Kapitel 8
Die Zeit stand still. Die Welt versank, sie war einfach verschwunden. Nicolae schmeckte wild, Destiny exotisch. Die Kombination war eine Form von Vollkommenheit, die süchtig machen konnte. Sein Mund war fest und entschlossen, der ihre war samtweich und bebte vor Unsicherheit. Nicolae raunte ihr zärtliche Worte ins Ohr, als er sie noch enger an sich zog und sie für sich beanspruchte. Und sie schmiegte sich einfach an ihn, als wäre sie für ihn geschaffen.
Ihre Herzen schlugen in einem Rhythmus. Elektrische Funken schienen zwischen ihnen hin und her zu sprühen, Blitze tanzten in ihren Blutbahnen. Destiny nahm vage das stetige Dröhnen wahr, das in ihren Ohren rauschte, als sein Mund ihren in Besitz nah m. Die Behutsamkeit und die liebevolle Art, wie er sie behandelte, waren ihr Untergang. Seine Zärtlichkeit war es, die ihr ermöglichte, vollständig mit ihm zu verschmelzen.
Nicolae ließ sich von seinem Verlangen mitreißen. Wie konnte man überleben, wenn der Körper in Flammen aufging und lichterloh brannte ? Wenn alles in seinem Inneren vor Verlangen schrie und jeder Muskel hart und geschwollen war von einer schier unerträglichen Sehnsucht? Farben tanzten hinter seinen Augen; ein Feuerwerk zerbarst in seinem Inneren und jagte prickelnde Funken durch seine Adern. Er küsste sie noch leidenschaftlicher und schwelgte in ihrem fremdartigen Geschmack. Besitzanspruch und Besessenheit vermischten sich miteinander.
Es war ihr kleiner Wehlaut, der ihn wieder zur Besinnung brachte. Widerstrebend hob er den Kopf. Er brauchte sie und verzehrte sich nach ihr, aber er durfte nicht vergessen, wie schwer verletzt sie war. Sanft lehnte er seine Stirn an ihre, während er sich bemühte, wieder zu Atem zu kommen.
Destinys lange Wimpern flatterten und hoben sich. Sie betrachtete ihn mit einem vagen, träumerischen Ausdruck in den Augen. Ihr Atem ging flach und stoßweise. Nicolae verlangsamte bewusst seine Atmung und brachte sie dazu, dem Tempo seiner Atemzüge zu folgen. Seine weißen Zähne blitzten in einem kurzen Lächeln auf, das einen Anflug von männlicher Arroganz erkennen ließ. Von Genugtuung.
Ihre Hand strich über sein Kinn und legte sich auf seine Wange. »Du hast in all den Jahren, die du dich auf der Erde herumtreibst, das eine oder andere gelernt, was?«
Sein Lächeln vertiefte sich, und seine Augen funkelten vor Erheiterung. »Ich glaube nicht, dass ich etwas Ähnliches wie das hier je erlebt habe. Glaub mir, ich würde mich daran erinnern. Es war eher, als würde man von einer Klippe treten und im freien Fall abstürzen.«
Destiny freute sich insgeheim, war aber zu erschöpft, um ihre Hand oben zu halten. Kraftlos sank sie nach unten. Destiny kuschelte sich an Nicolae, indem sie ihre Hüfte in eine bequemere Lage auf seinem Schoß brachte. Sofort kam sie in Berührung mit seinem erregten Körper. Ihre blaugrünen Augen weiteten sich vor Schreck.
»Keine Panik, meine Kleine«, beruhigte er sie liebevoll. »Ich verlange nichts.« Sein Daumen strich über ihre Unterlippe und zog die perfekten Konturen ihres Mundes nach.
Destinys Blick wanderte über sein Gesicht und verharrte auf den dunklen Tiefen seiner Augen. »Du verlangst nichts und gleichzeitig alles.«
»Wenn du bereit bist, Destiny«, antwortete er sanft. »Irgendwann ist es so weit. Wir haben alle Zeit der Welt.«
Ein schwaches Lächeln verzog ihren Mund. »Ach ja? Das möchtest du mich wohl gern glauben machen, oder? Es ist nicht das erste Mal, dass das Thema des bindenden Rituals unter karpatianischen Gefährten zur Sprache kommt. Weißt du, wenn das, was du sagst, wahr ist, kommt es ohnehin nicht darauf an, ob du die Worte aussprichst oder nicht. Du bist schon festgenagelt.« Ein Anflug von Humor lag in ihrer Stimme.
Seine Augenbrauen schossen in die Höhe, und er ertappte sich bei dem Wunsch, sie noch einmal zu küssen. Er war fasziniert von der Art, wie sich ihr Mund verzog und ihn verzauberte, wenn sie lächelte. »Ich würde nicht sagen >festgenagelt<.«
»Dann klebst du eben an mir wie Leim«, entgegnete sie. Ein leises Lachen entschlüpfte ihr, verstummte aber sofort, als ein Ausdruck von Schmerz über ihre zarten Gesichtszüge huschte. »Los, mach es einfach. Bring’s hinter dich, damit dein idiotischer Bruder mich nicht mehr so finster anstiert.«
»Vikirnoff tut nichts dergleichen.«
»O doch. Er hat immer diesen starren Blick in den Augen, der klar und deutlich sagt: »Kommt endlich zur Sache<. Und das geht mir auf die Nerven.«
»Was mich stört, ist die Tatsache, dass dir Vikirnoffs Augen überhaupt aufgefallen sind. Ich glaube nicht, dass es dafür einen Grund gibt.« Er musterte sie streng.
Sie starrte ihn an. Ein langsames Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Du bist eifersüchtig. O mein Gott, du bist total eifersüchtig, weil mir aufgefallen ist, dass dein Bruder finstere Blicke um sich wirft.«
»Ich bin nicht eifersüchtig. Und es geht nicht um seine finsteren Blicke, sondern um seine Augen, was etwas ganz anderes ist.«
»Du bist eifersüchtig. Das ist wirklich komisch. Als ob ich Interesse an diesem stummen Höhlenmenschen hätte. Schlimm genug, dass ich mich mit dir abfinden muss. Los, sag deinen albernen Spruch auf, damit ich endlich schlafen kann.«
»Destiny.« Nicolae seufzte tief. »Dir ist da etwas entgangen. Es soll romantisch sein. Irgendwie scheint mir der Moment nicht ganz geeignet.«
»Romantisch? Aber das mit uns beiden ist doch keine Romanze!« Sie sah zutiefst erschrocken aus.
