12.

GUTE NACHT, »ROTE« EMILIA-ROMAGNA

Brescello, das von den Einheimischen ironisch gern auch »Cutrello« (dt.: Kleines Cutro) genannt wird, ist seit Jahren bevorzugter Wohnort von Mitgliedern des Grande-Aracri-Clans. Ein bedeutender Zweig dieser Mafia-Familie lebt in dem ruhigen, beschaulichen Ort im Hinterland von Reggio Emilia, an der Grenze zur Provinz Mantua. Nicolino Grande Aracri, das Oberhaupt des gleichnamigen Clans, der bereits auf 17 Jahre hinter Gittern zurückblicken kann, fühlte sich in Brescello sicher. Er hatte hier seine Brüder, Schwestern, Neffen und Freunde um sich.

Nach und nach wagte sich der Clan immer weiter vor und veränderte dabei das Angesicht des kleinen geschichtsträchtigen Ortes. Ihre Arroganz und ihre Allmachtsphantasien verführten die Mafiosi dazu, es zu übertreiben. So zum Beispiel 2003, als sie vom Betreiber des Cafés Don Camillo unter den ungläubigen Blicken der beiden Bronzestatuen von Don Camillo und Peppone plötzlich Schutzgeld verlangten. Schockiert schloss der Besitzer für einige Tage das Café und hängte ein Schild an die Tür, auf dem zu lesen war: »Geschlossen wegen mafiöser Drohungen und Schutzgelderpressung.« Statt der erwarteten Solidarität zog er sich jedoch – wie man in »Cutrello« erzählt – den Zorn des Bürgermeisters zu, demzufolge das Schild mit dem Hinweis auf die Mafia-Bedrohung das Ansehen des Ortes unwiderruflich beschädigt habe. Darüber hinaus wurde das Schild gestohlen.

In Brescello verläuft das Leben ansonsten in ruhigen Bahnen. In manchen Eigenarten gleicht der Ort Dörfern im Hinterland Kalabriens, wo alles unveränderlich seinen Gang zu gehen scheint. Nicht einmal die brutale Beschleunigung, die das gesellschaftliche Leben in den letzten Jahrzehnten erfuhr, konnte an den festgefügten sozialen Hierarchien etwas ändern. In diesem Kontext entwickelten die Grandi Aracris ihre Strategie: sich zu tarnen mit einem beschaulichen Alltagsleben und unauffälligen unternehmerischen Aktivitäten.

Dies tat auch Salvatore Grande Aracri, Neffe des Paten Nicolino, der ebenfalls in Brescello wohnte. Salvatore wurde im Februar 2011 aus der Haft entlassen. Die ihn betreffende Anklage werde nicht länger aufrechterhalten, lautete das Urteil der Richter vom Gerichtshof in Reggio Emilia, die die Vorwürfe bezüglich Waffenbesitz und Drogenhandels zu prüfen hatten. Im Juni 2009 war er in Brescello festgenommen worden, um unmittelbar darauf zum Lagerraum einer der bekanntesten Discotheken der Reggio Emilia gebracht zu werden. Dort fanden die Carabinieri fünfzig Gramm Kokain und verschiedene Munitionsarten. »Die Discothek ist seit Monaten geschlossen. Man vermutet, dass sie als Tarnung für die Wäsche von Profiten aus kriminellen Geschäften, als Drogenumschlagplatz und Treffpunkt für Angehörige des aus Kalabrien stammenden Clans gedient haben könnte«, hieß es dazu im Bericht der Anti-Mafia-Kommission des Präfekten von Reggio Emilia.

»Totò« blieb nur wenige Tage in Haft. Im heimischen Brescello wartete er den formellen Freispruch ab. Der Neffe des Paten ist weiterhin als Unternehmer tätig. Von 2006 bis 2008 war er Teilhaber der San-Francisco-Immobilienhandelsgesellschaft, gemeinsam mit Michele Pugliese, dem Sohn von Franco sowie Antonio Muto und Giulio Giglio, dem Bruder und Geschäftspartner des Unternehmers Pino. Letzterer war, wie die Operation »Pandora« 2009 ergab, ein Opfer von Schutzgelderpressungen geworden. Die Gelder hatte Michele Pugliese für den Nicoscia-Clan eingetrieben. 2007 kaufte Salvatore die Anteile der übrigen Gesellschafter auf und wurde damit alleiniger Inhaber. Im darauffolgenden Jahr überließ er die Gesamtanteile zwei weiteren Personen, einem Mann und einer Frau aus Reggio Emilia, die die Firma nach vier Monaten an einen Mann aus Cutro weiterverkauften.

»Totò« verkaufte seine Anteile wenige Tage, nachdem die Staatsanwaltschaft von Catanzaro harte Strafen für die damaligen Führer des Grande-Aracri-Clans gefordert hatte. Seit damals ist Salvatore nur noch Teilhaber der Euro Grande Costruzioni und der Nu.sa. Marmorwerke, für die er 45.000 Euro zahlte. 2009 verkaufte er auch seine Anteile an der Euro Grande an zwei junge Verwandte. 2010 schloss sich der Kreis mit dem Verkauf der Nu.sa. Marmorwerke an einen anderen Unternehmer aus Isola di Capo Rizzuto. Salvatore entledigte sich damit in kürzester Zeit all jener Firmen, bei denen er Teilhaber gewesen war.

