22.
»FRANCO« AUS SAN MARINO, ODER DER BOSS, DER SAN MARINO BEWUNDERT
»Gerade heute morgen habe ich über diesen Landstrich gesprochen, den ich sehr schätze.« Mit diesen Worten pries der Pate Raffaele Stolder San Marino an, das kleine Paradies für die Millionen der Clans. Diese Bewunderung teilte der Chef des gleichnamigen Camorra-Clans mit einer Führungsfigur der sizilianischen Mafia, mit der er ein wichtiges Geschäft vorbereitete: Francesco »Franco« Vallefuoco. Der Mafia-Finanzfachmann sollte die Millionengewinne des Clans per Geldwäsche in die legale Wirtschaft einschleusen. »Franco« ist ein Freund, und außerdem lebt er auch selbst in San Marino. Wie Stolder denken auch weitere sizilianische Mafiosi. »Franco« ist der richtige Ansprechpartner, wenn es um Geldwäsche geht.
Vor Februar 2011 wusste man über Vallefuoco nur wenig. Es bedurfte der Operation »Vulcano«, koordiniert von der Anti-Mafia-Behörde von Bologna, um seinen Namen in die Schlagzeilen der Lokalzeitungen zu bringen. Zu den zehn Verhafteten, von denen die meisten den Clans der Casalesis, Mariniellos aus Acerra und Vallefuocos angehörten, zählte auch »Franco« Vallefuoco selbst. Alles in allem wurden gegen 26 Personen Ermittlungen eingeleitet. Darunter auch unverdächtige Notabeln aus San Marino, die sich dadurch schuldig gemacht hatten, dass sie für »Franco« Finanzgesellschaften führten.
Der Vallefuoco-Clan ist kein klassischer Camorra-Clan. Bei den Urteilen gegen seine Angehörigen gab es bislang keine verschärften Verurteilungen wegen mafiösen Zusammenschlusses nach Paragraph 416 b des italienischen Strafrechts. Nicht einmal in der im September 2010 von der Anti-Mafia-Direktion Neapel durchgeführten Operation »Staffa« wurde Vallefuoco vorgeworfen, mafiöse Vereinigungen gegründet zu haben. Alles, was man ihm vorwerfen konnte, war einfache Verschwörung. Diese wurde allerdings dadurch verschärft, dass man ihn beschuldigte, mafiöse Methoden angewendet zu haben, um dem Clan Vorteile zu verschaffen.
Vallefuoco soll einen veritablen Pakt mit dem Stolder- und dem Casalesi-Clan sowie sizilianischen Mafia-Zellen geschlossen haben, mit dem Ziel, gemeinsam große Summen der Geldwäsche zu unterziehen. Und zwar in San Marino. Die Aktivitäten, die Vallefuoco entfaltet hatte, sind zahlreich. Sie reichen vom Immobiliensektor über den Handels- bis hin zum Finanzsektor. Hinter diesen legalen Aktivitäten sollen aber – den Ermittlern aus Bologna und Neapel zufolge – Geldwäsche, Wucher und Erpressung praktiziert worden sein.
Dennoch ist der Vallefuoco-Clan atypisch für die ’Ndrangheta. Auf der einen Seite verfügt er über enge Verbindungen zu Camorra- und Casalesi-Clans. Er nutzt klassische Mafia-Methoden, falls er anders nicht zum Ziel kommt. Auf der anderen Seite steht seine Ferne zum traditionellen Clan-System. All das macht ihn in den Augen der Staatsanwälte von Neapel eher zu einer Art Mitläuferfamilie. Mit der Aufgabe der organisierten Geschäftemacherei und der Vermittlung zwischen den gewalttätigen Clans. Von Neapel über Casal di Principe, Palermo, Rimini und Modena sowie Florenz strömten die Gelder der Clans nach San Marino. Das gehört zu den Erkenntnissen aus der Operation »Staffa«, die zur Verhaftung Vallefuocos und 28 weiterer Personen führte und die es ermöglichte, die Verbindungen zwischen den Clans und der Emilia-Romagna genauer zu beleuchten.
