KAPITEL 13
Das Vergessen
Der Tod der Welt nahm in seinem unaufhaltsamen Näherrücken zwei neue Formen an. Die eine zeigte sich in einem Dorf namens Somerset und war, im Gegensatz zur anderen, auf die Charaktere von Nightfall und ihr Handeln zurückzuführen.
Die ursprünglichen Pläne des Weltenmachers sahen vor, dass ein gewaltiger Krieg über Nightfall hinwegtobte, und das Dorf war dazu ausersehen, als Erstes von der Weltkarte zu verschwinden. Niemand außer den drei Göttern – Muse, Tom und dem Mechaniker – wusste davon, und niemand hatte den Bewohnern von Somerset erzählt, dass sie einzig und allein geboren waren, um in einem großen Blutbad unterzugehen. Außer einer gewissen Erwartung, die irgendwie in der Luft lag – und die nur Besucher, niemals aber die Einheimischen spürten –, gab es nicht den geringsten Hinweis, dass das Schicksal etwas Besonderes mit Somerset vorhatte. Seit seinem Entstehen war das Dorf unverändert, und seine Bewohner folgten stets den gleichen ausgetretenen Wegen wie all die Generationen vor ihnen. Ihr Leben war bequem vorherbestimmt, serviert wie eine fade Mahlzeit, die sie nie selbst zubereiten mussten.
Und doch kam ihnen ihr Dasein wirklich vor. Die kleinen Dramen im Dorf forderten ihre ganze Aufmerksamkeit: Die Karotten auf dem Wochenmarkt waren etwas mickriger als normal; Virons Hund hatte sich wieder mal losgerissen und streunte durch die Gegend; die Stute von Stu hatte die Geburt ihres Fohlens nicht überlebt. Solche Ereignisse gaben Anlass zu aufgeregtem Klatsch, obwohl sie sich – mit kleineren Abwandlungen – immer wieder abspielten.
Gelegentlich kamen die Personen, die Geschichte machten – die Hauptfiguren –, auf dem Weg zu Geschäften oder weniger langweiligen Orten durch Somerset. Dann verbrachten sie eine Nacht in der Herberge und besuchten das Wirtshaus, um einer Boxveranstaltung oder ein paar Hahnenkämpfen beizuwohnen. Die Einheimischen umwirbelten sie wie Blätter, die ein kurzer Windstoß aufgescheucht hatte, und fühlten sich einen Moment lang selbst wie Hauptfiguren, ehe sie zu ihren vertrauten Nebenrollen zurückkehrten. Am Morgen brachten die Farmer ihre Erzeugnisse wieder in die Stadt. Hausfrauen zogen an den Marktständen vorbei, tauschten Rezepte, die schon ihre Großmütter getauscht hatten, plus oder minus diese oder jene Zutat, und ihr Geschwätz erinnerte an Vogelgezwitscher. Die Männer trotteten wie gewohnt zu den Gold- oder Kohlebergwerken, in die Fabriken, zum Rathaus oder Gericht, und allen zusammen war nicht ein Funke mehr Ehrgeiz zu entlocken als normal. Die Landstreicher bettelten um Geld für Bier oder versuchten, es sich in dem kleinen Boxring hinter dem Wirtshaus zu erkämpfen, vor einem Publikum, das in der Regel nur aus dem Schankkellner bestand. Kinder verschwanden im Schulgebäude, wo sie die ewig gleichen Märchen und Theorien über ihr Universum zu hören bekamen plus oder minus ein paar Fußnoten: bedeutungslose Namen, Zahlen, Orte, die sie pflichtschuldig auswendig lernten, ohne zu wissen, wofür und warum. Am Galgen vor dem Tor versammelten sich Scharen Neugieriger, wenn man Verbrecher henkte, obwohl sie die gleiche Szene schon so oft beobachtet hatten. In der Kirche lauschten ein paar ältliche Betschwestern verzückt dem unsinnigen Geschwafel ihres Priesters, der mit großem Nachdruck predigte, obwohl er weniger wusste als sie.
