20 Nadja
Ernüchterung
Sie erwachte, bedeckt von gelb gewordenen, vertrockneten Blättern. Erschrocken sprang Nadja hoch. Früchtematsch hatte sich unter ihrem nackten Körper gesammelt und sie rot gefärbt.
Wo war sie? Was war geschehen?
Die Erinnerungen kehrten langsam zurück. Sie hatte mit Darby O’Gill Sex gehabt. Außerordentlich guten, wie sie zugeben musste. Anschließend war sie wohl eingeschlafen. Ihre letzte bewusste Erinnerung galt dem riesigen, spitzen Gesicht des irischen Wolfshunds Cara. Er hatte sich vornübergebeugt und sie mit Augen betrachtet, die jene eines Menschen sein konnten. Dann war die Schwärze des Schlafs über sie gekommen, abrupt und elementar.
»Darby?«, rief sie und drehte sich suchend im Kreis. Mehrere Türen, jede in einem anderen Weißton gehalten, führten vom Baumzimmer weg. Hatte sich ihr Begleiter irgendwohin zurückgezogen? Duschte er?
Nadja erhielt keine Antwort. Auch Darbys Hund ließ sich nirgends blicken. Das ungleiche Pärchen hatte sie, aus welchen Gründen auch immer, allein gelassen.
Fluchend zog sie einen Holzspieß aus ihrem Hintern. Unter Verrenkungen begutachtete sie die Narbe. Sie blutete leicht, und ringsum bildete sich ein kreisrunder, violett leuchtender Fleck.
»Mist! Wie bin ich bloß auf die Idee gekommen, mich in Laub und einem Früchtecocktail zu wälzen? Nadja – das war mal wieder eine Meisterleistung von dir!«
Ernüchterung überkam sie. All die romantischen Gefühle, die sie empfunden zu haben meinte, fielen von ihr ab. Darby O’Gill war zweifellos eine interessante Persönlichkeit, die es verstand, einen Menschen zu fesseln. Doch sie hätte es tunlichst vermeiden müssen, nach einem – ohnehin grässlichen – Abendessen gleich mit ihm in die Kiste zu hüpfen.
Nadja sah nach oben. Zwischen den Wipfeln der Eibe blinkten die Sterne. Ein einsamer Feuerwerkskörper entfaltete sich und wurde zu einer rotgrünblauen Melange aus Explosionspünktchen. Wenn sie ihrer Armbanduhr vertrauen konnte, waren drei Stunden vergangen, seitdem sie Darbys Wohnung betreten hatte. Drei Stunden bloß? Nadja meinte, eine Ewigkeit geschlafen zu haben.
Sie fühlte sich schmutzig. Beschmutzt. Es war nicht nur die Mischung aus rotem Fruchtfleisch und trockenen Blättern, die an ihrem Körper klebte, nein! Sie meinte, den Schmutz von ... unreinen Fingern zu fühlen. Dort, wo Darby sie angefasst hatte, hatte ihr Körper Erinnerungen behalten. Abdrücke, die sie anwiderten.
Sie zog ein Kissen vor ihre Scham und die zweite Hand vor die Brüste. Nadja fühlte sich beobachtet.
»Du dumme Pute«, murmelte sie. Es tat ihr gut, in dieser geheimnisvollen Stille die eigene Stimme zu hören. »Kannst du deine Sinne nicht einmal für ein paar Stunden beisammenhalten? Schöne Worte, ein charmantes Auftreten, ein freundliches Grinsen – und schon gibst du dich einem Wildfremden hin.«
Vorsichtig, als müsste sie befürchten, jederzeit von Cara angesprungen und aufgefressen zu werden, öffnete sie die erste der vier Türen. Seltsamer Geruch empfing sie. Das Licht ging an, offenbar durch Bewegungsmelder aktiviert.
Nadja stockte der Atem. Einige wenige Möbel im Louis-Quinze-Stil waren wie Kunstobjekte im Raum verteilt. Auf einem Perserteppich, dessen unglaublich feine Knüpfung den Preis des guten Stücks erahnen ließ, stand ein Biedermeier-Schreibtisch. Seine hoch polierte schwarze Platte war leer bis auf einen Füller, dessen Spitze in einer Vertiefung steckte.
