Schatten der Sternenwelt
Ich spürte Aarons Nervosität. Er wollte es nur nicht zugeben. Doch ich kannte ihn besser. Ich wusste, wann es ihm gut ging und wann nicht. Ich kannte ihn dafür einfach schon zu gut.
Der rote Teppich ging weiter. Wir gelangten in eine mittelgroße Halle. Sie war bei Weitem nicht so groß wie Aarons. Überall standen Leute. Ich merkte, wie sie uns anstarrten. Von innen sah das Schloss gar nicht so bedrohlich aus, wie es von außen schien. Ich schaute zum Ende der Halle. Dort standen drei Personen. Es konnten nur Achille, Anastasia und ihre Mutter sein. Sie waren festlich gekleidet. Und dann sah ich in Achilles Gesicht. Die Angst kroch in mir hoch. Ich hatte ihn mir ganz anders vorgestellt. Noch nie hatte ich so viel Hass in den Augen eines Menschen gesehen. Achille hatte kurzes, dünnes, rotes Haar. Er war unrasiert und trug einen schwarzen Anzug. Seine Figur wirkte etwas unglücklich. Man sah deutlich seinen Bauch. Auf den ersten Blick fürchtete ich mich vor ihm und ich war mir sicher, dass ich ihm so gut es ging aus dem Weg gehen würde.
Inzwischen waren wir stehen geblieben. Aaron verbeugte sich und alle anderen taten es ihm nach. „Guten Tag Prinz Aaron von Abanon. Wie schön, dass du gekommen bist“, begrüßte ihn Achille und kam auf ihn zu. Ich ging einen Schritt zurück. „Es ist auch mir eine große Freude, dich wiederzusehen“, sagte Aaron und schenkte ihm ein Lächeln. „Darf ich dir meine Frau und Tochter vorstellen?“ Achille machte eine Handbewegung und die beiden Frauen traten vor. Ich beäugte Anastasia. Sie war eine -wunderschöne Frau, auch wenn ich es mir anders erhofft hatte – eine klassische Schönheit. Sie hatte langes, brünettes Haar, das sie zu einem Zopf zusammengebunden hatte. Ich war mir -sicher, dass es bis zum Boden reichte. Ihre Gesichtsauszüge aber wirkten hart. Sie war geschminkt und hatte ihre hohen Wangenknochen betont. Ein jedes Model hätte sein Gesicht für ihres gegeben. Obwohl ich sie nicht mochte, beneidete ich sie. Sie war so schön. Neben ihr kam ich mir wie ein Mauerblümchen vor. Anastasia war ausgesprochen schlank und ihr Kleid ebenso schön wie sie: rosafarben mit wenigen Rüschen. Es passte ihr wie angegossen. „Meine zauberhafte Tochter und deine zukünftige Frau Anastasia“, sagte Achille und Anastasia kniete nieder. Aaron ging auf sie, nahm ihre Hand und küsste sie. Anastasia stand auf. Sie sahen sich in die Augen und sie schaute ihn an wie einen Gott. Ich merkte, dass er ihr gefiel. Aarons Miene konnte ich nicht deuten. Doch ich war mir sicher, dass er sie hübsch fand. „Es ist mir eine Ehre, dich endlich zu sehen, Anastasia“, sagte Aaron. Ich spürte Eifersucht. Anastasia lächelte, sagte aber nichts. „Na, ist das nicht wunderbar!?“, rief Achille und lachte. Bei seinem Lachen zog sich mir alles zusammen. Es war so kalt. Aaron schaute Anastasia immer noch an. Dann wandte er seinen Blick ab. „Meine Frau Nathalia“, stellte Achille die andere Frau neben Anastasia vor. Auch ihr küsste Aaron die Hand. Sie verbeugte sich allerdings nicht. Nathalia war ebenfalls sehr hübsch. Ihr Haar hatte einen Blondton, wie ich ihn noch nie vorher gesehen hatte. Würde es Elfen geben, dann wäre sie eine gewesen. Nathalias Gesichtszüge waren allerdings lieblicher. Sie sah traurig aus. Unter ihren Augen lagen tiefe Schatten. Doch ich beachtete sie nicht weiter. „Es ist mir ebenfalls eine Freude, dich kennenzulernen. Anastasia sieht dir sehr ähnlich“, sagte Aaron zu ihr. „Danke, Aaron. Wir freuen uns, dich hier willkommen heißen zu dürfen“, antwortete sie. Ihre Stimme klang sehr schön. Überhaupt passte an Nathalia und Anastasia alles. Sie hätten Schwestern sein können, wären da nicht die Falten in Nathalias Gesicht gewesen.