Im Prozess gegen ihn widersprachen die Eigentümer der Discothek Italghisa der Annahme, dass Salvatore zu den Teilhabern gehört habe. Höchstens sei er zeitweise als PR-Mitarbeiter beschäftigt gewesen, betonten sie. Bei diesen Discotheksinhabern handelte es sich um die Brüder Cesare und Antonio Muto, zwei von vier Brüdern, die zur Familie Muto aus dem Hinterland von Reggio Emilia gehören. Die Mutos sind an wichtigen Firmen im Bereich des Autotransportwesens beteiligt. Die Familie gilt als »mafianah«, wie die Ermittlungsbeamten hervorhoben.

Antonio Muto war bis 2007 Mitteilhaber der San-Francisco-Immobilienhandelsgesellschaft von Salvatore. Ein Jahr zuvor war er Hauptverwalter der Firma C-Project geworden, der Gesellschaft, die die bekannte und umsatzträchtige Discothek Italghisa betreibt. Und eben jener Antonio Muto versprach Pugliese, wie die Abhörprotokolle der 2009 durchgeführten Operation »Pandora« beweisen, die vereinbarten Zahlungen anzuweisen. Die Ermittler glaubten, das Pugliese ihn nach den Erträgen des Schutzgeldgeschäftes gefragt habe. Als Beweis, dass Salvatore tatsächlich mehr oder weniger im Verborgenen stiller Teilhaber der Discothek gewesen sei, wurden auch die Aussagen des Kronzeugen Salvatore Cortese herangezogen, der 2008 erklärt hatte: »Ich fuhr zur Discothek Italghisa in Reggio Emilia, deren Gesellschafter Salvatore ist, und sprach mit ihm über die Schulden [ein Darlehen an den Schwager von Salvatore]. Salvatore versicherte mir, dass er den Betrag bereits beglichen habe.«

Dass der Clan der Grande Aracris mit dem Land von Don Camillo und Peppone überaus eng verbunden ist, belegen auch weitere Episoden. Im Oktober 2008 wurde Francesco Grande Aracri, Bruder des Paten Nicolino, verhaftet und zu drei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Tatsächlich konnte er nach Ablauf der Untersuchungshaft nach Brescello zurückkehren. Er übernahm sogar die Geschäftsführung der Baufirma wieder, deren Eigentümer er war. In der Nähe von Brescello lebt auch Massimo Turrà, tätig im Autotransportwesen und ebenfalls in Cutro geboren. Ihm wird von der Anti-Mafia-Behörde von Catanzaro vorgeworfen, Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein, und zwar gemeinsam mit einem anderen bekannten Einwohner der Reggio Emilia, Ernesto Grande Aracri, dem Bruder des Paten Nicolino.

Wie Reggio Emilia mit Cutro ist auch Brescello mit einer Gemeinde Kalabriens eine offizielle Städtepartnerschaft eingegangen. Es handelt sich in diesem Fall um Isola di Capo Rizzuto, das Herrschaftsgebiet des Nicoscia-Clans, seines Zeichens Verbündeter des Grande-Aracri-Clans. Kalabresen aus der Gegend von Crotone gibt es in Brescello viele. Sie stellen eine wichtige Wählergruppe und können mit ihren Stimmen den Ausgang von Wahlen in der Region Reggio Emilia entscheiden. Sie sorgen auch dafür, dass die Lokalpolitik hier manch ungewohnten Weg beschreitet.

Die Städtepartnerschaft zwischen den Gemeinden hat neben einer Reihe von anderen Vorkommnissen vor allem die Kritik von Katia Silva hervorgerufen, der Parteisekretärin der rechtsgerichteten Lega Nord in Brescello. Daraufhin drohte ihr ein ’Ndrangheta-Mitglied mitten auf dem Marktpatz: »Wenn unser Boss ausgeht, hast du hier nichts zu suchen. Nicht mal dein Sohn kann dich dann mehr retten.« Was wohl die Statuen von Don Camillo und Peppone gedacht haben mögen, als sich die Szene vor ihren Augen zugetragen hatte?

Drohungen und Einschüchterungen sorgen seitdem für ein angespanntes Klima in Brescello, wo sich die Grande Aracris als Herren fühlen. Nur wenige ahnen, dass diese Mafia ihre Wurzeln tief in das Gebiet der Emilia-Romagna gesenkt hat, in jene Gegend, die die Hauptlast des Widerstands gegen den Faschismus trug. Doch in Wahrheit hat die ’Ndrangheta die berühmten Stellungen der »Gotenlinie«, wo deutsche Truppen im Sommer 1944 versuchten, den Vormarsch der Alliierten aufzuhalten, längst überschritten. Seit dreißig Jahren frönt sie der kriminellen Völlerei innerhalb der boomenden Wirtschaft der Emilia-Romagna. In einer Osmose oder Symbiose ergänzen und befruchten sich die illegale und die legale Wirtschaft der Region unaufhörlich. Erzählungen und Vorfälle lassen es zu, die Konturen der Mafia-Machtstellung in der Emilia nachzuzeichnen.