Besonders beeindruckend war jedoch die Wandtäfelung, die fast vollständig aus Mosaiksteinen aus Bernstein bestand! Das spröde Material war in all seinen Farbschattierungen, von hellstem Gelb bis dunklem Ocker, in streng geometrischen Formen sortiert. Einige Spiegelpilaster durchbrachen den starren Formalismus. Wuchtige, mit Gold überzogene Schnitzereien schenkten dem Raum noch mehr ... Wucht. Wertvolle Wandlüster spendeten von oben herab protziges Licht. Einige kleine Ölgemälde waren anschaulicher Bestandteil dieses räumlichen Kunstwerks, das den Arbeitsraum einfasste.
War dies das seit dem Zweiten Weltkrieg verschollene Bernsteinzimmer des Zaren Peter des Großen? Nein, das konnte nicht sein!
Nadja trat zurück und schloss hastig die Tür hinter sich. Angst befiel sie. Angst, etwas gesehen zu haben, was nicht für ihre Augen bestimmt war. Stumm zählte sie bis zehn. Sie wollte weg von hier, so rasch wie möglich. Aber zuvor musste sie sich den Schmutz vom Körper waschen, komme, was wolle. Niemals hätte sie sich in ihrem Zustand zurück auf die Straßen Yorks getraut. Mit all der Fruchtgelatine, die auf ihrem Leib klebte, und diesem Juckreiz, der von Darbys Berührungen zu stammen schien.
Sie tat einen tiefen Atemzug und öffnete die Tür zum nächsten Raum. Hier herrschte nahezu vollständige Finsternis. Lediglich ein paar kleinere Dunkellichter sprangen an. Sie fokussierten auf Gemälde, die lose im Raum verteilt waren.
Stumm blieb Nadja stehen und ließ einwirken, was sie sah. Dann trat sie zurück. Abermals empfand sie diese unbändige Angst, von einer unbestimmten Macht gepackt und tiefer, immer tiefer gesogen zu werden. In den Minuten, die ihre Blicke über die Bilder gewandert waren, hatte sie einen Manet gesehen. Van Gogh war ihr begegnet, ebenso Schiele. Eine Steintafel mit urmenschlichen Bildmotiven wie aus den berühmten Höhlen von Lascaux. Zwei Brueghel-Miniaturen waren zwischen Arbeiten von Rembrandt, Turner, Gauguin und Monet angeordnet. Dazu kam ein gutes Dutzend alter Bilder, deren Meister sie nicht auf Anhieb identifizieren konnte.
Und in einer Ecknische, eigentlich einem Randteil der Gesamtkomposition des Raumes, hing die Mona Lisa.
Ihre Gedanken rasten, verwirrten sich, fanden zu seltsamen, völlig unpassenden Assoziationen. Plötzliche Übelkeit erfasste sie. Sie ließ das Bilderzimmer hinter sich, tastete sich weiter, entlang der Wände des Baumraumes, hin zur nächsten Tür.
Es war das Bad.
Kacheln, von denen jede einzelne handgebrannt war und unter der Glasierung Einschlüsse von Urtieren zeigte, erzeugten auch hier den Eindruck von ... von ...
Nein. Es war nicht der Luxus, der sie erschreckte, und auch nicht die Tatsache, dass es sich – wenn es denn tatsächlich die Originale waren – großteils um Diebesgut handelte, dessen Mysterien der Regenbogenpresse seit Jahrzehnten ausreichend Material lieferten, um die Sommerlöcher bequem zu füllen. Es war die Tatsache, dass diese Ansammlung von Kulturgütern nicht auf einem derart kleinen Raum konzentriert sein durfte. Das Wissen darüber drohte Nadja zu Boden zu drücken. Es war ihr, als befände sie sich im Fokus, im Zentrum eines Geschehens, dessen Ausmaße schlichtweg zu groß waren, um von ihr alleine überblickt werden zu können.
