8. Kapitel

Als die Tränen getrocknet sind, liege ich in meinem Bett, unter der Decke. Ich weiß, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sie sich fragen, wo ich bin, und mich suchen werden. Aber ich kann nicht in den Speiseraum zurückgehen, weil mein Körper nicht aufhören will zu zittern.

Ich hole die Pille aus meiner Tasche und betrachte sie. Vielleicht wirkt sie nicht, aber ich muss es trotzdem versuchen. Ich muss kämpfen. Das ist meine letzte Chance, mich selbst davor zu bewahren, alles zu verlieren.

Ich schiebe mir die Pille in den Mund und schlucke sie trocken herunter, huste kurz, als sie stecken bleibt, doch dann rutscht sie weiter. Ich weiß, woran ich mich erinnern muss. Es ist nichts Romantisches. Nichts, was mir besonders kostbar wäre. Aber ich hoffe, dass es mich zu einigen Antworten führen wird, wenn ich wieder draußen bin. Mit der nächsten Pille werde ich eine perfekte Erinnerung von James einfangen.

Doch jetzt, in diesem Moment, denke ich angestrengt an das Foto von ihm und Brady, an den Ring. An all das, was ich in meiner Matratze versteckt habe, damit ich es wiederfinde, wenn ich zurückkehre. Ich weiß jetzt, dass alles, was an jenem Tag in meinem Elternhaus geschehen ist, aus meiner Erinnerung gelöscht sein wird, dass ich sonst nie nach diesen Dingen suchen würde. Nur so kann ich sie mir erhalten.

Ich konzentriere mich auf das Foto, auf James’ Gesicht, auf seinen bloßen Oberkörper, darauf, wie er lässig den Arm um die Schultern meines Bruders gelegt hat. Auf Bradys Lachen und darauf, wie der Fluss durch den Hintergrund fließt. Und auf den Ring, jenen purpurfarbenen, glitzernden, herzförmigen Ring, den James mir geschenkt hat, auch wenn ich nicht mehr weiß, wann das war. Aber ich habe ihn ständig getragen, also muss er etwas Besonderes für mich bedeutet haben.

Das alles steckt in meiner Matratze, diese Dinge, die uns wieder zueinander führen werden. Also klammere ich mich ganz fest an die Erinnerung und schließe die Augen.

Es können erst ein paar Minuten vergangen sein, als ich plötzlich von Schmerz zerrissen werde. Ich schreie auf, habe das Gefühl, als habe jemand gerade einen Hammer auf meinen Hinterkopf geschlagen. Ich beuge mich vor und übergebe mich auf den Boden, mein Magen krampft sich zusammen, meine Kehle brennt. Ich presse die Hände gegen den Kopf, als könnte ich so das schmerzhafte Pochen stoppen.

Das Zimmer dreht sich um mich, und ich lege mich wieder aufs Kissen zurück, die Augen fest geschlossen. Ich versuche, meinen Atemrhythmus unter Kontrolle zu bringen, und noch einmal denke ich an den Ring und das Foto, die ich in meinem Bett versteckt habe.

Die Agonie scheint sich eine Ewigkeit zu dehnen, aber es hat wahrscheinlich nicht einmal fünf Minuten gedauert, bis ich schließlich wieder in der Lage bin, die Augen zu öffnen. Mein Magen ist immer noch zusammengeschnürt, und ich weiß, dass ich die Schweinerei wegputzen muss, bevor Schwester Kell mich hier entdeckt.

Langsam rutsche ich aus dem Bett, darauf bedacht, nicht in das Erbrochene zu treten, dann wische ich es mit Toilettenpapier auf und spüle es im Klo hinunter. Immer noch ringe ich keuchend nach Luft, als ob mir jeden Moment wieder schlecht werden könnte. Ich spüre einen sauren Geschmack in meinem Mund, doch dahinter ist – Pfefferminze.

Ich beuge mich über die Toilette und übergebe mich erneut.

Ich kehre in den nun halb leeren Speisesaal zurück. Ich bin sicher, dass ich grässlich aussehe. Ich komme mir vor, als hätte ich einen Kater. Meine Augen sind blutunterlaufen, die fettigen Haare habe ich mir zum Pferdeschwanz zurückgebunden. Aber die Leute scheinen es nicht zu bemerken, und ich begreife plötzlich, dass es hier besser ist, nicht hübsch zu sein, weil man dann unbemerkt bleibt.

