KAPITEL 3
Am Fluss
Die Strömung zerrte ihn nach Belieben zu den Ufern und zurück in die Mitte des Flussbetts. Kaltes, metallisch schmeckendes Wasser schwappte ihm in den Mund. Er trieb schnell dahin, eine Meile oder mehr. An den Schleifen kamen die Ufer so nahe, dass er sich die Beine an den spitzen Enden von Ästen oder Wurzeln zerkratzte. Die Oberfläche wirkte immer noch glatt und heiter, aber der Gedanke, in einen dunklen, fremden Ozean hinausgespült zu werden, erfasste ihn mit einer solchen Urangst, dass er seine Gleichgültigkeit abschüttelte. Seine Arme schmerzten, als er gegen den Sog zur Böschung schwamm. Nach kurzer Zeit gab er auf und begnügte sich damit, den Kopf über Wasser zu halten. Eine Brücke spannte sich über den Strom und verdunkelte kurz die Sterne.
Der Fluss machte einen scharfen Knick. Aden rammte mit dem Knie einen dicken Ast, der sich einen kostbaren Moment lang in seinem Hosenbein verfing. Er packte ihn mit beiden Händen, umschlang ihn mit den Armen und zog sich ein Stück nach oben. Die Strömung presste seinen Bauch gegen das schleimige Holz. Langsam und vorsichtig arbeitete er sich dem Ufer entgegen.
Eine Bewegung weiter vorn. In einer Lücke zwischen den dunklen Umrissen der Bäume kniete jemand am Boden, pfiff ein Lied vor sich hin und füllte eine Feldflasche mit Wasser. Aden versuchte, um Hilfe zu rufen, brachte aber nur ein Flüstern zustande.
Der Mann am Ufer zuckte zusammen und sprang auf. Ein Harnisch aus Metall klirrte. Ein Helm fiel ins Gras und rollte in den Fluss. »Och, nein!«, schimpfte er. Er bekam die Kopfbedeckung gerade noch zu fassen. »Eben hat das Wasser was gesagt, Sir«, rief er über die Schulter.
»Erzähl keinen Scheiß!« Die Antwort kam aus einiger Entfernung.
»Tu ich nicht, Sergeant. Ich schwör’s.«
»Du lügst!«
»Nein, Sergeant. Ich schwör’s.«
»Ist nicht das erste Element, das dir was flüstert, was, Gefreiter?«
Der Gefreite klang beleidigt. »Sir … bitte! Ich habe mich sehr gebessert.«
»Also schön, Gefreiter. Was sagte denn das Wasser?«
»Nur ein Wort, Sir. ›Hilfe!‹ Und das mit ziemlich schwacher Stimme.«
Einen Moment lang herrschte nachdenkliches Schweigen. Schließlich meinte der Sergeant: »Na, dann hilf ihm!«
Der Mann setzte seinen Helm wieder auf und starrte in den Fluss. »Zu Diensten«, erklärte er unsicher. »Was kann ich für dich tun?«
»Hier«, sagte Aden. »Zieh den Ast da näher ran!«
»Sagt, ich soll ’n Ast näher ranziehen, Sir!«, rief der Soldat über die Schulter.
»Warum das denn, Gefreiter?«
»Warum das denn?«, fragte der Gefreite den Fluss und kratzte sich am Hinterkopf.
»Weil ich sonst absaufe!«, keuchte Aden. »Mann, bist du ein Arsch! Warum ruft einer im Fluss wohl um Hilfe? Weil er ’n Sonnenbrand hat oder was? Ich bin am Ertrinken, verdammt noch mal!«
»Fluss behauptet, dass er am Ertrinken ist.«
»Fluss behauptet, dass er am Ertrinken ist, Sir!«, schnauzte ihn der unsichtbare Vorgesetzte an.
»Sir, jawohl, Sir! Behauptet, dass er am Ertrinken ist, Sir!«
»Sehr unwahrscheinlich, Gefreiter. Schließlich besteht er aus dem Zeug.«
»Aus welchem Zeug, Sir?«
»Wasser! Außerdem habe ich noch nie von einem sprechenden Fluss gehört. Ah! Könnte sein, dass ein Mensch im Fluss ist und spricht.«
»Der wäre inzwischen längst vorbeigetrieben, Sir. Starke Strömung, Sir.«
»Gutes Argument, Gefreiter. Könnte auch ein Omen Klasse Zwo sein. Ich schicke am besten einen Boten zum Schloss. Smith! Du begibst dich zum Schloss und überbringst folgende Botschaft: Der Fluss hat gesprochen. Fordert Hilfe betreffs eines Astes an. Erwarten neue Order. Los, Smith, los! Niemand sonst rührt sich.«
Aden hörte Schritte die nahe Straße entlanghasten. »Verfluchte Scheiße«, keuchte Aden. Mit tauben Fingern und kraftlosen Armen umklammerte er das schleimige Holz. »So hilf mir doch! Der Ast zu deiner Linken. Kannst du mich nicht sehen?«
Der Soldat kniff die Augen zusammen. »Benötige dringend Laterne, Sergeant.«
»Zu welchem Zweck?«, fuhr ihn der Feldwebel an.