Diesmal konnte er nicht widerstehen. Er beugte sich vor und küsste sie zärtlich. Seine Lippen verharrten über ihren und berührten sie einen Moment ganz leicht. Nicht so lange, um ihn in die Klemme zu bringen, aber lange genug, dass ihre Augen wieder diesen träumerischen Ausdruck bekamen. »Was denn sonst?« Er klang leicht amüsiert.
Sie wirkte verwirrt und starrte ihn so beunruhigt an, dass er sie einfach wieder in die Arme nehmen musste. »Sag einfach die blöden Worte auf, Nicolae. Mal sehen, ob es funktioniert.«
»Na schön, wenn du darauf bestehst, bleibt mir wohl nichts anderes übrig.« Er war sehr entgegenkommend. »Aber ein bisschen Romantik muss sein.«
Destinys Augen wurden schmal. »Ich werde nicht ewig hilflos daliegen«, warnte sie ihn.
»Das will ich stark hoffen. Einmal hat vollauf genügt, um mir Herzprobleme zu bescheren.« Seine Hände streichelten ihr Gesicht und liebkosten die Risse an ihrer Kehle. Seine Stimme war so zärtlich, dass flüssige Hitze durch ihren Körper lief und kleine Schmetterlinge in ihrem Bauch flatterten.
Seine Arme zogen sie noch enger an sich. Sie schloss die Augen, als sein Gesicht näher kam und sein Atem ihre kalte Haut wärmte. Destiny spürte die Wärme am ganzen Körper.
Sein warmer Atem fühlte sich wie etwas an, von dem sie geglaubt hatte, sie würde es nie finden, nicht einmal, wenn sie Hunderte von Jahren lebte. Seine samtweichen Lippen glitten an ihrer Wange hinunter bis zu ihrem Mundwinkel. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Er war im Begriff, ihr das Herz zu stehlen, und damit würde er sich nicht begnügen. Ihre Seele war in Gefahr. Nie hätte sie geglaubt, es könnte in ihrem Leben je etwas Schönes und Gutes geben.
Destiny. Ihr Name erklang leise wie ein Windhauch. Die Art, wie er ihn aussprach, war wie Musik. Ständig vermittelte er ihr das Gefühl, innerlich schön zu sein, obwohl sie wusste, dass sie es nicht war. Aber immer, wenn er bei ihr war oder mit ihr sprach, gab er ihr das Gefühl, begehrenswert und kostbar zu sein, Das Gefühl, träumen und hoffen zu können. Zu jemandem zu gehören, der sie als Frau und nicht als Monster sah.
Ihre Hände zitterten, als sie die Innenflächen an seine Brust stemmte, um ihn wegzustoßen. Sie wurde mit dieser Situation nicht fertig. Destiny konnte nicht mit irgendwem zusammen sein, nachdem sie so lange allein gewesen war. Sie konnte es einfach nicht. Aber ihre Hände lagen einfach regungslos da, und ihre Finger klammerten sich an sein seidenes Hemd.
Einen Moment lang stockte ihm der Atem. Sie lieferte sich ihm aus, ohne dabei an sich selbst zu denken. Nicolae fühlte sich beschämt durch ihre Großherzigkeit. »Ich bin nicht irgendwer, meine Kleine. Ich bin Nicolae, und ich gehöre zu dir. Du teilst dein Leben jetzt schon seit vielen Jahren mit mir.« Seine Lippen wanderten zu ihrem Ohr. »Ich beanspruche dich als meine Gefährtin.« Seine Zähne knabberten an ihrem Ohrläppchen, und ein Schauer überlief sie, erhitzte ihr Inneres, raubte ihr den Atem und nahm ihr die Kraft zu widersprechen. »Ich gehöre zu dir.«
Destinys Herz machte einen Satz. Nicolae gehörte wirklich zu ihr, das wusste sie. Er war ihre innere Kraft. Ihre Rettung. Sein Mund glitt sanft zu ihrem Nacken und verharrte auf den hässlichen Wunden an ihrer Kehle. »Ich gebe mein Leben für dich. Ich gebe dir meinen Schutz, meine Treue, mein Herz, meine Seele und meinen Körper. Ich nehme alles, was dein ist, in meine Obhut.«
Sie spürte es, wie sich tief in ihrem Inneren etwas veränderte und etwas, das vor langer Zeit zerbrochen war, wieder vollständigwurde. Obwohl sie Angst bekam, stieß sie Nicolae nicht von sich, sondern klammerte sich an ihn und hielt ihn ganz fest.
»Dein Leben, dein Glück und dein Wohlergehen werden für mich stets an erster Stelle stehen. Du bist die Gefährtin meines Lebens, an mich gebunden für alle Zeiten und für immer unter meinem Schutz.«
Seine Lippen senkten sich auf ihre, nahmen ihr den Atem und gaben ihr Nicolaes Atem. Sie nahmen ihr das Herz und gaben ihr seines. Sein Bewusstsein wurde eins mit ihrem. Seine Zähne zupften so lange an ihrer Unterlippe, bis sie sich ihm öffnete. Seine Zunge glitt in die köstliche Süße ihres Mundes und focht mit ihrer Zunge ein erotisches Duell aus. Er ließ ihr keine Zeit zu spüren, wie die Bindung zwischen ihnen immer enger wurde, bis sie zu einer Seele wurden, zwei Hälften eines Ganzen. Es würde ihr nur Angst machen.
Nicolae küsste sie lange und genießerisch. Sein Körper war hart und angespannt. Der Dämon in ihm schrie nach Befreiung, schrie nach Vollendung des Rituals und danach, Destiny voll und ganz in Besitz zu nehmen und unwiderruflich an sich zu binden. Seine Eckzähne drohten länger zu werden; sie wollten ihr Blut kosten, wollten einen wahren Austausch von Blut, wie es von jeher bestimmt war. Sein Herz und seine Seele jubilierten vor Glück.
