Kapitel 5
Velda, Inez, ich weiß, wie wichtig das ist, und ich glaube Ihnen auch. Ich möchte alles hören, was Sie zu berichten haben, aber leider muss ich jetzt sofort gehen.« Sie holte so tief Luft, dass ihr der Atem in der Lunge wehtat. Fass sie ja nicht an! In ihrem Befehl lag keine Bitte, nur eine sehr reale Drohung. Sie sprang auf und lief zu der Hintergasse, wobei sie ihre Gestalt verschwimmen ließ, damit sie sich blitzartig bewegen konnte, ohne dass die Schwestern es merkten. Der Wind frischte auf und fegte durch die Straßen. Er trieb Papierfetzen, Zweige und Blätter vor sich her und wirbelte Staub in die Luft.
Destinys Körper bewegte sich geschmeidig und kraftvoll wie eine tödliche Maschine, die darauf programmiert war, das Unausweichliche zu verhindern. Sie versuchte, das Blutband zwischen ihnen zu benutzen, um Nicolae geistig zu erreichen und ihn bewegungsunfähig zu machen. Sie hätte wissen müssen, dass er ihr nie sein Blut gegeben hätte, wenn sie damit die Herrschaft über ihn erlangte. Er war einer vom uralten Stamm, mit mehr Macht und Stärke und Erfahrung im Kampf, als sie hoffen konnte, in ihrer kurzen Zeit als Jägerin gesammelt zu haben. Es war zu spät, um ihn aufzuhalten. Sie wusste genau, in welchem Moment sich seine Zähne tief in MaryAnns verletzlichen Hals bohrten.
Destiny gab ein leises Zischen von sich, das Vergeltung versprach. In ihrem Mund lag der bittere Geschmack von Verrat. Warum hatte sie sich von seiner Stimme zu der Annahme verleiten lassen, er wäre anders ? Sie schoss um die Ecke und blieb abrupt stehen, als sie die beiden sah.
MaryAnn stand mit leicht gerunzelter Stirn in ihre Richtung gewandt. Nicolae hatte beide Arme um die Frau gelegt und hielt sie vor sich wie einen Schild. Langsam, fast träge hob er den Kopf und sah Destiny herausfordernd an.
Sie blieb einige Schritte auf Distanz. MaryAnn schwebte in Lebensgefahr. Nicolae könnte sie ohne Weiteres töten. Destiny war sich bewusst, dass eine falsche Bewegung ihrerseits das auslösende Moment sein könnte. »Was willst du?« Für MaryAnn würde sie ihm beinahe alles geben. Sie betete, MaryAnn nicht töten zu müssen, um zu verhindern, dass sie in seine Hände fiel. »Sag mir, was du willst.« Fast unmerklich rückte sie näher an ihn heran. Die Luft zwischen ihnen vibrierte vor Anspannung. Über ihnen türmten sich dunkle Wolken am Himmel auf. Kleine geäderte Blitze zogen sich von einer Wolke zur nächsten. Der Wind begann schaurig zu heulen, und steigerte sich dann und wann zu einem gellenden Wutschrei.
Nicolae lächelte und zeigte seine makellos weißen Zähne. Er sah genau wie das Raubtier aus, das er war. »Ich bin kein Anfänger, der sich austricksen lässt, Destiny. Bleib, wo du bist, und sei vernünftig.«
»Sie steht unter meinem Schutz.«
»Und unter meinem«, gab er ruhig zurück, ohne den Blick von ihr zu wenden.
Destinys weicher Mund presste sich zu einer dünnen Linie zusammen. Sie rückte von links näher an das Paar heran und wippte dabei auf den Fußballen, um sofort bereit zu sein, wenn er auch nur den kleinsten Fehler beging.
Ohne Vorwarnung schoss ein Schatten vom Himmel, lautlos und tödlich. Ein bösartiger Schnabel und messerscharfe Krallen zielten direkt auf MaryAnns Gesicht. Destiny sprang nach vom, um sich dazwischen zuwerfen, aber die Eule stieg bereits wieder auf. MaryAnn machte ein entsetztes Gesicht. Der Schnabel hatte auf ihre Augen gezielt, und sie war dem Hieb nur knapp entkommen.
»Nicht bewegen«, warnte Destiny ihre Freundin. »Pfeif ihn zurück, Nicolae. Pfeif ihn sofort zurück.«
»Er will mich nur beschützen«, erklärte Nicolae freundlich. »Er weiß, was du vorhast, und ihm ist klar, dass ich dir nicht wehtun werde. Das war eine Warnung an dich. Falls du mich verletzt, wird er sie töten. Ich kann ihn nicht aufhalten, das weißt du, Destiny. Er ist mein Bruder und versucht lediglich, mich zu schützen. Denk nach, bevor du handelst.« Nicolae achtete darauf, dass MaryAnn zwischen ihm und Destiny stand.
MaryAnn runzelte die Stirn. »Sind Sie Nicolae etwa böse, Destiny? Ich habe ihn gebeten, dass er mein Blut nimmt. Ich wollte es.«
Destiny fuhr sichtlich zusammen. »Sie haben keine Ahnung, was das bedeutet! In Wirklichkeit wollten Sie es gar nicht. Es gibt keinen Grund, warum Sie es sich gewünscht haben sollten. Seine Stimme ist eine Waffe und kann sie dazu bringen, praktisch alles zu tun. Seine Stimme wirkt wie eine Hypnose auf andere. Wissen Sie, was das heißt? Unter diesem Zwang tun Sie alles, was er verlangt, alles, was er befiehlt, alles, was er wünscht. Sie glauben, dass er Ihnen die Wahl gelassen hat, aber so war es nicht. Sie hatten nie eine Wahl; Sie wären auch damit einverstanden gewesen, sich eine Pistole an den Kopf zu halten und abzudrücken.«
Ein Blitz zuckte über den Himmel und traf beinahe die Eule, die über ihnen kreiste, aber der Raubvogel löste sich mitten im Flug auf und hinterließ nur einen Dunstschleier. Ein Funkenschauer fiel wie glitzernde Geschosse vom Himmel, die ein Ziel suchten, doch genauso schnell legte sich ein feiner Nebel über die Nacht und erstickte die glühend heißen Lichtpunkte.
