11 Gofannon
Die Mühen der Ebene

Es war kein bewusstes Marschieren. Es war wie ein Dahintreiben in zäher Flüssigkeit, in ewiger Qual, mit dem Wissen im Hintergrund seines Bewusstseins, dass es niemals enden würde. Und dennoch ging er weiter. Um Buße zu tun für einen Fehler, den er nicht begangen hatte. Um Königin Bandorchu zu beweisen, dass er alle Mühsal auf sich zu nehmen bereit war, um ihre Gunst erneut zu erringen.

Weite, glasierte Flächen mit wenigen runden Formen machten irgendwann einem schroffen Gebirge Platz. Es bestand aus tausendfach geschliffenen Facettenblöcken, die übereinandergelegt und -geschmissen schienen. Als hätte ein Riese mit seinen Murmeln gespielt.

Feinster diamantener Sandabrieb wurde vom Wind über das Vorland getragen. Er schmirgelte die Haut ab, verstopfte die Nasenlöcher, sorgte für entzündete Augen. Die einst durch sein Gottsein geschützte Körperlichkeit machte schreckliche Metamorphosen durch. Blutende, eiternde Geschwüre; entzündete, faulende Zähne; nässende Hautflechten; Brechreiz und Schwindel. Dies alles formte ihn, brachte eine neue Dimension des Schmerzbewusstseins mit sich. Die Folter in den Kerkern Fanmórs geriet in Vergessenheit, erschien ihm bloß noch als unbedeutender Traum. Als Spiel, das mit der jetzigen Wirklichkeit nichts zu tun hatte.

Gofannon erreichte das Prismengebirge. Er wusste, dass er es überwinden musste. Dahinter mochten sich weitere Ansiedlungen von Verbannten befinden. Solche, deren Wissen und Geschick die Königin möglicherweise benötigte.

Also begann er zu klettern.

Er wickelte Tücher um seine Finger, um sie vor den scharfen Kanten des Steins zu schützen. Und dennoch färbte sich der Stoff bald rot, während er seinen ausgemergelten Körper über die seltsamen Hindernisse wuchtete.

Immer näher, so meinte er, kam er Sonne und Wolkenbändern. Längst hatte er seine Angst vor dem brennenden Gestirn verloren. Ein Schild aus Gleichgültigkeit umgab ihn. Er wusste nicht, ob er ebenso entseelt wie die Elfen und ihre Königin war; diese Dinge waren vergessen. Übrig geblieben war eine unbestimmte Sehnsucht nach dem Früher. Nach der Heimat, nach dem schroffen Land, in dem er über seine Untertanen geherrscht und es vermittels Edikten in seiner Göttlichkeit regiert hatte.

Er hielt inne und schnappte gierig nach Luft. Immer noch ragten die durcheinandergewirbelten Diamantensteine so hoch, dass er kein Ende des Aufstiegs erkennen konnte. Jeder Schritt musste bewusst gesetzt werden. Überall in den Löchern, Spalten und Schründen lauerte Gefahr. Ein einziger Fehltritt, und er drohte abzustürzen, um irgendwo zu landen, mit zerschmetterten Gliedern. Jahrhunderte würde er dort liegen bleiben und auf den Tod warten.

Oder auf die Versteinerung; so wie der Kau.

Vielleicht bestand das gesamte Gebirge aus den Leibern von Versteinerten? Aus Wesen, die versucht hatten, das Land dahinter zu erkunden, und die gescheitert waren, um in ihrer Verzweiflung zu einem festen, toten Ding zu werden?

Müßige Gedanken, schimpfte er still in sich hinein. Mach gefälligst weiter!

Er leckte klebrige Blutspuren von seinen bandagierten Fingern und suchte nach neuem Halt, der ihn weiter nach oben bringen würde. Hätte er nach seiner Gefangennahme wenigstens seine Sprungkraft behalten, auf die er immer so stolz gewesen war ...

Irgendwann einmal fand der Aufstieg ein überraschendes Ende – und brachte eine neuerliche Enttäuschung mit sich. Eine weitere Hochebene erstreckte sich hier, so weit das Auge reichte. Über die Breite des wie mit einem Lineal gezogenen Horizonts faltete sich die nächste Gebirgsstufe nach oben; eine weitere Hürde, die es offenbar zu überwinden gab. Gofannon schätzte die Entfernung dorthin auf drei oder vier Tagesmärsche. Dazwischen befand sich eine glasierte Wüstenei, kaum unterbrochen von Erhebungen oder Talsenken. Die Monotonie, wie er sie bereits zur Genüge kannte, fand dort ihre Fortsetzung.