»Zum besseren Sehen, Sir.«
»Das will ich hoffen.«
»Habe seit Mai nichts mehr abgefackelt, Sir!« Die Stimme des Gefreiten klang gekränkt. »Melde gehorsamst, dass ich sehr stolz auf meine Fortschritte bin, Sir. Zwang ist so gut wie besiegt.«
»War auch an der Zeit, Gefreiter.«
Der orangerote Schimmer einer Gaslaterne schaukelte auf das Ufer zu, begleitet von Stiefelgestampfe und dem metallischen Klirren einer Rüstung. Ein hochgewachsener Mann kam näher. Er trug ein Kettenhemd und einen Helm, der jedem römischen Heer zur Ehre gereicht hätte. Seine in Tiefrot und Schwarz gehaltene Uniform passte zu den Farben von Toraks Robe. Schwaches Laternenlicht breitete sich auf dem Wasser aus. Aden hätte um ein Haar den Ast losgelassen, als er mit letzter Kraft um Hilfe rief und mit einem Arm zu winken begann. »Sprechender Fluss, was?«, fauchte der Sergeant, als er Aden erblickte. »Verdammter Schwachkopf! Und Smith ist mit seiner Nachricht bereits unterwegs! Unser schnellster Läufer. Den holen wir nicht mehr ein. Die Leute im Schloss werden mich für den Idioten halten. Blödmann! Degradiert! Du bist degradiert!«
»Ich bin Gefreiter, Sir«, erinnerte ihn der Gescholtene. »Niedriger geht’s nicht, Sir.«
»Dann wiederholst du eben die Grundausbildung«, brüllte ihn der Sergeant an.
»Sir, zur Grundausbildung gehören Liegestütze. Salut-Übungen. Bogenschießen. Gewichtheben.«
»Ja, und?«
Der Gefreite deutete auf den Stumpf, der seinen linken Arm ersetzte. »Im Kampf für das Große Netz hingegeben, Sir«, erklärte er mit leisem Vorwurf.
»Ich weiß, du Hurensohn. Schließlich war das erst gestern. Alle haben einen Arm verloren.« Der Sergeant deutete mit der rechten Hand auf den Stumpf, der seinen linken Arm ersetzte. »Die ganze Einheit sitzt im gleichen Boot. Lohnt sich nicht, einem Einzelnen für so was einen Orden zu verleihen. Macht die ganze Zeremonie billiger, wenn alle einen kriegen. Könnten den Kram ebenso gut dafür verteilen, dass ihr eure Stiefel richtig anzieht. Wenn ich mit nur einem Arm heimkehre, soll es euch nicht anders ergehen. Mein Wort gilt. Du bist degradiert, Soldat. Sprechende Flüsse! Knalltüte!«
Aden hatte die ganze Zeit über gewunken und sich heiser gestammelt, während die Strömung mal schwächer und mal stärker an ihm zerrte. Der Sergeant stellte die Laterne ab. Die beiden Männer wateten bis zu den Knien in den Fluss und tasteten unter Wasser nach dem Ende des Astes, an dem sich Aden festhielt. Sie fanden es, und der Sergeant hieb sein Schwert tief in das Holz. Gemeinsam zogen sie den Ast zum Ufer. Irgendwann spürte Aden schlammigen Grund unter den Füßen. Schlotternd und zähneklappernd wankte er die Böschung hinauf und ließ sich mit dem Gesicht nach unten ins Gras sinken. Es sah aus wie ein Gebet an den festen Boden, aber gleich darauf begann er zu husten und würgte einen Schwall Wasser hervor.
»Und jetzt exekutiere den Mann«, befahl der Sergeant und deutete auf Aden.
»Sergeant?« Der Soldat kratzte sich am Hinterkopf.
»Ablenkung der Armee durch dumme Faxen. Zählt als gegnerische List.«
»Er war doch am Ertrinken, Sir«, widersprach der Soldat. »Ablenkung zählt nur im Kampf als gegnerische List.«
»Wir sind ständig im Kampf. Der Feind schläft nie. Ich habe selbst gesehen, wie er mit dem Arm fuchtelte, du Hurensohn. Störmanöver. Strafbar.«
»Aber, Sir, wir sind doch gar nicht im Kampf! Bin nur zum Fluss runter, meine Feldflasche füllen. Der Feind ist einen Tagesmarsch von uns entfernt.«
Der Sergeant suchte vergeblich nach neuen Argumenten. »Nun spitz mal die Ohren!«, sagte er gereizt. »Ich dulde keine Einwände! Weder von dir noch von einem deiner Kameraden! Du hast deine Order. Gefreiter Marf! Komm her! Sobald der Soldat den Gefangenen exekutiert hat, exekutierst du den Soldaten. Gefreiter Jakes, falls Marf mir Widerworte gibt, exekutierst du ihn. Ich war heute Abend viel zu nachsichtig mit euch allen.«
»Sir, mit Verlaub, ist es nicht sinnlos, ihn vor dem Ertrinken zu retten, um ihn dann zu exekutieren?«, warf der Gefreite ein. Droben auf der Straße klirrte ein Schwert, gefolgt von einem Hieb und einem dumpfen Schlag, als ein lebloser Körper zu Boden stürzte. »Was war das?«, fauchte der Sergeant.
