Eilbrief
Ich saß in meinem Zimmer auf dem Bett und dachte nach. Das Gespräch mit Aaron ließ mir keine Ruhe. Aber warum machte ich mir jetzt Gedanken über Aaron? Ich sollte mich mehr um Cedric kümmern. Ich legte mich auf das Bett und schaute an die Decke. Langsam bekam ich Hunger. Mein Bauch knurrte laut. Ich war froh, dass es vorher nicht passiert war. Ich schloss die Augen. Es war mir bewusst, dass ich einschlafen würde. Und dann passierte es tatsächlich …
Ich schreckte auf und öffnete die Augen. Vor mir stand Aaron. Er hatte sich über mich gebeugt. „Gott, kannst du einen vielleicht erschrecken!“ Ich war außer Atem. „Entschuldigung. Du lächelst, wenn du schläfst, weißt du das?“, fragte er mich. Ich setzte mich auf. Mir schwirrte der Kopf. Abruptes Aufstehen bekam mir nicht. „Ich lächele“, wiederholte ich seine Worte. „Ja, wie ein Engel.“ Musste er mir immer Komplimente machen? Seine Anwesenheit machte es mir doch sowieso schon schwer genug. „Und dann redest du noch.“ „Ich tue was!?“ Nein, das konnte nicht sein. „Du redest“, sagte Aaron belustigt. „Das ist weder witzig noch zum Lachen. Was habe ich gesagt?“ „Nun ja, ich habe nicht genau hingehört. Du hast so undeutlich geredet …“ Ich ließ ihn nicht ausreden und warf ein „Gott sei Dank“ ein. „Du hast von deinem Bruder geredet, dann kam deine Großmutter vor. Ich glaube, mich hast du auch erwähnt, und dann kam noch ein Johannes dazu.“ „Aha“, machte ich. Was hatte Johannes in meinen Träumen zu suchen? Na ja, war ja auch egal. „Wir könnten etwas essen“, schlug der Prinz vor. Ich weitete meine Augen. Das war wirklich eine hervorragende Idee. Sofort stand ich auf. Ich schwankte etwas. „Ist dir nicht gut?“, fragte Aaron besorgt. „Geht schon. Ich bin nur etwas zu schnell aufgestanden.“ Vorsichtig hielt mich Aaron am Arm fest. „Nur für alle Fälle“, sagte er.
Als ich vor der Tafel saß, wollte ich am liebsten alles auf-essen. Wie ich meinen Hunger einschätzte, hätte ich ein ganzes Wildschwein vertilgen können. „Eure Hoheit, es ist ein Eilbrief angekommen. Möchtet Ihr ihn entgegennehmen?“, fragte Basko. Ich hatte ihn gar nicht bemerkt. „Muss das jetzt sein?“ Aaron klang genervt. Basko nickte. „Ich hoffe, du bist mir nicht böse, Tara. Bring ihn schon.“ Basko eilte davon. Der Prinz schaute mich entschuldigend an. Ich widmete mich allerdings dem Essen. Kurze Zeit später war Basko zurück und gab Aaron den Brief. Er öffnete ihn und las das Pergament. Der Prinz sah verärgert aus. „Alles in Ordnung?“, fragte ich. „Hör dir das an“, und Aaron las mir den Brief vor:
 
„Geschätzter Prinz Aaron von Abanon!
Ich, König Achille von Kingsleon, habe eine Bitte an dich. Wie es zu meinem Bedauern nicht zu vermeiden ist, mögen wir uns nicht besonders. Wir versuchen, den jeweils anderen zu ignorieren, was sich jetzt ändern muss. Dein Vater hat dich meiner Tochter Anastasia versprochen, wie du ja weißt. Anastasia ist nun heiratsfähig. Wir wollen doch nicht die Bitte deines Vaters abschlagen, oder!? Außerdem könnte das unsere Völker verbinden und vielleicht könnten wir den Streit vergessen.
Ich bitte dich ausdrücklich, dich bei mir zu melden. Wenn du nicht bald um Anastasias Hand anhältst, werde ich mir einen anderen Mann für sie suchen und du weißt, was das für deinen Vater bedeuten würde. Wenn du seinen Wunsch nicht erfüllst, wird er endgültig an gebrochenem Herzen sterben.
Ich warte auf eine Antwort.
 
Grüße aus dem Nachbarland,
Achille“
Ich schluckte. Aarons Heirat war nicht mehr weit entfernt. Dieser schlug so fest mit der Hand auf den Tisch, dass er wackelte und ich ihn festhalten musste. „Das ist ja … schrecklich“, sagte ich und bereute meine Worte wenig später. Das erste Mal sah ich in Aarons Gesicht Verzweiflung. Ich ging um den Tisch herum und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er hatte sein Gesicht in die Hände gelegt. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. „Was machen wir denn jetzt?“, fragte ich vorsichtig. Aaron sagte nichts. Als er mich ansah, war die Verzweiflung noch immer da. „Es gibt nur eine Möglichkeit“, fing er an. Ich hörte aufmerksam zu. Schon wieder fing mein Herz an zu klopfen. „Du wirst dich freuen. Für mich ist es schlimm.“ Ich verstand nicht ganz. „Was meinst du?“ „Tara, wir müssen so schnell wie möglich deinen Bruder retten.“