Ein einziger Farbklecks erregte seine Aufmerksamkeit. Ein Beet bizarr verformter Blumen und Pflanzen, höchstens hüfthoch, lag rechts von ihm. Also marschierte Gofannon darauf zu. Zu seinen schleppenden Schritten sang er alte Kriegslieder der ihm einstmals untergebenen Zwergvölker.

Seine Wunden bildeten sich allmählich zurück. Hier gab es warmen, heilenden Wind und seltsam feuchte Luft. Immer wieder setzte kurzer Platzregen ein. Er erzeugte ohrenbetäubenden Trommelwirbel und die Sinne verwirrende Lichtreflexionen auf den Spiegelflächen, die dennoch als willkommene Abwechslung in der landschaftlichen Monotonie wirkten. Das Wasser bildete kleine, flache Seen, die rasch in der Sonne verdampften. Ein Teil versickerte zwischen winzigsten Glasrissen, um wahrscheinlich dem Quellfluss im Tal der Königin zugeführt zu werden.

Neugierig schöpfte Gofannon von der klaren Flüssigkeit. Sie trug wenig Geschmack in sich und war kaum nahrhaft. Im Gegenteil: Je mehr er davon zu sich nahm, desto durstiger fühlte er sich. Erschrocken ließ er von dem verfluchten Zeug ab.

Wenn ich davon trinke, verliere ich die erbärmlichen Reste meiner Göttlichkeit!, erkannte er. Ich begebe mich immer weiter hinab auf die Ebene herkömmlichen Lebens. Wenn ich nicht aufpasse, trocknen die letzten Reste meiner Erhabenheit weg – und damit auch Stolz, Erinnerungen sowie jener Wissensschatz, mit dessen Hilfe ich erhoffen kann, irgendwann wieder zu meinem ursprünglichen Ich zurückzufinden.

Was war er denn eigentlich? Fanmór hatte ihm viel genommen und dennoch einiges gelassen. Wollte der Elf, dass er sich sogar der letzten Reste einer Göttlichkeit beraubte, dass er sich selbst demütigte? Zuzutrauen war dies dem Patriarchen.

Gewesen ... Fanmór war tiefste Vergangenheit. Er hingegen musste dafür sorgen, dass die Gegenwart in eine einigermaßen lebenswerte Zukunft führte.

Der versteinerte Blumengarten war erreicht. Krokusköpfe, von Staub und Schlick überzogen, reckten sich der langsam wandernden Sonne entgegen. Dabei stießen sie piepsige Schmerzensschreie aus.

»Hilf uns, hilf uns!«, rief einer der Krokusse. »Befreie uns vom Schmutz, bringe uns das Leben zurück!«

Weitere Blumen fielen in das Klage- und Bittgebet ein. Sie rieben Stängel und Blütenblätter aneinander und erzeugten dadurch Wörter. Kaum verständlich, in der alten Einheitssprache jener Zeit, da Tiere, Pflanzen und höhere Wesen noch zueinander gehört hatten.

»Ihr müsst uralt sein«, sagte Gofannon erstaunt. »Wer hat euch hierher verbannt? Was ist eure Schuld?«

»Das ist längst vergessen, Lebender!«, antwortete der Chor. Die Blumenköpfe wandten sich in schrecklicher Langsamkeit von der Sonne ab und ihm zu. »Wir haben längst bereut, haben bezahlt. Doch niemand findet sich, der uns in die anderen Welten zurückbringt. Oh – wir armen, armen Krokusse ...«

Krokusse. Gofannon kramte in seinen Erinnerungen. In seiner Jugend hatte er von der Verbannung dieser einfältigen Gewächse gehört. Die Einzelheiten waren ihm jedoch abhandengekommen.

»Wir leiden so sehr, wir leiden!« schrien sie in atonalem Kanon. »Gib uns Flüssigkeit, nähre uns, brich den Staub und Steinschmutz von den Blättern!«

Die Blütenblätter der Krokusse fächerten immer weiter auf. Zwischen inneren Schmutzschlieren wurden Reste des ursprünglichen Pflanzenfleisches sichtbar. Rolobasterfarben waren sie, und sie strahlten bedrückende Sehnsucht aus.

Gofannon trat näher, bewegte sich ins Innere des langsam wogenden Pflanzenmeeres hinein. Die Krokusse hatten harte, borstige Wurzelfühler in die glasierte Fläche getrieben. Sie mussten über einen unbändigen Gemeinschaftswillen verfügen, dass sie es geschafft hatten, all die Äonen seit ihrer Verbannung zu überleben.

