Nur viel kälter. Und in Ostdeutschland.

»Wir gehen jetzt Kaffee trinken«, befahl Mona. »Liebes, nur noch den Start«, flehte ich. Ich sah Hunderte schwarzer Würste in brodelndem Wasser, dann zogen mich meine Lieben davon. Ich musste durch einen Wald spazieren gehen, zu einem Ausflugslokal. Karl hatte sich zwei Stöcke genommen. »Wie Walker«, sagte er stolz, weil er dachte, eine erwachsenengerechte Bemerkung gemacht zu haben. »Lass das«, fauchte ich, »damit macht man keine Scherze.«

Zwei Tassen lauwarmen Kaffee, eine Tonne Glibberkuchen und stockende Gespräche später kamen wir zum Ziel zurück. Menschen fielen von Fahrrädern, Menschen sprangen auf Fahrräder, Helfer wedelten mit Fahnen, Partnerinnen kreischten, Trinkflaschen flogen durch die Luft. Manche liefen in textiler Notration die Straße entlang, ausgesprochen zügig übrigens.

Zum ersten Mal hellt sich Monas Miene auf. »Das sind aber knackige Jungs«, sagt sie. Offenbar erinnert sie sich an ihren gut gebauten Jugendfreund Carsten. »Schwimmen bringt’s halt für oben rum«, erkläre ich fachmännisch. »Du kannst nicht schwimmen«, entgegnet Mona. »Für dich würde ich’s trainieren«, sage ich. Meine Frau lacht. Mal sehen, wie lange.

Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer
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