Nicolae. Der leichte Schmerz in ihrer Stimme verriet ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Er spürte, dass ihre Kräfte nachließen.
»Du gehörst in die Erde. Noch einmal, Destiny: Nimm mein Blut.« Er murmelte die Worte an ihren Lippen.
Da bist selbst geschwächt. Es war nur noch ein schwacher Protest. Schon löste sich ihr Mund von seinem und wanderte zu seiner Kehle. Sein ganzer Körper versteifte sich, als ihre Zähne die Stelle über seiner Pulsader berührten. Hast du Zeit genug zu jagen, bevor du unter die Erde gehst?
Ich werde Nahrung bekommen. Die innere Anspannung war so groß, dass seine Muskeln sich strafften und deutlich unter seinem dünnen Hemd abzeichneten. Sein Atem stürzte aus seiner Lunge, als sich Destinys Zähne tief in sein Fleisch bohrten, heiß und unbeschreiblich sinnlich. Er schloss die Augen und ließ es geschehen. Feuer jagte durch sein Blut. Die Hitze drohte ihn zu überwältigen. Er erschauerte, so sehr strengte es ihn an, nicht die Beherrschung zu verlieren.
Destiny achtete darauf, nur so viel Blut zu nehmen, wie sie für die Dauer ihrer Genesung brauchen würde. Ihre Zunge strich über die winzigen Bisswunden und verharrte einen Moment dort, bevor sie den Kopf hob. Sie war sich nur allzu bewusst, unter welchem Druck Nicolae stand und welches Verlangen ihn gepackt hatte. Sie gab ihm das Einzige, was sie zu geben hatte. Bring mich in die Erde, und sichere diesen Ort, Nicolae. Ich bin sehr müde.
Nicolae erstarrte. Er hatte damit gerechnet, sie zum Nachgeben zwingen zu müssen, und ihr Einlenken überraschte ihn. Vorsichtshalber ließ er ihr keine Zeit, über ihren Wunsch nachzudenken, sondern versetzte sie sofort in einen tiefen Schlaf.
Nicolae hielt sie noch lange in den Armen und starrte sie an. Sie sah sehr jung und verletzlich aus, wie ein Engel, aber mit Gesichtszügen, die für seinen Seelenfrieden viel zu verführerisch waren. Oder für den Frieden seines Körpers. Destinys Vertrauen machte ihn demütig. Er hätte nie geglaubt, dass sie ihm genug vertrauen würde, um in einer Kammer mit ihm zu schlafen, ganz gleich, wie schwer verletzt sie war. Mit einem leisen Seufzer bettete er sie in das heilende Erdreich. Seine Destiny. Seine Welt. Sie lag ganz still da, ohne zu atmen. Seine Hände verharrten kurz auf ihr, als er noch einmal ihre Wunden untersuchte.
Die Luft in der Kammer schien sich leicht zu verlagern, und Nicolae fuhr blitzschnell herum, ganz das dunkle, gefährliche Raubtier, das reine Bedrohung ausstrahlte. Seine Augen funkelten seinen Bruder zornig an. »Du hast mich nicht vorgewarnt.«
»Tut dir nur gut. Du verbringst so viel Zeit damit, dich in Destiny zu vertiefen, dass ich es für besser halte, dich gelegentlich auf die Probe zu stellen.«
Nicolae entspannte sich leicht. »Sehr witzig. Dein Sinn für Humor ist im Lauf der Jahrhunderte ausgeprägter geworden.«
»Ich wusste gar nicht, dass ich Sinn für Humor habe.« Vikirnoff betrachtete die Sorgenfalten im Gesicht seines Bruders.
»Du bist arrogant, auch wenn es dir nicht bewusst ist. Du versuchst nicht einmal, ihren Ruheplatz vor mir zu verbergen.«
»Ich vertraue dir.«
»Nicht, wenn es um Destinys Leben geht, Nicolae. Ich bin ebenso in deinem Bewusstsein wie du in meinem. Du weißt, wie stark du bist. Du glaubst, ich wäre keine Bedrohung für dich, weil du überzeugt bist, dass du sie beschützen kannst.«
Nicolae fuhr sich mit einer Hand durch sein seidiges schwarzes Haar, sodass es noch zerzauster als sonst aussah. »Ich glaube an dich, Vikirnoff.«
Sein Bruder schüttelte den Kopf. »Du glaubst an dich selbst.
Sie hat keine Ahnung, wie gefährlich und wie stark du bist. Nach deiner ersten Begegnung mit ihr hast du einen Teil ihrer körperlichen Schmerzen auf dich genommen und ihre seelischen Schmerzen gelindert und bist währenddessen von Kontinent zu Kontinent gezogen, um sie aufzuspüren. Du hast die Untoten bekämpft, wo sie zu finden waren, und jeden Kontakt zu unserem Volk vermieden, so wie Vladimir es uns aufgetragen hatte. Du hast sie bei ihrer eigenen Jagd auf Vampire begleitet, ihr dabei geholfen, sie aus großer Entfernung mit deiner Kraft unterstützt und sie noch dazu vor diesem Wissen abgeschirmt. Ich weiß von keinem anderen Karpatianer, der so etwas zustande gebracht hätte. Warum verbirgst du deine Stärke vor ihr? Und warum erlaubst du das?« Er zeigte auf das Lager in der Erde, wo Destinys geschundener Körper ruhte. »Warum verbietest du dieses Verhalten nicht und machst deinen Qualen ein Ende? Du bist Karpatianer. Es ist die Hölle für dich.«
In Vikirnoffs Stimme lag kein Tadel. Er zeigte lediglich mildes Interesse an einer Verhaltensweise, die er nicht verstehen konnte. Vikirnoff war es offenbar unbegreiflich, wie ein Karpatianer seiner Gefährtin erlauben konnte, in ständiger Gefahr zu leben.