»Wie wollt ihr mich belohnen, wenn ich euch helfe?«, fragte er. »Keine Tat ist umsonst, wie ihr sicherlich wisst.«

»Oh, du Schändlicher!«, klagte der Chor. »Wir sind arm, wir haben nichts, wir leben am Rande des Verwelkens! Wie kannst du angesichts unserer Qual etwas fordern?«

»Ihr besitzt sicherlich etwas, das ich gebrauchen kann; und sei es auch nur Wissen. Könnt ihr mir etwas über die Ebenen der Schattenwelt erzählen?« Vorsichtig fuhr er mit den Fingern über das Blätterkleid eines der jüngeren Krokusse und rieb den Staub weg. Klirrend brachen Teile der steinernen Patina von der Blütenöffnung und machten einem bunten, sinnlich betörenden Blätterbild Platz.

Das Pflanzenmeer brach in verhaltenen Jubel aus. Eine winzige Pheromonwolke, von Lust und Geilheit übersättigt, stieg hoch.

»Mach weiter, gütiger Herr, und wir erzählen alles, was wir wissen! Oh ja, mach weiter!«

Die Krokusse in seiner unmittelbaren Umgebung reckten ihm ihre Köpfchen entgegen, bis sie ihn berührten. Unverhohlene Gier nach Leben schwang in ihrem Verhalten mit. Lasziv streichelten sie über seinen vernarbten Körper.

»Sagt mir, ob es größere Ansiedlungen in der Schattenwelt gibt. Flecken, an denen altes und neues Leben blühen.«

»Beseitige unsere Qual, und wir antworten, sprechen, helfen.«

»Ihr verkennt eure Situation, Blumenwesen. Gebt mir Informationen, und danach bekommt ihr, was ihr wünscht.« Die frühen Zeiten waren voll von Intrigen, Eifersüchteleien und Betrug gewesen. In einem endlos scheinenden Hin und Her hatten die Alten die Ränkespiele zur Perfektion getrieben. Unter keinen Umständen durfte Gofannon diesen ursprünglichen Geschöpfen den Gefallen tun und ihnen etwas geben, ohne zuvor seine Gegenleistung eingefordert zu haben.

»Schändlich bist du, großer Herr, göttlicher Herr«, klagte der Pflanzenteppich. »Du nützt unsere Schwäche, führst freche Reden und bleibst ohne jegliches Gefühl.«

Ein gutes Dutzend der Pflanzenköpfe hatte sich an seinen Leib gelehnt. Knackend öffneten sich weitere Blütenkelche. Der eine vollends befreite Krokussant wandte sich hingegen von seinen Artgenossen ab. Er sang und jubilierte, genoss das Restlicht der von Wolken verdeckten Sonne auf seiner pflanzlichen Epidermis.

»Ihr langweilt mich«, sagte Gofannon. »Ich habe noch einen weiten Weg vor mir, und ich werde wohl weiterwandern ...«

»Nein!«, stöhnten die Krokusse unisono. »Bleib hier, schöner, guter, prächtiger Herr. Wir erzählen alles, was wir wissen ...«

Und sie sammelten ihre Erinnerungen, fassten sie in für Gofannon verständliche Worte und ließen die Erinnerungen in einem dissonanten Klangteppich über die Ebene schallen.

Da war von den verkarsteten Götterhöhlen im Norden der Schattenwelt die Rede, in denen die ganz Alten ihrem Ende entgegendämmerten. Sie waren vom Geschlecht der Riesen nach äonenlangen Verdrängungskämpfen dorthin vertrieben worden.

Dann gab es ein loses Netz umherwandernder Geschöpfe, von großer Wut erfüllt, die sich selbst als Mitglieder der »Schwesternschaft« titulierten. Sie brandschatzten unter den anderen Bewohnern der Schattenwelt, saugten deren Erfahrungen in sich auf, um selbst ihr armseliges Leben verlängern zu können. Schon sammelten sie sich, sangen die Krokusse, um gemeinsam gegen die Königin Bandorchu und ihre Begleiter anzugehen.

Im Höheren Land, jenseits der Steinmauer am Horizont, gab es die Ruhenden Streitkräfte des Thanmór, eines alten, aus unerfindlichen Gründen hierher verbannten Elfengeschlechts. Thanmór war aus ähnlichen Gründen wie Gwynbaen/Bandorchu in die Schattenwelt verbannt worden. Äonenlang hatte er nach einem Weg zurück gesucht, um schließlich sich und seinen gesamten Hofstaat in eine Ruhestarre zu zwingen ...