Unbewusst hielten alle träge Ausschau nach einem Zeichen, dass Veränderungen nahten, nach einem Signal, dass sich endlich jener große Wandel vollzog, den sie in jeder Zelle ihres Seins spürten. Aber keine Botschaft kam, und so gingen sie weiter ihren Alltagsgeschäften nach. Der Niedergang der Welt und ihr bevorstehender Tod waren nicht bekannt und daher auch kein Gesprächsthema. An keinem anderen Ort waren der Uhrwerkeffekt und die Ohnmacht des Einzelnen gegenüber seiner Umgebung augenfälliger als in diesem verschlafenen Kaff.
Und doch hatte eine Veränderung stattgefunden. Nur fiel es niemandem auf. Wäre einer der Hauptcharaktere da gewesen, hätten die Leute ihr Dorf vielleicht verlassen. In der Sprechstunde des Doktors klagten an jenem Vormittag fünf Patienten, dass mit ihren Augen etwas nicht in Ordnung sei. »Als ob ein grauer Schleier über allem läge«, berichteten sie.
Der Doktor hatte das bereits selbst festgestellt. »Orangensaft«, grummelte er. »Und kommen Sie noch mal vorbei, wenn es schlimmer wird.«
Die Farmer hätten ebenfalls merken müssen, dass etwas nicht stimmte, als ihr Getreide plötzlich starr und spröde wurde. Einer von ihnen kratzte sich eine Viertelstunde lang am Kopf, nachdem er versucht hatte, Maiskolben zu ernten, und die Dinger in seinen Fingern wie farbloses Glas zersplitterten. Er zuckte mit den Schultern, die sich ein wenig verkrampft anfühlten, und lud die Bruchstücke in seinen Schubkarren, um sie zum Markt zu fahren.
Die Dörfler hätten vielleicht auch sehen können, dass sich alle anderen ebenso steif bewegten wie sie selbst, in einer Art lebendigem Rigor mortis, als hätten sich ihre Beine in Stelzen verwandelt – aber nein. Sie gingen durch das zunehmend graue Dorf wie eh und je, ein wenig ruckartiger und langsamer als sonst, ohne auch nur einen Schritt von dem gewohnten Pfade abzuweichen.
Niemand außer ein paar Händlern von auswärts machte sich groß Gedanken über das Schild an der Hauptstraße, auf dem SOMERSET durch KONFUSION und EINWOHNER: 9344 durch EINWOHNER: TOT ersetzt war. Sie hatten allerdings eher am Ortsrand zu tun, wo der graue Schleier – den sie durchaus bemerkten – nicht so ausgeprägt war wie im Zentrum. Merkwürdiger erschien ihnen, dass die Einheimischen vergaßen, sich ihre Waren bezahlen zu lassen. Aber da die Händler sie nicht in Verlegenheit bringen wollten, verzichteten sie darauf, sie auf ihr Versehen hinzuweisen.
Und die Planen über den Erzeugnissen verbargen die spröden, glasartigen Splitter, in die sich die Waren ihrer Lieferanten verwandelt hatten …
Doch die sollten die Händler nie entdecken. Sobald sie nämlich in ihre eigenen Orte zurückkehrten und die Planen zurückschlugen, sahen sie die Produkte, die sie zu sehen erwartet hatten, denn diese wurden beim Kontakt mit Orten wiederhergestellt, die noch genug von dem weißen Licht besaßen, das der Welt in ihren letzten Tagen Leben verlieh.
Charm nahm als Erste die andere Form des Weltsterbens wahr.
Sie wanderte allein durch die Wälder, auf dem gleichen Pfad, den sie zusammen mit Aden gegangen war, als sie Muse verfolgten. Charm hatte die Kapuze hochgeschlagen, um die Kälte zu vertreiben, die mit dem Näherrücken des Winters etwas mehr Biss bekam. Ihre Schritte waren lautlos wie die eines wilden Tieres, das die Verborgenheit suchte. Der Lichtschein, der sie einhüllte, war gedämpft, gerade hell genug, dass er ihr den Weg weisen und ihren Schatten über die Baumstämme tanzen lassen konnte. Rindengesichter starrten sie an, grimmige alte Männer, die nun vor sich hin dösten und von bitteren Dingen träumten.
