Der Mond
Nachdem ich das Essen heruntergeschlungen hatte, zog ich mir wieder meine Jacke und die Turnschuhe an. Einen letzten Blick in den Spiegel und ich war raus aus der Tür. Ich holte den Hausschlüssel aus meiner Hosentasche, lief die Straße entlang und blieb vor einem kleinen Haus mit Garten stehen. Die Garage war offen, der Besitzer -offensichtlich weggefahren. Um das Haus zog sich ein hoher Zaun. Am Gartentor hing ein Schild mit der Aufschrift: „Vorsicht – hier wache ich!“ und dem Bild von einem Hund. Aber es war nicht irgendein Hund, sondern ein Golden Retriever. Ich liebte diese Hunderasse. Sie hatten so ein glänzendes Fell und so einen lieben Charakter. Die Bewohnerin des Hauses besaß einen. Sie hieß Andrea Richter, wie das Postkastenschild verriet.
Andrea war eine sehr sympathische und hübsche Frau, die ich sehr mochte. Leider war sie Krankenschwester und hatte deswegen kaum Zeit für Luna, ihre Retrieverhündin. Mich störte das allerdings nicht, denn eines Tages hatte mir Andrea ihren Hausschlüssel in die Hand gedrückt und gesagt, ich solle doch, wenn es gehe, einmal am Tag bei Luna vorbeischauen, was sie so treibe. Ich hatte mich riesig gefreut und natürlich sofort eingewilligt. Seit diesem Tag versuchte ich immer, Luna zu besuchen. Sie war meine beste Freundin. Ich konnte ihr alles erzählen und sie hörte mir immer zu. Manchmal legte sie sogar den Kopf schief und dann sah es aus, als wolle sie alles ganz genau verstehen.
 
Ich sperrte das Gartentor auf und hörte Luna schon von innen an der Tür kratzen. In meiner Jackentasche suchte ich nach den Leckerlis und holte einige heraus. Geschwind schloss ich die Tür auf und stolperte ein paar Schritte zurück, denn Luna kam wie von der Tarantel gestochen aus der Tür geschossen. Sie sprang an mir hoch und leckte mir übers Gesicht. „Ist ja gut! Du tust ja so, als hätten wir uns schon Jahre nicht mehr gesehen!“, begrüßte ich sie und streichelte ihr sanft über den Kopf. Schließlich hatte die Hündin begriffen, dass ich etwas zum Naschen für sie dabeihatte. Gierig schnüffelte sie an meiner Hand und begann gleich zu fressen, als ich ihr die offene Handfläche hinhielt. „Du gieriges Vieh! Tust so, als hättest du nichts mehr zu fressen bekommen“, neckte ich sie und die Hündin bellte freudig zurück. Dann gingen wir ins Haus und ich füllte ihr eine Schale mit frischem Wasser. Die Küche war recht groß und Luna hatte einen eigenen Fressplatz bekommen. Ich hatte für sie den Teppich ausgesucht, auf dem die Schüsseln standen. Darauf sah man Hunde und Sterne abgebildet. Luna schlapperte das Wasser herunter und ich ging in den Flur, wo die Leine am Heizkörper hing. Auf dem Brett fand ich eine Nachricht von Andrea. Sie bedankte sich, dass ich ihr „die Arbeit“ mit Luna abnahm.
Ursprünglich wollte Andrea Luna gar nicht aufnehmen. Doch ihre Mutter war plötzlich verstorben und hatte erst einige Wochen zuvor einen jungen Hund zu sich geholt. Sie hatte es ihrer Tochter nicht einmal erzählt und im Testament stand nur, sie vererbe das quirlige und bei Mondschein geborene Hundebaby an ihre einzige Tochter. Das war nun ungefähr ein halbes Jahr her. Seitdem lebte Luna bei Andrea. Ich hatte den Namen für die Hündin ausgesucht, weil ich einfach der Meinung war, dass Luna zu ihr passe.
„Na los, Luna, gehen wir! Heute machen wir einen ganz langen Spaziergang!“, rief ich und band sie an die Leine. Das war relativ schwierig, denn Luna zappelte vor lauter Freude die ganze Zeit herum. Endlich waren wir aus der Tür raus und das Tier zog wie verrückt. Für ihr Alter war Luna eigentlich relativ groß. Sie hatte immer ordentlich gebürstetes goldenes Fell und wunderschöne, glitzernde Augen. Wie das Meer. So wie ich. Obwohl Luna und ich großen Spaß hatten, wollte und musste ich vor meinen Großeltern zu Hause sein. Also beeilte ich mich, so gut es ging. Würde nur die Zeit nicht immer so schnell vergehen!