Der Prinz trat wieder zurück. „Ich denke, ihr möchtet euch erst einmal erholen, nicht wahr? Bezieht eure Zimmer. Es gibt aber schon bald Abendessen. Mischa wird euch die Räume zeigen“, sagte Achille und deutete auf einen jungen Mann an der Wand. Er hatte blondes Haar und zuckte zusammen, als Achille auf ihn deutete. Sofort kam er auf Aaron zugelaufen. „Wenn du mir bitte folgen würdest“, -sagte er zum Prinzen. „Ach ja, bevor ich es vergesse, Aaron, zehn Zimmer stehen für deine Diener zur Verfügung, der Rest muss draußen vor dem Schloss schlafen“, fügte der König noch hinzu und wandte sich seiner Familie zu. „Danke, Achille. Wir werden uns sicher zurechtfinden“, erwiderte Aaron und ging bereits dem Jungen namens Mischa hinterher. Ich folgte ihnen.
Das Schloss war so unbeschreiblich groß. Ich war mir -sicher, dass ich mich bald verlaufen würde. Wir gingen eine Steintreppe hinauf. „Rechts hält sich die Königsfamilie auf, links ist euer Reich. Die Wachen könnt ihr nachts abtreten lassen, wenn ihr wollt“, erklärte Mischa, als wir oben waren. Wir folgten dem ganzen langen Gang, bis wir zu einem Zimmer am Ende gelangten. Nun waren nur noch Aaron, Basko, Shania und ich übrig. Die anderen hatten wohl schon die Zimmer bezogen. „Bitte, Prinz. Das ist dein Zimmer“, sagte Mischa und hielt ihm die Tür auf. Das Zimmer war geräumig und hell. Rechts gab es große -Fenster und einen Balkon. An der Wand stand ein breites Himmelbett. Außerdem erblickte ich ein Klavier. Ich lächelte, als ich es sah. Das Zimmer war wirklich sehr gemütlich. „Achille hat das schönste Zimmer herrichten lassen“, sagte Mischa und versuchte zu lächeln. „Danke, Mischa. Das ist wirklich sehr nett von dir, uns die Zimmer zu zeigen“, antwortete Aaron freundlich. Ich sah Mischa an und merkte, dass er meinen Blick erwiderte. Aaron beachtete uns beide nicht weiter. Basko und Shania begannen bereits, die Koffer hineinzutragen. Noch immer starrte ich Mischa an. Seine Augen waren blau. Was er wohl gerade dachte? Ich wusste, dass er meinen Schein nicht sehen konnte. Trotzdem hatte ich etwas Angst. Sein misstrauischer Blick irritierte mich. Er war schwer zu deuten. „Wir sehen uns dann später“, verabschiedete Mischa sich schnell und ging. Er hatte abrupt weggesehen.