»Melde gehorsam, Marf gab Widerworte«, sagte eine Stimme. »Exekution ausgeführt, wie befohlen.«
»Was? Was sagte er denn?«, erkundigte sich der Sergeant.
»Hörte ein Murmeln, Sir. Ein ganz deutliches Murmeln.«
»Könnte auch der Wind gewesen sein«, meinte ein anderer Soldat.
»Murmelnder Wind?«, brüllte der Sergeant. »Sprechender Fluss? Ihr seid alle degradiert. Wenn nicht endlich einer von euch diesen Mann aus dem Fluss exekutiert, seid ihr alle degradiert.«
»Hörte ein ganz deutliches Murmeln, Sir. Klang wie ›Sprücheklopfer‹, Sir.«
»Das erfindet Jakes jetzt«, petzte wieder ein anderer. »Weil er Marf den Sold einer ganzen Nacht schuldete. Marf hatte nämlich eine Wette gegen ihn gewonnen, Sergeant.«
»Exekutiert James!«, brüllte der Sergeant. Ein Schwert klirrte. Ein lebloser Körper schlug zu Boden.
»Sie meinten Jakes, Sir?«, fragte jemand nach einer kurzen Pause.
»Ja, zum Henker ich meinte Jakes, verdammt noch mal. Wie soll ich mir all die Namen merken? Schickt Jakes zur Hölle!«
Wieder klirrte ein Schwert. Klinge prallte auf Klinge. Ein lebloser Körper schlug zu Boden. Dann eine Stimme. »Sir?«
»Was gibt es?«, blaffte der Sergeant. »Ist Jakes tot?«
»Nein, Sir. Jakes sah Weatherhill kommen und besiegte ihn im Zweikampf. Weatherhill ist tot, Sir.«
»Und wo ist Jakes?«
»Steht mit gezücktem Schwert da, Sir, und wartet auf den nächsten Angreifer. Sieht ziemlich erregt aus, Sir.«
»Exekutiert ihn!«, schrie der Sergeant.
»Jakes ist der beste Schwertkämpfer unserer Einheit, Sir«, sagte jemand nervös.
»Dann attackiert ihn zu zweit, verdammt noch mal! Attackiert ihn zu zweit!«
Waffen klirrten, Männer fluchten. Ein lebloser Körper schlug zu Boden, gefolgt von einem zweiten. »Er ist schnell«, berichtete jemand. »Er ist sehr schnell.«
»Halt, Schluss jetzt!« Der Sergeant übertönte den Kampfeslärm. »Wir bringen das später in Ordnung.«
Ein lebloser Körper schlug zu Boden. »Jakes hat eben Forsythe getötet, Sir«, rief jemand.
»Bleibt mir bloß vom Leib!«, drohte eine erregte Stimme.
»Warum tut er denn so was?« Der Sergeant ballte nervös die Hände zu Fäusten.
»Weil er denkt, dass Angriff die beste Verteidigung ist, wenn es ihm an den Kragen gehen soll. Jetzt nimmt er sich Mullen vor.«
»Alle herhören!«, rief der Sergeant und presste eine Hand gegen die Schläfe. »Jakes wird nicht exekutiert! Nun beruhige dich erst mal, Jakes. Dir geschieht nichts.«
»Bleibt mir bloß vom Leib!«, wiederholte die erregte Stimme. »Ich bringe jeden um, der in meine Nähe kommt!«
»Jakes, du bist entlassen«, sagte der Sergeant. »Du kannst heimgehen.«
Ein Moment der Stille. »Er entfernt sich von der Truppe, Sir. Guckt misstrauisch über die Schulter, Sir.«
»Warum kriegt er eine Nacht frei?«, wollte ein anderer wissen.
»Idioten!«, zischte der Sergeant.
»Kümmert euch nicht weiter um mich«, meldete sich Aden zu Wort.
Der Sergeant stieß ein verblüfftes Knurren aus. »Soldat Briggs! Warum hast du diesen Mann immer noch nicht getötet?«
»Es erschien mir unzulässig, Sir.«
Der Sergeant rieb sich den Nasenrücken. Zum ersten Mal sprach er sehr langsam und ruhig. »Es ist unzulässig, einen Verbrecher zu exekutieren? Das sagt ausgerechnet ein Mann, der eine Scheune abgefackelt und dadurch den Tod von vier Menschen verschuldet hat?«
»Nur zwei starben, Sir. Die beiden anderen kamen mit Verbrennungen dritten Grades davon. Und als ich die Scheune anzündete, musste ich nur ein paar Runden auf dem Exerzierplatz laufen. Genau deshalb kann ich den Mann hier nicht exekutieren, Sir. Ich habe ihn vor dem Ertrinken gerettet. Das ist so ziemlich die edelste Tat in meinem Leben. Tut mir leid, Sir.« Der Sergeant ließ den Kopf hängen. »Sie sind bestimmt kein schlechter Vorgesetzter, Sergeant«, meinte der Soldat nervös. »Wir respektieren Sie. Ehrlich.«
»Das ist Befehlsverweigerung«, flüsterte der Sergeant. Er schob die Faust in den Mund, gab einen erstickten Laut von sich und wankte davon.