Nicolae zuckte mit seinen breiten Schultern. Bei der kurzen Bewegung lief ein Beben durch seine kräftigen Muskeln, eine subtile Warnung an alle, die möglicherweise nur seine elegante Erscheinung wahrnahmen. »Sie ist meine Gefährtin. Ich werde tun, was gut für sie ist, wie hoch der Preis auch sein mag. Destiny braucht die Kontrolle über ihr Leben mehr als meinen Schutz.«
»Das ergibt doch keinen Sinn. Wir haben nur einige wenige Frauen. Sie ist am Leben und in der Lage, ein weibliches Kind zur Welt zu bringen. Wir brauchen sie. Warum lässt du zu, dass sie sich unnötig in Gefahr begibt? Bring sie in unsere Heimat, wo sie hingehört.«
»Ein Vampir hat ihr ihr Leben genommen und sie zur Unterwerfung gezwungen. Soll ich das Gleiche tun?« Nicolae schüttelte den Kopf. »Du weißt, dass sie so etwas nicht ertragen könnte.«
»Du kannst die Kontrolle über sie übernehmen. Wenn sie erst mal geheilt ist...«
»Vikirnoff, sie wird nie vollständig genesen, das weißt du so gut wie ich. Was man ihr angetan hat, wird sie niemals mehr loslassen. Sie muss aus eigenem freien Willen zu mir kommen.«
»Und der Preis, den du dafür zahlst...«
»Ist ohne Bedeutung. Wird immer ohne Bedeutung sein. Die körperliche Gefahr für sie ist nichts im Vergleich zu der Gefahr, sie an ihre eigenen Dämonen zu verlieren. Sie sind realer und tödlicher als jeder Vampir, gegen den sie vielleicht noch kämpfen muss. Mir ist klar, dass du es nicht verstehen kannst, aber du und ich, wir halten schon seit Jahrhunderten zusammen. Du kennst mich. Du kennst meine Stärke. Es besteht keine Gefahr, dass ich Destiny im Stich lasse, indem ich zu einem Vampir werde. Wenn sie sich für eine andere Welt entscheidet, eine andere Zeit und einen anderen Ort, werde ich ihr folgen.«
»Erinnerst du dich noch an damals, vor langer Zeit, als unser Prinz uns kommen ließ? Wir wussten bereits, dass unsere Gefährtinnen nicht bei uns auf der Welt waren. Die meisten von uns hatten schon Kämpfe ausgetragen und erlebt, wie Brüder und Freunde zu kranken, pervertierten Kreaturen wurden. Wir akzeptierten, dass wir keine Gefährtinnen haben würden, dass irgendetwas geschehen war, um ihre Geburt zu verhindern, oder dass sie gestorben waren, bevor sie die Chance hatten, erwachsen zu werden.« Vikirnoff schlitzte nachlässig mit den Zähnen sein Handgelenk auf.
Auch um Nahrung zu suchen, würde Nicolae Destiny nie unbewacht zurücklassen, während sie wehrlos den heilenden Schlaf schlief, in den er sie versetzt hatte. Nicht einmal, wenn Vikirnoff da war, um auf sie aufzupassen.
Nicolae nahm das Angebot ebenso beiläufig an, wie es gemacht wurde, und bedankte sich mit einem kurzen Nicken, bevor er sich über das Handgelenk seines Bruders beugte.
»Ich habe viel über diese Situation nachgedacht«, fuhr Vikirnoff fort. »Wir haben unser Leben als Wächter über die Welt akzeptiert. Wir haben nichts als Gegenleistung verlangt, und wir haben unsere Pflicht getan und die Ehre unseres Volkes hochgehalten.« Vikirnoff warf einen Blick auf die Frau, die so still dalag, auf ihren zerschlagenen Körper, auf die tiefen Wunden an ihrem Hals. »Das ist nicht richtig. Sie hätte niemals so leiden dürfen. Genau um so etwas zu verhindern, waren wir bereit, unser Leben und unsere Hoffnungen aufzugeben. Von allen Leuten hätte es gerade deiner Gefährtin nicht passieren dürfen. Der Untote hätte sie nie in seine Gewalt bekommen dürfen.«
»Und doch ist es passiert«, sagte Nicolae resigniert, bevor er den kleinen Schnitt am Handgelenk seines Bruders verschloss. »Danke für deine Hilfe in dieser schwierigen Situation.«
»Es ist leichter weiterzumachen, wenn ich deine Gefährtin sehe und weiß, dass es noch Hoffnung für unsere Rasse gibt. Dass für meinen Bruder die Hoffnung besteht, weiterzuleben und unsere Linie fortzuführen.«
»Vielleicht wusste Prinz Vladimir, dass einige von uns ihre Gefährtinnen eher in diesem Jahrhundert als in unserem finden würden. Er konnte vieles voraussehen. Wenn Hoffnung für mich besteht, gibt es bestimmt auch für dich einen Grund, dein Dasein fortzusetzen, Vikirnoff.«
»Vielleicht hat er deshalb einige dazu bestimmt zu bleiben, und andere zu gehen. Unser Prinz war ein bedeutender Mann und konnte weit in die Zukunft schauen. Ich hielt es zuerst für falsch, seinem Sohn nichts von unserer Existenz zu erzählen, aber Vladimir hatte recht. Mikhail hat unser Volk zusammengehalten, wie es kaum ein anderer vermocht hätte. Sie waren nur wenige, und sie kämpften hart für die Erhaltung unserer Art.«
Nicolae nickte zustimmend. »Unser Volk wäre gespalten worden, wenn wir nicht im Verborgenen geblieben wären. Prinz Vladimir war sehr vorausschauend, und gerade deshalb ist es so wichtig, dass alle unsere Männer auch weiter durchhalten.«
»Wie kommt es, dass einer, der so stark und so intuitiv ist wie du, ein erfahrener Jäger, nicht wusste, dass das Kind, mit dem er kommunizierte, seine Gefährtin war?« Die Frage wurde beiläufig gestellt, aber Nicolae fixierte seinen Bruder scharf. Diese Frage hatte eine verborgene Bedeutung, doch als Nicolae an den Geist seines Bruders rührte, fand er ihn verschlossen. Er überlegte sorgfältig, was er darauf antworten sollte.