Im Zentrum der Geldwäscheaktivitäten stand eine Finanzgesellschaft aus San Marino, die Fincapital. Als Eigentümer war Livio Bacciochi eingetragen, ein alteingesessener Einwohner San Marinos. Als Anwalt und geschätzter Selbständiger wurde er von den Anti-Mafia-Behörden aus Neapel und Bologna beschuldigt, sich an Geldwäsche und illegalen Absprachen mit der Camorra beteiligt zu haben. »Aus zahllosen abgehörten Unterhaltungen geht hervor«, schreiben die Ermittlungsbeamten aus Neapel, »dass gerade durch Bacchiochis Finanzgesellschaft Geldwäscheaktivitäten mit enormen Summen durchgeführt wurden, die aus Betrügereien oder von Camorra-Clans stammten.«
Die Geldwäsche lief dabei nach einfachen Mechanismen ab. Man eröffnete Girokonten auf den Namen von Gesellschaften oder Vertrauenspersonen, und über den Umweg anderer Finanzgesellschaften wurden die Gelder auf diese überwiesen. Dabei wurden falsche Rechnungen ausgestellt. Die Fincapital erhielt Schecks ohne Namen und Datum, die dann die Strohmänner im geeigneten Moment gegen Barschecks oder Banknoten eintauschten, um diese wieder zu reinvestieren. Dazu gab es auch noch Finanzierungsanfragen für fiktive Handelstransaktionen (Kauf oder wiederholter Verkauf von Immobilien).
Ein gut geölter Mechanismus für die Gelder der Camorra, der jedoch zum Untergang der Fincapital führte. Aus einer blühenden und gesunden Finanzgesellschaft war binnen kurzer Zeit, dem Urteil von Vallefuoco zufolge, »eine Scheiße« geworden. Mit der Fincapital beschäftigen sich mittlerweile Staatsanwälte in Bologna und Neapel. Sie haben die enge Beziehung zum gegenseitigen Nutzen zwischen den Clans und den Fachleuten aus der Finanzbranche publik gemacht. Solche Beziehungen brauchen die ’Ndrangheta-Clans der Emilia-Romagna, die Vallefuoco vor Einmischungen anderer Clans bewahren wollte. »Du weißt doch genau, mit wem ich hier oben zusammenarbeite, und du weißt auch genau, dass ich keine Spielfigur auf einem Schachbrett bin«, teilt der Boss einem Gefolgsmann mit und fügt schließlich hinzu: »Haltet auf alle Fälle Livio Bacciocchi außen vor, bei all der Scheiße, die ihr anrichtet. Wenn er eingebuchtet wird, hat er immer noch zu essen. Aber alle anderen werden nichts mehr zu fressen haben.«
Wenn der Mechanismus blockiert, unterstreicht Vallefuoco, werden sich die anderen Clans umgehend rächen. »Wenn das Ding aus meiner Schuld abschmiert, werden sie herkommen und mir eine Kugel in den Kopf ballern. Wenn du es verkackst, werden sie dir eine Kugel durchs Hirn jagen. Ihr seid doch nur 30 000 Einwohner. Neapel allein hat zwei Millionen, und von denen sind 500 000 Verbrecher, die sie zu uns geschickt haben. Du weißt doch genau, dass die in Neapel die Regierung herausfordern, oder etwa nicht? Stell dir vor, wenn sie vier Carabinieri Angst einjagen … Na eben, ihr seid dabei, einen Mechanismus aufzusetzen, der nicht funktionieren wird. Das ist Politik. Macht doch den Scheiß, den ihr machen wollt. Wollt ihr euch gegenseitig auf den Sack gehen? Macht, was ihr wollt, aber haltet Livio Bacciocchi aus der Sache raus.«
Hinter Bacciocchi standen – neben Vallefuoco – noch andere Personen von der Führungsebene der Camorra Neapels. Zum Beispiel Raffaele Stolder. Ein Boss, der geschäftliche Aktivitäten auf vielen Feldern verfolgt. Seine Tochter wurde auf der Liste der PdL zur Gemeinderätin des Stadtviertels San Lorenzo Vicaria gewählt. In einem abgehörten Gespräch, das in den Akten der Operation »Staffa« enthalten war, spricht Stolder mit seiner Frau über die Möglichkeit, den Kontakt zu einem Politiker über den Ehemann seiner Tochter herzustellen, gegen den in derselben Untersuchung ermittelt worden war. Er unterstreicht dabei, dass »jetzt eine Zeit ist, in der man mit allen Parteien sprechen muss«.