Der junge Mann um die dreißig ist Handelsvertreter für eine berühmte Enzyklopädie. Eines Tages vertraute er mir ein Erlebnis an, das er in Brescello hatte. Er war gerade dabei, einen Kaufvertrag für die gesamte umfangreiche Enzyklopädie abzuschließen, als der Käufer, ein Kalabrese aus der Gegend von Crotone, ein Portemonnaie hervorzog, das prallgefüllt mit Banknoten war. Doch die Regeln für die Handelsvertreter sind eisern. Sie dürfen kein Bargeld annehmen. Aber sein Gegenüber insistierte und wollte nichts von irgendwelchen Vorschriften wissen. »Nehmen Sie das Geld schon!« Doch der Handelsreisende musste die 5.000 Euro Cash ablehnen.

Das Brescello des neuen Jahrtausends ist voll von Männern, die auf unvorhergesehene Weise zu Wohlstand gekommen sind. Ihren Reichtum stellen sie dadurch zur Schau, dass sie einem ihr Geld aufdrängen. Von Brescello aus erstreckt sich das Geflecht der wirtschaftlichen Beziehungen in verschiedene Himmelsrichtungen. Kalabrien, Sardinien, Lombardei, Schweiz, Spanien. Etwa in Gestalt von Alfonso Diletto und Francesco Muto, beide in Brescello ansässig, die 2008 während der Operation »Dirty Money« ins Visier der Ermittler geraten waren. Diletto ist der Neffe von Rosario Grande Aracri, dem Bruder des verhafteten Paten Nicolino.

Eine Untersuchung von 2008 führte zur Festnahme von insgesamt neun Personen, denen Verbindung zur Organisierten Kriminalität in Gestalt des Clans der Familien Ferrazzo-Iazolino aus Mesoraca in der Provinz Crotone (Kalabrien) vorgeworfen wurde. Dabei kam ein schwindelerregender Kreislauf der Geldwäsche zwischen der Lombardei, Sardinien, Kalabrien, der Schweiz und Spanien zum Vorschein. Die Angehörigen dieses Clans sollen viele Dutzend Millionen Euro, Profite aus dem Drogenhandel des Clans von Mario »Topolino« Ferrazzo, gewaschen haben. Mittels der von ihnen geführten Finanzgesellschaften sollen die ’Ndrangheta und ihre Finanzdienstleister 1700 Kunden um ihre Investitionen betrogen und einen Schaden von hundert Millionen Franken angerichtet haben.

Für die Geschäftspartner Diletto und Muto, die zu den zugezogenen Einwohnern Reggio Emilias gehören, hatte dies allerdings keine Folgen. Sie wurden nicht verhaftet, sondern in Sardinien vor Gericht gestellt. Ihnen wurde vorgeworfen, Land und Immobilien gekauft zu haben und damit die Einschleusung schwarzen Kapitals ermöglicht zu haben. Die Einschleusung von Drogengeldern des Ferrazzo-Clans in den legalen Wirtschaftskreislauf Sardiniens stritten sie rundheraus ab.

Diletto und Muto leben schon seit einiger Zeit in Norditalien und gehen zwischen Brescello und Parma unterschiedlichen wirtschaftlichen Aktivitäten nach. 2009 wurden sie Geschäftspartner bei einer Baufirma mit Sitz in Brescello. In der Liste der Teilhaberschaften Dilettos taucht auch eine Beteiligung an der inzwischen verkauften Di.Mu.Immobilienhandelsgesellschaft mit Sitz in Olbia (Sardinien) auf. Den Mailänder Staatsanwälten zufolge soll das die Firma gewesen sein, mittels derer Muto und Diletto Geldwäsche auf Sardinien betrieben haben.

Darüber hinaus, schreibt der zuständige Untersuchungsrichter, sei die Di.Mu.Immobilienhandelsgesellschaft zu dem Zweck gegründet worden, um Alfonso Zoccola den Einstieg zu erleichtern, der auf diese Weise mit einem Anteil von 49 Prozent die Tochterfirma GMP kontrollierte. Dies sei dem Entgegenkommen Dilettos und Mutos geschuldet, die in dieser Sache im Austausch mit Fortunato Andali standen. Was die GMP betrifft, so ist umfassend dargelegt worden, wie die Investition von Mitteln der Gesellschaften WFS/PP Finance (World Finance Service und PP Finanz Zürich) eben durch jene Firma organisiert wurde.«

Eine Stunde Autofahrt trennt Reggio Emilia von Mailand. Die Paten aus dem Gebiet von Crotone, die mittlerweile in der Provinz Reggio Emilia ansässig sind, waren in engem Kontakt mit den »Niederlassungen« der ’Ndrangheta in der Lombardei. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Strategien, wie sie von den Führungsgestalten der La Lombardia in Absprache mit der Provincia festgelegt worden waren, auch in der Emilia-Romagna umgesetzt wurden.

