Kapitel 2

Destiny schaute sich prüfend in der Höhle um, bis zu der sie dem Vampir gefolgt war. Sein Versteck musste irgendwo in der Nähe sein. Sie war bereits auf zwei seiner Fallen gestoßen und hatte sie langsam und gewissenhaft entschärft. Ihre Brust war aus einem unerklärlichen Grund wie zugeschnürt, und es bereitete ihr Mühe, Luft in ihre Lunge zu bekommen. In ihrem Inneren herrschte eine Unruhe, die sie noch nie beim Jagen erlebt hatte. Er war hier. Nicolae. Sie flüsterte im Geist seinen Namen. Er hatte ihn ihr so oft gesagt, mit seinem fremdartigen Akzent, der dem Namen einen unglaublich schönen Klang gab, aber sie hatte nie gewagt, ihn zu wiederholen. Jetzt Heß der fremdländische Name eine Saite in ihrem Herzen erklingen. Sie hatte immer gewusst, dass er sie eines Tages finden würde. Von Monat zu Monat, von Tag zu Tag war er näher gekommen. Unablässig hatte er nach ihr gesucht, und sie hatte die ganze Zeit gewusst, dass sie ihm irgendwann gegenüberstehen würde. Sie hatte geglaubt, sie wäre darauf vorbereitet, doch tatsächlich hatte sie Angst. So seltsam es auch schien, sie verließ sich auf ihn, auf seine Sorge um sie und seine Verbundenheit zu ihr.

Nicolae war in ihrer dunkelsten Stunde bei ihr gewesen und hatte ihre Qualen mit erlitten, die perverse Folter eines abgrundtief schlechten Geschöpfs. Seine Stimme, die wie reine Magie gewesen war, hatte sie in ferne Länder gebracht, an Orte, an die ihr das Böse nicht hatte folgen können. Ihren Körper hatte sie zurücklassen müssen, aber ihr Herz und ihre Seele waren entschwebt. Nicolae, der so weit von ihr entfernt gewesen war, war ihr Retter. Er hatte ihr das Leben gerettet und verhindert, dass sie den Verstand verlor.

Aber einer betörenden Stimme durfte man nicht vertrauen. Das hatte Destiny auf die harte Tour gelernt. Einmal hatte sie es getan, und damals löschte ein Monster ihre Familie aus. Seit jener Zeit hatte sie viele schöne Stimmen vernommen, und all diese Stimme hatten Lügnern gehört, pervertierten Kreaturen, die sich am Leid anderer weideten. Nicolae verkörperte für sie alles, was sie an Familie besaß, obwohl sie klug genug war, ihm nicht zu vertrauen. Er hatte sie mit seiner wunderschönen Stimme gerettet, doch er hatte sie auch vieles gelehrt. Er zeigte ihr, wie sie ihre Folterer umbringen konnte, hatte ihr beigebracht, die Monster zu töten, die über andere Familien, über andere Kinder herfielen. Nicolae hatte sie gelehrt, das zu sein, was er selbst war: ein meisterhafter Killer.

Destiny tastete mit einer Hand vorsichtig die Felswand ab. Sie wusste, dass es hier einen Eingang gab, wusste, dass sich der Vampir irgendwo hinter dieser scheinbar festen Mauer aus Gestein verbarg. Wasser tropfte stetig von den Wänden, und das Geräusch hallte in dem engen Raum der Höhle laut wider. Destiny legte den Kopf zur Seite und begutachtete die schwere Felsdecke. Sie wirkte sehr massiv, aber in Destinys Magen regte sich ein gewisses Unbehagen, ein Warnzeichen, das sie aus langer Erfahrung zu beachten gelernt hatte.

Die Höhle wirkte wie eine Falle. Destiny untersuchte gründlich den Boden. Er war uneben und stellenweise feucht von dem Wasser, das unablässig von den Wänden lief. Als sie mit einer Hand leicht über den Felsen strich, entging ihr beinahe die kaum merkliche Bewegung unter ihrer Handfläche. Destiny blinzelte ein paarmal, um besser sehen zu können, und zog ihre Hand rasch zurück. Irgendetwas lag dort unten und lauerte auf ein ahnungsloses Opfer. Etwas, das mikroskopisch klein, aber tödlich war.

Destiny trat behutsam einen Schritt von der Felswand zurück. Sofort spürte sie, wie der Boden unter ihr nachgab, als wäre sie auf einen Schwamm oder in einen Sumpf getreten. Sie versank knöcheltief in dem eigenartigen Morast. Der Schlamm legte sich um ihren Fuß, saugte an ihrem Schuh und schloss sich wie eine Eisenzwinge um ihre Haut. Ihr Herz machte einen Satz, ihr Atem ging stoßweise, doch sie zwang sich, ganz ruhig zu bleiben und ihre Panik in Schach zu halten.

Statt sich gegen den schwarzen Matsch zu wehren, der an ihrem Fuß saugte, entschied sich Destiny dafür, sich in Luft aufzulösen. Einen Moment lang flimmerte ihr Körper in der Dunkelheit der Höhle, dann schwebten nur noch bunte Nebelschleier dicht über dem Boden. Die farbigen Dunstfetzen wirbelten durch die Luft und sprühten feine Tröpfchen über die größte nasse Stelle, wo stetig Wasser von der Decke tropfte, bevor sie sich über das Zentrum dieser Stelle senkten, durch die feuchte Erde drangen und spurlos aus der Kammer verschwanden.

Destiny fand sich in einer viel größeren Grotte tief im Inneren des Berges wieder. Der Geruch nach Schwefel war nahezu überwältigend, die Luft heiß und drückend. Übel riechende Gase stiegen von den grünlichen Wasserbecken auf, mit denen der Boden übersät war, und ein schwerer gelber Dunst hing in der Luft. Sie achtete darauf, den Boden gründlich zu untersuchen, bevor sie wieder ihre wahre Gestalt annahm und ihre Füße auf festen Grund setzte. Die Knie hatte sie leicht gebeugt, und ihr Körper war entspannt und bereit, sofort zum Angriff überzugehen, falls es nötig sein sollte. Destiny hatte das Gefühl, dass es bald nötig sein würde. Sehr bald.