Die Tochter von Stolder wird während der Untersuchung nicht angeklagt und wiederholt vor der Presse, dass sie Anweisungen des Vaters keineswegs Folge geleistet hat und dass sie nicht »Lady Camorra« ist, wie die Zeitungen behaupteten. Dennoch dreht der Clan ihres Vaters ziemlich große Räder. Der Anti-Mafia-Behörde von Neapel zufolge hat die Gruppe Vallefuoco über die Finanzgesellschaften San Marinos und Umgebung fünf Millionen Euro des Stolder-Clans, von Casalesi-Clans und einigen Vertretern der Mafia aus Palermo reinvestiert.
Romagna und San Marino sind die Territorien, die sich der Vallefuoco-Clan mit dem Casalesi-Clan teilt. Aber das reicht »Franco« nicht. Er möchte expandieren, die eigenen Geschäfte ausweiten. Den Boss interessieren Modena und Reggio Emilia. Zu diesem Zweck, gesteht er Lucia Esposito, die ihm sehr nahesteht, hat er die Absicht, verschiedene Girokonten in Kreditinstituten im Raum Modena und Reggio Emilia zu eröffnen. Vallefuoco spricht in diesem Zusammenhang von einer Gesellschaft, der Elleesse, mit unbekanntem Sitz, und von einigen Ordnern und Bilanzen, die er nach Modena bringen wolle.
Aber die Bezüge auf Modena enden hier noch nicht. Derselben Lucia vertraut er an, dass »sie« ihm vertrauen und ihm freie Hand gegeben hätten, die 130.000 Euro bei dem Bankdirektor per Kredit abzusichern. Um welchen Bankdirektor es sich handelt, wurde nicht übermittelt. Ein bei der Durchsuchung von Vallefuocos Auto gefundenes Dokument könnte einiges erklären. Es ist ein handschriftlicher Zettel, der aus dem Jahr 2009 stammt. Auf ihm steht zu lesen: »Gesellschaft Opere Edil Pls, Liste der wichtigsten Kunden (fertig), unterstützende Banken RE, sie arbeiten dran.« An den Zettel geheftet war die Visitenkarte eines bekannten Kreditinstituts mit Sitz in Castelfranco Emilia. Kontakte, die Vallefuoco vertiefen wollte.
Um das zu machen, entschließt er sich, eine Wohnung in Castelfranco anzumieten und einen weiteren Ableger der Finanzgesellschaft zur Einholung von Krediten zu gründen. Dependancen existieren bereits in San Marino, Rimini und Brusciano di Napoli. »Franco« Vallefuoco bewegt sich wie ein Geschäftsmann. Einem Freund sagt er, dass er montags und dienstags in Castelfranco sein wird, den Mittwoch in Rimini und den Donnerstag in San Marino verbringen wird. Freitags muss er dann nach Palermo, wo es ein inoffizielles Büro der Gesellschaft gibt, wie die Ermittler herausfanden. Das Wochenende plante er in Neapel zu verbringen. »Franco«, der Geschäftsmann, der das Land der Länge und der Breite nach bereist, erzählt auch, dass er ein Café-Restaurant besitzt, für das er 400.000 Euro bezahlt hat und das sich in San Marino befindet. Und zwar gleich bei der Bäckerei seiner Geschwister. Francesco Vallefuoco zählt einem Gefolgsmann stolz seine Geschäfte auf, seinen Besitz, seine künftigen Pläne, und führt alle anderen Sachen auf, in die er investiert hat: eine Firma, mit der er einen Sanitärgroßhandel aufziehen will, zwei Baufirmen, über die er Grundstücke kauft, Gebäude errichtet und verkauft.