»Ich glaube, ich konnte es nicht wissen«, erwiderte Nicolae einfach. »Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich den Verstand verloren angesichts des Wissens, dass sie gefoltert und vergewaltigt wurde und gezwungen war, die Morde des Untoten mit anzusehen. Ich versuchte ein, zwei Mal, ihre Sehkraft zu benutzen, um den Vampir zu töten, doch da kein Blutsband zwischen uns bestand, war es nicht möglich. Ich war zu weit entfernt, um ihr helfen zu können. Das Wissen, dass ich meine Gefährtin nicht schützen konnte, hätte mich in den Wahnsinn getrieben. Weil ich es nicht mit Sicherheit wusste, war ich in der Lage, zu handeln und sie so gut wie möglich zu beschützen. Mir ist schon der Gedanke gekommen, dass Destiny ab einem gewissen Zeitpunkt etwas ahnte. Oh, nicht so, wie wir es wissen! Aber trotzdem hat sie mich auf die einzige Art geschützt, die ihr möglich war, nämlich durch ihr Schweigen. Vielleicht hätte ich sie früher gefunden, vielleicht auch nicht. Sie war so verängstigt, dass sie ständig auf der Flucht war.«
»Sie ist eine starke Frau und sehr mutig. Doch sie schwebt in ständiger Gefahr, wenn sie weiter gegen Vampire kämpft. Sie schätzt ihr eigenes Leben zu gering.«
»Aber sie schätzt mein Leben. Sie hat es immer getan, und sie weiß, dass unser beider Leben miteinander verbunden sind. Sie wird das ihre nicht freiwillig in einem Kampf opfern, und sie ist nicht leichtsinnig. Ich kann und werde ihr meinen Willen nicht aufzwingen. Sie wird zu mir finden, wenn die Zeit reif ist.«
»Ich bin sehr eng mit dir verbunden, Nicolae. Die einzigen Empfindungen, die ich habe, empfange ich von dir. Der Kampf um sie lastet schwer auf dir. Bring sie in unsere Heimat. Du bist viel stärker als sie, stärker als die meisten von uns. Sie hätte keine andere Wahl, als dir zu gehorchen«, drängte Vikirnoff ihn. »Sie wird vielleicht eine Weile verärgert sein, aber zumindest ist sie dann in Sicherheit.«
Nicolae schüttelte den Kopf. »Nein. Sie würde ein solches Verhalten meinerseits nicht tolerieren. In ihren Augen wäre ich um nichts besser als der Vampir, wenn ich ihr meinen Willen aufzwinge. Was für mich am bequemsten scheint, ist mir nicht wichtig, nur ihr Leben zählt. Ihr Leben und ihre geistige Gesundheit.«
»Du hast sie an dich gebunden. Ihr werdet zusammen leben oder sterben.«
»So war es schon, bevor ich die Worte des Rituals ausgesprochen habe. Sie war mit dem Ritual einverstanden, um mich zu schützen und mir Halt in der Welt des Lichts zu geben.«
Vikirnoff lehnte seine Hüfte an einen Felsen und studierte das Gesicht seines Bruders. »Dann hast du also vor, hier an diesem Ort zu bleiben, der von Vampiren geradezu überlaufen ist?«
»Ich weiß, woran du denkst, auch wenn du es vor mir verbergen willst. Du kannst dich nicht opfern, indem du hier Vampire jagst. Wir wissen beide, dass du zu nahe vor dem Übergang auf die dunkle Seite bist, um weiterhin zu töten. Geh in unser Heimatland zurück. Wir folgen dir so bald wie möglich.«
Vikirnoff zuckte mit den Schultern. Wie bei seinem Bruder war auch bei ihm die Geste eine beiläufige Demonstration von Macht. »Einer von uns muss unsere Linie fortsetzen.«
»Ich bin überzeugt, dass auch du irgendwo eine Gefährtin hast, Vikirnoff. Ich glaube, Vladimir hat uns mit dem Vorwissen in dieses Jahrhundert geschickt, dass wir hier die Chance haben, unsere Gefährtinnen zu finden. Warum es so lange gedauert hat, weiß ich nicht, doch jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, sich für das Ende zu entscheiden. Wir hatten keine Hoffnung, keinen Glauben daran, dass es möglich wäre, aber wir haben trotzdem durchgehalten. Nachdem es jetzt wieder Hoffnung gibt, darfst du nicht aufgeben.«
Vikirnoff sah Nicolae einen langen Augenblick schweigend an. Er schüttelte leicht den Kopf. »Irgendwann findet sie heraus, dass sie nur glaubt zu erkennen, was in deinem Inneren ist. Was dann, Nicolae? Wenn sie für euch beide die Morgendämmerung wählt und ich zu lange gewartet habe, dann habe ich nichts mehr, was mich in der Welt des Lichts hält. Du verurteilst uns beide, wenn sie es nicht schafft, die schrecklichen Wunden in ihrer Seele zu überwinden.«
Nicolae legte seinem Bruder eine Hand auf die Schulter. »Sie wird überleben.«
Vikirnoff schwieg. Von den Wänden der Höhle tropfte unablässig Wasser. Schließlich nickte er und öffnete mit einer Handbewegung die Erde, ein kleines Stück von der Stelle entfernt, wo Destiny im schweren Erdreich ruhte. »Der Untote hat sich unter die Erde zurückgezogen. Ich vermute, dass er aus der Gegend fliehen oder sich zumindest im Hintergrund halten wird, bis er neue Truppen gesammelt hat. Destinys Freunde sind einstweilen nicht in Gefahr.« Er schwebte durch die Kammer, um sich in die Erde zu legen.
Nicolae beobachtete, wie sich der Boden über seinem Bruder schloss und wieder so glatt und ebenmäßig wurde, als wäre er seit Langem unberührt. Dann traf er seine Sicherheitsvorkehrungen an den Eingängen der Höhle und in dem steilen, schmalen Kamin. Solange Destiny in seiner Obhut war, würde er kein Risiko eingehen. Auch über dem Ruheplatz seines Bruders baute er eine komplizierte Sicherung auf, eine, die ihn sofort wecken würde, falls sein Bruder als Erster erwachte.