Sie betrachtete die Kammer, ohne sich zu bewegen, fast ohne zu atmen, da sie nicht die Luftströmungen aufstören und dadurch den Mechanismus für eine gefährliche Falle auslösen wollte. Es gab zwei Öffnungen, die tiefer in den Berg hineinführten; Destiny konnte unterirdische Gänge ausmachen, die sich vermutlich meilenweit erstreckten. Scharfe, natürlich gewachsene Speere hingen von der Höhlendecke herab, große Säulen aus Mineralien, die über ihrem Kopf schwebten wie ein ganzes Waffenarsenal. Die Stalaktiten machten Destiny nervös. Der Feind war ganz in der Nähe, und in seinem Unterschlupf war er ihr gegenüber eindeutig im Vorteil.

Sorgfältig überprüfte sie die Kammer, wobei sie mehr als nur ihre Sehkraft benutzte. Die Luft war gesättigt von einem ekelerregenden Gestank, der so sehr in den Augen brannte, dass sie anfangen zu tränen. Destiny hütete sich, sich die Augen zu reiben. Es war anzunehmen, dass der dichte Dunst, der die Kammer erfüllte, gefährlich war.

Ein Jäger muss davon ausgehen, dass alles im Versteck des Vampirs eine tödliche Falle ist. Du darfst nicht das kleinste Detail übersehen, schon gar nicht etwas, das natürlich zu sein scheint. Nicolae hatte ihr das beigebracht. Ihr Retter. Ihr Todfeind. Er hatte sie mit größter Sorgfalt auf ihre Kämpfe mit den Untoten vorbereitet. Nur seinetwegen war sie noch am Leben, und doch würde sie irgendwann gezwungen sein, sich ihm im Kampf zu stellen.

Ihre Überlegungen ärgerten sie, und sie schüttelte ungeduldig den Kopf. Sie konnte es sich nicht leisten, sich durch irgendetwas ablenken zu lassen. Energisch verdrängte sie Nicolae aus ihren Gedanken und richtete ihre ganze Konzentration auf das vorliegende Problem. Sie überprüfte die Kammer, indem sie sich die Position jedes einzelnen Felsens, der dunklen, glänzenden Teiche und der Dampfwolken einprägte, die vom Wasser aufstiegen. Sie achtete auf Löcher und Unebenheiten im Boden und merkte sich alles ganz genau, bevor sie den ersten Schritt wagte.

Vorsichtig bewegte sie sich nach links, wobei sie wünschte, sie könnte sich von den Wänden entfernen. Aber das Risiko war zu groß. Irgendetwas am Rand ihres Blickfelds bewegte sich. Sie spürte die leichte Regung der Luft, den nahezu unmerklichen Richtungswechsel des Dampfes, der von einem Becken aufstieg. Ein gelblicher Nebelfetzen löste sich von der dampfenden Masse und wehte zu ihr hinüber.

Etwas streifte ihre Beine und zupfte an dem straffen Material ihrer Leggings. Destiny schaute nicht hin. Stattdessen sprang sie mit einem Satz in die Höhe, stieß sich blitzschnell mit einer Fußkante ab und zerschmetterte dabei zwei Stalaktiten, deren Überreste in dem brodelnden Wasserbecken landeten. In geduckter Haltung landete sie auf der anderen Seite der Kammer. Ihre Hände waren abwehrbereit erhoben, als sie das Resultat ihrer Aktion begutachtete.

Einen Moment lang vibrierte die Decke über ihrem Kopf, als die natürlich wirkenden Mineralformationen unter den heftigen Erschütterungen leicht hin und her schwankten. In einem der Stalaktiten zeigte sich ein schmaler Riss, der kurz Einblick auf ein dunkles Inneres und einen Hauch von Bewegung gewährte, bevor sich der Spalt wieder zu einer festen Masse aus Mineralien schloss.

Ohne zu zögern, ging Destiny zum Angriff über. Leichtfüßig und mit weit ausholenden Schritten lief sie im Kreis die Felswand hinauf und schraubte sich dabei immer höher, bis sie die Decke erreichte. Dort schlug sie sofort zu, indem sie mit beiden Füßen gegen den einen Stalaktiten trat, der sich im Gegensatz zu den anderen als einziger nicht bewegt hatte, und holte sofort mit dem Messer in ihrer Hand aus, als die Wucht ihres Fußtritts den künstlichen Kokon aufbrach und den Vampir freilegte. Die Schwungkraft ihrer Bewegung katapultierte sie an dem Geschöpf vorbei, aber sie wirbelte mitten in der Luft herum und stieß die scharfe Klinge tief in die Brust des Untoten.

Der Vampir stieß einen grauenhaften gellenden Schrei aus und fiel zu Boden. Sein Aufschrei war offenbar ein Befehl, denn die Stalaktiten an der Decke schwangen sofort hin und her, bevor große Raubvögel aus ihnen barsten. Verkleinerte Pteranodons brachen kreischend aus den Hüllen und schlugen wild mit ihren ausgebreiteten Flügeln. Die bedrohlichen Schnäbel hatten sie weit aufgerissen. Dampfschwaden wirbelten auf und breiteten sich rasch überall aus, als die Schwingen die Luft aufwühlten.

Die Flugsaurier hatten ungefähr die Größe eines Adlers, aber ihre Flügelspanne war kürzer als die des Vogels oder des ausgestorbenen Pteranodons. Von dem Vampir erschaffen, um die Kammer zu bewachen und Feinde abzuwehren, flogen die Fleischfresser auf Destiny zu und hackten mit ihren scharfen Schnäbeln nach ihr.

Sie war neben einem brodelnden Wasserbecken gelandet. Jetzt drückte sie sich eng an die Höhlenwand, da sie wusste, dass sie eine leichte Beute für die kreischenden Vögel wäre, wenn sie sich zu weit hinauswagte. Der Lärm war eine Folter für ihre Ohren, aber sie versuchte nicht, die Lautstärke mittels ihrer übernatürlichen Fähigkeiten zu reduzieren, da ihr nicht einmal das leiseste Geräusch in der Höhle entgehen durfte. Sie schlug einem Vogel so hart aufs Genick, dass er abstürzte, während sie mit einem Satz über den Teich sprang, um den Vampir zu erwischen, der vor ihr davonkroch.

Destiny landete auf beiden Füßen, aber irgendetwas trat sie ans linke Bein und stieß es unter ihr weg, sodass sie zur Seite taumelte. Im selben Moment änderte der Vampir seine Richtung und kam zu ihr zurück. Sein Gesicht war eine hasserfüllte Fratze, und sein fauliger Atem wehte sie an. In der Faust hielt er das blutige Messer, das er sich aus der Brust gezogen hatte.