»Franco« spricht viel, und die Ermittler hören zu, machen sich Notizen. Sie hören, wie er eines Morgens sagt, dass er einige E-Mails an Immobilienhändler verschickt habe, um zwölf Reihenhäuser zu verkaufen, jedes zu 180 Quadratmeter Wohnfläche. Zwei wolle er für sich behalten, eines seinem Bruder, Gigino, und ein weiteres seiner Ehefrau, Giustina Panico, überschreiben. Auch in Rimini möchte Vallefuoco Gebäude hochziehen. Er plant ein Spitzengeschäft. Er spricht von Investitionen in Höhe von vier Millionen Euro, von Baugenehmigungen. Der Gefolgsmann fragt: »Musst du das getarnt machen, weil sie dich sonst in den Knast schmeißen, die Arschlöcher?« Vallefuoco antwortet: »Nein, aber weißt du, mit wem ich gerade arbeite? Ich mach da eine Sache mit den Casalesis.«
Aus einem anschließend abgehörten Gespräch gingen beunruhigende Szenarien ordinärer Gewalt hervor. Vallefuoco erzählte Lucia Esposito, die mit ihm im Auto saß, von einem Verhör nach Mafia-Art. »Hör zu, wir haben nichts gegen dich, aber komm nicht mehr nach Novellara, um hier rumzuprotzen. Warum? Wenn ich dich noch mal in Novellara sehe, knall ich dich ab wie einen räudigen Hund.« Dabei ging es um Fragen der Ehre und der Territorien, die mit der Demütigung des Opfers enden, wie Gennaro D’Amore seinem Schwiegersohn »Franco« erzählte. Als man dem Opfer ein bisschen gedroht habe, sei der Mann gleich im Kreis herumgesprungen und in Tränen ausgebrochen. Nicht zufrieden mit dem Resultat, insistiert Gennaro gegenüber dem Unglücklichen. »Weißt du, in Novellara gibt es einen Typen, Franco, der dir im Zweifelsfall den Kopf abschneidet.« Und Vallefuoco setzt die Erzählung fort: »Gigino positionierte sich in der Nähe der Tür und beobachtete alles. Als der Glatzkopf rauskam, hat Gigino ihn gepackt und ihm die Pistole in den Mund geschoben. Gennaro kam dazu und hat ihn verprügelt.«
Das System Vallefuoco schließt Selbständige und Mafiosi mit ein. Die einen zum Vorteil der anderen. Zusammen agieren sie in der legalen Wirtschaft, im hellen Tageslicht, und stellen als wirtschaftliche, kreditwürdige Einheiten ihre Dienstleistungen und Handelsgüter her. Francesco Vallefuoco investierte nicht nur in die Fincapital des Anwalts Livio Bacciocchi. Zwei Anti-Mafia-Staatsanwaltschaften beschäftigen sich mit ihm wegen Geldwäsche und illegaler Absprachen mit der ’Ndrangheta. Den Ermittlern zufolge führte er auch zahlreiche Tochterfirmen der ISES, einer Agentur zur Rückgewinnung von Krediten, die als Kanäle für Geldwäsche und Zinswucher benutzt wurden.
Die ISES an sich wird von Gennaro D’Amore, der größte Anteil der Gesellschafteranteile von Giustina Panicò verwaltet. Beide zählten während der Operation »Staffa« zu den Beschuldigten. Giustina Panico ist die Ehefrau von Francesco Vallefuoco, D’Amore wiederum ist der Schwager des Bosses, der mit der Schwester von Giustina verheiratet ist. Die ISES ist also eine Familienfirma. Autorisiert vom Polizeipräsidenten als »Agentur für verschiedene Zwecke gemäß Nr. 13 B/09 vom 19. Februar 2009«. So hat es der Vallefuoco-Clan – wie die Untersuchungsakten belegen – verstanden, Kredite zurückzuholen, und das, ohne Verdacht zu erregen, jedenfalls in der Emilia.