Die These, dass in Reggio Emilia ein Ableger der ’Ndrangheta genauso wie in den Regionen Kalabrien, Lombardei, Piemont und Ligurien existiert, sollte man jedenfalls nicht leichtfertig abtun. In den Akten der Operation »Tenacia«, dem nördlichen Ableger der umfassenden Ermittlungsaktion »Crimine«, ist das Protokoll eines abgehörten Gesprächs enthalten, das zu denken gibt. »Reggio Emilia weiß das«, wird darin Mario Polito wiedergegeben, der örtliche Statthalter in Erba (Lombardei), der enge Verbindungen zur Familie Arena aus Isola di Capo Rizzuto unterhält. Die Arenas engagieren sich wirtschaftlich sehr stark im Gebiet zwischen Reggio Emilia und Modena. Das sagte er zu Salvatore Strangio, dem Mafioso aus Natile di Careri, dem stillen, um nicht zu sagen, geheimen Teilhaber der Perego General Contractor aus Lecco.

In dieser Unterhaltung listeten Polito und Strangio die Clans auf, die um die wirtschaftliche Potenz der Perego wussten, die sie in ihren Besitz gebracht hatten und die allen Familien – von Reggio di Calabria bis Crotone, von Piana bis zum Aspromonte, von der Lombardei bis in die Emilia-Romagna – nützlich sein können. Die Verbindung zwischen der Lombardei und der Emilia wurde auch von anderen Begegnungen belegt, in deren Mittelpunkt Carlo Cosco stand, ein ’Ndrangheta-Mitglied aus Petilia Policastro. Er lebte in Mailand und wurde wegen des brutalen Mordes an seiner Ehefrau Lea Garofalo festgenommen. Die seit Jahren in Mailand ansässigen Brüder Cosco aus Petilia Policastro hatten den Körper ihres Opfers in Säure aufgelöst. Die Baufirma der Brüder war auch an den Arbeiten für die M 5, die neue U-Bahnlinie Mailands, beteiligt.

Die Geschichte der Coscos ist mit jener des Clans Carvalli verbunden, der den Mailänder Stadtteil Quarto Oggiaro beherrscht. Während er den Plan zur Ermordung seiner Ehefrau ausarbeitete, suchte Cosco die Zustimmung des Paten Pasquale Nicoscia. Dessen Clan besitzt im Gebiet rund um Reggio Emilia unterschiedlichste Unternehmungen. Unterstützt wird Nicoscia dabei von Michele Pugliese, der bekanntlich über mehrere Grade sowohl mit den Nicoscias als auch mit den Arenas verwandt ist. Er gilt als der eigentliche Mittelsmann zwischen diesen Clans und der Unternehmerschaft Norditaliens. Dass Cosco um die Zustimmung des Paten Nicoscia nachsuchte, verrät einiges. Es bedeutet, dass er Nicoscia als einflussreichen Mann der ’Ndrangheta ansieht, von der wiederum der Petilia-Clan abhängt, dem Cosco angehört. Die Clans aus Petilia stehen zudem den Grande Aracris nahe. »2007, vor meiner letzten Verhaftung hatte ich zweimal die Gelegenheit, Carlo Cosco zu begegnen. Das erste Mal in Reggio Emilia im Club Amnesia, wo er sich zusammen mit seinem Cousin Rosario ›Capizzeddu‹, dem Inhaber einer großen Baufirma in Reggio Emilia, amüsierte. Und das zweite Mal in Colorno bei Parma, im Nachtclub Bataclan, wo er sich in Begleitung von Luca Megna und anderen Männern aus Papanice, einem Ortsteil von Crotone, befand.« Rosario »Capizzeddu«, Cousin von Carlo Cosco, war zu dieser Zeit Inhaber einer Baufirma, die 2008 in Konkurs ging. Gegenwärtig ist er gemeinsam mit einer Frau aus Petilia Policastro Anteilseigner und Hauptverwalter einer Gesellschaft zur »Begutachtung und Verwertung von Immobilien im eigenen Besitz« sowie einer Baufirma in Reggio Emilia. »Capizzeddu« wurde nicht angeklagt und hat von Petilia Policastro aus seine wirtschaftliche Basis in der Emilia weiter konsolidiert.

Die Abteilung für organisierte Kriminalität der Finanzpolizeidirektion Mailand erwähnt im Zusammenhang mit Mafia-Aktivitäten auch einen bekannten Namen unter den Kooperativen der Emilia, die Unieco. Diese ist einer der größten Betriebe dieser Art, geboren aus den vornehmen Prinzipien der Solidarität und der Gleichheit. »Saubere« Unternehmen, die auf ihren Baustellen gefährliche Gäste dulden. Legalität und Illegalität gehen ineinander über. Sie umarmen sich. Eine tödliche Geste für den freien Markt. In den Worten von Maurizio Luraghi, einem Mailänder Unternehmer, der für Verbindung zur Mafia in einem weniger schweren Fall verurteilt wurde und Verbindungen zum Clan der Barbaro-Papalias unterhalten haben soll, wäre es durchaus möglich, das »System« sichtbar zu machen, das die gesamte Zulieferung der Bauwirtschaft in der Region beherrscht.