In der Tasche ihres Gewands befand sich eine Traube roter Beeren, die sie am Morgen von Cherrysträuchern gepflückt hatte. Sie schob eine in den Mund und ließ den weinsüßen Saft auf ihrer Zunge explodieren. Das schwache Gift versetzte sie in einen angenehmen Rausch. Ihre Schritte wurden länger. Im Halbdunkel zu ihrer Linken erhellte die Aura, die sie umhüllte, die Steilufer einer kleinen Schlucht. Sie fielen zu einem kleinen Rinnsal ab, dem letzten Ausläufer jenes Flusses, der von den Bergen herunter am Hof von Tom vorbeisprudelte. Sie hatte einmal versucht, den Drachenmann zu verführen, als sie ihm in den Wäldern begegnet war, doch er hatte sie nur ausgelacht. Die Erinnerung daran trieb ihr immer noch die Schamesröte ins Gesicht. Damals hatte sie nicht gewusst, dass es Tom war, der hin und wieder eine warme Mahlzeit für sie auf einem Baumstumpf nicht weit von hier abstellte.
Ihr Ziel war eine Lichtung auf der anderen Seite der Wälder, wo einer der ihr ergebenen Sklaven jede Woche einen Strohkorb mit Brot, Käse, Wein und Obst für sie hinterließ. Zum Dank besuchte sie ihn hin und wieder in seiner Hütte, blendete ihn eine Weile und flüsterte ihm Liebesworte ins Ohr, während seine Frau in der Kammer nebenan schlief. Sie ließ nie zu, dass ihre Sklaven sie berührten; für die meisten wirkte bereits ihre Nähe wie eine starke Droge. Anderen brannte ihr Glanz das Leben aus dem Leib, sodass sie als verdorrte Hüllen zurückblieben.
Sie war völlig allein unter den schlafenden Eichen und konnte deshalb die Aura heller als sonst strahlen lassen, um etwas von dem Druck abzubauen, der sich allmählich in ihr aufstaute. Wie ein Atemstoß schoss Licht in den schmalen Waldweg hinein; es funkelte, als wäre ein Stern zwischen die Bäume gefallen. Ihre Sandalen flüsterten über Tannennadeln und feuchtes Erdreich. Eine Meile blieb hinter ihr zurück, während ihre Gedanken mit Bitterkeit um einen Tag kreisten, den sie wiederum allein verbracht hatte. Fantasien stiegen in ihr auf, ungehindert von ihrem Gewissen, Fantasien von strahlenden Männern, denen sie befahl, ihre Gemahlinnen und dann sich selbst zu töten. Die Fantasien waren bis ins kleinste Detail ausgefeilt. Sie dachte an den Meuchelmörder, überlegte, was sie alles mit ihm machen könnte, wenn es ihr gelänge, ihn zu beherrschen, oder was er ihr antun könnte, wenn es ihr nicht gelänge. Sie sah seine Augen, die Züge, die an eine aus Holz geschnitzte Maske erinnerten, die geschmeidigen Bewegungen seiner langen Beine, seine schamlose Art, sich mit dem Tod zu schmücken, als wäre er ein Kleidungsstück, oder seinen Schatten, der aus den Poren aufstieg, anstatt hinter ihn zu fallen.
Ja, sie wusste, was sie mit ihm machen würde. Muse, tot, langsam, qualvoll. Als ihr seine Botschaft klar geworden war, hätte sie um ein Haar losgelacht. Wir werden miteinander reden, wenn ich sicher bin, dass du mein Leben nicht in Gefahr bringst, hatte sie zu ihm gesagt. Die Klinge, die er nach ihr geworfen hatte, war seine Antwort gewesen. Du bist nicht in Gefahr. Ich könnte dich jederzeit töten, auch jetzt, in diesem Moment. Pass auf! Sie erschauerte bei der Erinnerung an das Messer, das mit einem leisen Pfeifen ihre Haarsträhne durchtrennt und sich dann mit einem dumpfen Schlag in den Baumstamm vor ihr gebohrt hatte.
Ein Geräusch ließ sie mit einem Ruck verharren. Ihre Instinkte – durch das Leben im Freien geschärft – witterten Gefahr. Sie holte das Licht zurück und dämpfte es, bis es nicht mehr als ein schwacher Schimmer auf ihrer Haut war.