Wie aus den abgehörten Gesprächen des Bosses hervorgeht, bestand ein eindeutiger Geschäftszweck: »Es ist offenkundig, dass die Aktivitäten so strukturiert wurden, um Betrügereien zu organisieren, auch mit falschen Rechnungen, um Geld zu waschen, das von den anderen im Mittelmeerraum beheimateten Mafien stammte, die im Norden arbeiten, und um Kredite mit gewaltsamen Mitteln wieder einzutreiben.« Die Aktivitäten hatten also eine legale Fassade, und die von ihr verpflichteten Fachleute, die den Ermittlern zufolge von Vallefuoco benutzt worden waren, um Kreditwucher zu betreiben, profitierten davon. War erst einmal der einzutreibende Kredit erworben, »so wurden die Konditionen neu ausgehandelt, mit einer festen Zahl: Zwanzig Prozent Zinsen pro Monat«.
Fincapital und ISES Italia haben harmonisch zusammengearbeitet und erzeugten einen beeindruckenden Strom von Finanzoperationen, der nur noch schwer aufzudröseln war. Die Clans im Süden und im Norden Italiens trugen dazu mit ihren Profiten nach Kräften bei. Das Geld landete an zwei Stellen: in der Emilia-Romagna und in San Marino.
Die Provinz Modena war von den Verhaftungen im Zuge der Operation »Staffa« nicht betroffen. Aber in den Akten liest man von einigen Betrügereien, die sich rings um Modena abgespielt haben. Francesco Vallefuoco erzählte selbst davon und lobte dabei seine eigenen Fähigkeiten, in Schwierigkeiten befindliche Firmen aufzukaufen. »Vallefuoco nutzte seine Beziehungen zu anderen Unternehmern, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckten, um an deren guten Namen zu kommen«, hielten die Ermittler in ihren Akten fest. In ihren Aufzeichnungen taucht der Name des Sohnes eines bekannten Neurochirurgen aus Modena auf. »Dem gehörten einige Outlet-Stores, die er sich zusammengekauft hatte«, wie Vallefuoco seiner Gefährtin erzählte. Und Vallefuoco beharrt darauf, dass er »einen sehr vorteilhaften Betrug durchgezogen habe im Hinblick auf eines dieser Bekleidungsgeschäfte.« Eine Beute, die Vallefuoco seit langem anvisiert hatte.
Eine Episode, die die Vorgänge rund um die Outlet-Stores noch etwas besser nachvollziehbar macht, gibt gleichzeitig Aufschluss darüber, aus welchem Stoff Vallefuoco gestrickt war. Er erzählte seiner Lebensgefährtin lachend, dass er einmal in einem der Stores den Sohn des Mediziners traf, auf ihn einprügelte und ihm »leihweise« dessen Porsche wegnahm. Einschüchterung und Terrorklima zu schaffen, sind Ziele, die den Vorgaben der Bosse entsprechen. Anschließend kaufen sie Firmen und Geschäfte, Kaufhäuser und sonstige Aktivitäten auf, um deren stiller Teilhaber zu werden. Und das hatte auch Vallefuoco so vor, wie die Staatsanwälte in ihrem Bericht schrieben: »Er spielt mit dem Gedanken, eine Gesellschaft zu gründen. Lucia Esposito ist dabei als Strohfrau vorgesehen, außerdem eine Freundin von ihr; das alles befindet sich noch in der Planungsphase.« – »Aktionen, die sich«, wie die Staatsanwälte der DNA Neapel schrieben, »im Kontext der Firmen Fincapital und der ISES entwickelten und die auf die Finanzkraft von Bacciocchi und Zonzini abzielten.«
Oriano Zonzini war der Direktor der Fincapital. Die Investoren sagen von ihm, er sei zwar kein Holzkopf, aber ohne jeglichen Einfluss. Eher im Gegenteil. Er stellt seine technischen Kenntnisse zur Verfügung »sowie seine Beziehungen zu Banken, um letztlich die Aktivitäten der beiden ›Unternehmer‹ zu koordinieren.«
»Aber wie stellst du das eigentlich an mit der Kredit-Rückgewinnung?«, wird Vallefuoco in einem der abgehörten Gespräche gefragt, worauf er antwortet: »Wenn sie nicht zahlen, verschwinden sie.« Dann fügt er noch hinzu: »Ich arbeite mit Forcella [dem gleichnamigen Clan aus dem Viertel von Neapel] und den Casalesis zusammen.« Damit ist die terroristische Methode skizziert, mit der die Kredite durch die Gruppe Vallefuoco wieder eingetrieben werden. Eine Methode, bei der je nach Notwendigkeiten auch Gewalt eingesetzt wird. Es sind Mafia-Methoden der traditionellen Art, angewendet jedoch durch Strukturen, die ordnungsgemäß behördlich angemeldet und zugelassen sind: Vallefuocos Agenturen für Kredit-Rückgewinnung.