„Mir gefällt das Zimmer, dir auch? Ich glaube, hier können wir es aushalten“, sagte Aaron und ließ sich seufzend auf das Bett fallen. Ich nickte und sagte weiter nichts. -Shania und Basko hatten derweil alle Koffer ins Zimmer getragen. „Ihr könnt jetzt gehen“, befahl Aaron und die beiden verließen das Zimmer. Stöhnend stand der Prinz auf, ging zu den Koffern und begann auszupacken. Ich stand nur da und sah ihm zu. Plötzlich drehte er sich zu mir um. „Hm, Tara. Möchtest du nicht auch auspacken?“, fragte er mich. Ich verstand nicht ganz. Warum sollte ich meine Sachen hier auspacken? Ich würde doch mein eigenes Zimmer haben, oder etwa nicht? „Äh … darf ich fragen, warum hier? Das ist doch nur unnütze Schlepperei“, antwortete ich perplex. Aaron sah belustigt aus. „Tara, ich habe doch gesagt, hier können wir es aushalten. Du schläfst bei mir.“ Er sagte es, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. „Oh, ich glaube, da hast du falsch geplant. So weit kommt es noch, dass ich mit dir in einem Zimmer schlafe“, schrie ich. Aaron legte einen Finger an die Lippen. „Nicht so laut. Wo willst du denn sonst schlafen?“ „Bei irgendwem, nur nicht bei dir!“ „Wo die Königsfamilie schläft, weißt du ja jetzt. Bei Anastasia ist sicher noch Platz“, fügte Aaron hinzu und wich meinem Arm aus. „Ich meinte, bei Shania oder sonst wem“, sagte ich verärgert. „Tara, Shania wird auch die meiste Zeit hier sein. Und ich glaube kaum, dass du es bei Basko aushalten wirst – er schnarcht“, sagte Aaron und lachte. „Dann bei Sancho oder keine Ahnung bei wem.“ „Bei Sancho? Also, wenn es dir um deine Augen lieb ist und du sie nicht ausgekratzt haben willst, dann lass das lieber sein. Tara, es bleibt dir nichts anderes übrig. Bin ich denn so unhöflich?“, neckte der Prinz mich. „Überhaupt nicht, aber …“, fing ich an, doch er unterbrach mich. „Eben. Ich mache das nur zu deinem Schutz. Die rechte Seite des Bettes gehört dir, die linke mir“, sagte er und lachte immer noch. Jetzt dämmerte mir erst alles. Ich sollte mir zusammen mit Aaron ein Bett teilen, wo er doch Anastasia heiraten sollte? „Ich glaube kaum, dass das eine gute Idee ist. Was wirst du denn tun, wenn Anastasia hier einmal reinkommt?“ Jetzt kämpfte ich nicht mehr mit fairen Mitteln. Aber es war mir egal. „Anastasia wird hier nicht reinkommen. Ich lasse meine Wachen vor dem Zimmer stehen.“ Er hatte doch immer eine Ausrede. „Ach, und das soll funktionieren, ja? Gibt es hier denn kein Sofa?“, fragte ich trotzig. Aaron sah sich im Zimmer um. „Tut mir leid, aber ich sehe keines“, witzelte er. „Ich finde das überhaupt nicht komisch. Ich soll mit einem Prinzen zusammen in einem Bett schlafen – kommt überhaupt nicht in die Tüte!“ Ich schrie schon wieder. Der Prinz sah mich nun etwas böse an. „Jetzt hab dich nicht so. Ich brauche nicht viel Platz im Bett. Außerdem werde ich sowieso wenig schlafen. Pack aus, komm“, forderte der junge Mann mich auf. Ich konnte nichts machen. Ich saß im wahrsten Sinne des Wortes in der Patsche. Schließlich ging ich zum Schrank und begann meinen Koffer auszuräumen. Ich war erstaunt über die schönen Kleider und vor allen Dingen über die schönen Nachthemden. Shania hatte alles gewusst! Das würde ich ihr zurückzahlen – ganz bestimmt!
„Gefällt dir dein Zimmer, Aaron?“, fragte Achille. Wir saßen beim Abendessen in einem sehr großen Raum. Er war größer als die Empfangshalle. Wären da nicht der Tisch und die Standuhr in der Ecke, wäre das Zimmer vollkommen leer gewesen. Es saßen unter anderen auch Aarons Diener dort. Der Prinz hatte mich mit Absicht zwischen Shania und Sancho gesetzt. Er selbst saß mir gegenüber. Neben ihm hatte Anastasia Platz genommen. Achille saß mit seiner Frau am Ende des Tisches. Mischa stand mürrisch in der Ecke und beobachtete das Geschehen.
