Weitere Begegnung
„Ich gehe jetzt zu Achille, um die Hochzeit zu
besprechen“, sagte Aaron, als er sich seine Weste anzog. Er
verdrehte die Augen. „Wenn dir das wichtiger ist, als die Zeit mit
mir zu verbringen“, antwortete ich neckend. Wieder verdrehte er die
Augen. „Auf Wiedersehen.“ Ich lachte, als er mit missmutigem Blick
das Zimmer verließ. Die gestrige Nacht war so schön gewesen. Aaron
und ich hatten beide wenig geschlafen. Jeder hatte gewusst, dass
der andere wach war. Wie oft hatte er mir gestern die Frage
Schläfst du schon? gestellt? Ich wusste es
nicht.
„Toll und jetzt kann ich die ganze Zeit hier
rumsitzen“, sagte ich zu mir selbst und sah gelangweilt zum Fenster
hinaus. Doch dann hatte ich eine Idee. Ich würde mir meinen Umhang
überziehen und Mischa besuchen gehen. Vielleicht fand ich ihn ja
irgendwo. Sollte sich Aaron doch Sorgen machen! Warum musste er
auch immer bei Achille oder Anastasia sein!? Schnell zog ich mir
den Umhang über und war auch schon aus der Tür. Ich lief den langen
Gang entlang. Hoffentlich war Aaron bereits bei Achille. Was würde
er nur sagen, wenn ich ihm plötzlich begegnen würde!? Vermutlich
würde er einen Schreikrampf bekommen. Ich stellte mir die Situation
lieber nicht vor.
An den Wänden gelehnt standen Wachen, doch sie
beachteten mich nicht weiter. Ich rannte die Treppe hinunter und
lief durch einen Seitengang. Er sah aus wie eine Abkürzung. Doch
ich hatte mich getäuscht. Der Gang war mit Fackeln beleuchtet und
ziemlich düster. Auf dem Boden lag kein Teppich und an den Wänden
hingen keine Bilder. Dies war sicher keine Abkürzung. Doch ich war
zu neugierig, um umzudrehen. Seltsamerweise standen hier keine
Wachen. Bald endete der Gang. Man konnte nun nach rechts oder links
gehen. Ich entschied mich für links. Ich war froh um meinen Umhang,
denn hier unten war es ziemlich kalt. Ich fröstelte und rieb meine
Hände aneinander. Die Fackeln wurden weniger. Mit jedem Schritt
bekam ich mehr Angst. Sollte ich vielleicht doch wieder umkehren?
Hatte ich den falschen Weg gewählt? Was verbarg sich am Ende dieses
Ganges? Vielleicht mein Bruder? Dieser Gedanke stachelte mich nur
mehr an, das Geheimnis zu lüften. An meinen geplanten Besuch bei
Mischa dachte ich nicht weiter.
Ich kam zu einer großen Metalltür, machte sie
ächzend auf und betrat einen weiteren Gang. Auch er war mit Fackeln
beleuchtet. Mein Herz raste, als ich plötzlich etwas an der Hand
spürte. Ich drehte mich erschrocken um und wollte kaum glauben, was
ich da sah. Giftgrüne Augen starrten mich an. „Was tust du hier?“,
fragte Tarek. Er ging näher auf mich zu und drängte mich an die
Wand. „Ich habe dich etwas gefragt. Wie heißt du noch mal … Romana
oder so ähnlich?“ Er drückte mich mit einer Hand fest gegen die
Wand. „Bitte nicht“, brachte ich heraus. „Hast du denn Angst? Die
große Beraterin des ach so großen Aarons hat Angst?“, sagte er und
lachte höhnisch. „Aber was mich viel mehr inte-ressieren würde: Wie
siehst du denn ohne diesen Schleier aus? Hm, sag es mir,
Prinzessin. Oder muss ich ihn dir abnehmen?“ Der Geruch von Tabak
strömte mir ins Gesicht. Ich bekam Gänsehaut und begann zu
schwitzen. Warum war ich nur hierher gegangen? Nie wieder würde ich
das machen. „Rede mit mir, du dummes Ding!“ Nun wurde Tarek