Nadja beugte sich über die Toilette. Sie war aus mehreren Elfenbeinteilen geschnitzt und prächtig verziert. Plötzlich kam es ihr hoch. Sie würgte das wenige heraus, was ihr Magen hergab. Die Anstrengung schmerzte, ließ sie rasch hecheln. Sobald der erste Schmerz nachließ und sie sich wieder aufrichten konnte, zog sie an einer massiven Goldkette und spülte hinab. Dann verkroch sie sich hinter die butzengläserne Wand der Dusche, deren Einzelteile silbergelötet eingefasst waren. Sie öffnete die goldenen Drehräder des Wassers. Aus einem Platinkopf, dem geöffneten Maul eines Löwen, sprudelte Wasser herab. Es war so weich und so ... exotisch, wie sie es niemals zuvor gespürt hatte. Es wusch ihre Haarpracht sauber, ohne dass sie ein Shampoo benutzen musste. Unterschiedlich große Handtücher, in die die Monogramme M. M. und J. D. – Marilyn Monroe und James Dean?, fragte sich ihr überreizter Verstand – gestickt waren, lagen auf einem verwitterten Beistelltisch bereit, in den römische Schriftzeichen geschnitzt worden waren.
Prunk und Protz und geschmacklos zusammengestellte Einzelstücke, wohin sie auch blickte. Darby schien Dinge quer durch alle Menschheitsperioden gesammelt zu haben. Ob Fälschungen oder Originale – die Zusammenstellung schmeckte ihr ganz und gar nicht.
Nadja trocknete sich ab und verließ das nunmehr dampfgefüllte Badezimmer. Die Luft im Raum schmeckte mit einem Mal faulig und abgestanden; als wäre seit Tagen nicht mehr gelüftet worden.
Da waren die beiden bisher ungeöffnet gebliebenen Türen. Ihr journalistischer Spürsinn sagte ihr, dass sie sich eine derartige Chance nicht entgehen lassen durfte. Dass sie unbedingt nachschauen musste, was sich dahinter verbarg. Schriftstücke aus der Bibliothek von Alexandria? Die Bundeslade, die in Stein gemeißelten Zehn Gebote? Die Gebeine Jesu Christi, Stupas mit der Asche Buddhas, Urpergamente des Koran, Götzenstatuen der alten Ägypter, die Weltenformel oder der Stein der Weisen?
Irgendetwas zischte und brodelte im dritten Raum. Blitzendes Licht zuckte bedrohlich unter dem Türspalt hervor.
Nein. Sie konnte und wollte nicht. Sie musste weg von hier, so rasch wie möglich, irgendwo einen Kaffee zur Beruhigung ihrer Nerven trinken, dann Robert anrufen und mit ihm als Verstärkung zurückkehren. Und am besten mit einem Dutzend gut ausgebildeter Scotland-Yard-Mitarbeiter.
Wo war Darby O’Gill abgeblieben? Was hatte er bezweckt, indem er sie hierher mitgenommen und ... mit ihr geschlafen hatte? Diese Inszenierung musste Sinn und Zweck haben. Warum ließ er sie allein? Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Türen zu den anderen Räumlichkeiten zu sichern. Also wollte er, dass sie all die Dinge entdeckte.
Ihr Handy ... Hatte er es ihr gelassen?
Sie stürzte sich auf ihre Handtasche. Mit fahrigen Bewegungen kramte sie umher, warf alles hinaus, was ihr unnütz erschien. Oh Gott, sie hatte nicht einmal auf einem Kondom bestanden!
All ihre Gedanken gerieten in ein heilloses Durcheinander. Irgendetwas in dieser Umgebung verwirrte sie, ließ sie die Dinge verzerrt und in einer falschen Reihenfolge wahrnehmen.
Das Pfefferspray! Eine abgegriffene Dose, deren Aufschrift längst verblasst war. Gekauft anno 1997. Wahrscheinlich nicht mehr einsatzbereit, aber immerhin bot das kühle Metall ein gewisses Gefühl der Sicherheit.