„Ja, es ist sehr schön. Danke noch mal“, antwortete Aaron höflich. Ich hätte schwören können, einen Unterton in seiner Stimme gehört zu haben. Es war mir natürlich klar, wa-rum. „Das freut mich. Ich hoffe, dass deine Diener mir nicht böse sind wegen der Zimmerverteilung“, sagte -Achille und ließ seinen Blick über die Leute schweifen. Keiner sah auf, Achille ignorierte dies. Anastasia hatte immer noch kein Wort gesagt. Ich fragte mich schon fast, ob sie wohl stumm war. Immer wenn Aaron sie anredete, nickte oder verneinte sie nur. Komisch.
Plötzlich spürte ich etwas, was meinen Fuß streichelte. Gab es etwa hier im Schloss Katzen? Ich erschrak. Das Etwas hörte nicht auf. Ich beschloss zu handeln. Mit voller Kraft schlug ich dagegen. Es war mir egal, was es war. Das Etwas zog sich zurück. Mein Blick fiel auf Aaron. Er verzog sein Gesicht. Es war doch tatsächlich sein Fuß gewesen! Ich schaute ihn mit kleinen Augen an. „Ist alles in Ordnung?“, rief Achille über den Tisch hinweg. Ich erstarrte. Offensichtlich hatte er Aarons Blick bemerkt. „Natürlich. Ich habe wohl auf einen Knochen gebissen“, redete sich der Prinz heraus und lächelte. Das Essen verging schneller, als ich dachte. Bald standen bereits die Ersten auf. Ich erhob mich allerdings nicht. „Wir gehen“, sagte Sancho leise. Ich wollte mich schon erheben, doch er drückte mich zurück in den Sessel. Er hatte offensichtlich Shania und sich gemeint. Die beiden verließen den Raum.
Nach einiger Zeit waren nur noch Achille und seine Familie, Aaron, ich und einige andere Leute da. „Was ich dich schon immer einmal fragen wollte, Prinz. Wer ist das Mädchen in dem Umhang?“, fragte Achille, als er aufstand. Vor Schreck weiteten sich meine Augen. Ich wusste, dass er mich eines Tages ansprechen würde. Aaron stand ebenfalls auf, ich tat es ihm nach und stellte mich neben ihn. „Das ist meine Beraterin, Romana“, erklärte er und gab mir zu verstehen, dass ich mich verbeugen sollte. Mein Herz klopfte, als ich merkte, dass Achille dicht vor mir stand. Er roch nach Schweiß. Der Geruch stieg mir unangenehm in die Nase. „Romana“, wiederholte der König. Ich war froh, neben Aaron zu stehen. „Ja, sie ist die Beste, die man haben kann“, lobte mich Aaron. Ich erhob mich und sah in Achilles Augen. „Das bezweifele ich ungern, Prinz. Aber wenn du mit meiner Tochter verheiratet bist, werden wir das ändern.“ Es war genau, wie Tarek gesagt hatte. Anastasia duldete keine andere Frau neben Aaron. „Gewiss“, gab Aaron spitz zurück. „Warum trägt sie diesen Umhang?“ Achille sah interessiert an mir hinunter. „Romana ist sehr religiös.“ Wie konnte er dabei nur so locker klingen? Achille schaute mich misstrauisch an. Hatte ihn Aarons Lüge überzeugt? Ich hoffte es. Ich hätte es ihm sofort abgekauft. „So, so, religiös ist sie also. Aber warum verbirgt sie dann ihre Hände mit Handschuhen?“ Achille war schlauer, als ich gedacht hatte. Aber auch darauf hatte Aaron eine passende Antwort: „Ihre Hände und Füße sind mit Narben bedeckt. Ich wollte dir diesen Anblick ersparen. Aber wenn du es unbedingt sehen willst!?“ Der Prinz sah den König mit hochgezogener Augenbraue fragend an. Mein Herz hämmerte mir gegen die Brust. Was würde nun geschehen? Ich hielt die Luft an und spürte, wie mir der Schweiß den Rücken hinablief. Inzwischen war es in dem Raum leise geworden. Jeder schaute uns zu. Achille verzog das Gesicht. „Lieber nicht“, sagte er schnell und drehte sich um. Ich atmete leise, aber sehr tief aus. Da hatte ich noch einmal Glück gehabt. „Ich wünsche dir eine gute Nacht, Aaron. Ruhe dich aus“, sagte Achille. Er hatte uns noch immer den Rücken zugewandt. Nathalia, die neben ihm stand, lächelte Aaron zu. Dann verließen sie den Raum. Auch Anastasia erhob sich. Sie blieb vor Aaron stehen. „Gute Nacht“, sagte er und sie lächelte ihn, genauso schön wie ihre Mutter, an. „Los“, flüsterte Aaron mir zu und wir gingen schnell in unser Zimmer.
