Kapitel 18

Gregori war in der Nähe. Destiny wusste es sofort, als sie beim nächsten Erwachen die Augen öffnete. Ihr Herz Hopfte so schnell und laut, dass es durch die kleine Höhle zu dröhnen schien. Ihr Atem ging stoßweise, und ihre Lunge brannte. Hastig kleidete sie sich an und schaute sich dabei hektisch in der Kammer um, als hätte sie Angst, der Heiler könnte irgendwo in einer Ecke lauem. »Ich muss hier raus«, sagte sie zu Nicolae. »Nur einen kleinen Moment. Ich bekomme hier unten keine Luft mehr.« Es klang wie eine alberne Ausrede, aber es war die Wahrheit.

»Er ist hier«, stellte Nicolae fest und fuhr mit einer Hand flüchtig durch ihr dichtes, seidiges Haar. Sie wusste, dass er sie mit dieser Geste beruhigen wollte.

Destiny nahm seine Hand und klammerte sich hilfesuchend an ihn. Ihr Nicolae, ihr Fels. Er war bereits angezogen, Er hatte sich mit makelloser Eleganz gekleidet, ein Fürst aus alter Zeit. Der Mann, der in diesem Moment tief im Inneren des Berges bei ihnen erschien, würde sein Urteil über sie fällen. Er kam auf sie zu, eine kräftig gebaute Erscheinung, die unumschränkte Macht ausstrahlte. Tiefe Linien gruben sich in seine harten Gesichtszüge, und seine Augen waren von einem auffallenden Silbergrau.

Einen Moment lang bebte die Welt und wurde zu einem fremdartigen schwarzen Universum mit unzähligen Sternschnuppen, doch Nicolae legte einen Arm um ihre Schultern und zog Destiny schützend an sich. Sie passte sich seinen gleichmäßigen Atemzügen an, und die Welt hörte auf, sich vor ihren Augen zu drehen. Obwohl die Meinung dieses Mannes ausschlaggebend sein würde, wirkte Nicolae nicht beunruhigt. Gregoris Urteil kümmerte ihn nicht. Sein Blick war scharf und wachsam. Hinter ihnen tauchte Nicolaes Bruder auf.

Destiny fiel Vikirnoffs unverwandter Blick auf, der kalt wie der Tod war. Er ließ Gregori nicht aus den Augen. Vikirnoff würde unerschütterlich zu seinem Bruder halten, wie immer, ob Nicolaes Blut nun unrein war oder nicht. Erst jetzt dachte sie daran, dass Vikirnoff es sofort gewusst haben musste, als Nicolae ihr Blut genommen hatte. Aber er hatte trotzdem nichts unternommen, um seinen Bruder davon abzuhalten. Gleichzeitig mit diesem Gedanken kam die Erkenntnis, dass Gregori diese kleine unterirdische Kammer betreten hatte, ohne wirklich etwas über diejenigen zu wissen, die ihn hier erwarteten. Er riskierte buchstäblich sein Leben, um ihnen zu helfen.

Der Heiler wirkte groß und stark und mächtig, eine glitzernde Bedrohung, doch die beiden anderen waren uralte Karpatianer und im Kampf genauso erfahren wie er. Destiny entschied, dass Gregori ein sehr mutiger Mann war.

Nicolae trat vor, um ihn zu begrüßen, indem er seine Hände an Gregoris Unterarme legte und sich dabei geschickt zwischen Destiny und den Fremden stellte. »Gregori, gut, dass du so schnell gekommen bist! Ich bin Nicolae; früher stand ich unter dem Befehl von Vladimir Dubrinsky. Das ist mein Bruder Vikirnoff.« Er deutete auf den stummen Wächter zu seiner Rechten.

Vikirnoff trat vor und richtete seine kalten, toten Augen auf die silbrig glitzernden des anderen. »Ich danke dir, dass du unserem Ruf gefolgt bist. Es ist gut, dass du hier bist«, sagte auch er und legte ebenfalls seine Hände auf Gregoris Unterarme.

Destiny war klar, dass diese Geste beide Jäger verwundbar machte. Sie standen sich Auge in Auge gegenüber und sahen, was ihr Gegenüber von seinen Gedanken preiszugeben bereit war.

»Es ist gut, euch zu sehen. Mikhail hat erst vor Kurzem von der Existenz einiger Karpatianer vom alten Stamm erfahren und den Ruf an sie ergehen lassen, wenn möglich zurückzukehren und sich in unserer Heimat zu treffen. Er wird erfreut sein zu hören, dass sich zwei weitere Krieger aus der alten Zeit gefunden haben. Auch Falcon ist noch am Leben.« Sein glitzernder Blick glitt an Nicolae vorbei und verharrte auf Destiny.

Sie hob herausfordernd das Kinn. Sollte er doch sein Urteil über sie fällen! Sie hatte sehr lange ohne Freunde und Familie gelebt und könnte es jederzeit wieder tun, redete sie sich ein. Insgeheim zweifelte sie allerdings daran. Trotz ihrer Entschlossenheit, niemals in diese Falle zu tappen, hatte sie angefangen, zu hoffen und zu träumen. Ihr Blick wanderte zu Nicolae. Was, wenn ihr dieser Fremde mit den bezwingenden Augen den Gefährten nahm?

Das kann er nicht. Nicolae schickte ihr keine Wellen von Wärme und Trost, sondern nur diese einfachen Worte, die so ruhig und absolut überzeugt klangen. Der krampfhafte Schmerz in ihrem Magen ließ sofort nach.

»Meine Gefährtin Destiny.« Nicolae nahm ihre Hand, zog Destiny an sich und legte besitzergreifend einen Arm um ihre Taille.