Destiny wirbelte zu ihm herum und griff nach seinem Handgelenk. Er war verwundet und hatte viel Blut verloren, sodass sie davon ausgehen konnte, die Stärkere von beiden zu sein. Sie packte ihn und verdrehte seine Hand nach hinten. Indem sie sich duckte, um den Krallen auszuweichen, die nach ihrem Gesicht hieben, stieß sie das Messer ein zweites Mal in seine Brust.

Der Vampir brüllte vor Wut und zerrte an dem Messer. Destiny, die mit einem zweiten Angriff von hinten rechnete, fuhr blitzschnell herum. Eine riesige Echse stieg aus dem brodelnden Wasser. Von ihren gewaltigen Kiefern tropfte Speichel, und ihr langer Schwanz, der Destiny eben ans Bein gepeitscht war und sie zur Seite gestoßen hatte, schwang bedrohlich hin und her. Das Tier, das mit seinen krallenbewehrten Füßen und dem eigenartig schwankenden Gang an einen Komodo-Waran erinnerte, schoss mit unglaublicher Geschwindigkeit auf sie zu. Destiny blieb keine Zeit, dem Vampir das Herz aus der Brust zu reißen; sie musste sich in Luft auflösen und in Form winziger Moleküle durch die giftigen Schwaden treiben, um sich zu retten.

Der Dampf in der Kammer war dicht und schwer und schien eine eigene Art von Falle zu sein, die sie bisher nicht kannte. Er schien sich sofort um Destiny zu legen und sie wie ein ausgetrockneter Schwamm aufzusaugen. Panik stieg in ihr auf, gleichzeitig mit der jähen Erkenntnis, dass sie unbedacht gewesen war und jetzt in der Falle saß.

Nimm die Gestalt eines der Vögel an. Nicolaes magische Stimme war ruhig und beschwichtigend. Und sehr nah.

Destiny befolgte seinen Rat sofort, wobei sie das Bild des Vogels eher seinem Bewusstsein als ihrem eigenen entnahm.

Ihr war nicht klar, dass sie automatisch mit ihm in Verbindung getreten war und ihm ihre gefährliche Lage mitgeteilt hatte, indem sie ihm erlaubt hatte, die Höhle und die Falle durch ihre Augen zu »sehen«. Wie die anderen bizarren Raubvögel schlug auch sie hektisch mit den Flügeln und kreischte laut, ließ aber den Vampir unten am Boden keine Sekunde aus den Augen.

Zu ihrem Entsetzen nahm das riesige Reptil menschliche Gestalt an und wurde zu einem großen, dünnen Mann mit Hakennase und ergrauendem Haar. Nachlässig streckte er eine Hand nach dem anderen Vampir aus und half ihm auf die Beine. Nicolae, der geistig vollständig mit Destiny verschmolzen war, wurde ganz still. Vampire waren manchmal zusammen unterwegs, aber sie benutzten einander und waren jederzeit bereit, den anderen zu opfern. In all den langen Jahrhunderten seiner Kämpfe hatte Nicolae nie erlebt, dass ein Vampir einem anderen uneigennützig half.

»Kommen Sie, meine Liebe, ich bin diese kleine Scharade allmählich leid«, sagte der größere der beiden Vampire. Er klatschte in die Hände, und die Vögel fielen herab und versanken in den brodelnden Wasserbecken. »Vernon braucht Blut. Ich denke, Sie sollten ihm geben, was er benötigt. Schließlich sind Sie für seine missliche Lage verantwortlich.«

Destiny ließ sich auf den Boden gleiten und nahm dabei wieder ihre natürliche Gestalt an. »Wie ich sehe, ist es die Woche der guten alten Freunde«, bemerkte sie und gönnte den beiden Vampiren ein frostiges Lächeln. Ihr Blick ruhte unverwandt auf dem größeren der beiden. Er war stark und unverletzt und sehr, sehr gefährlich. »Es überrascht mich, dass ein großer, böser Vampir wie Sie sich mit einem Schwächling wie Vernon abgibt. Er scheint nicht unbedingt in Ihrer Liga mitzuspielen. Drei Mal habe ich ihn erwischt - ein bisschen viel, finden Sie nicht?« Leise Belustigung schwang in ihrer Stimme mit. Ihr Gesicht war eine freundliche Maske, selbstbewusst und gelassen, während sie insgeheim verzweifelt über eine Möglichkeit zur Flucht nachdachte. Der Jäger war jetzt zum Gejagten geworden, aber sie war fest entschlossen, sich niemals lebend von diesen Monstern erwischen zu lassen.

Vernon fletschte die Zähne. »Du wirst nicht mehr lachen, wenn ich dir das Blut aus den Adern sauge.« Speichel lief aus seinem Mundwinkel, als er hustete und seine Hände auf seine Wunden presste.

»Aber, aber, Vernon! Sie hat nicht ganz unrecht. Sie hat dich aufgespießt wie ein Schwein, und dabei ist sie nur eine Frau.« Der größere Vampir entblößte mit einem Lächeln seine spitzen Reißzähne. »Nicht nötig, ihr die Schuld an deinem eigenen Unvermögen zu geben.«

Schau dich gut um! Vielleicht lauert noch einer von ihnen hier. Es scheint widersinnig, dass sie sich beide in demselben Versteck aufhalten, aber aus irgendeinem Grund lenkt er deine Aufmerksamkeit auf sich. Sie haben Angst vor dir. Du hast einen Untoten zweimal mit dem Messer erwischt, und du bist eine Frau, ein Rätsel für sie. Überprüfe deine Umgebung mit all deinen Sinnen, aber wende dich nicht von ihm ab.

Destiny spürte, dass Nicolae am Eingang der Höhle war, und ihr Herz schlug schneller.

Lass dir deine Angst nicht anmerken, auch wenn sie mir gilt. Sie würden es als Schwäche auslegen, und du willst doch, dass sie beunruhigt sind. Sie sind noch nie einer weiblichen Jägerin begegnet.

Sie musste Nicolae vertrauen, ihr blieb nichts anderes übrig. Er machte schon seit Jahren Jagd auf sie, weil er sie für sich selbst wollte oder aus einem anderen Grund, für den sie keine Erklärung hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er sie jetzt noch an andere Vampire verriet. Und sie wusste aus Erfahrung, dass er recht hatte. Vampire teilten ihre Verstecke mit keinem anderen. Diese Situation bewegte sich außerhalb jeder Norm und war äußerst gefährlich. Destiny überprüfte die Höhle, indem sie jeden ihrer Sinne einsetzte, und witterte den dritten Gegner sofort. Sie konnte ihn nicht lokalisieren, aber sie wusste, dass er da war. Sie gab die Information an Nicolae weiter.