Warum, in aller Welt, hatte sie geduscht? Eitelkeit und Reinlichkeitsbedürfnis konnten warten, bis sie sich in Sicherheit befand. Denn in diesen Räumlichkeiten, so fühlte sie, drohten ihr Gefahren, denen man nicht allein mit schönen Worten und Tapferkeit begegnen konnte. Sie musste schleunigst das Weite suchen. Augenblicklich.
Da war das Handy. Ganz unten in der Kunstkroko-Tasche, wie immer. Hastig wählte sie 999, die britische Emergency Telephone Number.
Kein Klingeln, kein Empfang. Irgendeine Störung überlagerte den Empfangsbereich des Vodafone-Netzes.
Nadja raffte ihre im ganzen Raum verteilte Kleidung zusammen, schlüpfte hinein, verzichtete dabei auf den BH und stopfte ihn kurzerhand in die Handtasche.
Weitere Blätter fielen indes von der Eibe auf sie herab. Sie waren gelb und kraftlos. Die Arillus-Früchte wirkten eingeschrumpelt, wie tot. Es war, als hätte die Seele des Baumes bemerkt, dass draußen der Herbst übers Land hereingebrochen war.
Die Seele des Baumes? Wie kam sie auf einen solchen Gedanken? Trug die toxische Beschaffenheit der Baumfrüchte an ihrer Verwirrung Schuld? Hatte sie irgendetwas Giftiges eingeatmet, oder hatte Darby ihr etwas in den Whisky gemischt?
Egal. Sie musste weg von hier.
Nadja stolperte zum Ausgang, schlüpfte in die Schuhe, rüttelte an der Schnalle. Zu ihrer Erleichterung öffnete sich die Tür geräuschlos nach innen. Die Alarmanlage war noch immer außer Betrieb. Leise trat sie hinaus. Dunkelheit herrschte hier. Nirgendwo war ein Schalter zu entdecken, um die trübfunzelige Beleuchtung zu aktivieren. Vorsichtig tastete sie sich nach unten, hinab in die Schwärze.
Einmal noch drehte sich Nadja um, sah den schmalen Lichtstreifen verschwinden, der aus dem Vorzimmer drang und der sie bis hierher begleitet hatte. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorne. Sie schloss die Augen und bemühte sich, sich die Beschaffenheit des Vorraums in Erinnerung zu rufen, der ein Stückchen weiter unten auf sie wartete. Wo befand sich die äußere Tür? Wie weit war der Weg dorthin? Drei, vier oder mehr Meter?
Es war grässlich! Jeder einzelne gedankliche Schritt kostete ungeheure Mühen. Sie fühlte, wie Panik nach ihr griff und sie zu ersticken drohte.
Das Handy! Das Display würde ausreichend Helligkeit spenden, um ihr näheres Umfeld zu beleuchten. Warum war sie nicht schon früher darauf gekommen? Sie kramte das winzige Gerät hervor, aktivierte es einmal mehr. Es piepste. Mattes Licht erschien, ließ sie vor Erleichterung laut aufseufzen. Lediglich zwei Stufen fehlten noch bis zum Vorraum. Zögernd ging sie hinab, atmete tief durch, tat einen weiten Schritt in den Raum hinein.
Was war das? Ein Geräusch von rechts. Pfeifen. Ein mehrmaliges Auf und Ab in den Tonhöhen. Sie wirbelte um die eigene Achse, hielt das Handy vor sich in die Richtung, aus der sie glaubte, den Ton vernommen zu haben.
Nichts war zu sehen. Lediglich ein paar alte Jutesäcke, übereinandergestapelt und mit unbekanntem Inhalt. Dahinter das Ziegel- und Steinwerk des Treppenaufstiegs.
Sie wich nach hinten weg; dorthin, wo sie die Ausgangstür vermutete. Mit fahrigen Bewegungen ließ sie das Licht des Handys hin und her gleiten, in der anderen Hand hielt sie das Pfefferspray sprühbereit von sich weg.