»Mach so etwas nicht noch einmal, Destiny.« Ein leises Knurren begleitete die Warnung, und zum ersten Mal schien von Nicolae eine Bedrohung auszugehen.
»Wartet! Hört sofort auf damit!« MaryAnn schüttelte energisch den Kopf. »Es war meine Idee, und ich habe gründlich darüber nachgedacht. Nicolae wollte meine Erinnerungen auslöschen, um Sie und sein Volk und auch mich selbst zu schützen. Er hat mir gesagt, dass mich mein Wissen für Vampire angreifbarer macht.«
Diese Aussage drang durch Destinys brodelnden Zorn und dämpfte das furchtbare Gefühl, verraten worden zu sein. Was MaryAnn sagte, traf zu. Ein Vampir konnte ohne Weiteres MaryAnns Gedanken lesen und so erfahren, dass sie Dinge wusste, die ihr verborgen sein sollten. Destiny holte tief Luft und ließ sie langsam wieder heraus, um ruhiger zu werden. Noch immer peitschte der Wind. Blitze zerrissen den Nachthimmel, laute Donnerschläge krachten und ließen den Boden und die Häuser erbeben.
Die Eule hatte sich über ihren Köpfen auf einem Dach niedergelassen. Ihre dunklen Augen waren unverwandt auf Destiny gerichtet und fixierten sie mit der Konzentration des Jägers.
Die Wunden in ihrem Herzen waren noch frisch. Sie hatte zugelassen, dass Nicolae ihr zu nahe kam. Sie hatte ihn in ihr Inneres gelassen.
Ich habe dich nicht verraten, Destiny. Ich habe getan, was getan werden musste, etwas, von dem ich wusste, dass du es nicht könntest. MaryAnn ist unverletzt und genießt jetzt meinen Schutz. Es war allein ihre Entscheidung. Darauf gebe ich dir mein Ehrenwort.
Seine Stimme war unverändert, sie klang wie immer schön und vollkommen. Destiny senkte die Lider; sie war wieder verunsichert. Sie war mit dem Vorsatz in die Gasse gekommen, ihn zu töten, aber jetzt regte sich leise Hoffnung in ihrem Inneren und presste ihr gleichzeitig das Herz ab. Sie liebte seine Stimme, und sie hasste sie.
»Destiny...« MaryAnn konnte die kleinen Schweißperlen auf der Stirn der jungen Frau sehen. Nur dass es kein Schweiß war, sondern Blut. »Schauen Sie mich an. Bitte. Wenn Sie wirklich Gedanken lesen können, schauen Sie in meinen Kopf, damit Sie in meinen Erinnerungen sehen, was zwischen Nicolae und mir vorgefallen ist. Ich wollte es. Ich will Sie nicht vergessen. Sie sind meine Freundin. Das bedeutet mir viel.«
Destiny ballte die Hände zu Fäusten. »Ich habe keine Freunde.«
»Doch. Es mag für Sie erschreckend sein, Freunde zu haben, aber sie sind für Sie da. Sie wissen, was ich empfinde, und Sie wissen, dass es stimmt. Mir liegt etwas daran, was aus Ihnen wird.«
»Ich will nicht, dass Ihnen etwas an mir liegt!«, fuhr Destiny sie an. Ihre ausdrucksvollen Augen sprühten Funken, und sie sah wild und gefährlich aus. »Ich will das alles hier nicht.« Sie machte eine weit ausholende Handbewegung, die alles umfasste. Das Viertel. MaryAnn. Der schweigende Wächter auf dem Dach. Nicolae. Vor allem Nicolae. Sie wollte nichts mit ihm zu tun haben. Sie hasste ihn, hasste es, zu sehen, wie seine Hände auf MaryAnns Schultern lagen.
Nicolae ließ die Arme sinken. Er war überzeugt, dass er schnell genug ausweichen konnte, falls Destiny eine bedrohliche Bewegung in seine Richtung machte, doch Vikirnoffs Reaktion auf einen Angriff würde er nicht kontrollieren können. Tu ihr nichts. Fast unwillkürlich sprach er die Warnung an seinen Bruder aus.
Mir ist durchaus bewusst, dass du gezwungen wärst, sie vor mir zu beschützen, falls ich sie angreife. Vikirnoff war unerschütterlich. Sie darf dich nicht angreifen. Wenn sie es dennoch versucht, lenke ich sie mit einem Angriff auf die andere Frau ah.
Nicolae seufzte leise. »Komm zu mir, Destiny.« Er streckte eine Hand nach ihr aus. »Die Situation ist gefährlich und geht nur uns beide etwas an, niemanden sonst. Komm zu mir, ehe etwas passiert, das keiner von uns kontrollieren kann.«
Destiny wurde blass. Ihre Zähne bohrten sich in ihre Unterlippe, während sie erst zu der Eule, dann zu MaryAnn spähte. Zögernd machte sie einen Schritt in Nicolaes Richtung, dann noch einen. Nicolae hatte endlich das Gefühl, wieder frei atmen zu können. Als er sich dafür entschied, MaryAnns Blut zu nehmen, wusste er, was Destiny denken und wie sie reagieren würde, doch er hatte nicht berücksichtigt, wie schmerzlich sein vermeintlicher Verrat sie treffen würde. Sie leiden zu sehen, erschütterte ihn mehr, als er sich je hätte vorstellen können.
Destiny sah die ausgestreckte Hand an und fuhr sich mit ihren Fingern nervös über den Oberschenkel, als hätte sie Angst, mit ihm allein zu sein. »MaryAnn, ist es okay für Sie, ohne mich nach Hause zu gehen ?« Fast klang es wie eine Bitte an ihre Freundin, sie nicht im Stich zu lassen.
»Absolut okay«, antwortete MaryAnn fest. »Gehen Sie nur mit Nicolae, und sprechen Sie sich aus. Bestimmt wird mich dieser hochinteressante Vogel sicher heimbringen.« Sie grinste Nicolae an und winkte der Eule frech zu.