Destiny lachte leise, als wäre sie völlig unbekümmert. Vernon starrte sie hasserfüllt an. Sie wandte sich an den Mächtigeren der beiden. »Ich verstehe nicht ganz. Wenn jemand mit so viel Macht wie du in mein Territorium eindringt, höre ich normalerweise gerüchteweise davon.« Sie flirtete bewusst mit ihm und schaffte es, atemlos und bewundernd zu klingen.

Der hochgewachsene Vampir machte eine tiefe Verbeugung. »Mein Name ist Pater. Und wer bist du?«

»Kein Dummkopf.« Destiny duckte sich, wirbelte herum, zog ein Messer aus ihrem Stiefel und stieß es in den weichen Leib des neuen Angreifers. Als er einen Schrei ausstieß, bohrte sie ihre Faust durch Muskeln und Knochen bis zum Herzen. Ihre Finger schlossen sich um das Organ und rissen es heraus, während sie gleichzeitig einen Satz zurück machte, um dem giftigen Blut auszuweichen.

Noch während sie das Herz so weit wie möglich von dem zusammengebrochenen Vampir wegwarf, schlug sie an der Felswand einen Funken, Heß die Flamme hell auflodern, während sie die Wand hinauflief, und schleuderte sie auf das zuckende, geschwärzte Organ, das sofort zu feiner Asche verbrannte.

Vernon vergaß einen Moment lang seine furchtbaren Verletzungen und riss beide Arme hoch. Destiny hatte den dritten Vampir zerstört, der so geduldig darauf gewartet hatte, sie von hinten anzugreifen, während Pater sie abgelenkt hatte. Sie sprang auf den Boden zurück, achtete aber darauf, den feuchten Stellen und dem gelben Dampf, der in dichten Schwaden im Raum hing, nicht zu nahe zu kommen.

»Ich hoffe, er war kein Freund von dir, Pater«, bemerkte sie ein wenig spöttisch. Ihr Bein, dem der Schwanz des Reptils einen so heftigen Schlag versetzt hatte, fing an zu pochen und zu brennen. »Und noch mehr hoffe ich, dass >Pater< in deinem Fall nicht >Vater< bedeutet. Dafür bist du viel zu jung, weißt du.« Sie konzentrierte sich ausschließlich auf den großen Vampir, da sie wusste, dass Vernon kaum eine Gefahr für sie darstellte, solange sie nicht in seine Nähe kam. Aufgrund des Blutverlustes und der schrecklichen Wunden, die sie ihm zugefügt hatte, versiegten seine Kräfte langsam.

Pater lächelte sie bloß an. Er atmete tief ein, und seine Augen weiteten sich, als er ihren Geruch einsog. »Du bist eine von uns - das Blut unseres Volks fließt in deinen Adern.« Er schien leicht verwirrt zu sein. »Hast du nicht das Geraune über die Bewegung gehört? Wir schließen uns zusammen, einer nach dem anderen, und unsere Macht nimmt ständig zu. Ein Strohhalm kann vom Wind verweht werden, aber ein Bündel hält stand. Zu lange ist unsere Macht im Verborgenen geblieben. Wir waren zur Furcht verdammt, während minderwertige Kreaturen, die für uns nicht mehr als Vieh sind, die Erde beherrschen. Warum? Weil wir unsere Kräfte nie vereint haben. Gemeinsam können wir die Jäger besiegen. Es sind nur einige wenige, und die meisten stehen dicht davor, zu uns überzulaufen. Wir haben Augen und Ohren in den Lagern der Jäger, und wir gewinnen allmählich die Herrschaft über das Vieh, indem wir Positionen von Macht und Einfluss einnehmen. Schließ dich uns an!«

In den Wadenmuskeln ihres linken Beines fing ein seltsames Prickeln an, das besonders alarmierend war, da es bis zu ihrem Oberschenkel und auch nach unten in ihren Fuß ausstrahlte.

Destiny reckte das Kinn. Auf einmal ängstigte sie das, was er sagte. Machte Nicolae deshalb schon so lange Jagd auf sie? Um sie zu überreden, sich den Untoten in ihrem Kampf um die Macht anzuschließen? Der Gedanke war beklemmend. Könnte sie allein eine derartige Bewegung aufhalten? Wer würde ihr glauben? Wenn sie irgendjemandem verriet, was sie war, würde man sie vernichten.

»Du gehörst zu uns.«

Sie zuckte bei seinen Worten zusammen und konnte den Schauder nicht unterdrücken, der über ihren Körper lief, die plötzlichen Erinnerungen, die ihr körperliche Übelkeit bereiteten. Destiny verbannte sie energisch aus ihrem Denken, aus Angst vor dem, was sie bei ihr anrichten könnten.

Pater, der ihre Verwundbarkeit spürte, glitt auf sie zu, wobei er kaum den Boden berührte. Sie trat einen Schritt zur Seite; sie wollte nicht an die Wand der Kammer zurückweichen, weil sie überzeugt war, dass dort etwas Böses lauerte.

Völlig unerwartet gab ihr Bein unter ihr nach. Sie stürzte zu Boden, einen fassungslosen Ausdruck auf dem Gesicht. Das merkwürdige Kribbeln hatte zu einer Lähmung geführt, die von der Prellung an ihrer Wade ausging und das ganze Bein hinaufkroch. Ihr Fuß war steif und bewegungsunfähig.

Mit einem triumphierenden Knurren drängte sich Vernon an Pater vorbei und stürzte sich auf sie, gierig nach ihrem Blut. In seiner Hast stolperte er, als er einen Satz nach vom machte. Sie sah, wie sein Fuß vorschoss, und rollte sich unbeholfen zur Seite. Sein Blut spritzte an ihre Schläfe, hatte aber den Großteil seiner ursprünglichen Wirkung eingebüßt. Destiny rächte sich, indem sie einen Felsbrocken direkt auf die Wunden in seiner Brust schleuderte. Sie konnte sehen, wie Pater ohne ein Anzeichen von Eile mit unverändertem Lächeln näher kam.

Der schwere Felsbrocken krachte in Vernons aufgerissene Brust. Er heulte und spie Blut und Speichel aus, als er beinahe zusammenbrach. »Ich bringe sie um!«, schwor er, so rasend vor Wut, dass er die Worte kaum herausbrachte. Sein Hass schien sich in der Kammer zu manifestieren. Der gelbe Dampf wogte näher an Destiny heran und umkreiste sie, während Vernon sich langsam an sie heranschob.