»Genug haben wir nun gesagt«, sangen die Krokusse. »Gib uns frei, errette uns!«

Unwillkürlich glitten Gofannons Finger über Stiel und Blätter einer einzelnen Pflanze. Staub klirrte leise zu Boden, der Jubel des befreiten Krokus vermischte sich mit jenem des zuerst befreiten, der der Sonne enthusiastische Gesänge entgegenschleuderte.

Gofannon genoss die Macht, über die er in dieser Situation verfügte. So lange hatte er sie vermisst und war von Fanmórs Schergen gedemütigt worden. Diese wenigen Momente zeigten ihm, wie sein Leben gewesen war – und wie es wieder sein sollte. Er blieb stehen, fühlte die unterwürfigen Streicheleien der Krokusse und hörte sich ihre winselnd vorgetragenen Bitten an.

Sollte er zu seinem Versprechen stehen? Immerhin wusste er nun, wohin er sich wenden würde. Was gingen ihn die Probleme dieser uralten Pflanzlinge an ...

Irgendetwas zog und zerrte an seinem Bein. Sanft und dennoch nachdrücklich. Das frische Knospenblatt eines Krokus, grün und saftig, hatte sich durch die den Stiel umgebende Staubschicht gebohrt. Stachelige Fasern umwickelten Gofannons Knie und labten sich an einer verschorften Wunde am Unterschenkel. Impulse der Gier erreichten ihn. Mit einem Mal fühlte er sich umringt, von diesem wogenden Pflanzenmeer eingekesselt. Die Krokusse zeigten wesentlich mehr Beweglichkeit und Geschick, als er ihnen zugetraut hatte.

Sie hatten ihn reingelegt; Schwäche vorgetäuscht, um ihn in Sicherheit zu wiegen und ihn in ihre Mitte zu bekommen! Dorthin, wo sich der tiefste Punkt ihres Lebensbeetes befand. Wütend zog der ehemalige Gott den faserigen Pflanzenarm von seiner Wunde und riss den Trieb raus. Stacheln blieben in seinem Fleisch stecken, Blut tropfte schwer zu Boden. Ein roter Rand rings ums Knie wies auf Verätzungen hin, die dieser kleine, gemeine Bursche angerichtet hatte. Zwanzig und mehr Krokusse tasteten nun seinen Körper ab. Sie klebten an Hüften, Oberschenkeln, Armen und sonderten dabei ein gelbes Sekret ab, das sich zäh über sein Fleisch legte.

»Ihr kleinen Mistkerle!«, schrie Gofannon. Er wollte die Pflanzlinge zertreten – und blieb in einem Sudteich stecken, der sich zu seinen Füßen gebildet hatte. Von allen Seiten strömten winzige Bäche der klebrigen Flüssigkeit; sie sickerten an den Stängeln der Krokusse bodenwärts, von einem Wurzelwerk ausgepumpt, das stark genug war, selbst die gläserne Oberfläche durchbohren zu können.

»Bist nicht schlau, bist dumm und erinnerungslos, alter Gott!«, sangen die Blumen im Chor. »Hättest wissen sollen, dass wir Fleisch bevorzugen, dass wir den Lebenssaft von euch Beweglichen lieben. Wirst uns nun nähren, uns viele fette Jahre geben, bis sich der nächste Dumme von unseren Gesängen verwirren lässt ...«

Gofannon schrie vor Schmerz auf. Ein rasch wachsender Trieb peitschte über seinen Oberarm hinweg. Wollte sich um ihn wickeln, sein Gleichgewicht stören und ihn zu Fall bringen. Lag er erst einmal am Boden, so wusste er, würde er niemals wieder hochkommen. Mühselig erwehrte er sich der Angriffe des Triebs, zog im richtigen Augenblick mit aller Macht an dessen glitschiger Spitze – und riss ihn aus seiner Mutterpflanze.

Wutgeheul brandete auf. Wie ein einziges Lebewesen reagierten die Krokusse und verstärkten ihre Bemühungen. Drei, dann vier weitere Lianen glitten über Gofannon. Packten ihn am Hals, um die Hüfte, um die Arme. Das Blut, das mittlerweile aus vielen kleinen Wunden an Unter- und Oberschenkel zu Boden tropfte, heizte die Gier des Pflanzenteppichs noch mehr an.