Die Ermittler aus Neapel notierten: »Vallefuoco stellt seine Aktivitäten anderen Clans gegen Bezahlung zur Verfügung, Clans, die ihn darum bitten, und zwar sowohl bei der Kreditrückgewinnung wie auch bei der Geldwäsche illegaler Einnahmen. Zu diesem Zweck verfügt er über eine Mannschaft von 45 Mann, die alle regulär von ihm bezahlt werden, und über eine Reihe von Finanzgesellschaften, mit deren Besitzern, den wahren Eigentümern, er die auszuführenden Investitionen und die jeweiligen Profitmargen bespricht.«
Bei Vallefuocos Gesprächen, die die Ermittler in seinem verwanzten Audi A6 abhörten, schnitt der Mafioso unterschiedlichste Themen an. Von der Kreditrückgewinnung bis zum Zement. Über einen nicht näher identifizierten Mario sagt »Franco«: »Ich hab drei Baufirmen, und mit den Casalesis und mit ihm mache ich die Subverträge wegen Zement.« Und auch Gennaro D’Amore, der Hauptgeschäftsführer der ISES, spricht über Geschäfte. Unter den zahllosen abgehörten Unterhaltungen mit ihm als Protagonist erklärt d’Amore, der für die Öffentlichkeit das Gesicht der Gruppe ist, wie man mittels Bonds Geld verdienen kann.
»Die Bonds sind Gelder, die Amerika während des Krieges herausgegeben hat, das sind Einlagen, die sie dort gemacht haben, verstehst du? Also sobald wir den Stapel in der Hand haben, arbeiten wir damit sechs Monate, das gibt 80.000 Euro pro Woche. So machen es auch die Bankdirektoren in Lugano und in der Schweiz. Sie heben sie ab und setzen das Geld dann für eine andere Sache ein. Sie bringen sie wieder in Umlauf. Wenn wir es schaffen, ein Konto mit zehn Millionen Euro einzurichten, das virtuell vierzig Tage hält, machen wir in vierzig Tagen neunzig Millionen Euro. Das sind Operationen, die zwischen Lugano und Argentinien ablaufen.«
Gennaro d’Amore ist den Worten von Vallefuoco zufolge auch derjenige, mit dem sich die Casalesis verabreden wollen, um mit ihm als Repräsentant der ISES zu sprechen. Dass hinter der Gesellschaft Vallefuoco steckt, gibt »Franco« offen zu. »Auch die im Polizeipräsidium glauben, dass ich hinter der ISES stecke. Wenn die Polizei herausfinden wollte, wer dahinter steckt, bräuchte sie drei Sekunden, verstehst du?«
Szenen aus der Emilia-Romagna, von Mafia-Unternehmern, die ihre Geschäfte diversifizieren. Von der Bäckerei über die Rückgewinnung von Krediten, was bei einer immer weiter um sich greifenden Rezession zu einem immer gewinnträchtigeren Sektor wird, bis hin zu klassischen Investmentgesellschaften. Geschichten von Clans, die mit legaler Zulassung arbeiten, direkt vor den Augen der von ihnen belagerten Emilia-Romagna.