Das Tablett ist immer noch da, wo ich es stehen gelassen habe, und ich tue so, als würde ich an dem Brötchen knabbern, das auf meinem Teller liegt. Ich trinke den Apfelsaft, mir wäre alles recht, Hauptsache, es vertreibt den Geschmack, der nicht aus meinem Mund weichen will.

Tabitha, die am anderen Ende des Raums sitzt, starrt mich an, als wäre ich ein Studienobjekt, doch dann senkt sie den Blick.

Ich überlege, ob Roger auch ihr die Pille angeboten hat. Ich würde es gern wissen, aber wie kann ich so etwas fragen? Und was, wenn er es nicht getan hat? Sie könnte mich verraten, dann würde man mich woanders hinschicken und alles noch länger dauern.

Ich vermisse Realm. Ich hoffe, dass Roger die Wahrheit gesagt hat, als er meinte, Realm käme bald zurück. Was ist, wenn sie ihm wehtun? O Gott, was ist, wenn sie mich aus seiner Erinnerung löschen?

In ebendiesem Augenblick sehe ich, dass Schwester Kell den Raum betritt, und ich springe auf und gehe zu ihr hinüber. Erst schaut sie mich alarmiert an, dann geschmeichelt, weil ich freiwillig zu ihr komme.

»Hallo, Sloane, Liebes. Fühlst du dich besser?«

»Ja. Aber … ist alles mit Realm in Ordnung?«

Sie lächelt, wieder hat sie etwas Großmutterhaftes. »Michael Realm geht es gut. Gerade jetzt kühlt er sich ein bisschen bei Dr. Warren ab. Er wird heute nicht in unserer Abteilung übernachten, fürchte ich. Aber ich hoffe, dass er morgen wieder zu uns stößt.«

Beinahe wäre ich in Tränen ausgebrochen. »Wird er sich an mich erinnern?«, frage ich mit ganz kleiner Stimme.

Schwester Kell schüttelt den Kopf, als wäre das eine dumme Frage. »Natürlich. Wieso sollte er denn nicht?«

Ich habe den Atem angehalten und atme nun wieder aus. Ich kann es einfach nicht ertragen. Dass sie alle so tun, als würde hier nichts Schlimmes passieren. Als würden sie uns hier nicht unsere Erinnerungen stehlen.

»Danke.« Das ist alles, was ich sagen kann, bevor ich den Raum verlasse und in den Flur laufe.

Ich lasse diesmal »Bullshit« ausfallen und bleibe stattdessen in meinem Zimmer, spiele Solitär mit den Karten, die Schwester Kell mir geliehen hat. Immer wieder lausche ich, hoffe, dass ich Realms Lachen auf dem Flur höre. Ich habe Angst, dass Roger draußen vorbeigehen könnte, schlimmer noch, dass er hereinkommt. Aber alles bleibt ruhig.

Ich schlafe ohne Mühe ein, ohne die Pillen schlucken zu müssen, die Schwester Kell mir bringt. Ich stehe früh auf, denn ich habe gleich einen Termin bei Dr. Warren, aber ich mache noch einen Umweg und schlendere an Realms Zimmer vorbei. Er ist noch nicht zurückgekehrt.

Ich betrete Dr. Warrens Büro, und sie strahlt, als würde sie sich wahnsinnig freuen, mich zu sehen.

»Gut siehst du heute aus, Sloane«, sagt sie.

Ich weiß, dass sie lügt, denn ich habe nicht geduscht und mir nicht einmal die Mühe gemacht, in den Spiegel zu schauen. Ich habe lediglich meinen Waschlappen in heißes Wasser getaucht und mir den Hals geschrubbt, um alle Spuren von Rogers Lippen zu entfernen. Ich habe mir die Haut bis aufs rohe Fleisch abgerubbelt, und mir fällt auf, wie Dr. Warrens Blick zu der roten Stelle gleitet, aber sie spricht mich nicht darauf an.