Luraghi wurde von der Unieco ausgewählt, um die Erdarbeiten auf den Baustellen in der Lombardei auszuführen. In Buccinasco, im tiefsten Hinterland Mailands, Herrschaftsgebiet der Clans Barbaro-Papalia-Perre, ziehen Luraghi und die Unieco auch gemeinsam Gebäude hoch. Im Bericht der OK-Abteilung von Mailand heißt es: »Wie von Luraghi bestätigt, generiert die Lavori Stradali den größten Teil ihres Umsatzes aus den Arbeiten, die sie für die Unieco ausführt, einer Gesellschaft, die schon seit zwanzig Jahren existiert. In einem Gespräch wurde der Umstand hervorgehoben, dass es für einige Auftraggeber zur Gewohnheit geworden sei – speziell auch für die Unieco –, alle ausgeschriebenen Arbeiten an Firmen zu vergeben, die der kriminellen Umtriebe beschuldigt werden, der diese Untersuchung gewidmet ist. Prototypisch hierfür ist die Firma von Maurizio Luraghi.«

Aufgrund dieses Berichts begannen jene Ermittlungen, die 2008 zur Operation »Cerberus« führten. Der Unieco war ein ganzes Kapitel in dem Bericht gewidmet, doch letztlich betraf die Ausarbeitung der OK-Abteilung von Mailand nicht die Kooperative aus Reggio Emilia (die auch einen Sitz in Modena unterhält). Der Unternehmer Luraghi, als Opfer von Schutzgelderpressungen mehrfach zu Gast bei der berühmten Talkrunde »Anno Zero« des italienischen Fernsehsenders RaiDue, war, wie aus dem Bericht und den Verurteilungen in zwei Instanzen hervorgeht, ein Vertrauter des Barbaro-Clans. Die abgehörten Finanziers betonten, dass allein das Gespräch mit Luraghi einer Vereinbarung über die auszuführenden Arbeiten mit dem Mafia-Clan gleichkomme. Demzufolge gebe es keine Notwendigkeit mehr, jemanden einzuschüchtern oder Baufahrzeuge anzuzünden.

Das bestätigte der lombardische Unternehmer, als er während einer abgehörten Unterhaltung die Bereitschaft der Unieco zugab, Arbeiten teilweise ohne Kostenvoranschlag zu vergeben, »oder auch höhere Summen für die Arbeiten zu bezahlen, als ursprünglich ausgemacht worden waren«. Doch Luraghi verriet noch mehr. Er betonte, dass er einige Mitarbeiter der Unieco »gesponsert« habe. Er sei daher der Mann, dem die Unieco vollstes Vertrauen schenke, und die Kooperative sei über die Anwesenheit von ’Ndrangheta-Firmen auf den Baustellen von Luraghi genau im Bilde.

Luraghi kennt natürlich die wirtschaftliche Bedeutung der Unieco ganz genau. »Was ist doch diese Unieco für ein Glücksfall!«, kommentierte der Mailänder Unternehmer abschließend. Immerhin gehört die Unieco zu den bekanntesten im Baugeschäft engagierten Kooperativen Italiens. In der Liste der Baufirmen mit dem größten Umsatz, die alljährlich von der italienischen Zeitung Il Sole 24 Ore erstellt wird, nahm sie den siebten Platz ein. »Sie ist auf dem Weg, die größte Kooperative Italiens zu werden. Bislang ist sie schon die zweit- oder drittgrößte«, kommentierte der begeisterte Unternehmer, zu dessen Vertrauten nicht zuletzt Salvatore Barbaro, Sohn von Domenico »L’ Australiano« (dt.: Der Australier) Barbaro (und Schwiegersohn des Paten Rocco Papalia), gehört.

»Die Unieco vergibt bestimmte Arbeiten hier in der Lombardei ausschließlich an mich, das wirst du ja inzwischen mitbekommen haben. In Pero hab ich die Erdarbeiten ausgeführt, ebenso in Rozzano, Mailand, Abbiategrasso, Legnano, Cinisello. Und da ist noch viel mehr zu holen. Gleich zu Beginn des nächsten Jahres soll ich drei oder vier Abrisse für die durchführen. Außerdem bekomme ich drei oder vier große Aufträge für Erdarbeiten. Das weiß ich jetzt schon, weil ich meine Verbindungen habe (…). Ich hab mich ein bisschen großzügig gezeigt, so um die 2.000 Euro pro Monat (…). Was zum Teufel fangen die mit läppischen 2.000 Euro an? Ich weiß nur, dass ich mit ihnen ein Vielfaches davon verdienen werde.«