Die Wälder verstummten, während sie den Atem anhielt, als hätten sich alle Augen der Wildnis dem Geräusch zugewandt, um wie sie Ausschau nach der unbekannten Gefahr zu halten. Es hatte wie das schmerzerfüllte Wimmern einer Maschine geklungen, wie das Klagen einer elektrischen Stimme. Da war es wieder: Uuu-ahhh. Der Schrei einer Geistermaschine, der sich an den Stämmen brach und einen Hauch von Krankheit und Verwesung verbreitete. Charm zog die Kapuze tiefer ins Gesicht. Der Schrei wand sich wie Rauch zwischen den Bäumen hindurch und streifte die Äste mit seinem fauligen Atem. Es war ein Laut, wie sie ihn noch nie aus der Kehle eines Naturgeschöpfs vernommen hatte.
Charm wich zwei Schritte zurück, ehe sie bemerkte, dass sie nicht weit von der Lichtung entfernt war, auf der Muse jene Porträts aufgestellt hatte, jene höllischen Porträts. Der Schrei kam von dort her. Die Stille, die sie plötzlich umgab, ließ darauf schließen, dass inzwischen alle Waldbewohner die Flucht ergriffen hatten. Charm stöhnte innerlich. Der Wald hatte ihr immer Schutz geboten, war für sie eine Art Heimat geworden. Dass sich nun Verderben darin ausbreitete, schmerzte sie. Und ihr kam der Gedanke, dass sie diese Heimat erst jetzt, angesichts dieses unbekannten Grauens, als etwas Kostbares empfand.
Sie rannte auf Muses Lichtung zu, bevor ihr zu Bewusstsein kam, dass sie sich in Bewegung gesetzt hatte. Heißer Zorn verdrängte jegliche Furcht. An die zweihundert Schritte legte sie so zurück, ehe sie anhielt, sich keuchend an einen Doppelstamm lehnte und in die mondbeschienene Lichtung starrte. Ein Summen wie von pulsierender Elektrizität drang an ihr Ohr. Eines der Porträts lag mit der Bildseite nach oben mitten auf der freien Fläche. Etwas stemmte sich mit plumper Gewalt hoch. Es sah aus wie der Rumpf eines Mannes, der aus einer Grube stieg. Zwei Arme kamen frei, Hände krallten sich im Boden fest, rissen Erdbrocken heraus.
Es war das skizzenartigste Gemälde, das Muse auf der Lichtung abgestellt hatte – eine schemenhafte Gestalt in einem dunklen Umhang, das Gesicht verborgen bis auf die Andeutung mehrfarbiger Augen, die in einem tiefen schwarzen Schattensee unter der Kapuze leuchteten. Inmitten der anderen, sorgfältiger ausgearbeiteten Schreckensszenen wirkte seine Vereinfachung irgendwie bedrohlich und real. Nun richtete das Ding sich auf. Es besaß allem Anschein nach den Körper eines Mannes, war aber so hager und so groß, dass es ansonsten wenig mit einem Menschen gemein hatte. Sein Umhang teilte sich, als es einen Arm hob und mit den schwarz behandschuhten Fingern des anderen Arms auf seine Festigkeit hin abtastete. Was Charm unter dem halb geöffneten Umhang sah, war ein Knochengerüst, dunkler noch als Kohle – die Farbe der Leere, aber irgendwie sichtbar: das Gegenteil von Licht und doch mit einer gleichen Wirkung. Im Grunde konnte es nicht sein, dass man die Rippen und die Knochen dahinter Schicht um Schicht deutlich erkannte. Das Ding legte den Kopf weit in den Nacken und stieß ein Heulen aus.
Der Laut breitete sich aus wie eine Druckwelle und trieb sie zurück. Das Ding entfernte sich mit den unbeholfenen Bewegungen eines Idioten von dem nun leeren Bilderrahmen. Funken stoben auf, wo seine Füße das Erdreich niedertrampelten. Es näherte sich einem Baum am Rand der Lichtung, hieb ohne Sinn und Verstand mit einem Arm dagegen und riss einen breiten Streifen Nichts durch den Stamm. Zwischen Krone und Wurzeln klaffte plötzlich eine Lücke, aber irgendwie stürzte der Baum nicht in sich zusammen. Das Ding verschwand und nahm das elektrische Summen mit in die Tiefe des Waldes.