»Bevor wir beginnen …« Sie schiebt mir den Becher mit der roten Pille hin, aber ich schüttele den Kopf.

»Danke, aber das brauche ich nicht.«

Sie lächelt. »Du wirst die Pille nehmen, Sloane. Wir haben das doch alles bereits durchgekaut.«

Von dem, was Roger mir erzählt hat, weiß ich nun, dass diese Pillen Erinnerungen isolieren und sie markieren, damit sie später getilgt werden können. Ich will sie nicht in meinem Mund. Ich will sie unter meiner sockenbedeckten Ferse zermalmen.

»Haben wir?«, sage ich. »Vielleicht kann ich mich nicht daran erinnern.«

Dr. Warren presst die Kiefer zusammen. »Halte dich an die Regeln, wenn du entlassen werden willst.«

»Ich nehme sie nicht«, fahre ich sie an. Was wie ein ärztlicher Rat von ihr klingen sollte, hört sich eher wie eine Drohung an. Mein Ärger schäumt über.

»Letztes Angebot«, sagt sie und hält meinen Blick mit ihrem fest.

Ich beuge mich zu ihr vor. »Ich nehme die Scheißpille nicht, klar?«

Dr. Warren zuckt nicht mal zusammen. Sie lehnt sich gelassen in ihrem Ledersessel zurück. »Marilyn«, ruft sie jemanden hinter mir.

Eine große Frau in der weißen Tracht der Krankenschwestern marschiert herein, eine aufgezogene Spritze in der Hand. Noch bevor ich Zeit habe zu begreifen, was hier vor sich geht, spüre ich, wie die Nadel in die Haut meines Oberarms sticht.

»Was ist das?«, schreie ich und springe aus meinem Sessel auf.

»Reg dich nicht auf«, sagt Dr. Warren beruhigend. »Es ist die gleiche Dosis. Ich hab dir ja gesagt, du wirst das Medikament so oder so nehmen. Freiwillig ist es nur weniger schmerzhaft.« Sie schaut die Krankenschwester an. »Bereiten Sie schon die andere Spritze für nachher vor.«

Ich stehe da, halte mir den Arm und komme mir absolut hilflos vor. Dass man mir Gewalt angetan hat, macht mich dermaßen wütend, dass ich fürchte, ich werde gleich alles verpatzen.

Dr. Warren ignoriert meinen offensichtlichen Zorn. »Heute möchte ich mit dir darüber reden, wie es nach dem Tod deines Bruders mit James und dir weiterging. Wie ihr dermaßen voneinander abhängig wurdet.«

»Wir sind nicht voneinander abhängig, du Miststück. Wir lieben uns.«

Sie betrachtet mich nachdenklich, wartet geduldig ab, bis ich vollkommen gefügig bin.

Ich kann bereits spüren, wie die Droge durch meine Adern pulsiert, ich schwanke, weiß, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis ich ihr völlig ausgeliefert bin. Bis ich Dr. Warren alle meine Geheimnisse verrate.

Als ich wieder in den Sessel sinke, fühlt sich mein Körper so leicht an, mein Kopf ist benebelt, und ich beginne zu erzählen.

»James und ich waren bereits zwei Monate heimlich zusammen«, sage ich und stütze den Kopf seitlich gegen die Rückenlehne. »Es war ganz schön schwer, es vor Brady zu verbergen. James hat dauernd bei uns übernachtet, und jeden Morgen gegen drei schlich er sich aus Bradys Zimmer und schlüpfte zu mir ins Bett. Wir haben uns geküsst und uns flüsternd unterhalten, und stets hat mich James zum Lachen gebracht. Ich wollte nicht verheimlichen, was ich für ihn empfinde, aber ich wusste, dass die anderen nicht mit unserer Beziehung einverstanden gewesen wären. Brady nicht und auch nicht unsere Eltern. Also haben wir auf diese Weise viel Zeit miteinander verbracht, hielten uns in den Armen, redeten davon, dass wir aus Oregon weggehen würden.«

»Hattet ihr Sex?«, will Dr. Warren wissen und notiert sich etwas in ihren Akten.