»Freunde« innerhalb der Unieco, die Luraghi »sponsert«. Ein Satz, der von Bedeutung ist, und den Luraghi mehrfach äußert, unwissend, dass die Finanzpolizei jedes Wort, das er sagt, mitschneidet. Die Bestechung von Mitarbeitern der Unieco durch Luraghi war bisher weder Gegenstand polizeilicher Untersuchungen noch von Gerichtsverfahren. Aber es gibt eine weitere Tatsache, die noch viel stärker ins Gewicht fällt, gerade weil es sich bei der Unieco um eine Kooperative handelt. Der Unternehmer berichtet, wie entscheidend es für die Unieco gewesen sei, bestimmte Baustandards und die Iso-Zertifizierung einzuhalten. Diese Formalia müsse man schon erfüllen, wenn man mit der Unieco Geschäfte machen wolle. Dass Luraghi nach Auftragserhalt Subunternehmer beschäftige, die dergleichen nicht aufweisen könnten, spiele keine Rolle. Das sei nun mal so.

Des Weiteren beschreibt Luraghi in dieser Unterhaltung den Querschnitt seiner Verflechtungen. Wenn da etwas von strafrechtlicher Bedeutung dabei ist, dann ist es nicht die Aufgabe des Journalisten, in diese Richtung zu ermitteln, was die soziale Verantwortung der Kooperative angeht. Was deren Geschichte angeht, Werte zu schaffen, aber nur bei gleichzeitigem Respekt vor der Arbeit der Beschäftigten. Aller Arbeiter, auch denjenigen der Subauftragnehmer. Das Netzwerk innerhalb der Bauwirtschaft ist – genau wie in der Agrarindustrie – immer umfassender geworden. Es kann dabei jedoch dazu kommen, dass Firmen und Kooperativen, die sich die soziale Verantwortung auf die Fahnen geschrieben haben, über die Gleichgültigkeit ins Stolpern geraten. Gleichgültig gegenüber den Vorgängen auf den niedrigeren Ebenen des Netzwerks.

Gleichgültigkeit gegenüber dem, was sich nicht im eigenen Hinterhof abspielt, kann manchmal sehr einträglich sein und die Profite steigern. Besteht das oberste Ziel nur noch in der Profitmaximierung, die die Einschränkung der Rechte der Arbeiter zur Folge hat, schließen die Firmen und Kooperativen die Augen vor der Vorgehensweise der Unternehmer, denen sie die Subaufträge zugeschoben haben.

Die Verbindungen zwischen der Lavori Stradali von Luraghi und der Kooperative Unieco gehen allerdings noch weiter. Die OK-Abteilung der Mailänder Finanzpolizei beschreibt einen spezifischen Kreislauf von Geld verdächtiger Herkunft im Rahmen der Zusammenarbeit beider Unternehmen. Schwarzgeld, das man über die Kassen der Kooperative waschen könne, erklärte Luraghi während einer im Bericht wiedergegebenen Unterhaltung. Aber der in erster Instanz wegen Nähe zu mafiösen Gruppierungen verurteilte Unternehmer verriet noch weitere Details. So war es möglich, das Verhalten des damaligen technischen Direktors der Unieco, Giuseppe Maranci, besser zu verstehen. Angesichts der Klarheit, mit der Luraghi den zwielichtigen Prozess erläuterte, soll im Folgenden die gesamte Passage ungekürzt wiedergegeben werden: »Mit der Unieco hab ich Sonderzahlungen vereinbart. Für die Baustelle, auf der wir selbst gar nicht arbeiten, haben sie 30.800 Euro bezahlt, davon 20.000 schwarz. Die gehen an Pino Maranci, so weit klar? Der stellt mir jetzt ein Jahr lang jeden Monat eine Rechnung über 30.000 aus. Davon gehen 10.000 an uns, die anderen 20.000 gehören ihm. Denn die müssen von Schwarzgeld zu Weißgeld werden. Sie haben mir gesagt, dass sie es aus Preisgründen vorziehen, eher mit meiner Firma zusammenzuarbeiten als mit anderen. Dabei geht es gar nicht um den Preis. Wenn man 10.000 mit Nichtstun verdient, kann man ja auch nicht wirklich von einem Preis sprechen. Besser als nichts, sage ich immer. Aber darauf müssen noch Steuern gezahlt werden, so als ob wir noch Leute arbeiten lassen würden, und dabei verdienen wir dreißig Prozent (…). Es ist eine Grundstückssanierung, die sie machen und die wir dann untereinander aufteilen. Demnächst wird’s noch besser, da machen sie eine Grundstückssanierung in Gallarate [bei Mailand]. Das wird ein paar Jahre gehen. Da machen wir dasselbe Spiel. Die zahlen uns sogar die neue Werkshalle. 10.000 im Monat sind 120.000 Euro im Jahr. Ist mir nur recht, solange sie mich nicht ins Gefängnis werfen (lacht). Geld wie Heu, sage ich dir. Mann, Mann, Mann, was man mit Geländesanierung für ein Geld verdienen kann. Ich verdiene ja schon genug. Stell dir mal vor, die machen das mit zwei oder drei weiteren Firmen. Wer weiß, was die schwarz alles verdienen. Das, was sich die Direktoren in die Tasche stecken, davon kann sich jeder von denen ’ne Villa kaufen. Für 250.000 kannst du dir hier in Reggio Emilia ’ne wirklich schöne Villa kaufen. Sie sind zu dritt, wenn sie jeder eine kaufen (…).«