Nicolae legte sich neben Destiny in die dunkle, schwere Erde. Da er immer noch wegen der Schatten in ihrem Blut beunruhigt war, entschied er, dass eine weitere gründliche Untersuchung erforderlich war. Wieder verließ er seinen Körper, um Licht und Energie zu werden, und begab sich in Destinys Körper, um die Eingriffe zu überprüfen, die er an ihr vorgenommen hatte, und sorgfältig die Zellen zu inspizieren, wo der Vampir sein Gift injiziert hatte. Er untersuchte ihr Blut, weil er sehen wollte, ob sein uraltes Blut allmählich das verschmutzte Blut des Vampirs verdrängte. Destinys Blut war anders. Er spürte es genau, doch so gründlich er auch suchte, es ließ sich keine Spur von vergifteten Bakterien finden. Manchmal hatte er das Gefühl, dass irgendetwas bei ihm war und ihn wahrnahm, aber er fand nichts, was als sicherer Beweis für diese Empfindung hätte dienen können. Zu seiner Genugtuung stellte er fest, dass ihr Blut jetzt viel freier durch ihre Adern floss. Einige der seit Langem bestehenden inneren Schäden waren behoben worden, und das weckte in ihm die Hoffnung, dass es eine Möglichkeit geben könnte, sie vollständig zu heilen. Schließlich zog er sich aus ihr zurück und nahm sie schützend in seine Arme. Seine Lippen streiften ihre Wange, als sich die Erde um sie schloss.
Destiny wachte auf und schlug um sich. Sie wusste, dass sie nicht allein war, und zwar in dem Moment, als sie zu sich kam, immer noch tief der Erde, die sich eben über ihr öffnete. Ihr Herz begann zu schlagen, und ihre Lunge nahm ihre Tätigkeit auf. Sie spürte einen Körper neben sich - hart, männlich, muskulös. Und stark. Zu stark, um ihn zu bekämpfen, aber sie versuchte es trotzdem. Destiny lag auf der Seite, und noch während sie sich umdrehte, hieb ihre Handkante mit der Wucht eines Hammers nach der Kehle, die dicht bei ihrer sein musste. Aber es war nichts mehr da.
Als sie ins Leere schlug, fing Nicolae ihre Hand ein und zog sie sanft an seinen Hals. »Du bist in Sicherheit, Destiny. Bei mir bist du immer in Sicherheit. Von jetzt an bis zum Ende unserer Tage wirst du beim Aufwachen nie mehr allein oder in Gefahr sein. Ich werde bei dir sein.«
Destiny riss sich von ihm los und katapultierte sich aus dem Boden. Ihr Herz hämmerte so laut, dass es in der Enge der Höhle wie ein Trommelwirbel klang. Ein Stück von ihm entfernt landete sie, vollständig bekleidet, das Haar zu einem ordentlichen Zopf geflochten. Ihr Blick wanderte unentwegt hin und her.
»Wo ist Vikirnoff? Ist er schon aufgestanden?«
Nicolae erhob sich langsam und ließ sich beim Anziehen absichtlich Zeit, damit Destiny seinem sehnigen Körper einen ausgiebigen Blick gönnen konnte. Dann strich er sein Haar zurück und band es im Nacken mit einer Lederschnur zusammen. »Bist du nervös, Destiny? Sicher nicht. Du kannst nicht nervös sein, wenn du mit deinem Gefährten zusammen bist.«
Destiny wollte seinen perfekten Körper nicht anstarren, aber sie konnte einfach nicht anders. Er hatte unglaublich breite Schultern, eine schlanke Taille und schmale Hüften, lange Beine und gut definierte Muskeln. Er war körperlich erregt und sich dessen durchaus bewusst, doch es schien ihn nicht weiter zu kümmern.
Sie fing an, mit schnellen, hektischen Schritten hin und her zu laufen, mit Schritten, die von ihrer inneren Zerrissenheit zeugten. »Ich kann nicht ständig mit jemandem zusammen sein. Ich brauche Freiraum!«
»Außerhalb dieser Kammer steht dir die ganze Welt zur Verfügung, Destiny.« Nicolae deutete auf den Eingang. »Die Nacht wartet.«
Ihre Hand fuhr an ihren Hals. Die tiefen Risse waren verheilt. Ihre Haut war ohne jeden Makel. Ihr Herz schlug allmählich langsamer und stimmte sich auf Nicolaes Rhythmus ein. Sie brachte ein kleines Lächeln zustande, ein kurzes Verziehen der Mundwinkel, doch ihre Blicke schossen immer noch unruhig durch den Raum. »Ich glaube, das könnte sich wie mein erster One-Night-Stand anfühlen.«
»One-Night-Stand? Ich bin beleidigt. Du hattest also vor, mich zu benutzen und nach einer einzigen Nacht abzuservieren? Der Typ Mann bin ich nicht, Destiny. Ich bin für langfristige Beziehungen. Für die Ewigkeit. Du hast mit mir geschlafen. Es wäre nicht richtig von dir, mich jetzt hinauszuwerfen.«
Ein zögerndes Lächeln spielte um ihren Mund und schimmerte einen Moment lang in ihren blaugrünen Augen. »Ich habe viele Filme gesehen - ich glaube nicht, dass wir miteinander geschlafen haben.«
Nicolae grinste sie an. Es war ein träges, leicht spöttisches Lächeln, das die tiefen Furchen wegfegte, die sich in seine dunklen, sinnlichen Züge gegraben hatten, und ihm ein jungenhaftes Aussehen gab. »Wir haben eindeutig zusammen geschlafen, Destiny. Und wie du siehst, war es nur schlafen, nichts anderes.« Er fuhr mit seiner Handfläche über die Ausbuchtung in seiner Hose.
Destiny errötete. Sie fühlte, wie ihr die Röte unaufhaltsam ins Gesicht stieg, und sosehr sie sich auch bemühte, es ließ sich nicht unterdrücken. Sie hatte hingeschaut. Abschätzend, vielleicht sogar bewundernd. »Ich war nackt. Du hast neben mir gelegen, und wir waren beide nackt.«
»Das ist durchaus üblich, glaube ich, wenn man sich in die Erde zurückzieht, vor allem, um seine Wunden heilen zu lassen.« Er sah kein bisschen zerknirscht aus.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich von so etwas nichts wissen will.« Sie zeigte mit einem Rucken des Kinns auf seine Erektion.