Gofannons Kräfte waren die eines Gottes gewesen, und auch in seinem nunmehrigen Dasein konnte er Dinge vollbringen, die andere Lebewesen niemals zustande brachten. Umso mehr, als in ihm die alte, urtümliche Wut erwachte. Durch keinerlei Bedenken, Ängste und Zweifel verwässert, bahnte sich sein Berserkertum einen Weg. Es erfüllte Gofannon und ließ ihn zu einem winzigen Quäntchen jenes göttlichen Lichts zurückfinden, das ihn einstmals ausgezeichnet hatte. Mit angespannten Oberarmmuskeln riss und zerrte er dieses hinterhältige Unkrautleben aus dem Erdboden. Er schaltete jegliches Schmerzempfinden aus, als er die blutsaugenden Krokusköpfe von seinen Beinen löste. Die Schlinge um seinen Hals biss er durch und spuckte das pulsierende Etwas, so weit es ging, von sich. Sein Kampfschrei hallte laut über die Ebene. Überall sollte man hören, dass Gofannon nicht bereit war, sich den Pflanzenwesen hinzugeben, die geglaubt hatten, ihn mit List und Tücke zu besiegen.

Endlich bekam er die Füße frei. Tunlichst vermied er es, zurück in den Bodensud zu treten. Dutzende ausgerissene Krokusse bildeten einen Matsch, der ihm weitaus ungefährlicher erschien und auf dem er sich einen Weg durch das Pflanzenmeer bahnte. Er trampelte über die Sterbenden hinweg und ignorierte ihr Wehklagen, das mit dem Ende ihrer Existenz leise verwehte.

Der beißende Gestank der Verwesung breitete sich aus, überlagert vom Geruch der Pollen, die die Krokusse in Todesangst millionenfach ausstießen. Sie fühlten das Ende ihrer Art nahen und unternahmen instinktiv einen verzweifelten Versuch, zu retten, was zu retten war.

Gofannon ließ sich durch nichts mehr bremsen. Seine Arme, mittlerweile blutüberströmt, fuhren immer wieder hinab in das Pflanzenwerk. Es war eine schreckliche Ernte, die er hielt. In seiner früheren Heimat hätten die Skalden ein Heldenlied geschrieben und die alten Weiber einen Teppich aus Haaren gewoben, um seine Taten in Bildern festzuhalten. Doch hier und jetzt musste er ohne Publikum kämpfen und ohne ihn umschallende Lobpreisungen.

Lange zog, zerrte, rupfte und riss er an seinen Gegnern. So lange, bis auch das letzte Scharren und das letzte Knarzen aneinander reibender Sprachblätter endeten. Dann lief er davon, von plötzlichem Grauen gepackt, und blickte sich erst um, als er eine kleine Anhöhe in diesem Einerlei der Spiegelfläche erreicht hatte.

Nichts war von den Krokussen übrig geblieben. Kein Halm, kein Trieb reckte sich mehr in die Höhe. Auch die letzte der fahlen Wurzeln hatte Gofannon ausgerissen und in den Breiozean der Sterbenden geworfen. Zum felsigen Abbruch hin, den er sich hinaufgequält hatte, wehte der Pollenteppich und erzeugte Myriaden von seltsam anmutenden Reflexen. Einige wenige ungeborene Kinder der Krokusse würden möglicherweise irgendwo Fuß fassen und ihre schwachen Wurzelbeine durchs Gestein treiben. Doch sie würden erinnerungslos und dumm bleiben. Das Wissen ihrer Pflanzeneltern war mit Gofannons Kraftakt unwiederbringlich verloren gegangen. All ihre Heimtücke, all ihre Geschichte war dahin. Wahrscheinlich würde sich selbst ihre Form ändern. Törichte, geistlose Geschöpfe würden sie dann sein, eitel und stolz, die ihren Wert in der Schönheit suchten – und vergessen hatten, wie mächtig sie einmal gewesen waren.

Mit einem Mal überkam Gofannon der Schmerz aus vielen Wunden. Ohne Rücksicht hatte er gekämpft und die Gedanken an seine Verletzlichkeit zurückgehalten. Nun traf es ihn mit voller Wucht. Er ließ sich nach hinten sinken, rollte zur Seite und schützte den Kopf vor den Blendungen und den Schatten der erbarmungslosen Sonne. Er musste ruhen, wahrscheinlich viele Jahre lang. Dann würde er sich wieder auf den Weg machen, um die Ruhenden Streitkräfte des Thanmór zu suchen. Wenn er Unterstützung für Königin Bandorchu finden wollte, dann wohl bei diesem anderen Elfenstamm.

Gofannon schlief ein ...