»Sie sind echt kein schlechter Vorgesetzter«, rief Briggs ihm nach. Ein Schatten der Betrübnis huschte über sein junges Gesicht. »Darüber unterhalten wir uns oft, wenn Sie nicht da sind. Wie sehr wir Sie respektieren, Sir.«
»Sergeant?«, rief ein Soldat von der Straße her.
»Lass ihn«, meinte ein anderer. »Kleine Rast, Leute. Der kommt bald wieder.« Marschgepäck plumpste auf den Boden, gepanzerte Hinterteile sanken ins Gras, Seufzer der Erleichterung wurden laut, und müde Stimmen begannen sich leise zu unterhalten.
Aden wrang mit beiden Händen das Wasser aus den Haaren und versuchte sich die eiskalten Arme warm zu reiben. »Ein Glück, dass Sie nicht weiter flussabwärts getrieben sind«, meinte der Soldat und deutete mit dem Kinn in diese Richtung. »Da vorne ist es nicht geheuer.«
»Danke«, sagte Aden. »Du hast mir das Leben gerettet – wofür auch immer das gut sein mag. Und das gleich zweimal.«
»Ich schlag dem Sergeant nicht gern einen Wunsch ab, Sir. Da reagiert er manchmal komisch.« Soldat Briggs warf Aden einen unsicheren Blick zu und rieb sich den Armstumpf. Im Laternenlicht war weder ein Verband noch die Spur einer Narbe zu erkennen. Der Arm schien glatt abgetrennt, wie mit einem Laser. Haut bedeckte den Stumpf. Das sah nach einem Geburtsfehler aus und nicht nach einer eben erst erlittenen Verwundung. »Wie ist das passiert?«, erkundigte sich Aden. »Heute Nacht, hieß es, aber das kann wohl nicht ganz stimmen …«
»Nein, Sir, letzte Nacht«, erklärte der Soldat. »Da hat jeder von uns einen Arm verloren. Die Grenze ist näher gerückt. Muss sich bewegt haben …« Sein Mund erschlaffte, und er starrte mit leerem Blick vor sich hin. »Viele, viele Meilen. In nur einer Nacht. Deshalb war es ein Riesenglück, dass ich Sie hier aus dem Fluss gezogen habe. Weiter vorn wären Sie an die Grenze gestoßen.«
»Was ist diese Grenze? Markiert sie Feindesland?«
»Nein, Sir, sie bildet eine Art Barriere. Ich und meine Kameraden hatten sie noch nie zuvor gesehen. Nur Gerüchte gehört, von anderen Einheiten, die sie vorausgeschickt hatten. Aber letzte Nacht sahen wir sie dann mit eigenen Augen. Sie ist jetzt nahe. Echt nahe.«
»Willst du mir nicht die ganze Geschichte erzählen, Kumpel?«, fragte Aden und wand seine Hose aus. »Ich bin nicht von hier.«
»Die ganze Geschichte?« Der Soldat runzelte die Stirn, nahm einen Schluck Wasser und verzog das Gesicht. »Kaputter Filter«, sagte er und schüttelte die Feldflasche. »Nun gut. Die Sache hat sich längst überall rumgesprochen. Der Wall. Sie kennen den Wall nicht? Mann, wo haben Sie gelebt? Bis vor Kurzem hieß es, eine Einheit könne zweitausend Meilen zurücklegen, bis sie auf den Wall stößt.« Der Soldat betrachtete verträumt die zuckende Flamme hinter den Glasscheiben der Laterne. Ein leicht beunruhigendes Lächeln huschte über seine Züge, zärtliche Zuneigung, mit einem Hauch von Trauer.
»Habt ihr vielleicht so was wie Decken oder Hemden vorrätig?«, fragte Aden. Die Gänsehaut auf seinen Armen ließ sich nicht vertreiben.