Gregori verneigte sich langsam in einer förmlichen Geste, die sie bereits von Nicolae kannte. »Du hast schwere Zeiten hinter dir. Es ist mir eine Ehre, eine so mutige Frau kennenzulernen.« Sein Blick wanderte prüfend durch den Raum. »Meine Gefährtin sollte schon hier sein. Dass Frauen aber auch immer zu spät kommen müssen!« Falls er beabsichtigt hatte, seine schöne, melodische Stimme ungeduldig klingen zu lassen, war er gescheitert. Er klang so liebevoll, dass Nicolae grinsen musste und Vikirnoff eine Augenbraue hochzog.

Perlendes Lachen erklang, und eine kleine, dunkelhaarige Frau erschien neben Gregori. Nicolae wusste sofort, dass Gregori um ihre Sicherheit besorgt gewesen war und ihr nicht erlaubt hatte, sich zu zeigen, ehe er die Umgebung überprüft hatte. Genau dasselbe hätte auch Nicolae getan. Er war dem Heiler dankbar dafür, dass er versuchte, Destiny zuliebe die Atmosphäre aufzulockern, indem er behauptete, seine Gefährtin hätte sich verspätet.

Gregori zog die zierliche Frau an seine Seite. »Meine Gefährtin Savannah. Sie ist die Tochter von Prinz Mikhail und seiner Gefährtin Raven. Savannah, das hier sind Destiny, ihr Gefährte Nicolae und sein Bruder Vikirnoff.«

Savannah zog die Nase kraus. »Um Himmels willen, es ist doch nicht nötig, meinen Stammbaum aufzusagen!« Liebevoll strich sie über Gregoris markantes Kinn. »Ich freue mich sehr, euch alle kennenzulernen. Was für eine wundervolle Überraschung, dass es euch gibt! Unsere Rasse braucht jeden Einzelnen von uns.«

»Danke, dass ihr die Reise unternommen habt«, erwiderte Nicolae. »Wir wissen nicht, ob es möglich ist, das unreine Blut aus unseren Adern zu entfernen, aber wir hoffen, dass du es zumindest versuchst, Gregori.«

Das Gesicht des Heilers war völlig unbewegt, aber seine Stimme war so sanft wie eine leichte Brise. »Ich muss gestehen, dass ich mit diesem Problem noch nie konfrontiert worden bin. Aidan, einer unserer Jäger, hat eine Gefährtin, die gezwungen war, das Blut eines Vampirs zu sich zu nehmen. Der Untote konnte sie nicht vollständig umwandeln, und die Menge an Blut war nicht groß, da er versuchte, sie auszuhungern, um sie soweit zu bringen, sein Blut freiwillig zu trinken, aber Aidan war in der Lage, sie von dem schlechten Blut zu reinigen. Wenn du es geschafft hast, die Auswirkungen des Vampirbluts so lange zu bekämpfen, Destiny, muss es möglich sein, es aus deinem Körper zu bekommen. Deine Seele ist unversehrt.«

Destiny stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Sie würde die Worte des Heilers immer wie einen kostbaren Schatz hüten. Ihre Seele war unversehrt. Sie wandte ihr Gesicht Nicolae zu und lächelte ihn an. Ich liebe dich.

Ihm stockte der Atem. Das musst du mir ausgerechnet jetzt sagen?

Ich hielt es für richtig.

Wir müssen unbedingt an deinem Timing arbeiten. Nicolaes Griff um ihre Schultern wurde fester.

Destiny lachte laut und erfüllte die Höhle mit einer Freude, die direkt aus ihrem Herzen kam. Velda und Inez wären enttäuscht von mir.

Er neigte seinen dunklen Kopf zu ihr. »Ich bin es nicht.« Er wisperte die Worte an ihren Lippen, bevor er sie lange und zärtlich küsste.

»Achtet nicht auf die beiden«, empfahl Vikirnoff. »Das ist die einzige Möglichkeit. Er hat völlig den Verstand verloren, und anscheinend kann man nichts dagegen unternehmen.«

»Ich finde es toll«, erklärte Savannah und schmiegte sich an Gregor!

»Wir haben einiges zu berichten«, zischte Vikirnoff seinem Bruder zu.

Nicolae beendete seinen Kuss in aller Ruhe und ohne sich von Vikirnoff stören zu lassen. Dann hob er den Kopf. »Mein Bruder ist ein Mann weniger Worte. Es gibt Neuigkeiten, die unser Prinz unbedingt erfahren muss.«

Gregori setzte sich auf den größten der flachen Felsblöcke und zog Savannah neben sich. »Wir würden gern alles erfahren. Auch wir haben Neuigkeiten mitgebracht.«

»Von einem Vampir, der sich selbst Pater nennt, wurde Destiny eine Falle gestellt. Er hatte nicht nur mehrere untergeordnete Vampire bei sich, sondern sie waren noch dazu gut koordiniert und halfen einander. Einem von ihnen bot er sogar sein Blut an.«

Destiny beobachtete Gregori scharf. Er war ein sehr mächtiger und gefährlicher Mann, genau wie Nicolae. Sein Mund presste sich zu einer schmalen Linie zusammen. »Ein ungewöhnliches Vorkommnis.«

Wasser tröpfelte von einer der Höhlenwände. Das Geräusch wirkte in dem allgemeinen Schweigen, das folgte, sehr laut. »Er wollte, dass ich mich ihnen anschließe«, gestand Destiny überstürzt. »Er erkannte den Geruch des Bösen in meinem Blut und rief nach mir, um mich zu überreden, ihrer Bewegung beizutreten.«

Savannah gab einen bestürzten Laut von sich. »Wie furchtbar für dich und wie beängstigend!«

»Es war schwer, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Mein Blut zieht die Vampire an wie ein Leuchtfeuer. Wenn ich sie jage, nehmen sie meine Nähe immer wahr.«

Gregori hob gebieterisch eine Hand. Seine silbrigen Augen wanderten von Destiny zu Nicolae. »Diese Frau jagt die Untoten?«

Destiny legte eine Hand auf Nicolaes Brust, weil es sie plötzlich wütend machte, dass er ihre Handlungsweise verteidigen sollte. Winzige rote Flammen tauchten in ihren Augen auf. »Nicolae braucht nicht für mich zu antworten. Ich bin durchaus imstande, selbst für mich zu sprechen.«

Savannahs weicher Mund zuckte, und sie hüstelte diskret in ihre Hand.