Den ganzen Weg hatten wir nichts geredet. Diesmal ließ ich mich stöhnend auf das Bett fallen. „Das war knapp“, bemerkte ich. Aaron schüttelte den Kopf. Dann kam er auf mich zu. Er ließ sich ebenfalls seufzend ins Bett fallen. „Das war es nicht. Achille hat Angst vor Narben und Ähnlichem. Ich wusste, dass er ablehnen würde. Ich -würde dich nie einer solchen Gefahr aussetzen“, antwortete er und sah mich an. Draußen war es bereits stockdunkel. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war. „Anastasia ist wunderschön“, schnitt ich das Thema an. „Findest du? Ich finde sie eher …“, fing er an. „Ja?“, fragte ich ungeduldig. „Durchschnittlich.“ Diese Antwort überraschte mich. „Durchschnittlich“, wiederholte ich. Irgendetwas in mir jubelte. „Ganz genau.“ „Was ist denn bitte an ihr durchschnittlich?“ Ich konnte es kaum fassen. Anastasia war die Schönheit in Person und Aaron fand sie durchschnittlich? „Einfach alles. Außerdem ist sie überhaupt nicht hübsch, geschweige denn wunderschön“, sagte Aaron. Er fand Anastasia nicht hübsch! Gab es in -meinem Leben einen glücklicheren Moment als diesen? „Aha.“ „Aber warum interessiert dich das denn so?“ Mist. Hatte Aaron mich etwa schon wieder durchschaut? „Äh, Shania und ich haben vorher über sie ein bisschen -geredet. Und wir waren beide der Meinung, dass sie … ja, wie schon gesagt“, log ich. Der Prinz sah mich zweifelnd an. Ich hoffte, dass meine Lüge nicht wieder aufflog. Doch ich hatte mich getäuscht. „Ach ja? Ich hatte eher das Gefühl, ihr hättet schweigend nebeneinander gesessen!?“ „Da hat dich dein Gefühl offensichtlich getäuscht. Wir haben sehr wohl miteinander geredet.“ Ich nickte überzeugend. „Ach, und über was genau?“ Konnte er seine ewige Fragerei nicht lassen? Mir kam es sowieso vor, als hätte er mich schon wieder durchschaut. „Nur über das Schloss und … und das Wetter. Das war’s.“ Aaron verkniff sich ein Lachen. Ich hüstelte verlegen. „Tara, verzeih, aber ich dachte, ich habt auch über Anastasia geredet und nicht, wie du gerade gesagt hast, über das Schloss und das Wetter.“ Und als er dann meinen Gesichtsausdruck sah, lachte er endlich. „Ja, weißt du, das ist so …“, fing ich an, doch der Prinz unterbrach mich: „Tara, lass es lieber. Du verredest dich nur wieder.“ Aaron kugelte sich bereits vor Lachen. Ich verdrehte nur die Augen und murmelte: „Männer“.
Schließlich stand ich auf, zog meinen Umhang aus und ging etwas im Zimmer herum. Ich sah mir die Bilder an. Es waren hauptsächlich Achilles Ländereien abgebildet. Das Land musste wirklich schön sein. Ich blieb bei einem Bild stehen, welches das Meer zeigte. Noch nie hatte ich das Meer gesehen. Es war schon immer ein Wunsch von mir gewesen, doch meine Großeltern waren immer wieder in die Berge gefahren.