»Brauchen Wärme«, entgegnete der Soldat mit unbewegter Miene. »Alle kalten Dinge verschlingt der hungrige Rachen des Lichts, zermalmt sie mit knirschenden Flackerzähnen. Schattenfresser. Speit faulig stinkende Rauchwolken aus.« Der Soldat schüttelte sich und schnitt eine Grimasse. »Holz«, sagte er. »Sammeln Sie Holz! Ich helfe Ihnen dabei.«
Aden wich unauffällig zurück, als der Soldat auf den Knien im Kreis kroch und emsig Zweige aufschichtete. Im Hintergrund vernahm Aden die leisen Gespräche der Soldaten droben auf der Straße, hier und da ein Lachen oder das Klimpern von Münzen, das ein Kartenspiel begleitete. »Ich meine, etwas von einer Schlacht gehört zu haben«, sagte Aden. »Hieß es nicht, du hättest deinen Arm im Kampf verloren?«
»Es ist ein Wall«, murmelte der Soldat verträumt, als käme ihm der Gedanke zum ersten Mal. »Erinnert an eine Wand aus klarem Glas, vom Boden bis zum Himmel, ist aber nicht durchsichtig, und nichts spiegelt sich darin. Reicht hoch rauf und krümmt sich dann nach vorn, fast wie eine Woge, bevor sie in sich zusammenfällt. Besteht eher aus Luft als aus einem festen Material. Wenn du einen Stein dagegenwirfst, prallt er nicht ab, sondern fliegt einfach durch. Verschwindet. Der Spieß versuchte es mit einem Schwerthieb. Die Klinge ging durch wie Butter. Aber als er sie zurückziehen wollte, war sein Arm ab. Keine Schmerzen. Er konnte es nicht fassen.«
»Und dein Arm? Das gleiche Pech?«
»Einer für alle, alle für einen. Motto unserer Einheit. Der Spieß sagte, der Verlust seines Arms sei gleichbedeutend mit einer feindlichen Attacke. Kriegshandlung. Gab Order zum Gegenangriff. Als er sah, wie wir der Reihe nach unsere Schwerter verloren, befahl er den Unbewaffneten, mit den Fäusten weiterzukämpfen. Also machten wir das. Ich spürte überhaupt nichts, als mein Arm verschwand. Jansen rutschte aus und stürzte bis zum Bauch in diesen Wall. Wir zerrten ihn zurück, aber da war die Hälfte seines Körpers bereits weg. Die obere Hälfte. Die Beine zuckten noch ein paarmal, dann hatte er es überstanden.«
»Tot, nehme ich an«, sagte Aden.
»Ja, Sir, nachdem er begriffen hatte, was los war. So nach einer Minute schien er zu merken, dass er tot war, und hörte auf zu zappeln.«
»Du kannst dir das Sir ruhig schenken. Und das Sie ebenfalls. Ich bin nicht dein Spieß.«
»Er ist die meiste Zeit schwer in Ordnung, unser Sergeant. Nur heute Abend, da gab es Stress. Verlor zwei Mann auf dem Marsch zum Wall. Durch blöde Missverständnisse. Der Ärmste muss sich aber auch so viele Namen merken.«
Die Finger des Soldaten türmten die gesammelten Stecken automatisch zu einer Pyramide. »Darf ich dich was fragen?«, begann Aden und rieb sich erneut die Arme, um die Kälte zu vertreiben. »Hast du schon mal von Leuten gehört, die hier … erwachen? Aus einem früheren Leben oder so? Und vielleicht nicht mehr genau wissen, wer sie waren?«
»Nein, Sir.«
»Noch nie passiert?«
»Nein, Sir. Anderes Gruselzeug schon, aber das nicht.«
»Was meinst du mit Gruselzeug?«
Der Soldat überlegte. »Zum Beispiel die Geschichte mit Onkel Hank. Der wurde von einer Spinne gebissen. Erzählte danach, ihm seien Felsenmenschen in der Wüste erschienen, die behaupteten, er sei ihr Anführer. Saßen einfach herum, knackten mit ihren Steinknöcheln und sangen mit ihren Steinstimmen Lieder für ihn. Ihre Finger brachen manchmal ab, wenn sie mit den Knöcheln knackten, aber sie hoben die Dinger einfach auf und knackten weiter. Und die ganze Zeit behaupteten sie, Onkel Hank sei ihr Anführer und werde seine Weisheit an sie weitergeben. Nach einer Weile redete Onkel Hank über nichts anderes mehr. Er wollte unbedingt in die Wüste, nur um sich dort mal umzusehen, wie er sagte. Hatte dabei einen ganz sonderbaren Glanz in den Augen. Es war ein Gedanke, von dem er nicht mehr loskam.«
Aden lächelte trotz der Kälte. »Und? Ging sein Wunsch in Erfüllung?«
»Nein, Sir. Meine Tante ließ es nicht zu. Meinte, der Glanz in seinen Augen sei zum Fürchten. Aber er fing die Spinne ein, hielt sie in einem Glas gefangen und fütterte sie mit Insekten. Und hin und wieder, wenn seine Frau nicht daheim war, stupste er die Spinne an und reizte sie, weil er hoffte, sie würde ihn noch einmal beißen. Schließlich wurde es meiner Tante zu bunt. Sie goss Wasser in das Glas und ertränkte das Biest. Onkel Hank hätte sie dafür fast umgebracht. Behauptete, sein Leben sei nun leer und sinnlos. Kann sein, dass Ihnen das Gleiche zugestoßen ist. Dass Sie was gebissen hat oder so. Sonst würden Sie wohl nachts nicht im Fluss rumpaddeln.«
Die Zweige waren perfekt über einer Schicht aus Reisig und trockenem Laub aufgetürmt. Mit einem liebevollen, ja geradezu zärtlichen Blick entzündete er einen Ast mit der Laternenflamme. Seine Hand zitterte kaum merklich. Das Laub fing Feuer. Aden wärmte sich dankbar, während der Soldat unverwandt in die Flammen stierte. Der Mund stand ihm schief dabei, Speichel sammelte sich in einem Mundwinkel und lief ihm dann über das Kinn.