Gregori heftete seinen Blick auf Destinys zorniges Gesicht und neigte leicht den Kopf. »Verzeih mir. In unserer Gesellschaft werden Frauen sorgfältig als der Schatz gehütet, der sie sind. Wir brauchen jede Einzelne von ihnen und setzen nicht unbedingt ihr Leben aufs Spiel. Ich wollte nicht beleidigend klingen.« In seinen nur halbherzig versöhnlichen Worten schwang ein unverkennbarer Tadel mit.

Destiny begegnete Savannahs lachenden Augen. »Du Arme! Ist er immer so? Vikirnoff hat dieselbe Einstellung.«

»Man gewöhnt sich dran.« Savannah ignorierte Gregoris warnenden Blick. »Hunde, die bellen, beißen nicht, könnte man sagen. Ich gebe mein Bestes, um ihn davon zu überzeugen, dass ich eine großartige Jägerin wäre, aber bis jetzt hat er seine Meinung noch nicht geändert. Machst du wirklich Jagd auf Vampire?« Aufrichtiges Interesse und Bewunderung lagen in ihrer Stimme.

Gregoris eigenartige silbrige Augen glitzerten drohend. »Savannah.« Er klang sehr streng.

Seine Gefährtin kuschelte sich an ihn, gab aber nicht nach. »Wie hat das angefangen?«, fragte sie Destiny.

Das spöttische Lächeln, das sie in Gregoris Richtung warf, gefror auf Destinys Lippen. Fast blindlings tastete sie nach Nicolaes Hand. Er war sofort da und schlang seine Finger in ihre. »Destiny wurde als kleines Kind von einem Vampir geraubt. Er zwang sie, sein Blut zu trinken, und wandelte sie um. Zum Glück hat sie übersinnliche Fähigkeiten, und die Umwandlung zerstörte sie nicht. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu jagen. Es war die einzige Möglichkeit, sich zu befreien.« Nicolae gab die Information ganz beiläufig weiter, nicht so, als erzählte er eine Geschichte von grauenhaften Qualen und Foltern.

Savannah wandte sich zu ihrem Gefährten um. Liebevoll strich er mit seiner Hand über ihr schmales Gesicht, bevor er sich erneut respektvoll vor Destiny verneigte. »Nur wenige hätten so etwas überlebt. Es ist mir eine Ehre, den Versuch zu unternehmen, eine so starke und mutige Persönlichkeit zu heilen. Dein Überleben legt Zeugnis für die Schönheit des weiblichen Geistes ab.«

Destiny hatte erwartet, geächtet zu werden, und sich dagegen gewappnet. Akzeptiert zu werden, brachte sie aus der Fassung. Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Sprachlos starrte sie die Neuankömmlinge an, als wäre ihnen ein zweiter Kopf gewachsen.

Nicolae! Sie klang verloren wie ein Kind, das Zuspruch sucht. Der Boden unter ihren Füßen geriet ins Wanken. Alles, woran sie geglaubt hatte, schien nicht zu stimmen. Gregori war beängstigend, aber weniger, als Nicolae es sein konnte. Und Savannah war völlig offen und freundlich. »Danke«, stammelte sie bewegt.

»Erzähl mir mehr über diesen Pater und sein Bündnis«, forderte der Heiler Nicolae auf.

»Mir ist aufgefallen, dass die Vampire öfter gemeinsam unterwegs sind und sich zu kleinen Gruppen zusammenschließen. Das haben sie im Lauf der Jahrhunderte zwar immer wieder getan, aber nicht in diesem Ausmaß. Jetzt habe ich zum ersten Mal erlebt, dass einer versucht, andere Vampire anzuwerben. Er sprach von zahlenmäßiger Überlegenheit und der Möglichkeit, die Jäger leichter zu besiegen, wenn sie einander helfen. Pater sprach mit den anderen wie ein Heerführer zu seinen Truppen. Er gab sich große Mühe, Destiny in seine Gewalt zu bekommen. Und er ist sehr gerissen. Die Gifte, die er benutzt, sind weiter entwickelt als alle anderen, die ich kenne.« Nicolae fuhr sich durchs Haar und sah in Gregoris glitzernde Augen. »Ich glaube, die Bedrohung für unser Volk und vor allem für unseren Prinzen ist sehr ernst.«

Eine Weile herrschte Schweigen, während Gregori über Nicolaes Bericht nachdachte. »Viele der alten Vampire benutzen untergeordnete Vampire oder Neulinge, um sie als Bauern in ihrem Spiel einzusetzen und notfalls zu opfern. Aber das ist nicht dasselbe. Sie helfen einander tatsächlich und nehmen Blut voneinander?«

»Ich habe gesehen, wie Pater sein Blut einem verwundeten Vampir anbot«, antwortete Destiny. »Er war sehr hartnäckig in seinen Bemühungen, mich auf seine Seite zu ziehen. Das Schlimmste ist, dass er sehr durchdacht handelt. Sie locken ihre Feinde in einen Hinterhalt und greifen blitzschnell an, um möglichst wenig Verluste zu erleiden.«

Nicolae nickte. »Sie setzen eine Kampfstrategie ein, statt einfach brutal zuzuschlagen. Das ist ausgesprochen untypisch für Vampire.« Er schaute seinen Bruder an.