»Nein. Wir hätten miteinander schlafen können, aber wir haben es nicht getan.« Ich lächele vor mich hin. »Wir haben nur ziemlich viel geknutscht.« Meine Augen schließen sich wie von selbst, ich fühle mich weit entfernt. »Nachdem Brady gestorben war, peinigten James Schuldgefühle. Mir ging es noch schlechter. Hätte ich schwimmen gekonnt, ich hätte ihn vielleicht retten können. Er war mein Bruder, und ich habe die Anzeichen nicht bemerkt. Ich habe mich gefragt, ob es daran lag, dass alle meine Gedanken nur um James kreisten. Und dass James zu viel an mich gedacht hat. In jener ersten Woche haben wir uns voneinander ferngehalten, James und ich. Ich habe es nicht mal fertiggebracht, ihn anzusehen.«

»Und was hat sich dann geändert?«

»Nachdem mein Bruder beerdigt war, meine Mutter nicht mehr ständig weinte und mein Vater mit dem Trinken aufgehört hatte, richteten meine Eltern ihre ganze Aufmerksamkeit auf mich. Sie hatten Angst, ich wäre ebenfalls depressiv, und sie begriffen nicht, dass es nur Trauer war. Mein Bruder war mein bester Freund gewesen, und ich wollte ihn zurück.« Ich schweige einen Moment, schlucke schwer. »Doch er würde niemals mehr zurückkommen. Er würde mich niemals wieder aufs Riesenrad mitnehmen, in dem wir ganz oben stehen bleiben. Er würde mir niemals mehr das Schwimmen beibringen können.«

Dr. Warren reicht mir ein Taschentuch, und ich wische mir die Augen, obwohl ich gar nicht gemerkt habe, dass ich weine. Ich spüre auch nichts auf meinen Wangen. Ich bin taub.

»Und dann habe ich eines Nachmittags meine Mutter in Bradys Zimmer entdeckt«, fahre ich fort. »Sie war dabei, seine Sachen wegzupacken, und ich bin ausgerastet. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass seine Sachen in einer Kiste landen, so wie er in einer Kiste gelandet ist. Ich habe ihr gesagt, dass ich sie hasse.« Ich senke den Kopf. »Ich bin nicht stolz darauf, aber ich war so in den Gefühlen meiner Eltern gefangen, und ich brauchte meine eigene Zeit, um zu trauern. Aber sie wollten mich nicht trauern lassen. Am nächsten Tag fand ich eine Broschüre des ›Programms‹ neben dem Telefon. Und ich wusste, ich durfte sie nie mehr sehen lassen, dass ich weine. Ich wusste, dass ich mit James reden musste, weil Brady uns aufgetragen hatte, aufeinander aufzupassen.

All das Ausfragen, die Therapie, das Überwachen in der Schule haben mich überfordert. Ich habe mich dermaßen einsam gefühlt, dass ich schon fürchtete, ich würde tatsächlich krank. Aber später in dieser Woche kam ich aus meiner Klasse und sah James bei den Spinden stehen, als habe er dort schon die ganze Zeit gewartet, und ich begriff, wie sehr ich ihn vermisst hatte. Er hat keine Sekunde gezögert, als er mich erblickte, kam durch den Flur auf mich zu, umarmte mich und hob mich hoch und erdrückte mich fast. Ich wollte weinen, aber ich konnte nicht.«

»Es gibt gesündere Formen, seine Gefühle auszudrücken«, meint Dr. Warren. »Du hättest mit den Beratern reden können.«

Ich starre sie an und frage mich, ob sie das ernst meint, ob sie nicht weiß, zu welchen Extremen die Welt dort draußen greift, um uns zu »schützen«.

»Glauben Sie, was Sie wollen«, erwidere ich. »Aber die Betreuer suchen nur nach einem Grund, um uns hierherschleifen zu können. Deshalb sind wir doch einem solchen Druck ausgesetzt.«

Ich wende mich ab, denke daran, wie erleichtert ich darüber war, dass es James gutging.