Sobald Aden sich aufgewärmt und seine Sachen getrocknet hatte, überließ er Briggs seinem kostbaren Feuer und schlenderte zur Straße hinauf, wo es sich zwei Dutzend Soldaten bequem gemacht hatten. Allen fehlte ein Arm, in der Regel der linke. Manche schliefen, den Oberkörper in Decken gehüllt, das Marschgepäck als Kissen unter den Kopf geschoben. Alle trugen Kettenhemden, die wie Münzen in einer Hosentasche klimperten, wenn sie sich bewegten. Die meisten hatten Kurzschwerter umgeschnallt. Einige betrachteten verzweifelt ihre Bogen, die sie über die unversehrte Schulter gestreift oder auf den Knien liegen hatten, und fuhren mit den Fingern sanft über Holz und Sehnen. Andere rauchten Pfeifen. Mehrere reglose Gestalten lagen ein Stück entfernt. Man hatte ihnen die Harnische abgenommen und ordentlich im Gras neben der Straße gestapelt.
Aden schlenderte unsicher näher, einen Arm aus Taktgefühl hinterm Rücken verborgen. Ein paar Köpfe wandten sich ihm zu und beobachteten, wie er sie beobachtete. Er setzte sich, räusperte sich und sagte: »Also, wisst ihr, ich kapiere das alles nicht. Ihr redet kaum anders als die Leute aus meiner – meiner Welt. Ihr benutzt so ziemlich die gleichen Begriffe. Ihr sagt ›Hölle‹ und ›verdammt‹, obwohl ihr vermutlich eine andere Religion habt als ich. Irgendwas mit einem ›Weltenmacher‹. Gehört da Christus dazu? Hölle und Verdammnis? Ein Teufel? Wie steht es damit? Warum redet ihr wie normale Menschen? Wie fast normale Menschen zumindest.«
Immer mehr Köpfe wandten sich ihm zu. Ein paar leise Unterhaltungen verstummten.
»Und wenn wir schon dabei sind«, fuhr Aden fort, »ihr sprecht Englisch. Obwohl ihr wahrscheinlich nie was von England gehört habt, oder?« Keine Antwort. »Aber kennt ihr wenigstens eine Frau namens Muse? Ich bin … äh … mehr oder weniger auf der Suche nach ihr.«
»Den Namen habe ich schon mal gehört«, sagte jemand. »Aber ich kenne sie nicht. Dich übrigens auch nicht.«
Aden warf einen Blick in die Runde und räusperte sich nervös. »Ihr gehört also zu einer Armee, Leute«, sagte er, um das Schweigen zu überbrücken. »Einer Streitkraft. Einem Heer. Stimmt das?«
Ein Soldat, der auf einem Grashalm herumkaute, nickte. »Stimmt.«
»Mit anderen Worten, es gibt hier eine Art Regierung, ja?«
»Regierung?«
»Obrigkeit. König? Königin?«
»Herzog«, sagte ein anderer Soldat und ließ die Bogensehne schwirren. »Mann, Scheiße! Ich werde nie mehr mit diesem Ding da schießen können.«
»Okay, dann habt ihr eben einen Herzog.« Aden erinnerte sich an das unfertige Werk, das ihm sein Großvater gezeigt hatte. »Er heißt Julius, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Das bedeutet, dass es irgendwo einen anderen Herzog geben muss, gegen den er kämpft.« Aden ließ nicht locker. »Oder einen König. Vielleicht auch eine Horde Barbaren. Sonst bräuchtet ihr doch keine Armee, stimmt’s?«
»Möchte man meinen«, erklärte der gleiche Soldat. »Ist aber nicht so.«
»Was will ’n der Kleine hier überhaupt?«
»Keine Ahnung. Ein neuer Rekrut?«
»Den haben sie doch vorhin aus’m Fluss gefischt.«
»Also gab es früher mal einen gegnerischen Herzog oder so was Ähnliches?«, bohrte Aden weiter. »Doch der ist euch irgendwie abhandengekommen?«
»Der Spieß befahl Briggs, ihn zu exekutieren, aber Briggs weigerte sich.«
»Der Spieß macht einen Beruhigungsspaziergang. Fragt sich, was das alles soll. Eine dieser Nächte, in denen er eine Auszeit braucht. Warten wir, bis er wiederkommt!«
»Habt ihr diesen Jakes gesehen? Irre schnell mit der Klinge, der Bastard!«
»Hey, warum gibt es keinen gegnerischen Herzog?« Ein anderer Soldat hatte sich mit düsterer Miene aufgesetzt.