Nicolae konnte nicht anders, er musste einfach zurückgrinsen. Er mochte MaryAnn. Wer hätte sie nicht gemocht? Sie war etwas Besonderes. Ihr Mut und ihre Loyalität hoben sie von anderen ab. Er konnte verstehen, warum sich Destiny in diesem Viertel niedergelassen hatte und sich zu dieser Frau hingezogen fühlte, die so unermüdlich für andere arbeitete; sie war ein Mensch mit sehr viel Mitgefühl und Engagement.
Nicolae nahm Destinys Hand. Man konnte nicht sagen, dass sie ihm die Hand hinhielt oder ihm auch nur auf halbem Weg entgegenkam. Er musste sie am Handgelenk packen, sie näher zu sich heranziehen und seine Finger mit ihren verschlingen. Doch sie wich nicht vor ihm zurück. Ein kleiner, aber kostbarer Sieg. Ihre Finger waren eiskalt. Und sie zitterte.
Er beging nicht den Fehler, sie an sich zu ziehen, sondern stellte sich einfach neben sie, so dicht, dass er sie mit seinem Körper vor dem Wind abschirmte und sie die Wärme seines Körpers spüren konnte. So nah, dass elektrische Funken heiß und prickelnd zwischen ihnen hin und her zu fliegen schienen.
Die Eule breitete die Flügel aus und flog davon. Bei der Bewegung schien sich der tosende Wind zu legen. Sogar die grellen Lichtblitze verblassten vor den dunklen Wolken, und Destiny entspannte sich.
MaryAnn streckte beide Arme aus und umarmte Destiny zu deren Entsetzen kurz, bevor sie zielstrebig davonging. Destiny stand wie erstarrt und völlig regungslos da, ohne zu bemerken, dass sie Nicolaes Hand so fest umklammerte, dass er befürchtete, sie könnte seine Knochen zermalmen. Sie beobachtete, wie MaryAnn die Gasse verließ, gefolgt von der Eule, die dicht über ihr flog, als wollte sie die Frau einfach nicht aus den Augen lassen.
»Er wird ihr nichts tun«, versicherte Nicolae. Destiny hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, einen weiteren Angriff auf die Eule zu wagen. Sie vom Himmel zu holen, damit sie sicher sein konnte, dass MaryAnn nichts passierte. »Er hat sie nur bedroht, um dich daran zu hindern, mich anzugreifen.« Er trat noch näher zu ihr. »Du hast noch keine Nahrung zu dir genommen.« Es war eine Aufforderung.
»Ich traue mir selbst immer noch nicht.« Erst jetzt blickte sie zu ihm auf und studierte sein Gesicht mit all seiner dunklen Sinnlichkeit, die markanten Züge, die Augen, die zu viele Jahrhunderte und zu viele Kämpfe gesehen hatten. Er war ein Mann, der schon viel zu lange allein war. »Ich kann nicht sein, was du von mir erwartest.« Sie hatte häufig an sein Bewusstsein gerührt und kannte seine Gedanken. Deine Gefährtin des Lebens. Sie begriff, was dieser Ausdruck alles beinhaltete. Gefährtin des Lebens. Etwas, das sie nie sein konnte.
Seine Hände schlossen sich um ihr Gesicht, und seine Finger strichen behutsam und sehr zärtlich über ihre Wangenknochen. »Wie kannst du so etwas sagen? Du kennst mich doch gar nicht. Du bist alles, was ich mir von dir wünsche. Es gibt keinen Grund, dir deswegen Sorgen zu machen.«
Seine Berührung wirkte sich absolut verheerend auf jede Zelle in ihrem Körper aus und rief einen kleinen Aufruhr ihrer Sinne hervor, eine Meuterei aus Blut und Knochen und Nerven. Er verwirrte sie. Jedes Mal, wenn er in ihrer Nähe war, fühlte sie sich anders als sonst. Rastlos und voller Verlangen. Seine Stimme fand in ihren Körper hinein und legte sich um ihr Herz und ihre Lunge, sodass er ihr jedes Mal, wenn er sprach, den Atem nahm. Das Leben und die Fähigkeit zu hassen. Ihn zu hassen und sich selbst. Das, was sie war.
»Ohne dich war es leichter.«
»Du warst niemals ohne mich«, widersprach er. Er nahm ihre Hand in seine und zog sie an seinen Mund.
Ihr Herz machte einen Satz, als seine Lippen ihre Haut berührten wie ein Hauch von Samt und Seide. Er war so schön. Groß und stark und lebendig. Zu real, zu männlich und zu stark. Ihre Kehle schnürte sich so fest zusammen, dass sie kaum ein Wort herausbrachte. »Das bist du nämlich, weißt du. Zu stark für mich.« Ihre Stimme klang rau und belegt, ganz anders als sonst.