»An jenem Tag hat er mich nach Hause gefahren und auch am nächsten. Allmählich begriff ich, dass wir uns nur dann normal verhalten konnten, wenn wir zusammen waren. Wir haben uns irgendwo verkrochen, wo wir weinen konnten und uns niemand dabei sehen konnte. Als die Wochen vergingen, redeten wir auch wieder über andere Dinge. Darüber, dass wir fortgehen würden, nur er und ich. Dass wir bis in alle Ewigkeit zusammenbleiben würden.«

Meine Brust weitet sich, als ich an unser erstes Mal denke, daran, welche Angst ich hatte. Wir hatten gezeltet, kuschelten uns auf einer Decke neben dem warmen Feuer aneinander. Ich war so verliebt in ihn.

Ich schließe die Augen und denke daran, wie James meinen Hals geküsst hat, wie heiß seine Lippen waren. Wie sanft seine Hände auf meiner Haut. Schon bald wurden seine Küsse leidenschaftlicher, schien er mich mehr zu begehren als je zuvor.

Er schob sein Knie zwischen meine Beine, doch als ich ihm sein Shirt über den Kopf zog, hielt er inne, ganz atemlos.

»Warte«, sagte er. »Wir sollten das nicht tun.«

Er hatte die Lider halb gesenkt, in seinen blauen Augen las ich Begehren. Lust. Ich zog ihn zu mir herunter und küsste ihn erneut, versuchte, seinen Gürtel zu öffnen, auch, als James noch einmal sagte, dass wir es nicht tun müssten. Er hatte Kondome mitgebracht, was mir zeigte, dass er zumindest in Betracht gezogen hatte, es könnte passieren, und wir benutzten sie, so, wie wir es auch später stets getan haben.

Ich öffne meine Augen wieder und sehe, dass Dr. Warren auf meine Geschichte wartet. Ich will ihr nichts erzählen, doch ich kann es nicht verhindern. Ich hasse es, dass ich es nicht verhindern kann, denn ich weiß, was es bedeutet. Sie wird mir diesen Moment stehlen, und schon allein die Vorstellung ist unerträglich.

»Es hatte nichts mit Hormonen zu tun«, sage ich, »als James und ich in jener Nacht zum ersten Mal Sex hatten. Es geschah aus Verzweiflung, Traurigkeit, und es war sogar ein bisschen schmerzhaft. Aber es war auch wunderschön und voller Hoffnung. Es war ein Versprechen, das wir einander gaben, dass wir den anderen immer beschützen würden. James sagte mir, dass er mich liebt, dass er niemals zulassen würde, dass mir etwas passiert. Ich habe ihm das Gleiche versprochen …«

Ich ersticke fast an meinen Worten. »Aber es war eine Lüge. Ich habe ihn nicht beschützt. Ich habe es so sehr versucht, aber ich war nicht stark genug. Sie sind gekommen und haben ihn weggeholt. Und jetzt liebt er mich nicht mehr.«

Ich bedecke mein Gesicht mit den Händen, beginne zu weinen und begreife, wie weh es tut, zu leben. Und dass ich mit diesem Verlust nicht leben will.

»Mir ist gar nichts mehr geblieben«, sage ich durch meine Finger. »Ich bin jetzt ganz allein.«

»Bist du nicht«, widerspricht Dr. Warren. »Ich will ja nicht behaupten, dass James ein schlechter Mensch war. Genauso wenig wie Brady oder Miller oder Lacey. Aber sie sind der wirkliche Grund, weshalb du hier bist. Sie waren infiziert, Sloane. Und sie haben dich angesteckt. Und nun musst du gesund werden. Dazu müssen wir, genau wie bei einem Krebsgeschwür, alles herausschneiden, was dich krank macht.«

Ich blicke sie an, hasse sie immer noch, doch der Schmerz, der in meinem Herzen wütet, hat den Hass vielleicht ein wenig geringer werden lassen.

»Hier.« Sie hält mir die gelbe Pille hin. »Nimm sie. Gib dir selbst neue Kraft, Liebes. Damit alles wieder gerichtet wird.«

Ich ziehe ihr Angebot in Betracht. Dann denke ich an Rogers widerwärtigen Mund auf meinem. Ich denke daran, dass seine purpurfarbene Pille mir helfen wird, mir einige meiner Erinnerungen zu bewahren. Also schaue ich Dr. Warren an und sage: »Gehen Sie zum Teufel!«

Und schon packt mich jemand, und ich spüre den Einstich in meiner Haut.