»Steht uns nicht zu, danach zu fragen.«
»Warum nicht, verdammt noch mal? Wenn es keinen gegnerischen Herzog mehr gibt, warum zum Henker gibt es dann ein Heer? Wozu werden wir eigentlich gebraucht? Wir tun nichts weiter. Wir marschieren nachts auf den Wall zu. Damit hat sich die Sache. Wozu die ganze Nahkampf-Ausbildung? Uns auf zwei Beinen fortbewegen, das konnten wir schon vorher.«
Noch einer der Männer setzte sich auf. »Mein Uropa zog in eine echte Schlacht und kriegte später sogar einen Orden. Schiffe landeten. Überall entlang der Küste wurde gekämpft. Kanonen ballerten. Müssen seltsam ausgesehen haben, die Krieger dieses Bärenvolkes. Haarig wie ’ne Weiber-ihr-wisst-schon-was.«
»Schnauze!«
»Sie ritten auf diesen Insektendingern, fast wie Dragoner. Benutzten sie anstelle von Pferden.«
»Und was passierte mit ihnen? Mit den Kriegern des Bärenvolkes, meine ich? Und den Orten, an denen wir früher kämpften? So wie es in den Geschichtsbüchern steht? Seit wann schicken wir Einheiten los, die einfach spurlos verschwinden? Einen Trupp nach dem anderen – und keiner kommt zurück …«
»Seit es den Wall gibt, du Clown.«
»Genau. Seit es den Wall gibt.«
»Also noch mal langsam und zum Mitschreiben«, sagte ein Soldat ganz am Rand der Gruppe. Sein Kettenhemd rasselte, als er sich aufrichtete. »Sie schicken jeden Monat ein paar Einheiten los. Die Einheiten marschieren quer durch die Landschaft, bis sie auf den Wall stoßen. Und dann?«
»Weil sie nur nachts unterwegs sind, sehen sie die Barriere nicht und marschieren mittendurch.« Der Soldat pfiff durch die Zähne. »Finito.«
»Moment mal. Heißt es nicht, dass der Wall Tausende von Meilen entfernt ist?«
»Schon. Aber er ist näher gerückt.«
»So nahe wie jetzt war er noch nie. Die Einheiten schickten Brieftauben zurück. Nach, sagen wir mal, 300 Meilen. Dann nach 1000. Dann nach 2000, 4000, 5000. Irgendwann blieben die Tauben aus. Keine Tauben mehr, keine Einheit mehr. Sie durchdrangen den Wall, und das war es.«
»Wie weit sind wir noch von dieser Barriere entfernt.«
»Von hier? Einen Tag. Einen lausigen Tag.«
»So nahe?«
»Verdammt nahe.«
Nachdenkliches Schweigen machte sich breit. Aden hatte das komische Gefühl, dass sich diese Männer zum ersten Mal mit ihrer Lage befassten. Ein Soldat meinte: »Und wenn wir nicht dicht vor dem Wall angehalten hätten, um Gould wegen seiner ständigen Maulerei zu exekutieren, wären wir auch dagegengerannt, oder?«
»Also hat uns Gould sozusagen das Leben gerettet, und das, obwohl er sonst ein echter Blödmann war.«
»Guter, alter Gouldie. Wisst ihr noch, was er mit dieser Lady anstellte?«
»Hey, Sekunde. Was geschah denn mit all den Einheiten, die sich dort draußen befanden, als der Wall näher rückte? Also mit dem gesamten Heer?«
»Dem gesamten Heer außer uns!«
»Scheiße! Wir sind der klägliche Rest der Armee!«
Eine Woge der Panik erfasste die Männer. Einige zückten die Schwerter, ließen sie hilflos sinken und schoben sie wieder in die Scheiden. »Ich frage mich, warum sie das ganze Heer in den Tod schicken«, sagte einer. »Selbst wenn sie uns nicht mehr brauchen, müssen sie uns doch nicht umbringen. Es gäbe sicher eine andere Verwendung für uns.«
Plötzlich richteten sich alle Blicke auf Aden. Er wand sich. »Ich schätze mal, ihr blickt da besser durch als ich«, stotterte er. Er spürte den seltsamen Drang, sich bei ihnen dafür zu entschuldigen, dass er ihre Aufmerksamkeit auf diese Schiene gelenkt und ihnen ihre glückliche Unbefangenheit geraubt hatte.
Ein Koloss von einem Kämpfer, der bis jetzt reglos zugehört hatte, setzte sich mit einem Ruck auf. »Meiner Ansicht nach«, sagte er mit dröhnendem Bass, »versucht uns da jemand kaltzustellen.« Alle wandten sich ihm zu. »Meiner Ansicht nach will da jemand die Armee loswerden. Um dann die Macht zu ergreifen, versteht ihr?«
»Schon wieder Kritz mit seinen Verschwörungstheorien«, stöhnte einer. »Unser Meister der taktischen Winkelzüge.«
»Etwas ist da oberfaul«, erklärte der Hüne. Er stand auf, ein stahlhartes Funkeln in den Augen.