Nadja stieß mit dem Rücken gegen eine Wand. Sie spürte die Nachgiebigkeit von Holz. Etwas presste sich nahe dem Steißbein in ihr Fleisch. Ein metallenes Etwas. Sie griff danach.
Der Riegel, der ihr den Weg in die Freiheit bringen würde. Sie musste ihn bloß noch beiseiteschieben, die Tür aufreißen und dann laufen, so rasch sie konnte.
Sie zog den Riegel nach links, dann nach rechts. Mit aller Kraft, die ihr zur Verfügung stand. Nichts. Er ließ sich bloß ein paar Millimeter bewegen. Darby, der verdammte Schweinehund, hatte sie eingeschlossen! Wahrscheinlich hockte er hier irgendwo im Dunkeln und lachte über ihre ungelenken Versuche, ihm zu entkommen. Er spielte mit ihr wie die Katze mit der Maus.
Wo bleibt dein Verstand, Mädchen?, sagte sich Nadja. Du wurdest vergiftet und leidest unter den Nachwirkungen. Panikattacken, Desorientierung. Für dies alles gibt es eine vernünftige Erklärung.
Sie zwang sich dazu, ein paar tiefe Atemzüge zu machen und den Körper zu entspannen. Aikido wirkte oftmals Wunder, auch wenn sie nach lediglich ein paar Dutzend Übungsstunden noch nicht besonders firm in der Materie war.
Jetzt nochmals nachdenken: Was konnte sie weiter unternehmen? Wieder nach oben marschieren, nach einem Brecheisen oder etwas Ähnlichem suchen? Aus dem Dachfenster klettern, sich irgendwo ein Messer oder eine andere Waffe besorgen und auf Darbys Rückkehr warten?
Wieder ein Pfeifen. Energischer diesmal. Es klang wie das Stöhnen eines bis aufs Äußerste erregten Mannes.
Sie musste raus hier, so schnell wie möglich! Alle guten Vorsätze gerieten wieder in Vergessenheit. Zumal sie sich einbildete, dass das Licht des Handys allmählich schwächer wurde. Oh nein – sag bloß nicht, dass der Akku leer ist ...
Nadja drehte sich um und rüttelte mit aller Gewalt am Türriegel. Das Pfeifen und Keuchen in ihrem Rücken kam näher, zweifelsohne! Links, rechts bewegte sie das verfluchte Ding, hin und her, immer wieder – dann rauf und runter.
Es handelte sich um einen vertikalen Verriegelungsmechanismus! Er klickte, gab sie frei. Das hölzerne Tor schwang nach außen auf. Nadja fiel nach draußen, verfing sich mit der Hose an einem Nagel. Eine Hand, kalt und zittrig, griff nach ihr, wollte sie am Oberarm festhalten. Sie wand sich mit aller Kraft aus der Gewalt des Unbekannten, ignorierte das Reißen ihrer Hose. Sie lief davon, so schnell es ihre Beine zuließen. Raus aus dem Snickelway, dem Licht der Hauptstraße entgegen. Nur ja nicht umdrehen, dachte sie sich, eilte weiter, holte alles aus ihrem geschwächten Körper heraus.
Menschen! Sie hatten sich am Ende der Straße versammelt, standen im Kreis um eine Laterne und schwiegen. Von ihr abgewandt, starrten sie auf irgendetwas in ihrer Mitte, was sich Nadjas Blicken entzog.
Sie versuchte, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie schrie und gestikulierte wie wild, stieß Männer und Frauen an, wollte ihnen von dem Grauen erzählen, das sich unweit von hier abgespielt hatte.
Niemand achtete auf sie.
Hier geschah etwas, das die Yorker vollends in seinen Bann zog und Nadjas Hilferufe bedeutungslos erschienen ließ. Sie drängelte sich an den gaffenden Menschenmassen vorbei, in deren Mitte.
Eine junge Frau hielt sich an der Laterne fest. Sie torkelte, wand sich in Krämpfen, gab grässliche Geräusche von sich. Aus ihrem Mund drang Blut.
Das Mädchen verdrehte die Augen. Völlig entkräftet fiel es zu Boden und blieb wie tot liegen.