ungeduldig. Hatte er getrunken? Es kam mir fast so vor. Mir gingen
Aarons Worte durch den Kopf. Nimm dich in Acht vor
ihm. „Wirst du mir denn bald eine Antwort geben?“ Seine
Stimme klang scharf und bedrohlich. „Ich … ich …“, stotterte
ich. „Wahrscheinlich hast du dich verlaufen, hm!? Du bist mir
gefolgt, habe ich recht? Weil du genauso hinterhältig bist wie dein
großer Aaron, Prinzessin. Aber ich habe dich durchschaut.“ Wieder
lachte er. „Ich … ich bin … dir nicht gefolgt! Du warst nach
mir hier …“ Mir versagte die Stimme. „Schlau, schlau,
Prinzessin. Also, was hast du hier zu suchen! Sag schon!“ Ich
schaute ihn mit vor Schreck geweiteten Augen an. „Das Gleiche
könnte ich dich fragen“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter
Tarek. Der Mann ließ mich los und ich bekam wieder Luft. „Was tust
du hier, Mischa?“, fragte Tarek. Ich nutzte die Gelegenheit und
lief Mischa entgegen. „Ich wollte gerade nach Hause gehen, da habe
ich deine Stimme gehört. Du klangst verärgert und da dachte ich
mir, ich gehe lieber einmal nachschauen.“ „Hast du ein Glück, dass
Achille dir so vertraut. Aber ich schwör dir, ich werde Achille
davon erzählen.“ „Von was erzählen?“, fragte Mischa höflich. Er
schien keine Angst vor dem großen Mann zu haben. „Äh, hm. D… d…
dass die Göre sich hier rumtreibt“, stammelte er. „Wa-rum möchtest
du mich deswegen verklagen? Sie kann sicher nichts dafür. Romana,
du hast sicher deinen Herrn gesucht, oder?“, fragte Mischa an mich
gewandt und ich nickte stürmisch. „Siehst du, Tarek, du kannst ihr
keine Schuld zuschreiben. Außerdem sollten Achille und Aaron hier
in der Nähe etwas besprechen. Würdest du dich in diesem Schloss
nicht verlaufen?“ Darauf wusste Tarek keine Antwort. „Gut, wir
werden dann gehen. Einen schönen Tag noch, Tarek“, sagte Mischa und
verabschiedete sich damit.
Schnell lief ich neben ihm her. „Wie …“, fing ich
an, doch Mischa unterbrach mich: „Später.“ Wir rannten den Weg
zurück. Ich hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Mischa brachte
mich zurück in mein Zimmer. „Was hast du dir dabei gedacht?“,
fragte er mich. Ich senkte den Kopf. Ich konnte ihn nicht ansehen
und setzte mich aufs Bett. Mischa tat es mir nach. „Ich … ich
wollte dich besuchen kommen. Weißt du, hier bin ich immer so
allein, wenn Aaron nicht da ist. Und dann bin ich auf diesen Gang
gestoßen. Ich dachte, dass dort vielleicht Cedric wäre …“, gestand
ich. „Du hättest mich nicht suchen sollen, Tara. Es ist zu
gefährlich. Ich hatte solche Angst, als ich Tarek und dich sah“,
sagte Mischa ganz ruhig. Aaron wäre vermutlich in die Luft
gegangen. „Angst?“, fragte ich vorsichtig. „Ja, Angst. Große
sogar.“ „Du bist wie Aaron. Jeder macht mir Vorwürfe“, sagte ich
traurig und sah meinen Freund an. „Ich mache dir keine Vorwürfe,
Tara. Ich möchte dir nur sagen, dass du in Zukunft vorsich-tiger
sein solltest.“ Mischa sah mich aufrichtig an. „Es tut mir leid.“
Ich seufzte. „Das muss es nicht. Jeder macht Fehler und du eben
auch.“ Mischa nahm mich in den Arm. „Oh Mischa“, schniefte ich und
er strich mir über das Haar. „Ist schon in Ordnung. Es ist ja
nichts passiert … nichts passiert“, tröstete er mich, als ich zu
weinen begann. Ich genoss es, in seinen Armen zu sein. Er strahlte
so viel Stärke aus.