Er lachte leise in sich hinein. »Ich glaube nicht, dass wir beide die Macht haben, gewisse Teile meiner Anatomie zu manipulieren. Du wirst einfach Verständnis zeigen und es taktvoll übersehen müssen.«
Ihre Augen weiteten sich. »Wie soll ich denn das da übersehen?«
»Na schön.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich schätze, du kannst es zur Kenntnis nehmen, aber anfassen darfst du es nicht.« Seine Stimme senkte sich um eine Oktave. »Geschweige denn streicheln.«
Aus irgendeinem Grund schmerzten ihre Brüste, und in ihrem Körper pulsierte es. Es war seine Stimme. Die Vorstellung, wie seine Hände über ihren Körper glitten und ihre Brüste berührten ... Sie sah vor sich, wie seine Daumen ihre Brustspitzen liebkosten, bis sie zu harten kleinen Knospen wurden; sie konnte es direkt fühlen. Ihr Mund war plötzlich sehr trocken, und ihre Eckzähne drohten länger zu werden. Destiny wich ein paar Schritte zurück. Sie wollte das Gewicht seiner Erektion in ihrer Hand fühlen, diesen greifbaren Beweis seines Verlangens nach ihr. Sie wollte ihn küssen und Begehren in seinen Augen aufblitzen sehen. Sie wollte ihn streicheln.
»Hör auf.« Seine Stimme war rau. »Das meine ich ernst, Destiny. Ich bin dein Gefährte, kein Heiliger. Du kannst nicht erotischen Fantasien nachhängen und von mir erwarten, dass ich nicht darauf reagiere.«
Sie hatte tatsächlich erotische Bilder im Kopf- ihre Hände, die über seinen Körper strichen, ihr Mund, der ihn mit Küssen übersäte. Destiny schloss die Augen, um diese Bilder auszuschließen, aber sie blieben hartnäckig da, und ihr Körper verlangte immer noch schmerzlich nach ihm.
»Was hast du mit mir gemacht, Nicolae?« Sie starrte ihn vorwurfsvoll an.
»Ich habe deine Wunden geheilt. Ich habe die Situation nicht ausgenutzt, das weißt du.«
»So etwas habe ich noch nie im Leben empfunden!«
»Es erleichtert mich, das zu hören. Ich bezweifle, dass es mich glücklich machen würde, wenn du nach vielen Männern Verlangen gehabt hättest, Destiny.« Ein kaum merkliches Lachen schwang in seiner Stimme mit.
»Freut mich, dass du das komisch findest.«
»Komm her!« Er streckte seine Hand nach ihr aus. »Erlaube mir, dir Nahrung zu geben. Du warst zwei Tage unter der Erde und hast nichts zu dir genommen.«
Sie streckte ihr Kinn vor. »Genau wie du, und du hast mir Blut gegeben, bevor wir uns in die Erde zurückgezogen haben. Ich kann selbst auf die Jagd gehen.« Destiny fühlte sich merkwürdig zerrissen. Sie wollte in seiner Nähe sein und gleichzeitig vor ihm davonlaufen. Seine Nähe brachte sie völlig durcheinander und gab ihr das Gefühl, sehr verwundbar zu sein. Und sie hasste es, sich verwundbar zu fühlen.
»Warum ziehst du es vor, dich von Menschen zu nähren, wenn du stattdessen das Blut eines Karpatianers vom alten Stamm haben kannst? Kannst du die Auswirkungen meines Blutes nicht spüren? Du leidest heute beim Aufstehen viel weniger Schmerzen als sonst.«
»Komm mir nicht damit!« Ihre Augen funkelten ihn an und warfen einen roten Lichtschimmer in die Dunkelheit der Höhle. »Mit dieser Art Schmerz komme ich zurecht. Ich weiß, wie ich damit fertigwerde und was ich zu tun habe.«
Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern schoss aus der Höhle; sie floh regelrecht, als würde sie von Dämonen verfolgt. Destiny wusste genau, wohin sie wollte. Zur Kirche, wo sie immer hinging, bevor sie sich auf Nahrungssuche machte. Wo sie so etwas wie den Anschein von Ausgeglichenheit und Frieden fand. Sie hatte die Kirche betreten, und das Gebäude war nicht in sich zusammengestürzt. Sie war nicht vom Blitz getroffen worden. Sie hatte den Priester angefasst. Und sie wollte wieder in einen Spiegel schauen.
Du siehst gut aus. Ich glaube, du musst nicht gleich eitel werden. Du hast schon genug schlechte Gewohnheiten. Nicolae lachte wieder einmal über sie, aber es kümmerte sie nicht. Es gab in ihrem Leben etwas Neues und Unerwartetes. Sie stellte fest, dass sie die Welt mit anderen Augen sah. Die Sterne glitzerten wie Edelsteine am Himmel, und sie konnte nicht anders, als sie anzuschauen und zu bewundern. Der Wind wehte zart wie die Stimme ihres Liebsten über ihren Körper. Er kühlte ihre Haut, zerzauste ihr seidiges Haar und erleichterte ihr Herz.
Zum ersten Mal seit Jahren brannte ihr nicht das Blut in den Eingeweiden. Zum ersten Mal seit Jahren war sie nicht mit dem Gedanken ans Töten aufgewacht. Sie war hellwach und dachte nur an Nicolae. Sosehr sie es auch versuchte, es gelang ihr nicht, den winzigen Hoffnungsstrahl zu ersticken, der sich tief in ihr regte.
Die Kirchentür war unversperrt, und noch bevor Destiny sie öffnete, wusste sie, dass Vater Mulligan drinnen war und gerade die Beichte abnahm. Mit ihrem scharfen Gehör konnte sie leise Worte und das erstickte Schluchzen einer Frau hören, die mit dem Priester sprach. Auf einer Kirchenbank nicht weit vom Beichtstuhl saß John Paul. Sein Kopf war gesenkt, und Destiny konnte sehen, dass seine schweren Schultern bebten. Tränen liefen über sein Gesicht.
Destiny unterdrückte einen leichten Schauer nervöser Unruhe, als sie über die Schwelle trat und in die gedämpft erleuchtete Kirche schlüpfte. Kerzen flackerten in der Seitenkapelle und warfen seltsam verzerrte Schatten auf das Buntglasfenster darüber. Destiny betrachtete das Bildnis der Heiligen Jungfrau mit dem Kind, das liebliche Gesicht, die eine Hand, die liebevoll das Kind hielt, während die andere zu Destiny ausgestreckt war.