Vikirnoff zuckte mit den Schultern. »Zu gut organisiert. Es muss jemanden geben, der ihre Aktionen dirigiert, jemanden mit großer Macht.«

»Ein sehr Mächtiger vom uralten Stamm. Intelligent, sehr erfahren im Kampf und in der Kunst der Manipulation. Er beweist Geduld, und das gilt auch für die Vampire, die er ausgewählt und zu kleinen Gruppen zusammengeschlossen hat«, fügte Nicolae hinzu. »Ich vermute, dass er so etwas schon einmal versucht hat, vielleicht schon viele Male im Lauf der Jahrhunderte, und aus seinen Fehlern gelernt hat. Er will den Tod eines jeden Jägers. Dann kann ihn nichts mehr aufhalten.«

»Geduld ist eine Eigenschaft, die nicht viele Vampire haben«, überlegte Gregori laut. »Das sind beunruhigende Neuigkeiten.« Er dachte nicht daran, Nicolaes Schlussfolgerung anzuzweifeln. Nicolae und Vikirnoff waren beide sogar noch älter und noch kampferprobter als er selbst.

»Das Gift, das sie verwendet haben, ist multigenerativ«, erklärte Nicolae. »Als die zweite Generation des Giftes im Körper mutierte, war es darauf programmiert, jeden Heiler anzugreifen. Mir ist schon vor einiger Zeit aufgefallen, dass Gift verwendet wird, um Jäger zu fangen und zu zerstören. Ich weiß, dass die Menschen, die auf uns alle Jagd machen, solche Methoden anwenden, und nach meiner Überzeugung benutzen die Vampire jene Menschen, um mit chemischen Waffen für unsere Vernichtung zu experimentieren.«

Gregori seufzte. »Sehr ausgeklügelte Chemikalien, wie es scheint. Ich habe schon erlebt, dass Vampire die menschlichen Jäger für ihre eigenen Zwecke benutzen. Es ist für einen von ihnen nicht schwer, sich bei den Menschen einzuschleusen.«

»Pater erwähnte Spione, möglicherweise Karpatianer, die mit ihm Zusammenarbeiten«, sagte Destiny. »Er hat es zumindest angedeutet.«

»Kein Karpatianer würde so etwas tun.« Savannah schien allein die Vorstellung zu schockieren. »Es sei denn, er wäre selbst zum Vampir geworden.«

»Nun, ihr würdet einen Vampir auf eine Meile wittern«, meinte Destiny.

»Nicht unbedingt«, erwiderte Gregori. »Viele von ihnen sind in der Lage, ihr wahres Gesicht zu verbergen und sogar für diejenigen von uns, die sie kennen, ein Trugbild erstehen zu lassen. Jeder Karpatianer hat in unterschiedlichem Maße Macht. Was einer kann, kann ein anderer vielleicht nicht. Bei den Vampiren ist es genauso.«

»Ich kann einen Vampir sofort riechen«, erklärte Destiny. »Und sie können mich sofort riechen. Blut ruft nach Blut.« Sie strich mit ihrer Hand über Nicolaes Arm. »Ich war außer mir, als Nicolae mein Blut nahm und sich infizierte. Als Jäger wird er nicht mehr in der Lage sein, sie zu überrumpeln. Sie werden es sofort merken, wenn er hinter ihnen her ist.«

Gregoris silbergraue Augen wurden nachdenklich. »Willst du damit sagen, dass du es immer weißt, wenn ein Vampir in der Nähe ist, unter welchen Bedingungen auch immer und ganz gleich, wie mächtig er ist? Du brauchst nicht das plötzliche Ansteigen von Macht oder die Leere wahrzunehmen, die sie oft hinterlassen, um ihre Anwesenheit zu verschleiern?«

Destiny dachte über ihre Vampirjagden nach. »Ich nehme sowohl das eine als auch das andere als Anhaltspunkt. Ich nutze alles, was sich bietet, um sie zu finden, und manchmal stoße ich auf einen, der mir entkommen kann, aber meistens erkenne ich sie einfach am Geruch ihres Blutes.«

»Und die Vampire, die dir entkommen, sind mächtiger als die anderen?«

Destiny schüttelte den Kopf. »Nicht notwendigerweise. Manchmal ist es ein Anfänger, manchmal ein Meister. Es kommt kaum vor, dass mein Blut nicht auf ihres reagiert.«

Über ihren Kopf hinweg tauschten Nicolae und Gregori einen langen, nachdenklichen Blick.

»Nein.« Vikirnoff sagte es leise, jedoch sehr scharf, »Woran ihr denkt, ist eine Verhöhnung all dessen,1 woran wir glauben. Unsere Frauen müssen zu allen Zeiten beschützt werden. Ihr habt beide Gefährtinnen. Ihr habt gesehen, was das unreine Blut anrichtet. Destiny hat psychisch wie physisch furchtbare Qualen erlitten. Alle unsere Frauen werden für einen höheren Zweck als den Kampf gebraucht. Sie müssen Kinder zur Welt bringen.«

Savannah packte Gregori am Arm. »Das wagst du nicht! Nicht einmal für das Leben meines Vaters würde ich so etwas dulden!«

Gregori nickte. »Nicolae, ich weiß, was du denkst, aber Vikirnoff hat recht. Wir dürfen ein karpatianisches Paar nicht in Gefahr bringen. Zunächst einmal muss Mikhail unterrichtet werden. Ich muss sofort in unsere Heimat zurückkehren, wenn eure Heilung vollzogen ist.«