Sein Daumen strich hauchzart über ihre Wange und zog den Pfad einer imaginären Träne nach. Seine Hand legte sich auf ihre Stirn und entfernte jede Spur der winzigen Blutstropfen. »Du bist durch die Hölle gegangen, um deine Fähigkeiten zu entwickeln, Destiny. Niemand wird je so stark sein wie du. Ich weiß, dass du Angst hast, dich selbst zu verlieren, wenn du mit mir zusammen bist, aber das könnte nie geschehen. Ich bitte dich nicht, mit mir eine Beziehung einzugehen. Ich bitte dich nur darum, dich an meine Gegenwart zu gewöhnen. Ich bin seit vielen Jahren in deinem Bewusstsein und habe deine Ängste und all die furchtbaren Dinge, die man dir angetan hat, miterlebt. Ich war bei deinen Kämpfen bei dir und kenne alle deine Geheimnisse. Es ist meine körperliche Gegenwart, die dich jetzt beunruhigt.«
Er beugte sich zu ihr vor, so nah, dass seine Lippen ihren Mundwinkel streiften. Ihr Blut erhitzte sich, und ihr Magen krampfte sich zusammen. »Ich brauche dich. Um zu leben. Um meine Seele zu retten. Ich bin bereit, so lange zu warten, wie es nötig ist.«
Ihr Blick begegnete seinem, und sie schrak vor der dunklen Sinnlichkeit zurück, die sie in seinen Augen sah. Vor der ungeheuren Intensität seiner Gefühle. »Ich weiß, dass du bereit bist zu warten. Aber eigentlich kannst du nicht warten, oder? Ich kenne deine Gedanken. Ich weiß, dass eine Gefährtin für dich die einzige Möglichkeit ist, nicht zum Vampir zu werden.«
Nicolae zuckte bei ihren Worten nicht mit der Wimper. Er nickte und ließ seinen Blick besitzergreifend über ihr Gesicht wandern. »Ich kann warten, Destiny. Wenn es schwer ist, dann ist es nicht deine Schuld. Überlass es mir, damit zurechtzukommen.«
»Ich kann nicht intim mit dir werden.« Sie hob leicht das Kinn. Ihr weicher Mund bebte. »Ich könnte nie intim mit dir werden, und das ist ein Großteil dessen, was du von mir willst.«
»Wir sind bereits intim miteinander, Destiny. Sex ist nicht zwingend mit Intimität gleichzusetzen. Wir haben weit mehr als andere Paare miteinander geteilt, sehr intime Augenblicke unseres Lebens.« Er hob mit einem Finger ihr Kinn und schaute in ihre ausdrucksvollen Augen. »Komm mit mir. Lass dir von mir zeigen, was du bist. Es ist nicht das, was du glaubst zu sein.«
»Warum klingt alles, was du sagst, wie eine Versuchung?« Einen Moment lang schimmerte ein schwaches Lächeln in den Tiefen ihrer Augen. »Kannst du nicht einfach langweilig und uninteressant sein?«
Er lachte leise und zog ihre Hand erneut an seinen unglaublichen Mund. Seine Zähne strichen über ihre Fingerkuppen. »Das ist zumindest ein Anfang. Ich bin viel lieber eine Versuchung als langweilig und uninteressant.«
»Wo gehen wir hin?« Sie trat zurück, ein kaum merklicher Rückzug. »Ich war in meinem ganzen Leben noch nicht so lange mit anderen zusammen. Es ist« - sie suchte nach dem richtigen Wort - »ungewohnt.«
Immerhin war sie bereit mitzukommen. Mehr konnte er nicht verlangen. Wenn er in ihrer Nähe war, raste sein Puls, und in seinem Kopf hämmerte es. Sein Körper war hart und verlangte schmerzhaft nach ihr. Die rituellen Worte dröhnten in seinem Kopf, und tief in seinem Inneren erhob das Tier sein Haupt und brüllte danach, freigelassen zu werden. Nicolae las in Destinys Augen, dass sie wusste, was in ihm vorging, aber er ließ sich davon nicht schrecken. Er hatte ihr absichtlich einen Vorteil verschafft, indem er sie in die Lage versetzte, jederzeit an sein Bewusstsein zu rühren und zu wissen, dass sie seine wahren Absichten erkennen konnte. Er hatte nicht vor, seine Probleme vor ihr zu verbergen. Für einen männlichen Karpatianer war es ein Bestandteil seines Lebens, die Dunkelheit in seinem Inneren zu bekämpfen. Es war eine Tatsache; und eine Gefährtin zu finden, brachte gewisse Komplikationen mit sich.
Nicolae löste sich ohne ein weiteres Wort auf, strich durch die dunklen Wolken wie ein dichter Dunstschleier, der sich mit dem Nebel vermischte, und glitt zielstrebig über der Stadt dahin. Er zögerte nicht und wartete auch nicht auf Destiny und ließ ihr damit erneut die Wahl. Sie musste es selbst wollen und die notwendigen Schritte machen, musste es wollen, ihnen beiden eine Chance zu geben.
Das will ich aber nicht, widersprach sie als Antwort auf seinen letzten Gedanken. Es gab für sie beide keine Chance, ein Paar zu werden und als Gefährten vereint zu sein.
Destiny sprang mit einem Satz in die Luft und schoss wie eine Rakete in den Himmel. Ihr Körper löste sich zu einem Prisma farbiger Moleküle auf, winzige Tropfen, die leicht durch die Nebelschleier glitten.
Sie wusste, wie seine Reaktion ausfallen würde, und wappnete sich dafür. Schon hörte sie wie aus weiter Ferne sein leises Lachen. Nichts konnte sie so sehr aus der Fassung bringen wie der Klang seines Lachens. Es war unglaublich verführerisch. Destiny folgte dem Kometenschweif über den Himmel, weg von der Stadt zu den Bergen und Wäldern in der Nähe.
Sie überließ sich ganz der Freude am Fliegen, um etwaige Ängste völlig zu verdrängen. Die dunkle Gabe, die sie besaß, war unbestreitbar mit ein paar Vorzügen verbunden.
Es sind mehr als ein paar, erinnerte Nicolae sie. Jede Spezies hat nicht nur ihre Nachteile, sondern kennt auch ihre ganz eigenen Wunder. Ich glaube, du weißt immer noch nicht ganz zu schätzen, was du bist.
Destiny versuchte, nicht unter seinen Worten zusammenzuzucken. Sie wusste, was sie war, was sie mit großen Mühen geworden war: Sie jagte die Untoten, und sie verstand sich allmählich sehr gut darauf, sie zu töten. Wie kommt es, dass du meine Gedanken lesen kannst, wenn mein Blut nicht nach dir ruft? Ich habe keine Schmerzen, und ich habe keine geistige Verbindung zu dir aufgenommen.
Wir haben im Lauf der Jahre unseren eigenen geistigen Pfad gefunden. Das ist die beste Antwort, die ich darauf habe. Wir sind zwei Hälften eines Ganzen. Ich glaube, wir könnten einander immer finden, egal, wie weit wir voneinander entfernt sind, egal, unter welchen Umständen.
Seine Antwort machte sie glücklich und jagte ihr gleichzeitig Angst ein. Auch ohne die rituellen Worte, die ständig in Nicolaes Geist schwebten, waren sie bereits aneinander gebunden. Sie konnte sich ein Dasein ohne ihn nicht vorstellen. Es würde sie um den Verstand bringen, um jeden Bezug zur Realität. Ihr Geist würde zerfallen, bis es keine Substanz mehr gab, keinen einzigen klaren Gedanken. Die Vorstellung war beklemmend, aber noch mehr erschreckte sie, dass sie so abhängig von ihm war.