„Eines Tages werde ich es dir zeigen.“ Aaron war hinter mich getreten. Ich hatte ihn nicht bemerkt und zuckte bei seinen Worten zusammen. Ruckartig drehte ich mich zu ihm um. Aaron sah mich nicht an. Er schaute ebenfalls auf das Bild. „Warst du schon einmal dort?“, fragte ich und drehte mich wieder um. „Nicht direkt an diesem Ort. Aber ich war schon einmal am Meer, ja“, antwortete er. Der Rosenduft umhüllte mich. Ich war mir sicher, dass er näher gekommen war. Ich rührte mich allerdings nicht und versuchte, meine Nervosität und vor allen Dingen mein wild klopfendes Herz zu ignorieren. „Wo genau?“ „Ich weiß es nicht mehr, zu lange her. Mein Vater hatte mich einmal mitgenommen“, sagte Aaron. Er war offensichtlich nicht sehr gesprächig. Ich beließ es dabei und sagte lieber nichts.
Ich spürte, wie er seine Hände auf meine Schultern legte. Sofort bildete sich dort eine Gänsehaut. „Du bist ganz heiß. Geht es dir nicht gut?“, fragte der Prinz. „Mir geht es gut. Das liegt an der Hitze“, gab ich zurück. „Bist du dir da sicher?“ Er flüsterte schon fast. „Ganz sicher“, versicherte ich ihm. „Das glaube ich dir nur nicht“, widersprach Aaron. „Solltest du aber.“ Er massierte mich. „Vielleicht hilft das gegen die Hitze“, sagte er vorsichtig. „Ich glaube schon“, antwortete ich ihm. Bald hörte er damit auf. Seine Hände wanderten an meinen Armen hinunter bis zu meinem Bauch. Er schlang seine Arme um mich und drückte mich fest an sich. „Du bist viel hübscher als Anastasia“, flüsterte er mir ins Ohr. Nun bekam ich überall Gänsehaut. „Ja?“, fragte ich zweifelnd. „Hm.“ Ich merkte, dass Aaron etwas nervös war. Ich drückte mich näher an ihn. Ich wollte unbedingt seinen Herzschlag spüren. „Mischa gefällt dir, nicht wahr?“, fragte Aaron. Warum redete er denn jetzt von Mischa? War er denn etwa … nein, das konnte nicht sein. „Sollte er mir gefallen?“ „Nun ja. Wie ihr euch angeschaut habt. Tara, auch ich bin nicht blind.“ „Das Gleiche könnte ich von Anastasia und dir behaupten“, antwortete ich. „Aber du kennst -meine Meinung zu Anastasia …“, fing er an. Aha, darauf wollte er also hinaus. Der Prinz wollte wissen, wie ich Mischa fand. „Ich kenne Mischa nicht einmal. Wir haben uns bis jetzt erst kurz gesehen. Warum interessiert dich das denn so brennend?“ Nun wurde ich neugierig. „Ach, ich habe während des Essens ein bisschen mit Basko über Mischa geredet“, neckte er mich. „Unglaublich witzig“, gab ich bissig zurück. Aaron lachte. „Aber lass uns jetzt nicht über -Mischa reden.“ Er hielt mich noch immer fest umklammert. Ich spürte seinen Atem an meinem Ohr. Er war warm und weich. „Du kriegst ja überall Gänsehaut“, bemerkte Aaron erst jetzt. „Da kommst du aber früh drauf“, gab ich zurück. Noch immer sprachen wir leise miteinander. Man konnte ja nie wissen, womöglich stand noch jemand an der Wand und lauschte. „Warum denn?“, fragte er und tat so, als ob er es nicht wüsste. „Da fragst du noch!?“ „Ja, schon. Ich -warte auf die Antwort.“ Seine Stimme war so unbeschreiblich weich. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und meine Arme um seinen Hals geschlungen, doch das war gerade unmöglich. „Deswegen?“, fragte Aaron und fuhr mit seinem Mund meinen Hals auf und ab. „Und?“ Er wollte die Antwort unbedingt wissen. „Vielleicht.“ So schnell gab ich nicht auf. „Ganz sicher“, sagte er und tat es wieder. Dann gelangte sein Mund an meine Wange. Vorsichtig drückte er mir einen Kuss darauf. Ich schloss die Augen und genoss den Augenblick. „Danke“, sagte ich. Dann ließ Aaron mich los. „Für was?“ Ich drehte mich zu ihm um. „Für das, was du am meisten zu verdrängen versuchst“, antwortete ich. Ich war mir sicher, dass er wusste, was ich meinte. „Ich verdränge nichts“, sagte der Prinz schnell. „Bist du dir da so sicher?“ „Wir sollten jetzt schlafen.“ Er schlug das Bett auf. Ich konnte es mir wirklich nicht vorstellen, mit ihm dort drinnen zu schlafen. Zögernd holte ich ein Nachthemd aus dem Schrank. Es war, zu meinem Erschrecken, rot. „Oh, ich geh dann mal kurz raus“, sagte der Prinz schnell und verließ das Zimmer.