Destiny wartete und beobachtete jede seiner Bewegungen. Vernon war schwer verletzt und hatte viel Blut verloren. Obwohl sie ihr Bein nicht bewegen konnte, war sie sicher, die Stärkere von beiden zu sein. Sie konnte ihm sein Herz aus der Brust reißen, sobald er nahe genug war. Sie würde wenigstens einen von ihnen töten müssen, bevor sie sich selbst das Leben nehmen konnte. Destiny war fest entschlossen, sich von keinem der beiden lebend erwischen zu lassen.

Irgendetwas an ihrer Regungslosigkeit ließ den Vampir innehalten. Selbst Pater blieb stehen und beobachtete sie verunsichert. Vernons hasserfüllte Augen wurden schmal. Dann stürzte er sich auf sie.

Ein Feuerwerk explodierte in der Höhle, mit Bündeln von Flammen und einem wahren Funkenregen. Ein großer, kräftig gebauter Mann landete mitten in diesem pyrotechnischen Meisterwerk auf dem Boden. Für Vernon war es viel zu spät, um sich zurückzuziehen. Die Hände des Neuankömmlings packten ihn an seinem schmalen Schädel und drückten so fest zu, dass die Knochen knackten. Der Angreifer bewegte sich unglaublich schnell; er war nur verschwommen wahrnehmbar. Seine Faust bohrte sich tief in die Brusthöhle des Untoten und riss dem schreienden Vampir das Herz heraus. Als Vernon stürzte, erhaschte Destiny aus den Augenwinkeln das Funkeln eines Messers. Es entglitt Vernons kraftlosen Händen und landete nicht weit von ihr auf dem Boden.

Destiny starrte den Fremden an. Sie kannte ihn. Sie hätte ihn überall erkannt. Mit seinen langen Haaren, dem markanten Gesicht und den eindringlichen Augen war er die Verkörperung reiner Macht. Augen des Todes. Wirbelwind des Todes. Er nahm ihr den Atem. Sie konnte in ihm nichts anderes sehen als ihren Todfeind. Einen gefährlichen Vampir, der immer wieder getötet hatte.

»Wie schwer bist du verletzt?«, fragte Nicolae schroff, während sein strahlender Blick durch den schweren gelben Dampf drang, der sich um sie sammelte. »Diese ganze Kammer ist eine einzige tödliche Falle. Wir müssen hier raus.« Er trat einen Schritt zu ihr, bückte sich und streckte beide Arme nach ihr aus. Pater war verschwunden, und die Atmosphäre in der Kammer war bedrohlich. Die Luft selbst vibrierte vor Anspannung und etwas anderem, weit Unheilvollerem.

Destiny warf sich nach vorn, einen Dolch an ihrem Handgelenk verborgen. Sie würde nur diese eine Chance haben, sich zu retten. Als Nicolae vor ihr aufragte, eine hochgewachsene Gestalt aus Muskeln und Sehnen und geschmeidiger Kraft, krampfte sich ihr Magen schmerzhaft zusammen, und ihr Entschluss geriet einen Moment lang ins Wanken. Dann sah sie seine Augen, die dunkel und gefährlich aussahen und in deren Tiefen Flammen loderten. Sie holte mit dem Messer aus.

Hände schlossen sich mit eisernem Griff um ihre Handgelenke und drückten die flache Seite der Klinge an ihre Haut. Jemand hielt sie von hinten gepackt und riss sie zurück an eine harte Brust. Wer es auch war, er war ungeheuer stark, und sein Griff war nicht abzuwehren. Destiny warf den Kopf zurück, in der Hoffnung, ihrem Angreifer die Nase einzuschlagen. Ihr Hinterkopf prallte an eine Brust, die so steinhart war, dass ein jäher Schmerz hinter ihren Augen und in ihren Schläfen explodierte. Sie konnte nur noch hilflos mit ansehen, wie sich Nicolae noch näher zu ihr beugte. Destiny riss ihr gesundes Bein hoch, um ihm einen Tritt zu versetzen.

»Wir müssen hier raus«, erklang eine Stimme hinter ihr. Eine leise, melodische und sehr bezwingende Stimme. »Du warst unvorsichtig, Nicolae. Sie hätte dich beinahe erwischt.« Ihr unsichtbarer Angreifer entwand den Dolch ihrer Hand und ritzte dabei blitzschnell ihr Handgelenk auf.

Es kam schnell und völlig unerwartet. Der Schnitt war tief und sehr schmerzhaft, und Blut strömte aus der Wunde. Destiny runzelte die Stirn. Sie konnte nicht verstehen, warum sie das mit ihr gemacht hatten. Vampire gierten nach Blut und nach dem Machtgefühl, die Qualen ihres Opfers zu spüren, wenn es starb. Sie brauchten den Adrenalinstoß im Blut ihres Opfers ebenso sehr wie das Blut selbst.

»Verdammt, Vikirnoff, es war nicht nötig, ihr wehzutun.« Das leise Murmeln der Stimme drang noch in ihr Bewusstsein, während sie schon spürte, wie sich die Kräfte der beiden Männer vereinten und sie praktisch lähmten.

Destiny, die völlig hilflos und unfähig war, sich zu bewegen, geschweige denn sich zu wehren, konnte nur voller Entsetzen mit ansehen, wie Nicolae sie an sich zog und mit einer schnellen Bewegung seine Brust aufritzte. Er presste sie eng an sich und bot ihr sein uraltes Blut an, Blut, von dem sie wusste, dass es sie beide für alle Zeit aneinander binden würde. Im Geist setzte sie sich zur Wehr, hörte ihren Schrei der Angst und der Panik, der aus tiefster Seele kam, einen Schrei, den sie nicht über die Lippen bekam. Aber sie trank, weil sie keine andere Wahl hatte. Gemeinsam waren die beiden viel zu mächtig für sie.

Das unreine Blut muss aus deinem Kreislauf gelangen. Beruhige dich - es muss schnell gehen. Wir müssen diesen Ort verlassen, und der Vampir hat deinen Körper mit einer Substanz vergiftet, die uns neu ist. Begib dich in deinen Körper, analysiere die Zusammensetzung, und schaff das Zeug raus. Nicolaes Stimme war wie immer sanft und ausgeglichen.