Sie trat in die Lichtung hinaus. Ihre Hände zitterten heftig, als sie auf das Bild zuging. Die Leinwand war leer, verkratzt und zerfetzt. Die Fußspuren des Dings hatten sich erhalten, kleine Abgründe gähnender Leere, die eine torkelnde Linie ins Nirgendwo bildeten. Die obere Hälfte des Baumes, den das Ding attackiert hatte, hing in der Luft. Sie drückte mit der flachen Hand gegen den oberen Teil des Stammes. Er rührte sich nicht vom Fleck.
Später würde sie sich fragen, wie lange sie so dagestanden und den Baum angestarrt hatte, den Baum und die Fußspuren, die ihr wie Bohrlöcher in ein tiefes Nichts erschienen. Sie handelte wie unter einem fremden Zwang, als sie auf die Lichtung hinauslief und Muses restliche Werke, die sie bis zu dieser Stunde nicht zu berühren gewagt hatte, in Fetzen riss. Erst im Morgengrauen floh sie von der Lichtung. Sie folgte der Fährte der Fußabdrücke, jeder einzelne ein kleiner Abgrund in das ewige Nichts.
Tom erhob sich Augen reibend aus seinem Bett. Erschütterungen im Boden hatten ihn aus lebhaften Träumen über die alten Tage gerissen. Damals hatten er und Muse zusammengelebt und -gearbeitet, hatten die Zeit angehalten, um gemeinsam die Welt zu formen und mit Menschen und Tieren aller Art auszustatten. Seine Aufgabe war es gewesen, von Kontinent zu Kontinent zu springen und die harten Kanten der Landschaften abzuschleifen, sich in die Tiefen zu begeben und Edelsteine zu polieren, die vermutlich nie jemand finden würde. In jenen Tagen sahen Menschen die Hände des Weltenmachers, die sich vom Himmel herabsenkten und Gebirgsketten auftürmten; niemals aber sahen sie Tom mit Hammer und Meißel die Feinheiten erledigen, Höhlen und Tunnel graben oder die erste Saat pflanzen.
Muse hatte seine Hand geführt, als er die Drachen malte. Sie waren sein Stolz und seine ganze Freude. Und die schweren, unheilvollen Schritte draußen im Hof konnten nur von Drachentatzen stammen. Aber es waren so viele – wumm, bumm, wumm –, und sie unterhielten sich in einem gedämpften Knurren, als scheuten sie sich, ihn aufzuwecken. Das passte so ganz und gar nicht zu ihnen! Um richtig wach zu werden, schüttete er sich ärgerlich einen Schwall eiskaltes Wasser ins Gesicht.
Sie hatten sich nie, nie zu zweit eingefunden – geschweige denn zu fünft, wie ihm ein Blick durch das Fenster verriet. Tom murmelte ein paar Flüche in seinen Bart und ließ den Vorhang zurückfallen. Zwei Goldene, zwei große Rote, dazu der junge blaue Eisdrache mit dem frostigen Atem, der ihn erst gestern besucht hatte. (Er hatte gar nicht gewusst, dass es noch Blaue gab.) Eben dieser Blaue war damit beschäftigt, die Schätze auszuspeien, die er verschluckt hatte. Mehrere Goldhäufchen lagen in den Ecken des Hofes, alle noch mit Drachenspucke überzogen. Das taten sie nur, wenn sie für immer die Gegend verließen.
Tom ging die Verandastufen nach unten, starrte die großen Geschöpfe an und kratzte sich am Kopf. »Wäre einer von euch so freundlich, mir zu erklären, was zum Teufel …« Er unterbrach sich, als er sah, dass den beiden Goldenen jeweils das Schwanzstück fehlte. Er trat an eines der Tiere heran, um die Sache näher zu untersuchen. Der Drache knurrte warnend. Der Schweif war einfach zur Hälfte abgehackt. Kein Blut, keine Wunde. Als hätten sie die Schwanzspitze einfach nur …
»Vergessen«, murmelte er und wandte den Blick den Bergen zu – oder vielmehr dorthin, wo sich noch am Vorabend die Berge befunden hatten. Sie waren weg. An ihrer Stelle erhob sich ein gigantischer, leicht nach innen gekrümmter Glaswall, der vom Boden bis zum Himmel reichte.