Nicolaes Herz zog sich zusammen, als er ihre Gedanken las. Er war ständig ein stiller Schatten in ihrem Denken, so wie sie ein Schatten in seinem war. Sie klammerte sich an ihn, ohne sich dessen bewusst zu sein. Er hingegen wusste genau, wie sehr er ihre Nähe suchte und brauchte.
Er fand, was er sich wünschte: eine kleine abgeschiedene Stelle im Herzen des Waldes. Die dichten Bäume und das üppige Grün des Laubs luden sie ein. Er ließ sich auf die Erde hinab, wobei er seine wahre Gestalt annahm und zu dem wurde, der er war: ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit vollem schwarzem Haar, einem gefährlichen Mund und bezwingenden Augen. Träge lehnte er sich an einen breiten Baumstamm und beobachtete fasziniert, wie sich die bunten Moleküle zu Destinys kurvenreicher Gestalt formten.
Sie hielt sich ein Stück von ihm entfernt, einen wachsamen, verlorenen Ausdruck auf dem Gesicht. Ihr weicher, verletzlicher Mund bildete einen krassen Gegensatz zu der Warnung in ihren ausdrucksvollen Augen. Mit schnellen, rastlosen Schritten lief sie hin und her. »Warum bin ich hier?«
Nicolae betrachtete sie mit seinem kühlen, gelassenen Blick. Er konnte fühlen, wie das Bedürfnis, allein zu sein, in ihr zunahm. »Hast du diesen Ort überprüft?«
Sie funkelte ihn aus ihren blaugrünen Augen an. »Natürlich. Hast du gedacht, ich lasse mich von dir in eine Falle locken ?«
Er konnte sehen, dass ihr Körper angespannt und in Abwehrposition war. Er hatte sie gut unterrichtet. »Was findest du hier?«
Destiny starrte ihn zornig an. Während der Nebel in langen weißen Schwaden über den Himmel wirbelte, schoben sich dunkle Wolken vor den Mond und verhüllten sein Strahlen. Hitze und Feuer loderten auf und reflektierten ein rötliches, feuriges Licht in ihren Augen. Winzige Flammen schienen dort zu brennen. Sie blinzelte, und das Trugbild war verschwunden. Ohne ihren argwöhnischen Blick von Nicolae zu wenden, atmete Destiny langsam ein und sog die frische, klare Luft in ihre Lunge. Der Wind rauschte in den Bäumen, raschelte mit den Blättern und wisperte in ihre Ohren.
»Was hörst du?«
»Sehr viel. Das weißt du. Ich höre Tiere und die Geschichten ihres Lebens. Es sind keine Menschen in der Nähe, nicht einmal beim Zelten.«
»Dieser Teil des Waldes ist sehr abgelegen«, erklärte er. »Karpatianer gehören einer Spezies an, die in Einklang mit der Natur lebt. Die Erde hier ist gehaltvoll, und wenn sie dich umarmt, verjüngen ihre heilenden Kräfte dich. Die Heilkraft unserer Heimaterde jedoch übersteigt dein Vorstellungsvermögen. Sie ist wie die Erde hier, aber tausendmal gehaltvoller. Ich vermisse sie.« Seine weißen Zähne blitzten kurz in der Nacht auf. »Vor allem nach einem besonders langen Kampf.«
»Was willst du mir damit sagen ?« Destiny fuhr mit einer Hand über die Rinde eines kleinen Zweiges. Sie konnte die Säfte im Inneren des Baumes spüren. In dem Laubdach über ihrem Kopf schwärmten Insekten. Gelegentlich kauerte sich eine Eule aus reiner Neugier auf einen Ast in der Nähe und beobachtete sie. Einige Meilen entfernt ging gerade ein hungriger Puma auf die Jagd.
»Ich möchte, dass du unsere Welt kennenlernst.
Es ist nicht die pervertierte Welt eines Vampirs. Wir sind nicht
schlechter als Menschen. Wir haben erstaunliche Fähigkeiten und
viele Probleme, die es zu lösen gilt. Karpatianer leben sehr lange,
das stimmt. Wir scheinen unsterblich zu sein, doch wir können
getötet werden - wenn auch nicht leicht. Eine Wunde, die tödlich
sein müsste, kann mit unserem Speichel und guter, schwerer Erde
geheilt werden. Das Blut eines Karpatianers vom uralten Stamm hat
heilende Eigenschaften. Wir verwenden die Kräuter und Pflanzen, die
in unserer Welt in Hülle und Fülle gedeihen. Aber bei Sonnenschein
müssen wir ruhen. Wir haben unsere Grenzen.«
Destiny ließ ihn nicht aus den Augen. »Erzähl mir mehr.«
»Ich habe dir das alles schon oft erzählt, Destiny. Bist du endlich bereit, mir zuzuhören?«
»Ich dachte, es wären Märchen. Ich brauchte etwas, wofür ich leben konnte, und du hast es mir gegeben. Du hast aus mir eine Jägerin der Untoten gemacht.«
Zum ersten Mal sah Nicolae traurig aus. Er fuhr sich mit einer Hand durch sein dunkles, seidiges Haar, sodass es sich um seinen Kopf bauschte. »Ich weiß, Destiny. Ich wusste keinen anderen Weg, um zu verhindern, dass der Vampir dir noch mehr antat. Ich konnte dich nicht finden. Du wolltest nicht mit mir sprechen. Ich musste dich benutzen, um ihn zu töten.«
Sie hob das Kinn und blitzte ihn aus stürmischen Augen an. »Wage es ja nicht, das zu bedauern! Es ist das Einzige, was ich nicht bedaure, und ich will es auch nie bedauern. Er hat Dinge getan - Dinge, mit denen ich mich immer noch nicht auseinandersetzen kann. Mit deiner Hilfe habe ich die Kraft gefunden, ihn zu besiegen. Nimm mir das nicht weg. Ich konnte ihn täuschen und die Welt von etwas abgrundtief Schlechtem befreien. Ich war damals erst vierzehn.« Sie wandte das Gesicht ab, aber er erhaschte einen Blick auf die Hölle in ihrem Inneren.