»Setz dich hin, Fettsack!«
»Meuterei«, fuhr der Koloss fort. »Ich schlage eine Meuterei vor. Gegen den Herzog. Gegen Schloss Eisennetz.«
»Das besprechen wir besser mit dem Sergeant.«
Der hünenhafte Soldat hob entschlossen seine Schwertscheide auf und befestigte sie am Waffengurt. Er stampfte den Weg entlang, dass sein Harnisch klirrte, hob kurz den Arm und rief, ohne sich umzudrehen: »Kommt!«
Der Rest der Truppe sah ihm nach. »Na, das nenne ich einen zielstrebigen Gang. Seht ihr diesen Gang? Fest entschlossen.«
»Eine Führernatur, das muss man ihm lassen.«
»Habe ich das richtig verstanden? Falls ein anderer versucht, die Macht zu ergreifen, will er ihm zuvorkommen?«
Aden war aufgestanden und wandte sich zum Gehen. »Stopp, du da«, sagte ein Soldat hinter ihm. Aden warf einen Blick über die Schulter. »Du bleibst erst mal hier!«
»Genau«, pflichtete ihm ein Kumpel bei. »Du wartest, bis der Spieß zurückkommt und entscheidet, ob der Befehl zur Exekution noch gilt oder nicht.«
»Ihr wollt mich doch nicht im Ernst hinrichten«, meinte Aden. »Ich gehöre eher zu den Guten.«
»Ich habe heute Abend einen Arm verloren. Was schert es mich, ob du zu den Guten gehörst oder nicht? Es nützt dir überhaupt nichts, wenn du an meinen Gerechtigkeitssinn appellierst. Dein Pech, dass du im falschen Moment hier aufgekreuzt bist. Und dass meine Füße verdammt geschwollen sind.«
Bis jetzt hatte sich keiner erhoben, um ihn zurückzuhalten. Er vermutete stark, dass er schneller rennen konnte als sie in ihren Kettenhemden und dass sie nicht in der Lage waren, Pfeile auf ihn abzuschießen. Aber noch befand er sich mitten in der Gruppe. Er steuerte unauffällig nach außen. »Aber ich kann den Wall aufhalten«, sagte er, um Zeit zu gewinnen.
»Das könntest du nur, wenn du ihn errichtet hättest. Zumindest würde es bedeuten, dass du zu viel weißt. Und in diesem Fall wärst du unser Feind.«
»Warum sollte er als Einziger mit zwei unversehrten Armen davonkommen?«
Einige der Männer sprangen auf, aber die meisten blieben besonnen. »Lasst ihn in Ruhe«, meinte ein Soldat.
»Ich rieche Rauch«, warf ein anderer ein.
»Ich gehöre echt zu den Guten«, sagte Aden. »Vertraut mir. Ich habe eine Aufenthaltserlaubnis von …« Der Name des Mannes in der Robe fiel ihm nicht sofort ein. »Von Torak.«
»Na großartig, nun müssen wir ihn umbringen«, erklärte der Soldat, der ihn eben noch verteidigt hatte. »Er hat das Gerede über die Meuterei sicher mitgekriegt.«
»Eindeutig Rauchgeruch, Leute!«
»Du solltest dran arbeiten, im rechten Moment den Mund zu halten, Junge«, sagte ein Soldat zu Aden.
Drei Mann zogen ihre Schwerter und richteten sich auf. Im gleichen Moment drehte der Wind und trieb vom Fluss her beißenden Qualm zu ihnen herüber. Alle Köpfe wandten sich der Böschung zu. Lange Streifen des Ufergestrüpps standen in Flammen. Ein paar Bäume am Saum des Wassers hatten Feuer gefangen. Orangerote Flammen züngelten die Stämme entlang und breiteten sich rasch in den Kronen aus. Im Schein des Feuers sah Aden zum ersten Mal, dass ringsum Eukalyptusbäume in die Höhe ragten, australische Eukalyptusbäume. Mit diesem Anblick hätte er zuallerletzt gerechnet. Wie auf ’ner Postkarte von zu Hause. Auf der glasigen Wasserfläche spiegelten sich die Flammen in bombastischer Schönheit, Farbexplosionen in der Schwärze der Nacht.
Knisternd erwachte das Feuer in den Sträuchern ringsum zum Leben. Ein Schatten huschte vorbei, einen dicken brennenden Ast in der Hand. Sie hörten ein verzweifeltes Schluchzen. »Hey, Briggs!«, schrie jemand.
Aden war vergessen. Die Soldaten rannten die Böschung hinab. Immer mehr Feuer begannen zu knistern, als Briggs mit seinem Ast das trockene Buschwerk in Brand setzte.
Das ist nun schon das dritte Mal, dass er mir das Leben rettet, dachte Aden, als er in die entgegengesetzte Richtung rannte und über einen der hingerichteten Soldaten stolperte. Er verließ die Straße, behielt sie aber im Auge. Niemand verfolgte ihn. Die Rufe der Soldaten kamen vom Fluss her, wo das Feuer außer Kontrolle zu geraten drohte.