»Das ist noch nicht alles.« Nicolae holte das Foto der geheimnisvollen Unbekannten hervor. »Ein Vampir hat eine Bekannte von uns in ihrem Büro aufgesucht. Sie heißt MaryAnn Delaney und hilft Frauen in Not. Der Untote sucht die Frau auf diesem Foto. Er hat MaryAnn dem Zwang unterworfen, ihn anzurufen, falls ihr diese Frau begegnet. Es gibt da ein paar interessante Fakten. MaryAnn hat selbst übersinnliche Fähigkeiten. Sollte sie unter uns Karpatianern einen Gefährten haben, könnte sie umgewandelt werden, aber dieser Vampir hat nicht versucht, sie für sich selbst zu bekommen. Ich habe immer angenommen, dass Vampire nach Frauen mit übersinnlichen Fähigkeiten suchen, in der Hoffnung, dass sie ihnen ihre Seele zurückgeben können. Das trifft in diesem Fall offensichtlich nicht zu. Sie müssen etwas suchen, von dem wir noch nichts wissen. Oder warum sollten sie sonst die übersinnlich begabten Frauen in dieser Gegend ignorieren? Mit Ausnahme dieser Frau hier.«

Gregori betrachtete forschend Nicolaes dunkle Züge, bevor er das Foto nahm. Seinem rastlosen Blick entging nicht, dass Vikirnoffs Blick wie gebannt auf dem Bild ruhte. »Ich habe diese Frau noch nie gesehen. Wie ist es mit dir, Savannah?«

Sie studierte sorgfältig das Gesicht. »Nein. Wie gequält ihre Augen aussehen! Wir müssen sie finden, Gregori. Die Vampire dürfen sie nicht in die Finger bekommen.«

»Vikitnoff hat sich bereit erklärt, sie zu suchen«, meinte Nicolae. »Das hier ist die Visitenkarte, die der Vampir MaryAnn gegeben hat.« Er reichte Gregori die kleine Karte. »Sie hat keinerlei Erinnerung an sein Aussehen, deshalb weiß ich nicht, ob er mir bekannt ist oder nicht.«

»Pater war es nicht«, warf Destiny ein. »Ein Geruch war da, aber nicht seiner.«

»Morrison Center für parapsychologische Phänomene«, las Gregori laut.

»Aber an MaryAnns Gabe war er nicht interessiert. Und in dem Viertel lebt noch eine Frau mit gewissen Fähigkeiten. Ich konnte bei keinem der Vampire Interesse an ihr feststellen.«

»Ich habe den Namen Morrison bei mehr als einer Gelegenheit gehört«, verkündete Gregori. »Das erste Mal in Nordkalifornien. Zufällig wurde mir zur selben Zeit ein Gift beigebracht, das entwickelt worden war, um uns zu vernichten. Damals erfuhr ich, dass sich dieser Morrison häufig in wissenschaftlichen Kreisen bewegt und sehr geschickt im Auftreiben von Fördermitteln ist. In New Orleans wäre ich ihm beinahe wieder begegnet.«

Savannah wandte leicht den Kopf und schaute ihn an. »Das hast du mir gar nicht erzählt.«

»Es war unnötig. Der Name stand in Verbindung mit dem Labor, in dem menschliche Vampirjäger eine unschuldige junge Frau verhören wollten. Dort lernte ich Gary kennen, Savannah. Dieser Name kam kürzlich wieder zur Sprache. Dayans Gefährtin war mit einem jungen Mann mit übersinnlichen Fähigkeiten, eben diesem Gary, verheiratet, der ins Morrison Center ging, um sich dort testen zu lassen. Er wurde ermordet, und auf Dayans Gefährtin, die schwer krank war, sollte ebenfalls ein Anschlag verübt werden. Wir kommen gerade von ihr. Sie hat einem kleinen Mädchen mit ungewöhnlichen Gaben das Leben geschenkt.«

Savannah runzelte die Stirn. »Vielleicht sollten wir sie warnen, damit sie besonders gut auf das Kind aufpassen«, sagte sie. »Wenn Destiny als Kind geraubt wurde, kann es sein, dass sich dieser Vampir wieder an einem kleinen Mädchen vergreift.«

»Das Kind zu bewachen, kann auf keinen Fall schaden, obwohl ich glaube, dass dieser Morrison nach einer besonderen Gabe sucht. Das hier ist kein Kind«, wandte Nicolae ein und schwenkte das Foto durch die Luft. »Die Fotografie zeigt eine Frau, die sehr stark ist und weiß, dass sie verfolgt wird.«

Vikirnoff streckte eine Hand nach dem Foto aus, nahm es seinem Bruder weg und barg es in seiner Hemdtasche.

Nicolae ignorierte ihn. »In dieser Gegend gibt es drei Frauen mit übersinnlichen Fähigkeiten. Noch dazu lebt hier ein Priester, der von unserem Volk weiß.«

Gregori ließ zischend den Atem entweichen. »Erzähl mir mehr von diesem Mann.«

»Vor etlichen Jahren hat ein Priester in Rumänien ...«

»Vater Hummer.« Gregori stieß den Namen zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Mikhails Freund. Er wurde von Vampirjägern gefasst und später von einem Vampir getötet. Mikhail war das eigentliche Ziel des Anschlags.«

»Anscheinend korrespondierte er mit einem Kardinal, um theologische Fragen zu erörtern und um Hilfe bei seinen Nachforschungen zu bitten. Der Kardinal verbrannte alle diese Briefe bis auf einen. Diesen einen Brief entdeckte Vater Mulligan nach dem Tod des Kardinals. Mittlerweile hat er ihn auch verbrannt, weil ihm bewusst war, wie gefährlich der Inhalt für unsere Spezies war, aber sein Wissen hat er behalten.«

Gregori rieb sich seine dunklen Augenbrauen. »Ich fürchte, unserem Volk stehen schwierige Zeiten bevor. Wir müssen in unsere Heimat zurückkehren.« Er sah Vikirnoff prüfend an. »Wenn diese Frau dem Vampir wichtig genug ist, um das Risiko einzugehen, sich zu zeigen, ist es für unser Volk genauso wichtig, sie zu finden . Ich werde die Nachricht verbreiten, unserem Prinzen aber mitteilen, dass die Sache in deiner Hand liegt.«