Solche Gelegenheiten kommen so schnell nicht wieder, erklärt Luraghi seiner Frau und noch einmal seinen Freunden. Er hat’s geschafft, denkt er. Seine Firma sitzt genau zwischen zwei der stärksten Lokomotiven der hiesigen Wirtschaft. Zwischen dem Mafia-Clan, dessen Unterstützung er genießt, und der Unieco, die – so der Untersuchungsbericht – schwarze Kassen führt. Aus dem an die Operation anschließenden Prozess »Cerberus« ging die Unieco makellos und ohne zusätzliche Ermittlungen hervor. Es bleibt ein Schatten von Misswirtschaft, der über die Kooperative fällt, angesichts dieser wenig transparenten Vorgänge, die in der Verantwortlichkeit der Angestellten der Kooperative lagen. Und die schwarz auf weiß in den Berichten der Mailänder Finanzpolizei festgehalten wurden. Der Fall der Unieco, von der man »eigentlich« wusste, dass Luraghi die Arbeitsverteilung auf den Baustellen bestimmte, ist eine Geschichte von unternehmerischen Unachtsamkeiten, die indirekt der ’Ndrangheta helfen, ihre schwarzen Geldkreisläufe aufzuziehen, mit welchen sie ihre Drogengelder waschen. Geschichten von unbewussten Straftatbeständen, von mangelnder Kenntnis des Kontextes, in dem die beauftragten Firmen arbeiteten, von »Nachlässigkeiten«, die der Gier nach Profit geschuldet waren. Oder handelt es sich um ein ganz bewusst am Schreibtisch so entschiedenes Projekt?

Die Geschichte der Unieco ist die Geschichte von skrupellosen Firmen aus der Emilia-Romagna. Hierbei handelte es sich keineswegs um Einzelfälle. Nachlässigkeit in dieser Hinsicht bewies auch die Hera GmbH. Das vielseitige Unternehmen gehört einigen Gemeinden der Emilia-Romagna. Und schreckte nicht vor Geschäften mit den Gebrüdern Cosentino zurück. Nicht mit dem Ex-Staatssekretär Nicola Cosentino, der sich wegen Vorwürfen der Zusammenarbeit mit dem Casalesi-Clan der Camorra vor Gericht verantworten muss, sondern mit weiteren seiner Brüder, in diesem Fall Giacomo und Giovanni, die im Hinblick auf ihre erworbene Verwandtschaft nicht gerade der »Mafia-Ferne« bezichtigt werden können.

Zu den Aufträgen der Familie Cosentino gehörte das kombinierte Gas-, Heiz- und Elektrokraftwerk von Sparanise, dreißig Kilometer von Casal di Principe, dem Geburtsort der Gebrüder Cosentino, entfernt. Das Kraftwerk weist eine Leistung von 800 Megawatt auf und wurde 2007 in Betrieb genommen, in der Zeit, als Nicola Cosentino noch Parlamentsabgeordneter war. Zu den Hauptgewinnern des 1989 begonnenen MegaBauprojektes aus der Camorra-Zone Kampanien gehörten zwei Unternehmen: die Hera und die SCR. Erstere kontrollierte mit einem Geschäftsanteil von 50,01 Prozent eine Gesellschaft namens Hera Comm Mediterranea. Die restlichen Anteile wurden von der SCR gehalten. Eine mysteriöse Gesellschaft, deren Teilhaberschaft sich hinter einer Treuhandgesellschaft der Bank Monte dei Paschi versteckte, der Montepaschi Fiduciaria. Dieser gehörte die SCR nicht nur zu hundert Prozent, sie steuerte auch deren geschäftliche Aktivitäten.

Ihre tatsächlichen Teilhaber sind bis heute unbekannt. Bekannt sind hingegen die Mitglieder des Verwaltungsrates der SCR. Zu ihnen gehören Giovanni Cosentino, der Bruder des verurteilten Staatssekretärs, Enrico Reccia, ein treuer Freund der Familie Cosentino, sowie Cristian Fabbri und Vanni Bertozzi. Präsident des Verwaltungsrats ist Loris Lorenzi. Giovanni Cosentino, bisher nicht vorbestraft, ist mit Maria Diana aus San Cipriano d’Aversa verheiratet, der Tochter des verstorbenen Costantino Diana, der in der Operation »Spartacus« verhaftet worden war, welche zur Festnahme zahlreicher anderer Clan-Mitglieder führte, die sich im Raum Modena niedergelassen hatten. Aber das ist noch nicht alles.