Ich ließ mir mit dem Umziehen Zeit. Schließlich legte ich mich auf meine Seite. Ich rutschte so weit zur Bettkante, dass ich fast hinuntergefallen wäre. Dann öffnete sich die Tür und Aaron trat ein. Er hatte sich ebenfalls umgezogen. Er trug eine Jogginghose und darüber ein weißes T-Shirt. Ich fragte mich, wann er sich das angezogen hatte. Aaron schaute mich nicht an, sondern schlüpfte so schnell wie möglich unter die Decke und löschte die Kerzen, die auf dem Nachttisch brannten. Nun war alles dunkel. Stockdunkel. Ich fand es etwas unheimlich. „Tara, nur so als Hinweis. Ich bin nicht giftig. Du brauchst also nicht so weit von mir wegzurutschen“, sagte er plötzlich. Ich merkte, wie ich rot wurde. Gott sei Dank konnte er das nicht sehen. „Ich werde dir auch nichts tun. Keine Angst, ich bin nur ein Mann.“ Das war ja gerade der springende Punkt. Er war ein Mann! Und dazu noch ein verdammt gut aussehender! „Danke für die Info“, gab ich knapp zurück, rührte mich aber nicht von der Stelle. „Jetzt stell dich nicht so an. Du fällst heute Nacht nur runter.“ Ich dachte über seine Worte nach. Vielleicht hatte er ja recht. Ich rutschte ein Stück näher zu ihm. Nun konnte ich ihn in der Dunkelheit erkennen. Er hatte sein Gesicht zu meinem gedreht und lächelte, wie nicht anders zu erwarten war. Ich schaute ihn verschämt an und zog mir die Decke bis zum Kinn. „Hm, weiß Achille eigentlich, dass ich bei dir schlafe?“, fragte ich ihn. Er schüttelte den Kopf. „Ja, wunderbar.“ Ich seufzte. „Er wird es auch nicht merken, da so viele Wachen vor unserem Zimmer stehen, dass er gar nicht erst vorbeischauen wird.“ „Wenn du davon so überzeugt bist …“ Ich war es jedenfalls nicht. „Absolut“, versicherte mir Aaron.
Plötzlich ertönt draußen ein Schrei. Ich saß aufrecht im Bett. „Hey, das war nur eine Eule.“ Aaron hatte sich ebenfalls aufgesetzt. „Mach dir nicht so viele Gedanken“, versuchte er mich zu beruhigen. Ich schluckte und schloss die Augen. Aaron nahm mich zärtlich an den Schultern. Ich öffnete wieder meine Augen und sah ihn an. „Dir wird nichts passieren, ich bin für dich da“, sagte er und drückte mich in mein Kissen zurück. Er lächelte schüchtern und legte sich wieder auf seine Seite. „Gute Nacht“, nuschelte ich. Langsam spürte ich die Müdigkeit. „Gute Nacht, schlaf gut und träum was Schönes“, antwortete Aaron und drehte sich auf die andere Seite, sodass ich sein Gesicht nicht mehr sehen konnte. Ich versuchte einzuschlafen. Erstaunlicherweise fiel es mir leichter, als ich gedacht hatte.