»Ich wollte nicht, dass du jemals mit dem Tod in Berührung kommst. Das wollte ich nie.«
»Ich kam an dem Tag mit dem Tod in Berührung, als ich zum ersten Mal seine Stimme hörte.« Sie drehte sich wieder zu ihm um und ließ ihren Blick düster über sein Gesicht wandern. Sie studierte es und versuchte, hinter die Maske zu blicken, die er trug. »Eine Stimme wie deine. Unvorstellbar schön, doch sehr gefährlich. Bezwingend und eindringlich und verheißungsvoll. In dir ist dieselbe Gefahr, die Macht, andere mit deiner Stimme zu vernichten, sie anzulocken und zu zwingen, das zu tun, was du willst.«
Er nickte langsam. »Das ist wahr. Es ist eine zweischneidige Gabe, die für Gutes oder Böses benutzt werden kann. Du hast jetzt dieselbe Gabe. Du hast sie eingesetzt, Destiny.« Sein Magen krampfte sich zusammen. »Bei dem jungen Mann, den du gebraucht hast, um Nahrung zu bekommen. Du hast ihn zu dir gerufen und ihn mit Versprechungen auf das Paradies ruhiggestellt.«
Destiny konnte es nicht leugnen. Sie wusste, dass ihre Stimme wie ein Zauber wirkte. Es war leicht, Männer anzulocken und sie gefügig zu machen, während sie sich an ihnen nährte. Es war leicht, sie mit schönen Erinnerungen zurückzulassen, und irgendwie linderte das ihre Schuldgefühle.
Nicolae bewegte sich. Es war nur ein leichtes Spiel seiner Muskeln, aber trotzdem wirkte es bedrohlich und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder ausschließlich auf ihn. Er kämpfte darum, den Dämon in Schach zu halten. Eifersucht war ein hässliches Gefühl, ein Gefühl, das keinen Platz in seinem Leben hatte, in seiner Beziehung zu Destiny. Sie fürchtete körperliche Nähe, und er wusste, warum. Er kannte ihre dunkelsten Geheimnisse. Eifersucht war unter seiner Würde, und er würde nicht zulassen, dass sie sich wie ein Krebsgeschwür ausbreitete, wenn sie ohnehin schon genug Hindernisse zu überwinden hatten.
»Danke«, sagte sie einfach, während sie ihn aus wachsamen Augen beobachtete.
Er grinste verlegen. »Es ist eine typisch männliche Eigenschaft.«
Ihre Augenbrauen fuhren in die Höhe. »Ich hätte eigentlich nie gedacht, dass Eifersucht geschlechtsspezifisch ist. Übrigens hat es mir gar nicht gefallen, dass du deine Arme um MaryAnn gelegt hattest, doch ich dachte, es wäre deshalb, weil ich Angst um sie hatte.« Sie hob mit einer seltsam anmutigen Bewegung die Schultern.
Nicolae fand alles an ihr fesselnd und faszinierend. Sie sprach so vieles in ihm an, vor allem auch seinen Beschützerinstinkt. Aber Destiny wollte keinen Beschützer. Sie glaubte, keinen zu brauchen, doch er sah die Verletzlichkeit um ihren weichen Mund, die Qual in ihren Augen. Er kannte den furchtbaren Kampf um ihr Seelenheil, den sie bei jedem Erwachen ausfocht. Alles in ihm schrie danach, sie in seine Arme zu nehmen und vor jedem Schmerz zu beschützen. Es war so tapfer von ihr, zuzugeben, dass es sie gestört hatte, MaryAnn in seinen Armen zu sehen. Und sie hatte es nur zugegeben, damit er sich besser fühlte.
Sein Grinsen wurde breiter, bevor er seine Gefühle wie üblich hinter einer Maske verbergen konnte. Wärme breitete sich in seinem Körper aus und rührte an sein Herz.
»MaryAnn ist schon allerhand. Sie verfügt auch über die eine oder andere Gabe.« Er wählte seine Worte sorgfältig.
Destiny nickte. »Ich glaube, das hat mich so angezogen. MaryAnn ist sich ihrer übersinnlichen Fälligkeiten gar nicht bewusst. Ich konnte jedes Mal ihre innere Kraft spüren, wenn sie mit einer Frau Verbindung aufnahm, um sie zu beraten. Ich habe viel Zeit damit verbracht, auf dem Balkon vor ihrem Büro zu stehen und ihr zuzuhören. Selbst ihre Gruppentherapien haben mich berührt.« Sie vertraute ihm etwas an, von dem sie hoffte, dass er es verstehen würde. Irgendwann hatte sie erkannt, dass sie kein normales Leben führen konnte, und versucht, eine Möglichkeit finden, sich selbst zu heilen.
»Du bist kein Monster, Destiny. Unser Volk muss sich mit vielen Problemen auseinandersetzen. Unsere Männer verlieren nach zweihundert Jahren die Fähigkeit, Farben zu sehen, Gefühle zu haben. Alles verblasst. Früher einmal, als unser Volk noch zahlreich war und unsere Gefährtinnen in der Nähe waren, sah es anders aus. Jetzt spüren wir den Mangel an Gefährtinnen empfindlich. Ohne Frauen, die uns Kinder schenken, gibt es kaum Hoffnung für unsere aussterbende Art. Viele unserer Männer haben sich für den momentanen Machtrausch und das Hochgefühl beim Töten und gegen Ehre und ein karges Dasein entschieden. Das zwingt uns, sie zu jagen, obwohl es oft Freunde und Verwandte sind. Jedes Mal, wenn wir töten, nimmt die Dunkelheit in unserem Inneren zu, bis sie uns irgendwann verschlingt. Es ist kein leichtes Leben, und es wird noch dazu von Erinnerungen an Farben und Lachen und echte Empfindungen erschwert.«
Destiny rieb sich die Schläfen. Sie wollte nicht über sein Leben nachdenken oder an seine Erinnerungen rühren, die ein trostloses Dasein in Grau und Weiß zeigten, eine Wüste, die sich endlos vor ihm erstreckte - bis sie mit ihm in Verbindung getreten war. Sie konnte deutlich sehen, wie sehr er sich um Vikirnoff sorgte, und ebenso deutlich, wie sehr er sie brauchte.