Sie hörte, wie der andere einen Sprechgesang anstimmte, Worte, die Nicolae schon früher in ihr Bewusstsein geschickt hatte, beruhigende Klänge, die irgendwie den Schmerz aus ihrem Bein und ihrem Handgelenk nahmen, aus ihrer Schulter und ihrem Arm, wo der Vampir sie erwischt hatte. Seltsamerweise schien das schreckliche Brennen in ihrem Inneren, das sie Tag und Nacht begleitete, nachzulassen, als Nicolaes Blut in sie hineinfloss. Sie nahm wahr, dass Nicolaes Hand auf ihrem Nacken lag und ihn sanft massierte.

Destiny schloss die Augen, um nicht zu sehen, was mit ihr geschah, um das Gefühl von absoluter Hilflosigkeit und Verletzlichkeit auszusperren. Der Boden unter ihnen bebte wie zur Vorwarnung. Solange die giftigen Dämpfe um sie herumwirbelten, konnte sie sich nicht in feinen Dunst auflösen, und mit dem Gift in ihrem Körper, das sie lähmte, konnte sie nicht weglaufen. Sie hatte keine Ahnung, warum die beiden sie zwangen, ihr eigenes Blut in einem stetigen Strom auf den Boden fließen zu lassen, um ihr das mächtige Blut eines Mannes vom uralten Stamm zu geben, aber ihr war bewusst, dass diese Männer ihr Leben aufs Spiel setzten, indem sie bei ihr in der Kammer blieben.

Ein Teil ihres Gehirns arbeitete auf Hochtouren, überlegte, welche Alternativen sie hatte; es prüfte ihre Kraft und war entschlossen, einen Ausweg zu finden. Ein anderer Teil von ihr entspannte sich in Nicolaes Armen, ließ sich weiter in seinen Bann ziehen und akzeptierte die seltsame Verbindung, die er zu ihr hatte.

»Du wirst ihr helfen müssen, Nicolae.« Die Stimme, die hinter ihr erklang, schien aus weiter Ferae zu kommen. »Sie schafft es nicht. Wir müssen sie hier rausholen. Die Falle schließt sich allmählich, und der eine, der entkommen konnte, hofft, uns hier drinnen einzusperren.«

Das weckte ihren Stolz. Sie konnte alles, was die beiden konnten. Sie war stark, und Nicolae hatte sie gut geschult, besser vielleicht, als ihm bewusst war. Destiny forschte in ihrem Inneren, wobei sie Angst und Schmerzen ebenso ignorierte wie das Wissen, was und wer sie war. Sie ließ sich einfach fallen und fand in sich selbst reine Energie, einen Ort der Macht und der Heilung. Was sich in ihrem Inneren abspielte, war faszinierend, und sie konnte den Unterschied zwischen dem Blut, das auf den Boden tropfte, und dem Blut, das in ihren Körper gezwungen wurde, deutlich sehen. Sie konnte sehen, wie das uralte Blut gegen ihr eigenes kämpfte und es aus ihrem Körper trieb. In ihren Adern wurde ein Kampf um ihr Herz und ihre Seele ausgefochten. Große, dunkle Punkte breiteten sich von ihrem Unterschenkel in alle ihre Muskeln aus und vervielfachten sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit.

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit diesen Flecken zu, den dunklen Bakterien, die in ihren Blutkreislauf eingedrungen waren, wie es der Vampir befohlen hatte.

Beeil dich. Wir müssen jetzt gehen. Ich trage dich so dicht wie möglich an die Oberfläche, aber du musst in der Lage sein, deine Gestalt zu verändern, um hier ungehindert herauszukommen. Wie immer sprach die melodische Stimme ohne ein Anzeichen von Sorge oder Hast. Aber Destiny war sich durchaus im Klaren darüber, wie prekär ihre Lage war. Sie wusste, dass Pater entkommen war. Sein Versteck stellte für sie alle eine gefährliche Falle dar. Die Erderschütterungen waren alles, was sie als Warnung brauchte. Destiny konzentrierte sich auf die Bakterien, zerstörte einen Großteil von ihnen und drängte die restlichen aus ihrer Blutbahn, indem sie alles, was zu ihrem Herzen strömte, zu dem tiefen Schlitz an ihrem Handgelenk umlenkte.

Zusammen mit den Bakterien verschwand die schreckliche Lähmung, und mit dem wertvollen Blut strömte neue Kraft in ihren Körper. Nicolae zog ihr Handgelenk an seinen warmen Mund. Ihr Herz stockte und setzte einen Schlag aus, bevor es laut zu klopfen begann. Der brennende Schmerz der offenen Wunde ließ nach und wich einem eigenartigen Pochen und einer jähen Hitze, die sich in ihr Inneres stahl. Die beiden Jäger lockerten ihren geistigen Zugriff auf Destiny und befreiten sie von dem Druck, den sie auf ihren Geist und ihren Körper ausgeübt hatten. Destiny entriss Nicolae sofort ihre Hand und presste sie an ihr Herz. Ihr wurde bewusst, dass sie in seine Arme geschmiegt lag und er mit ihr durch das Labyrinth unterirdischer Kammern jagte. Destiny strich mit der Zunge über die offene Stelle in seiner Brust, eine automatische Geste, um die Wunde zu verschließen.

Sie blieb absichtlich schlaff in seinen Armen, um Kräfte zu sammeln und auf ihre Gelegenheit zu warten. Destiny drehte sich zu dem anderen Mann um, der mit grimmiger Miene dicht neben Nicolae lief. Er war ein wenig größer als dieser und hatte ebenfalls glattes schwarzes Haar und durchdringende Augen. Er schaute sie an, indem er diese ausdruckslosen Augen in ihre Richtung wandte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie erkannte den Tod, wenn sie ihn vor sich sah.

Die Kammer, aus der sie geflohen waren, dröhnte, und ein lautes Krachen hallte durch das unterirdische Labyrinth, als Wände und Decke der Höhle einbrachen. Die beiden Männer bewegten sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit, aber trotzdem blieb der dicke gelbe Dampf dicht hinter ihnen.

»Es geht mir schon viel besser«, bemerkte Destiny. »Lass mich runter, damit wir schneller hier rauskommen.«

Nicolae verlagerte ihr Gewicht in seinen Armen, ohne sein Tempo zu verlangsamen, und ließ dabei Stück für Stück ihre Füße nach unten gleiten, bis sie mit ihm rannte. Nicolae schob sich sofort hinter sie, um ihren Rücken zu decken, während sein Bruder die Vorhut bildete.