Vikirnoff verbeugte sich leicht. »Ich werde sie finden. Darauf gebe ich dir mein Ehrenwort. Ich werde die Morgenröte nicht suchen, ehe ich diese Frau in Sicherheit weiß.«

»Es könnte Jahre dauern.«

»Ich habe Nicolae und Destiny, die mir durch dunkle Zeiten helfen können. Sie teilen ihr Lachen und ihre Hoffnung mit mir. Ich werde überleben.«

Gregori neigte den Kopf. »So sei es. Wir müssen uns Gedanken über dein verunreinigtes Blut machen, Destiny. Du hast gesagt, du hättest den Geruch von Paters Blut erkannt. Kannst du jeden Vampir an seinem Blut erkennen?«

Destiny nickte. »Ja. Wenn ich einem schon einmal begegnet bin, erkenne ich ihn wieder, und ich weiß, dass er mich wiedererkennt. Das macht es einerseits schwieriger, sie zu jagen, andererseits aber verschafft es mir einen Vorteil, wenn sie nicht wissen, dass ich eine Jägerin bin, weil sie in mir eine der Untoten vermuten.«

»Das muss ein nützliches Hilfsmittel sein«, überlegte Gregori laut, »aber sehr riskant für jeden, der keinen Halt hat. Und viel zu gefährlich für jemanden, der seinen Gefährten gefunden hat.«

»Du weißt noch nicht einmal, ob du unser Blut von der Infektion heilen kannst«, bemerkte Nicolae. »Vielleicht weißt du mehr, wenn du es näher begutachtet hast. Das Gift ist wie eine Säure und infiziert alles, womit es in Berührung kommt. Bei einem, der durch und durch schlecht ist, hat es anscheinend keine schädliche Wirkung, aber für jemanden, der Licht in seinem Inneren trägt, ist es schmerzhaft und gefährlich.«

Destiny warf ihm einen schnellen, beunruhigten Blick zu. »Du fühlst allmählich die Wirkung, nicht wahr? Heile bitte ihn zuerst, Gregori, wenn es dir möglich ist. Ich bin an das Gift gewöhnt, und es belastet mich nicht wirklich. Nicolae hätte das einfach nicht tun dürfen!«

»Ich hätte dasselbe getan«, bekannte Gregori.

Destiny sah ihn forschend an. »Das glaube ich nicht.«

Savannah lachte leise. »O doch, das hätte er.«

»Wenn Savannah infiziert wäre, würde ich keine Sekunde zögern: Wir sind eins, zwei Hälften eines Ganzen. Ich bräuchte nicht lange zu überlegen«, sagte Gregori entschieden. »Spürst du die Wirkung, Nicolae?«

Der andere Karpatianer nickte. »Ich habe meinen Körper von innen untersucht und festgestellt, dass bereits in großer Zahl Veränderungen des Gewebes auftreten. Die Toxine vervielfachen sich weit rasanter als bei Destiny. Ich trage in mir den Keim der Dunkelheit, obwohl Destiny mir jetzt Halt gibt, und die Toxine spüren es und fressen sich mit rasendem Tempo durch mein Inneres.«

Destiny wandte sich stürmisch zu ihm um. »In dir ist keine Dunkelheit! Du bist so dumm, Nicolae! Du kennst dich selbst überhaupt nicht. Ich kenne die Dunkelheit, ich kenne Monster. Du trägst nicht einmal eine winzige Keimzelle von etwas Schlechtem in dir.«

Er nahm sie in die Arme. »Wir sind alle sehr vielschichtig, meine Kleine«, entgegnete er leise. »Ich weiß, der Gedanke, dass ich mehr als eine Seite haben könnte, ist beunruhigend, aber Dunkelheit kann vieles sein, auch Stärke. Sie muss nicht für etwas Schlechtes eingesetzt werden. Eigenschaften, die an sich Fehler sind, können für Gutes verwendet werden.«

»Das ist wirklich interessant. Aidans Gefährtin Alexandria musste eine besonders schwierige Umwandlung überstehen, aber er erwähnte nichts von den Dingen, die du mir gerade erzählt hast. Fangen wir am besten sofort an«, entschied Gregori. »Ich will wissen, womit ich es zu tun habe. Da ich davon ausgehe, dass es viel Zeit und Energie erfordern wird, werde ich mich zuerst um Nicolae kümmern.«

»Kommt nicht infrage!« Nicolae klang eisern entschlossen.

»Hör mir zu«, fuhr Gregori freundlich fort. »Dein Instinkt drängt dich, zunächst Destinys Wohlbefinden zu sichern, aber das ist nicht die klügste Entscheidung. Sie hat das Blut des Vampirs schon sehr lange in ihrem Körper, und ihre Heilung wird wesentlich komplizierter sein. Ich werde viel Blut brauchen, um diese Aufgabe zu meistern. Nur Vikirnoff und Savannah können mich mit Blut versorgen, wenn meine Kräfte nachlassen. Ich werde dich brauchen. Der Anstieg von Macht wird sicherlich jedem Vampir in der Gegend unseren exakten Aufenthaltsort verraten. Nur Vikirnoff kann sie abwehren. Vor uns liegt eine schwere Aufgabe, und ich werde deine Stärke brauchen.«

Destiny verschlang ihre Finger mit denen ihres Gefährten und zog seine Hand an ihren Mund. Ihre Zähne nagten nervös an seinen Knöcheln. Sie hatte in ihrem Leben kaum Zeit mit anderen verbracht. Gregori war sehr mächtig, das sagte ihr ihr Instinkt. Es bestand die geringe Chance, dass er Nicolae und sie heilen könnte. Tief im Inneren, wo es zählte, wo sie sich Dinge eingestehen konnte, denen sie sich sonst nicht stellen mochte, wusste sie, dass Nicolae die Wahrheit sagte, was seine dunkle Seite anging. Sie konnte diese Dunkelheit sehen. Sie war sehr stark in Vikirnoff und ebenso in Gregori. Durch ihre Erfahrung mit Nicolae hatte sie gelernt, den Unterschied zwischen Jägern mit dieser Dunkelheit in ihrem Inneren und Vampiren mit verdorbenem Blut zu erkennen.