»Es gibt unter den Menschen Frauen mit übernatürlichen Fähigkeiten, die zu einer von uns umgewandelt werden können. Du bist offenbar eine dieser Frauen. Wir brauchen Kinder. Unsere Frauen und Kinder bedeuten uns unendlich viel, und wir tun alles, was in unserer Macht steht, um sie zu beschützen. Unsere Frauen und Kinder sind unsere einzige Hoffnung.«
»Und das hat der Vampir mit mir gemacht, oder? Er hat mich umgewandelt. Wie?«
»Es erfordert einen dreimaligen Austausch von Blut, aber mit einem Gefährten ist es nicht furchtbar oder schmerzhaft, wie du es erlebt hast. Wenn wir miteinander schlafen, ist es normal für uns, unser Blut miteinander zu teilen und uns zu wünschen, das eigene Blut durch die Adern des anderen fließen zu lassen. Es ist fast ein Zwang. Wenn wir mit unseren Gefährtinnen zusammen sind, Haut an Haut, und sie küssen, ist es ein köstliches Verlangen, Blut zu tauschen.«
Seine Stimme schien sie zu umschmeicheln, eine leise Versuchung, die sie nicht wahrhaben wollte. »Ich verstehe, was du mir damit sagen willst. Ich schaue in dich hinein und sehe, dass du meinst, was du sagst. Ich wünschte, all das wäre wahr, Nicolae, doch für mich kann es das nie sein. Ich glaube dir, was du mir über die Karpatianer erzählst. Ich spüre nicht nur das Tier in dir, sondern auch Güte. Aber du und ich, wir wissen beide, dass ich nicht von dir oder einem anderen Karpatianer umgewandelt worden bin. Ich kann unreines Blut aus meilenweiter Entfernung riechen. Der Gestank ist widerlich. Glaubst du, ich kann es nicht an mir selbst riechen? In der Höhle haben sie mich gerufen. Du hast es selbst gehört. Sogar die Untoten erkennen, was ich bin. Wenn einer von deiner Art mich umgewandelt hätte, könnte ich vielleicht alles sein, was du sagst, aber es war ein Vampir, und sein Blut fließt in meinen Adern.«
»Du kannst geheilt werden.«
»Kannst du meine Erinnerungen heilen? Kannst du die Dinge auslöschen, die mir angetan worden sind? Du glaubst, dass du mich zum Killer gemacht hast, Nicolae, aber du warst es nicht. Du warst es nie.«
»Ich habe dich gelehrt zu töten, Destiny. Ganz gleich, für wie wichtig ich es hielt - Töten war deinem Wesen fremd. Meinem nicht.« Er würde ihr nicht erlauben, sich so zu fühlen, als wäre sie von Natur aus ein Mörder. »Ich habe in dein Bewusstsein geblickt. Ich tue es immer noch. Die Schatten dort hat der Vampir geschaffen, nicht du. Mein Blut hat das Brennen in deinen Adern jetzt schon gelindert. Mit etwas mehr Zeit können wir überwinden, was er getan hat.«
Destiny schüttelte den Kopf. »Ich lebe schon immer damit. Wenn es eine Lösung gäbe, hätte ich sie gefunden. Ich mag teilweise deiner Welt angehören, aber ich gehöre auch zur Welt der Untoten. Ich bin unrein. Bevor ich die Augen öffne, bevor ich beim Erwachen meinen ersten Atemzug mache, weiß ich es schon. Ich habe so oft getötet, dass ich das Blut nie mehr von meinen Händen waschen kann.« Ihr war nicht bewusst, wie unglücklich sie aussah, als sie zu ihm schaute.
Nicolae sah es, und es brach ihm das Herz.
»Ich habe in deinen Erinnerungen geforscht, Nicolae. Ich hatte viele Jahre Zeit, alles gründlich zu studieren, die Kämpfe und die Techniken, die du anwendest, um zu töten. Du empfindest nichts, wenn du angreifst. Du kennst keinen Hass. Und du kennst keinen Zorn. Du kennst die Befriedigung und die Lust nicht, die man beim Töten empfinden kann. Ich kenne das alles. Wünschst du dir das von der Mutter deiner Kinder?« Destiny wandte sich von ihm ab. Sie hasste ihn dafür, dass er sie dazu brachte, ihre Mängel laut auszusprechen und sich selbst so zu sehen, wie sie war.
Er trat näher zu ihr. »Du hattest keine Wahl, Destiny«, erinnerte er sie. »Er hat dir keine Wahl gelassen.«
»Es gibt immer eine Wahl. Du hast selbst gesagt, dass ein Karpatianer sein Leben aufgeben kann, statt zum Vampir zu werden. Ich lese in dir den unerschütterlichen Entschluss, genau das zu tun, falls es nötig ist. Aber ich... ich habe diese Entscheidung nicht getroffen.«
Seine Hand strich über ihr Haar, legte sich auf ihren Nacken und hielt sie fest. »Du bist nicht zum Vampir geworden, Destiny. Du bist Karpatianerin.«
»Warum empfinde ich dann Hass und das Verlangen zu töten? Warum bin ich wie er und nicht wie du, Nicolae ? Glaubst du, es macht es mir leichter, dich in meiner Nähe zu haben, wenn ich weiß, was ich bin, was ich geworden bin?« Sie legte ihre Hand mit weit gespreizten Fingern auf seine Brust und versuchte, ihn wegzuschieben.