Destiny konnte nicht umhin, die fließende Anmut zu bewundern, mit der ihr Gegner sich bewegte und seine Gestalt veränderte, als direkt vor ihnen eine Öffnung auftauchte, ein enger Spalt in der Felswand, durch den keiner von ihnen gelangen konnte. Sie hätte nie geglaubt, dass jemand so blitzschnell eine andere Gestalt annehmen könnte, indem er seine große, geschmeidige Gestalt zu der einer winzigen Fledermaus werden ließ.

Jetzt! Mach schon! Zum ersten Mal hörte sie ein Drängen in Nicolaes Stimme. Destiny verschwendete keine Zeit damit nachzuschauen, was sich hinter ihrem Rücken abspielte; der Nachdruck in seinem Befehl war Warnung genug. Sie beschwor das Bild einer Fledermaus herauf und spürte sofort, wie die Veränderung in ihrem Körper stattfand. Ihre Knochen verdrehten sich und zogen sich zu einer anderen Form zusammen. Sie huschte durch die schmale Öffnung und riss sich dabei beinahe eine Flügelspitze auf. Aber sie spürte, dass Nicolae dicht hinter ihr war.

Ein Feuerwall türmte sich hinter ihnen auf, langte nach ihnen, war fast genauso schnell wie sie und trieb den schrecklichen gelben Dampf vor den gierigen roten Flammen her. Diese neue Kammer war kleiner, hatte aber einen Kamin. Als Destiny der ersten Fledermaus durch die schmale Öffnung folgte, zuckte ihr Körper unter dem Hitzeschwall zusammen, der sie streifte.

Schneller! Sie flüsterte das Wort im Geist, voller Angst, Nicolae könnte in dem Inferno Zurückbleiben. Sie merkte nicht, dass sie das Wort in sein Bewusstsein geschickt und ihm ihre Sorge um ihn verraten hatte. Ihr entging auch, dass Nicolae hinter ihr lächelte, obwohl er ein Opfer der Flammen zu werden drohte.

Wir schaffen es. Er klang beschwichtigend.

Das ärgerte sie. Sie hörte die leichte, aber sehr irritierende männliche Erheiterung wie ein Echo in ihrem Bewusstsein, als sie durch den Kamin in die nächste Kammer aufstieg. Sie war klein und dunkel, und eine unheimliche Schwere lastete in der Luft. Die Hitze war unerträglich. Nicolae fluchte halblaut, aber sie konnte die Worte hören - und die Warnung, die sie enthielten. Sofort nahm sie wieder ihre ursprüngliche Gestalt an, um die Gesteinsschichten der dicken Wände zu untersuchen, die ineinanderfließenden Muster. Durch diese seltsame kleine Höhle musste einmal ein Lavastrom geflossen sein, doch jetzt war sie eine von einem verschlagenen Monster konstruierte Todesfälle. Der gelbe Dampf kroch in den engen Raum und drang rasch bis in den letzten Winkel.

Nicolae und sein Bruder tasteten ebenfalls die Mauern ab und überprüften so schnell wie möglich mit ihren Handflächen die Temperatur der Oberfläche. »Hier drüben, Vikirnoff!«

Destiny beobachtete, wie Nicolae zurücktrat, damit sein Begleiter mit den Händen über dieselbe Stelle fahren konnte. Neugierig, was die beiden entdeckt hatten, trat sie näher. Nicolae packte sie am Arm und schob sie schützend hinter sich, genau in dem Moment, als Vikirnoff den Felsen mit seiner Handfläche zertrümmerte.

Der Boden erbebte, die Wände schwankten und begannen zu zerfallen. Gewaltige Felsbrocken schlugen krachend auf den Boden. Nicolae drehte sich um, nahm Destiny in seine Arme und beugte sich schützend über sie, während er sie so dicht wie möglich an die Öffnung schob, die sein Bruder in die Felswand geschlagen hatte. Vikirnoff schlug ein zweites Mal mit der Hand an den Felsen, um die Öffnung zu vergrößern. Der gelbe Dampf, der sich wie Zügel um ihre Hälse wand, zog sich straff zusammen. Wiederbelebte der Boden und bäumte sich dann so heftig auf, dass Nicolae und Destiny an das glühend heiße Gestein geschleudert wurden. Mit aller Macht unterdrückte sie einen Angstschrei. Sie wagte nicht, den Mund zu öffnen oder den furchtbaren giftigen Dunst einzuatmen, der sie umschloss.

Vikirnoff sprang durch die zerklüftete Öffnung, als die Erde von einem neuerlichen Beben erschüttert wurde. Nicolae packte Destiny an der Taille und stieß sie hinter seinem Bruder her. Sie landete hart auf der anderen Seite und überprüfte automatisch ihre Umgebung. Hinter ihr brach die Wand in sich zusammen, und Geröllmassen und Staub vermischten sich mit dem gelben Dampf, der in die enge Höhle geströmt war, um sie dort festzuhalten.

Destiny war mit einem Satz bei der Wand. Hektisch schaufelte sie Steine weg und warf sie blindlings zur Seite. »Er sitzt in der Falle!«, schrie sie, während sie mit den Händen die Felsbrocken umklammert hielt. Sie waren heiß und fühlten sich fast klebrig an. Ist alles in Ordnung?, rief sie Nicolae zu. Ihr blieb beinahe das Herz stehen. Er konnte nicht tot sein. Nicht er, ihr Gefährte. Ihr Retter. Sprich mit mir! Sag etwas!

Vikirnoff zog sie von der Felswand weg. »Geh!«, befahl er barsch. »Lass das Gift von diesem gelben Dampf nicht in deinen Körper gelangen. Geh, solange du es noch kannst. Ich hole ihn da raus.«

Destiny zögerte und sah zu, wie Vikirnoff in rasendem Tempo arbeitete. Er arbeitete gegen die Zeit, während die Erde ununterbrochen bebte und wankte.

Geh. Die Stimme war ruhig und stetig wie immer. Ohne jede Besorgnis. Destiny fuhr herum, sprang über einen Spalt, der vor ihr aufbrach, und rannte in die oberen Höhlen hinauf. Mit jedem ihrer Schritte wurde die furchtbare Last, die wie ein Stein auf ihrer Brust lag, schwerer. Sie verstand es nicht und wollte es auch gar nicht verstehen. Sie wusste nur, dass sie kaum Luft bekam, so groß war ihr Verlangen, umzukehren und Nicolae zu helfen.