Nach einiger Zeit hatte ich mich wieder relativ gut
im Griff und wischte mir die Tränen ab. „Hier.“ Mischa hielt mir
ein Taschentuch hin. „Was hast … du eigentlich dort unten
gemacht?“, fragte ich, während ich mich schnäuzte. „Ich wollte nach
Hause gehen. Wärst du nach rechts gegangen, hättest du Tageslicht
gesehen.“ „Mist. Da bin ich wohl falsch abgebogen. Aber sag, was
ist dort unten?“ Ich war gespannt auf seine Antwort. Im Gegenteil
zu Aaron sagte er mir gleich die Wahrheit: „Wenn du den Gang immer
weiter gehst, kommst du zu den Gefangenen.“ Dann war ich doch
richtig gelaufen! Aber warum gab es dort unten keine Gefangenen?
Ich sprach meine Frage aus und Mischa wusste wieder eine Antwort:
„Du musst erst einmal an Tarek vorbei. Dann wirst du sehen.“
„Danke, Mischa. Danke, dass du mich gerettet hast“, sagte ich und
drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Er errötete leicht und
lächelte. „Das ist doch klar. Tarek hätte dich nur verraten. Gott
sei Dank war ich dort unten.“ „Geht Tarek jetzt zu Achille?“,
fragte ich weiter. „Nein, ich glaube nicht. Er war sowieso
betrunken. Morgen hat er wieder alles vergessen.“
Schließlich ging die Tür auf und Aaron kam herein.
Er hatte nicht geklopft, was mich wunderte. „Hallo, Aaron“, grüßte
ich schüchtern. Er nickte nur, ging an Mischa und mir vorbei zum
Schrank und hängte seine Weste auf. Ich sah Mischa fragend an. „Ich
mache das schon“, sagte er freundlich und ich warf ihm einen
dankbaren Blick zu. „Aaron, es gibt da etwas, was du wissen
solltest …“, fing mein Freund an. „Dass du heimlich in Taras und
mein Zimmer kommst? Danke, das weiß ich bereits“, antwortete er.
Warum war er denn schon wieder so schlecht gelaunt? Er mochte
Mischa wirklich nicht besonders. „Nein, es geht um Tara.“ Der Prinz
sah erst Mischa, dann mich gespannt an. „Habe ich etwas verpasst?“,
fragte er und dann erzählte Mischa auch schon.
„Was hast du dir dabei gedacht?“, fuhr er mich an,
als Mischa das Zimmer verlassen hatte. „Nichts“, sagte ich -leise
und schaute verlegen zu Boden. „Ich wollte doch nur … ach, du
weißt gar nicht, wie langweilig es hier allein im Zimmer ist, und
da wollte ich eben Mischa besuchen …“ „Tara, du hättest ihn nie
alleine finden können“, brachte er endlich unter Lachen heraus. Wie
konnte er jetzt lachen? „Danke für die Belehrung. Hast du denn
etwas von Anastasia erfahren?“, fragte ich unfreundlich und
funkelte ihn böse an. „Bedauerlicherweise nicht. Aber ich habe
bereits eine -andere Idee, wie ich ihr die Antwort entlocke. Auf
die Art funktioniert es sicher. Nur leider finde ich sie nicht
gerade sehr … passend.“ „Was meinst du?“ „Das sage ich dir nicht.
Es bleibt vorerst mein Geheimnis“, antwortete er. Ich verdrehte die
Augen und legte mich auf das Bett. „Erzählst du mir dann
wenigstens, wie es bei Achille war?“ „Langweilig. Er ist ganz
begeistert über Anastasias und meine Hochzeitspläne. Aber ich glaube, dass er mir immer noch
nicht ganz vertraut.“ Wir verbrachten den Nachmittag meist
schweigend miteinander. Ich hatte mein Erlebnis noch nicht ganz
verdaut.