Er war hart wie ein Felsen und rührte sich nicht. »Du bist nicht wie das Monster, das ein Kind aus der Geborgenheit seines Elternhauses gerissen hat. Du bist nicht wie das Geschöpf, das den Anspruch eines kleinen Mädchens auf eine unschuldige Kindheit zerstört hat. Du bist nicht wie die pervertierte Kreatur, die es genoss, andere zu foltern und zu töten. Ich lese in deinem Denken genauso gut wie du in meinem. Ich weiß, wer du bist, Destiny. Ich werde es immer wissen.«
»Intimität«, murmelte Destiny. Sie hatte Tränen in den Augen. »Du schaust in mich hinein und nennst es Intimität. Ich nenne es die Hölle.«
Er nahm sie in seine Arme. »Dein Hunger quält auch mich. Ich spüre ihn in meinem Inneren wie einen endlosen, bohrenden Schmerz.« Seine Finger vergruben sich in ihrem Haar, und er zog ihr Gesicht an seine Halsbeuge, sodass seine Pulsader unter ihren Lippen heftig pochte. »Ich spüre, dass sein Blut wie Säure in deinen Adern brennt. Lass es mich mit meinem Blut ersetzen. Nimm diese kleine Gabe von mir an. Zu wissen, was du brauchst, und es dir zu geben, das ist wahre Intimität, Destiny.«
»Und was ist mit deinen Bedürfnissen?« Fast hilflos legte sie ihren Kopf an seinen Hals. Schon wanderte ihr Mund über seine Haut. Die Versuchung war viel zu groß, als dass sie hätte widerstehen können. Sie konnte sich genau an seinen Geschmack erinnern und daran, wie sich seine Arme und seine Haut angefühlt hatten. Sie erinnerte sich an die Kraft, die von ihm ausging und in ihren Körper strömte. »Was, wenn ich dir nie geben kann, was du brauchst? Die Vorstellung, von einem Mann berührt zu werden ...« Sie brach ab, atmete seinen Duft ein und sog ihn tief in ihre Lunge. Es war unmöglich. Für die Dinge, an die er dachte, war es zu spät.
Sie wollte nicht, dass ein Mann sie berührte, und trotzdem brannte sie vor Verlangen nach ihm. Eine nie bekannte Schwere senkte sich über ihren Körper. Ihre Brüste fühlten sich geschwollen an und sehnten sich danach, von ihm berührt zu werden. Nicht von irgendeinem Mann - von ihm. Nur von ihm. Tränen brannten in ihren Augen und drohten sie zu überwältigen. Wenn sie jetzt weinte, würde sie vielleicht nie wieder aufhören. »Ich brauche kein Mitleid. Ich habe nie um Mitleid gebeten.« Sie sagte es, während ihre Lippen seine Haut kosteten und seine Hitze in sich aufnahmen. Destiny spürte, wie sein Körper hart wurde, sie spürte seine straffen Muskeln und seine Erektion an ihrem Schenkel.
»Das ist kein Mitleid, Destiny. Es ist Liebe«, erwiderte er leise und zärtlich. »Bedingungslose Liebe. Nicht mehr und nicht weniger.«
Seine Arme waren stark und warm; ihr Körper passte sich perfekt dem seinen an. »Dein Körper will mich«, flüsterte sie, während der furchtbare Kummer in ihr immer größer wurde. Ihre Stimme war rau und gebrochen. Sie war für alle Zeiten gezeichnet, für immer vom Bösen beschmutzt.
Nicolaes Hand fing ihr Haar ein und schob es beiseite, um ihren verletzlichen Nacken freizugeben. Er litt mit ihr. »Natürlich will mein Körper dich. Das ist ganz natürlich, Destiny. Du bist meine wahre Gefährtin. Es gibt keine andere für mich, und es wird nie eine andere geben. Schau nicht nur meinen Körper an, schau in mein Herz und meine Seele. Sieh dich selbst so, wie ich dich sehe: mutig und schön. Du bist alles. Schau in mich hinein, damit du erkennst, dass ich nur das sein will, was du brauchst.«
Sie wollte nicht in ihn hineinschauen, weil sie Angst hatte, dort seine Worte bestätigt zu finden. Glück und Hoffnung. Sie hatte Angst, einen kurzen Blick auf das zu erhaschen, was hätte sein können. Destiny wusste genau, was sie war. Sie lebte in jedem wachen Moment mit ihrem Körper und ihrem Geist und ihrer verstümmelten Seele. Träume hatten in ihrer Welt keinen Platz. Destiny schloss die Augen und ließ zu, dass ihre Zähne lang und spitz wurden. Sie brauchte Nahrung. Das war alles, was je zwischen ihnen sein konnte. Er war Beute, wie jeder andere Mann. Mehr nicht. Mehr würde er nie sein. Sie hatte vor, ihre Zähne tief in sein Fleisch zu schlagen, und hoffte, ihm wehzutun und ihn für immer von sich zu stoßen.
Es war ihr nicht möglich. Sie konnte ihm nicht wehtun. Ihre Zunge huschte über seine Pulsader, ihr Atem strich warm und liebevoll über seine Haut. Ihr Körper bewegte sich wie von selbst, drängte sich ruhelos und fordernd eng an seinen. Ihre Hände glitten über seine Brust und seinen Rücken und zogen die straffen Muskeln nach, während seine Haut immer heißer wurde und sein Atem schneller und schneller ging.
Nicolae, der in Flammen stand, wisperte mit rauer Stimme ihren Namen, als wollte er sie um Gnade bitten. Destiny riss sich von ihm los. Sie zitterte, und auf ihrem Gesicht lag eine Mischung aus Angst und Zorn. »Geh weg«, bat sie. »Komm mir nie mehr in die Nähe! Ich habe Angst vor dem, was ich tun könnte, wenn du bleibst.« Sie wich einen Schritt zurück. »Wenn dir wirklich etwas an mir liegt, geh einfach in ein anderes Land, wo du in Sicherheit bist.«
Er sah ihr nach, ohne den Versuch zu unternehmen, ihr zu folgen. Der Tumult in ihrem Inneren war zu groß, eine brodelnde Masse aus Gewalt und Wut, Verletzlichkeit und Furcht. Nicolae blieb noch lange mit gesenktem Kopf stehen und atmete tief ein, um seinen Kummer in den Griff zu bekommen. Um ihre Qualen zu beschwichtigen. Als er mit einer Hand über sein Gesicht fuhr, sah er zu seiner Betroffenheit die blutroten Tränen, die er geweint hatte.