Während sie vor den letzten gelblichen Schwaden davonrannte, veränderte sie ihre Gestalt und schoss durch Höhlen und Kammern immer weiter nach oben. Sie war ein Kometenschweif aus feinem Nebel, ein gutes Stück vor dem giftigen Dampf, der sie verfolgte. Aber etwas von ihr blieb zurück. Diesmal war es kein Blut, sondern etwas viel Wichtigeres. Es war ihre Seele, die bei Nicolae in der einstürzenden Höhle geblieben zu sein schien.

Sie brach ins Freie hinaus, in die kühle, belebende Luft. Destiny nahm die Gestalt einer Eule an und zog mit weit ausholenden Flügelschlägen über den Himmel. Normalerweise genoss sie es zu fliegen. Die Gestalt eines Vogels annehmen zu können, war einer der wenigen Vorteile des Daseins, das sie führte. Jetzt aber beherrschte sie nur das Verlangen zu wissen, ob Nicolae heil und unversehrt war. Das war alles, woran sie denken konnte, alles, was für sie von Bedeutung war.

Schön zu wissen, dass ich für dich von Bedeutung bin. Wieder diese typisch männliche Erheiterung, die ihr unweigerlich gegen den Strich ging. Aber diesmal empfand sie nur Erleichterung. Wir sind aus der Kammer entkommen und gerade dabei, diesen Dampf abzuschütteln. Bald sind wir bei dir.

Destiny brach die Verbindung abrupt ab. Sie würden nicht bald bei ihr sein! Sie brauchte jetzt die heilende Kraft und den Trost der Erde. Ihre Wunden brannten und pochten und erinnerten sie daran, dass sie ständig Schmerzen empfand, wenn sie sich nicht darauf konzentrierte, sie zu verdrängen. Obwohl sie sehr müde war, achtete sie sorgfältig darauf, ihre Spuren zu verwischen. Sie durfte nicht das Risiko eingehen, gefunden zu werden, und sie wusste, was für ein meisterhafter Jäger Nicolae war. Er hatte ihr Einblick in seine Erinnerungen gewährt, und nach Jahrhunderten des Kämpfern verfügte er über einen reichen Schatz an Erfahrungen. Sie war nicht in der Verfassung, gegen ihn anzutreten, insbesondere, da er einen Reisegefährten bei sich hatte.

Destiny machte absichtlich einige Kehrtwendungen. Sie war entschlossen, Ort und Zeit ihres Kampfes mit Nicolae selbst zu bestimmen und dafür zu sorgen, dass sie im Vorteil war. Sie würde sich nicht noch einmal überrumpeln lassen.

Völlig erschöpft zog sie sich in ein kleines Wäldchen an dem Berghang eines Nationalparks zurück. Der Wind blies kräftig und verstärkte die schneidende Kälte, die ihr bis in die Knochen ging. Fröstelnd traf sie ihre Sicherheitsvorkehrungen, indem sie ein Labyrinth von Fallen anlegte, das Menschen fernhalten und Vampire nicht nur behindern, sondern Destiny auch auf ihre Nähe aufmerksam machen würde.

Als sie den Boden öffnete und spürte, wie die heilende Erde nach ihr rief, dachte sie darüber nach, was Nicolae getan hatte. Er hatte ihr das Leben gerettet, als er sie von der einstürzenden Wand wegstieß. Wieder einmal war er als ihr Retter aufgetreten. Würde sich ein echter Vampir je so verhalten? Alles, was sie über Vampire wusste, widersprach der Vermutung, dass Nicolae einer von ihnen sein könnte. Zugegeben, auch die Stimmen von Vampiren waren klar und betörend, und sie selbst konnten schön und sinnlich erscheinen, aber ihr wahres Wesen konnten sie nicht verbergen; sie waren selbstsüchtig und bösartig und weideten sich an den Schmerzen ihrer Opfer.

Niemals würden sie freiwillig einem anderen helfen oder jemanden retten.

Aber da war noch Pater mit seinem Plan, alle Vampire zu vereinen, um die Weltherrschaft zu übernehmen. Wie weit hergeholt dieser Gedanke auch zu sein schien, erjagte ihr Angst ein. Vampire verfügten über unglaubliche Kräfte und ungeheuren Einfluss auf Menschen, aus denen sie willfährige Marionetten machten, gemeine Handlanger, die ihre Befehle ausführten, auch wenn ihr Herr und Meister unter der Erde ruhte, um sich nicht der Sonne auszusetzen.

Nicolae hatte nichts davon an sich, nicht einmal bei seinen Kämpfen. Wenn er kämpfte, konnte Destiny spüren, wie etwas Wildes in ihm erwachte, ein Dämon, der darauf lauerte zuzuschlagen, aber er war immer gebändigt, immer unter Kontrolle. Destiny seufzte leise. Sie musste viel mehr über ihn erfahren, ehe sie ihn vernichtete, ihren einzigen Gefährten.

Sich selbst konnte sie eingestehen, dass sie es vermissen würde, falls Nicolae nie wieder mit ihr in Verbindung trat. Sie verließ sich auf ihn. Während sie lernte, wie man die Vampire tötete, die sie gequält hatten, hatte sie oft auf seine Erinnerungen zurückgegriffen. Mehr noch aber hatte sie ihn als seelische Stütze gebraucht. In den grauenhaftesten und bedrohlichsten Augenblicken ihres Lebens war Nicolae bei ihr gewesen, um sie zu beschützen und von ihrem Elend abzulenken. Um sie am Leben zu erhalten.

Destiny ließ sich tiefer in die tröstlichen Arme der Erde gleiten. Nicolae hatte ihr oft Legenden über eine bestimmte Gattung erzählt, die Karpatianer. Er hatte gesagt, dass er einer von ihnen sei und Jagd auf diejenigen seiner Art mache, die ihr Volk verraten hatten, indem sie zu dem bösartigsten aller Geschöpfe wurden. Am Anfang hatte sie geglaubt, er erfände diese Geschichten, um sie von den Qualen ihres Daseins abzulenken. Später hatte sie vermutet, er würde versuchen, sie zu sich zu locken und ihr einzureden, dass er etwas anderes als ein Vampir wäre. Seit sie Jagd auf die Untoten machte, waren ihr nie solche Wesen begegnet, wie er sie beschrieben hatte. Als sie die Augen zumachte und die Erde sich über ihr schloss, als der Atem aus ihrem Körper wich und ihr Herz zu schlagen aufhörte, war ihr letzter Gedanke, dass sie mehr über diese Spezies herausfinden müsste. Bitte, lass es sie tatsächlich geben, betete sie.