Aber die Dunkelheit war da, hier und jetzt. Sie war von ihr umgeben, und es machte sie unruhig. Es sprach die Dunkelheit in ihrem eigenen Blut an. Ihr war heiß, und sie musste sich anstrengen, um ihre Körpertemperatur zu regulieren. Nur ihre Liebe zu Nicolae ermöglichte es ihr, in der Enge der Höhle zu bleiben. Wenn sie Gregori erlaubte, eine Behandlung vorzunehmen, würde sie total verwundbar sein. Nicolae würde einem Fremden ausgeliefert sein.

Ich bin einer vom alten Stamm, Destiny. Vikirnoff ist hier, um auf unsere Sicherheit zu achten, obwohl er darauf brennt, mit seiner Suche zu beginnen. Ohne mein Wissen kann kaum etwas geschehen, was mir schaden würde. Ich kann mich immer von Gregori lösen, falls es nötig sein sollte. Aber die Entscheidung liegt bei dir. Wenn du es nicht willst, lassen wir es.

Sie hörte die unbedingte Aufrichtigkeit in seiner Stimme. Für ihn war es ganz einfach. Wenn ihr bei der Sache nicht wohl war und sie sich gegen eine Heilung durch Gregori entschied, würde er ihrer Entscheidung folgen.

»Du bist verrückt, weißt du das?« Sie stieß einen übertriebenen Seufzer aus und drängte ihn in Gregoris Richtung. Ihr Herz hämmerte wie verrückt, aber sie wollte nicht, dass er leiden musste, nur weil sie feige war.

»Für den Fall, dass ihr euch fragt, was das heißen soll«, erklärte Nicolae den anderen, »Destiny will damit nur ihre Zuneigung und Hingabe zu mir ausdrücken.«

»Das kommt mir bekannt vor.« Savannah lachte. »Keine Sorge, Destiny, er ist in guten Händen. Gregori läuft nur deshalb immer so finster und abweisend herum, weil die Mütter in der Heimat ihren Kindern früher mit Geschichten vom dunklen Heiler Angst machten. Er mochte das Image und hat es kultiviert.«

Gregori straffte seine breiten Schultern, aber sein Gesichtsausdruck blieb unverändert. »Es hilft immer, wenn ich Savannahs Vater einschüchtern will.«

»Den Prinzen?«, fragte Destiny.

»Hör gar nicht auf ihn«, riet Savannah. »Als ließe sich mein Vater je von ihm einschüchtern! Sie sind enge Freunde, Destiny. Er macht nur Spaß.«

Destiny blieb skeptisch. Gregori wirkte auf sie nicht annähernd so beängstigend wie Vikirnoff, doch das lag nur an Savannah. Die Art, wie Gregori die zierliche Frau anschaute, widersprach jedem drohenden Ausdruck in seinen Augen. Vikirnoff war völlig unbewegt und beobachtete sie alle einfach mit seinem kalten, ausdruckslosen Blick. Nur seine bedingungslose Treue zu Nicolae hielt ihn hier und erlaubte ihm, Destiny unter seinen Schutz zu nehmen.

Vikirnoff ist nicht anders, als ich es war, bevor ich dich fand. Er muss durchhalten, bis er seine Gefährtin findet.

Beeil dich lieber, Nicolae, und zieh das durch, bevor du feststellen musst, dass ich längst nicht so mutig bin, wie du glaubst.

Ohne die anderen zu beachten, nahm Nicolae ihr Gesicht in beide Hände. »Bleib hier, während Gregori mich behandelt.«

Sie sah in seine dunklen, eindringlichen Augen. »Ich würde nirgendwo sonst sein wollen. Irgendjemand muss doch auf dich aufpassen.«

Er beugte sich dicht zu ihr und eroberte mit einem Kuss ihren Mund und zugleich ihr Herz. Sie küsste ihn leidenschaftlich, fast ein bisschen verzweifelt, zurück, so groß war ihre Angst um ihn. Nicolae zog sie eng an sich und spürte, wie heftig ihr Herz klopfte.

»Schnell, Nicolae, bevor ich meine Meinung ändere.« Es war eine leise gewisperte Bitte.

Gregori öffnete den Boden, um in der schweren Erde ein Bett zu schaffen. Nicolae legte sich in das Erdreich und zog Destiny zu sich herunter. Zitternd vor Furcht, klammerte sie sich an seinen starken Körper und Geist. So viel stand auf dem Spiel - ihre ganze Zukunft.

Nein, Destiny. Unsere Zukunft steht fest, ob Gregori nun Erfolg hat oder nicht. Es geht darum, ob wir Kinder in die Welt setzen können.

Kinder? Musst du schon wieder aus heiterem Himmel dieses Thema ansprechen? Als wir miteinander geschlafen haben, hast du mit keinem Wort Kinder erwähnt.

Ich hielt es für besser.

Ihr Nicolae. Er hatte Verständnis für sie, und jetzt ging er sogar auf ihren scherzhaften Ton ein, weil er wusste, dass sie immer Witze machte, wenn sie Angst hatte.