John Paul blickte nicht auf. Er schien sie nicht einmal zu bemerken. Destiny trat leise näher. Sie wollte ein Gespür für den Mann bekommen. War er mit einem Vampir in Berührung gekommen? War das die Erklärung für sein völlig untypisches Verhalten Helena gegenüber? Destiny untersuchte seinen Geist und forschte dabei nach den Abweichungen, die auf die Beeinflussung durch einen Untoten hinweisen würden.
John Paul war tief bekümmert und verwirrt. Er hatte Angst, Helena zu verlieren, und glaubte, im Begriff zu sein, den Verstand zu verlieren. Seine Gedanken waren in Aufruhr und enthielten wilde Pläne, seine geliebte Helena zu entführen und an irgendeinen abgelegenen Ort zu bringen, bis er sie davon überzeugen konnte, dass er sie liebte und ihr nie wehtun würde.
Vater Mulligan und Helena kamen aus dem Beichtstuhl. Der Priester hatte einen Arm um die Schultern der Frau gelegt. Selbst im schwachen Licht konnte Destiny Helenas geschwollenes Auge und die aufgeplatzte Lippe erkennen. Die Verletzungen waren frisch. Sie weinte immer noch leise. Der Priester begleitete sie zu einer Kirchenbank und winkte John Paul zu sich. Der große Mann krümmte sich, als wäre er geschlagen worden, stand aber gehorsam wie ein Kind auf. Seine massige Erscheinung ließ den schmächtigen Priester klein, dünn und sehr zerbrechlich aussehen.
Destiny wartete, bis sich die beiden Männer in den Beichtstuhl zurückgezogen hatten, bevor sie lautlos den Mittelgang hinunter zu Helena glitt und dabei das Gedächtnis der Frau erkundete. Helena hatte eindeutig Erinnerungen daran, wie John Paul sie attackiert hatte. Es war ein beängstigendes Bild, dieser ungeheuer starke Mann mit Händen wie Keulen und einem Körper wie eine massive Eiche. Helena glaubte, dass John Paul geistesgestört war. Sie hatte vor, ihn zu verlassen, weil sie um ihr Leben fürchtete, und doch liebte sie ihn leidenschaftlich und hätte ihm gern geholfen.
Destiny, der das alles wirklich zu Herzen ging, legte behutsam eine Hand auf Helenas Schulter. »Velda und Inez haben mich gebeten, Ihnen zu helfen, Helena. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.« Sie wünschte, sie hätte MaryAnns Gabe, das zu sagen, was in so einer Situation richtig war.
Helena schüttelte den Kopf, ohne aufzublicken. »Niemand kann mir helfen. Ich habe John Paul verloren. Ich kann nicht bei einem Mann bleiben, der mir so etwas antut.«
Destiny legte sanft einen Finger unter Helenas Kinn und hob ihr Gesicht, als wollte sie es anschauen. Sie wartete, bis Helena ihren Blick wie gebannt erwiderte. Sie sah die Beziehung der beiden klar und deutlich. Helena und John Paul waren praktisch unzertrennlich. Zwei Menschen, die völlig aufeinander fixiert waren. Ich wusste nicht, dass jemand so stark empfinden kann wie diese beiden füreinander.
Du wolltest es bloß nicht wissen.
Destiny runzelte die Stirn und wünschte, Nicolae würde vor ihr stehen. Sie schickte ihm auf telepathischem Weg einen bösen Blick, nur für den Fall, dass er nicht mitbekam, wie sehr er nervte. Destiny seufzte. Sie konnte nicht zulassen, dass Helena und John Paul etwas so Wertvolles wie ihre Beziehung aufgaben. Indem sie weiter tief in Helenas Augen schaute, gab sie der Frau den geistigen Befehl, John Paul noch eine Chance zu geben. Helena musste MaryAnn erlauben, sie an einem sicheren Ort unterzubringen, bis Destiny herausgefunden hatte, was hier vorging. Destiny würde dafür sorgen, dass John Paul Verständnis bewies und mit ihrem Plan einverstanden war.
Ich kann keine Spur von einem Vampir entdecken, teilte sie Nicolae mit.
Bist du sicher? John Paul ist ein schlichtes Gemüt. Vielleicht ist er so durcheinander, dass du kein zuverlässiges Denkmuster erkennen kannst.
Destiny runzelte die Stirn. Kommt so etwas vor?
Es ist möglich. Wenn der Vampir sehr behutsam und aus gröjierer Entfernung vorgegangen ist, entdeckst du möglicherweise die leeren Stellen nicht, die er hinterlassen hat.
Destiny trommelte mit einem Finger leicht auf die Rückenlehne der Bank. Besteht die Möglichkeit, dass es gar kein Vampir war? Gibt es eine Krankheit, die bewirken könnte, dass John Paul gewalttätig wird? Ich weiß nicht viel über menschliche Krankheiten. Ich war noch ein Kind, als ich umgewandelt wurde, und bin nicht viel mit Menschen zusammen gewesen.
Sie spürte, dass Nicolae gut nachdachte, ehe er antwortete. Kannst du einen Tumor oder eine Gehirnblutung entdecken, irgendeinen organischen Defekt, der sein Verhalten beeinflussen könnte ?
Nein. Seine Gehirnwellen scheinen völlig normal zu sein. Er ist ganz und gar auf Helena fixiert. Ich glaube nicht, dass er in der Lage ist, ihr so etwas anzutun.
Warum nicht?, hakte Nicolae nach. Jeder kann gewalttätig werden.
Destiny ließ sich auf die Kirchenbank sinken. Nicolae hatte recht. John Paul war ein Bär von einem Mann und jederzeit für eine Rauferei zu haben, wenn sich die Gelegenheit bot. Aber nicht bei ihr. Niemals bei Helena. Er liebt sie.
Eine Woge von Wärme ging von Nicolae aus und überflutete ihren Geist und ihr Herz. Ihr ganzes Inneres. Ich verstehe, was er für sie empfindet. Ich glaube dir, Destiny. Wir werden diese Sache aufklären.