Und dann fühlte sie es, eine Macht, wie sie sie noch nie erlebt hatte. Gregori, der Dunkle, Heiler des karpatianischen Volkes. Sein Geist war ungeheuer stark, ein glühendes weißes Licht, das sich ohne Vorwarnung durch Nicolaes Körper bewegte. Sie fühlte, wie Nicolaes Inneres brannte, aber nicht vor Schmerzen. Der Heiler untersuchte ihn gründlich. Ihre Anwesenheit war ihm bewusst, doch er konzentrierte sich ausschließlich auf Nicolae.

Destiny hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verstrich. Auch sie studierte die Auswirkungen des Vampirblutes auf Nicolae. In seinen Adern floss das Blut der uralten Karpatianer, das sich vehement zur Wehr setzte, aber sie konnte den Schaden erkennen, der bereits entstanden war. Sie beging nicht den Fehler, körperlich zusammenzuzucken, doch sie war über dieses Werk der Zerstörung zutiefst entsetzt.

Nicolae hatte es stillschweigend hingenommen. Und er war entschlossen, es auch weiterhin zu ertragen, falls Gregori nicht in der Lage sein sollte, das Gift aus seinem Körper zu entfernen. Ihre Achtung und ihre Liebe zu ihm nahmen neue Dimensionen an. Gleichzeitig mit dem Heiler zog sie sich aus Nicolaes Körper zurück.

Gregori ließ langsam seinen Atem entweichen. »Hässliches Zeug, das Blut von Vampiren.«

Savannah massierte ihm tröstend den Rücken. »Es ist vor dir zurückgewichen.«

»Ja, ich fürchte, es weiß, dass ich gekommen bin, um es zu bekämpfen. Angst ist etwas Gutes. Wenn dieses Blut sich aus Angst vor mir zurückzieht, sollte ich in der Lage sein, eine Möglichkeit zu finden, es aus Nicolaes Körper zu entfernen.«

»Kannst du ihm helfen?«, fragte Destiny angstvoll.

Nicolae registrierte sofort, dass sie nicht »uns« gesagt hatte. Er schloss seine Finger fester um ihre Hand. »Ich kann nicht zu einem Vampir werden, Destiny«, versicherte er ihr. »Ich habe dich als Anker, der mir Halt gibt.«

Gregori schüttelte den Kopf. »Unglaublich, dass eine so kleine Menge Vampirblut so schnell einen derartigen Schaden anrichten kann! Fast jedes Organ ist befallen. Bei Alexandria war es nicht so, sonst hätte Aidan es mir erzählt. Er hat mir detailliert geschildert, wie er sie geheilt hat, aber etwas Derartiges hat er nicht erwähnt.«

»In Destinys Blut befinden sich ganze Stämme von diesen Bakterien«, bemerkte Nicolae.

Gregori runzelte die Stirn. »Wir werden Kerzen brauchen, Savannah, und die Tasche, die wir aus New Orleans mitgebracht haben. Für Dayans Gefährtin war sie nicht nötig, aber ich fürchte, hier werden wir alles davon brauchen.«

Savannah nickte. »Ein Glück, dass wir es nicht verwenden mussten.« Sie zog einen großen Beutel hervor und warf ihn ihrem Gefährten zu.

Nicolae schnupperte an dem Inhalt des Beutels und atmete tief ein. Vikirnoff folgte seinem Beispiel. Die Reaktion der beiden überraschte Destiny. Sie schnupperte ebenfalls vorsichtig an dem Beutel. Es roch nach Erde, sauberer, frischer Erde. Ein derartiger Geruch war ihr noch nie begegnet. Sie schaute Nicolae an. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, der an Verzückung grenzte.

»Was ist das ?«, erkundigte sie sich neugierig.

»Erde aus unserer Heimat«, antwortete Nicolae beinahe ehrfürchtig. »Wie seid ihr zu einer solchen Gabe gekommen?«, erkundigte er sich bei Savannah.

»Julian Savage, einer unserer Krieger, brachte die Erde vor vielen Jahren nach New Orleans. Er bewahrte sie in einer Geheimkammer auf und überließ sie uns, als Gregori und ich Gefährten wurden«, erklärte sie. »Es war eine große Überraschung, aber eine sehr angenehme.«

Destiny spürte, wie sehr Nicolae darauf brannte, den Schatz, den der Heiler mitgebracht hatte, seiner Verwendung zuzuführen.

»Wir haben einen Teil der Erde mitgebracht, weil wir dachten, sie könnte Dayans Gefährtin helfen, als sie so krank war, doch sie wurde nicht benötigt. Deshalb haben wir sie für einen Notfall wie diesen aufgehoben.« Gregori lächelte seine Gefährtin an. »Es war Savannahs Vorschlag, die Erde mitzubringen.«

Destiny schaute in den Beutel, sah die schwere, dunkle Erde und spürte, wie es in ihren Fingern juckte. Nicolae vergrub seine Hände tief in der Erde und schloss die Augen.

Vikirnoff! Das musst du fühlen ! Ich spüre es bis ins Mark. Ein Willkommen, wie ich es seit Jahrhunderten nicht erlebt habe. Unsere Heimat befindet sich in dieser kleinen Tasche.

Vikirnoff griff langsam in den Beutel und tauchte seine Hände tief in die gehaltvolle Erde. Ich fühle, was du fühlst, Nicolae. Das wird mir helfen, wie nichts anderes es könnte. Zum ersten Mal seit langer Zeit erfüllt mich ein Gefühl von Frieden. Danke, dass ich diese Erfahrung machen durfte!

Destiny teilte die Erfahrung mit den beiden Brüdern. Sie spürte die Intensität von Nicolaes Zuneigung zu seinem Bruder und erkannte, dass Vikirnoff diese Liebe nur durch Nicolaes Gefühle empfinden konnte.

Gefühle, die du ihm zurückgegeben hast, erinnerte Vikirnoff sie.

Die sie uns zurückgegeben hat, verbesserte Nicolae.