Giovanni Cosentino ist nicht nur Mitglied im Verwaltungsrat der SCR, ihm gehört auch – zusammen mit seinen fünf Brüdern – die Firma Aversana Petroli. Einer von ihnen, Mario Cosentino hat die Schwester von Giuseppe Russo geheiratet, der wegen Zugehörigkeit zur Mafia und Mord verurteilt wurde. Die Präfektur von Caserta (Kampanien) verweigerte der Firma der Gebrüder Cosentino 1997 das Anti-Mafia-Zertifikat, eben wegen der heiklen Verwandtschaftsverhältnisse.

In diesem Kontext gehörte auch, dass die Hera GmbH über ihre Steuerungsgesellschaft Hera Comm Mediterranea ihren Sitz in einem der Gebäude der Aversana Petrolio der Familie Cosentino hat. Der Vertreter der Hera, die sich im Eigentum von 180 Gemeinden der Emilia-Romagna befindet, sitzt also zusammen mit Mafiosi vom Schlage eines Giovanni Cosentino und eines Enrico Reccia in einem Gremium. Letzterer ist Vorsitzender des Aufsichtsrats einer anderen Kooperative, deren weiteres Aufsichtsratsmitglied auch ein gewisser Salvatore della Corte war, verhaftet und verurteilt als Komplize von Michele »Capastorta« Zagaria, dem flüchtigen Mafia-Boss, der als der unternehmerische Kopf des Casalesi-Clans gilt. Sein Bruder Pasquale Zagaria heiratete die Tochter eines bekannten Bauunternehmers aus Parma, der mit dem Clan zusammenarbeitete und deswegen zu drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt wurde.

Die Beziehungen zwischen der Hera und den Cosentinos gehen aber noch weiter. Die Grundstücke, auf denen das Kraftwerk errichtet wurde, wurden von der SCR aufgekauft und anschließend an die Calenia Energia für neun Millionen Euro weiterverkauft. Die Calenia Energia, die das Kraftwerk errichtete und betreibt, gehört wiederum zu 85 Prozent einem multinationalen Unternehmen aus der Schweiz, der EGL, und zu 15 Prozent der Hera. Alles ganz legal. Auf der Achse Emilia-Romagna-Kampanien. Auch in dieser Hinsicht vereint. Im Guten wie im Schlechten. Und besonders lukrativ in finanzieller Hinsicht. Geld, das auf virtuellen Pfaden kreist, ein paralleles Beziehungsgeflecht, in dem alles möglich ist und in dem die Ethik schon mal unter die Räder des Turbokapitalismus geraten kann. Die soziale Verantwortung eines Unternehmens gerinnt hier zum PR-Gag, zu einem Absatz im Geschäftsbericht. Und wird in der Regel an den Meistbietenden verkauft.

In der Lombardei und in Ligurien haben die ’Ndrangheta-Mitglieder Kommandostrukturen geschaffen, die denen in Kalabrien gleichen. Und es ist ihnen gelungen, Militärs, Leiter des Gesundheitswesens, Bürgermeister und Abgeordnete zu korrumpieren. Wie zum Beispiel in Massa Finalese (Provinz Modena), wo sich große Unternehmen aus dem Dunstkreis der Mafia niedergelassen haben, wie etwa die Eco.Ge. der Gebrüder Mamone, die zum Raso-Gullace-Clan aus Gioia Tauro (Kalabrien) gerechnet werden. Dieser Firma wurde die Geländesanierung einer Zuckerfabrik in der Po-Ebene übertragen. Darüber hinaus vergab auch die Hera 2007 einen Auftrag an die Gebrüder Mamone. Ihre Namen sind den Ermittlungsbeamten in Ligurien und in Kalabrien bestens vertraut. Die Geschäftsbeziehungen der Hera sind jedoch letztlich nicht von strafrechtlicher Bedeutung. Sicher ist jedoch, dass sie für Aufsehen sorgen. Und für Empörung unter all denjenigen, die in den Betrieben der Emilia-Romagna bis heute Speerspitzen der sozialen Verantwortung sehen, über das Unternehmerische hinaus, auch für die Zivilgesellschaft.

Die Hera stellt eine Unternehmensmacht dar, die auch über politische Mittel verfügt. Die Gemeinden, die ihre Anteilseigner sind, prägen die Politik der Emilia-Romagna. Eine Politik, die im Lauf der Jahre aus der Region eine Erfolgsgeschichte machte, die ihren Konsens auf der Inanspruchnahme von fundamentalen Rechten durch die Arbeitnehmerschaft gründete und die ihren Bürgern einen exzellenten Service garantierte. Aber die auch stolz darauf war, sich gegenüber der Halbwelt immun zu zeigen. Noch vor ungefähr 15 Jahren hätten die Gebrüder Cosentino mit ihrer kriminellen Verwandtschaft niemals einen Fuß in die Tür der Machtzirkel der Emilia-Romagna bekommen. Niemals hätten sie dort Aufträge erhalten, selbst wenn diese grundsätzlich legal gewesen wären.

Alles ändert sich in der Emilia-Romagna. Aber nicht wie im auf Sizilien spielenden Roman Il Gattopardo von Tomasi di Lampedusa, in dem es heißt, »Alles ändert sich, damit sich nichts ändert«. Hier im Norden Italiens hat das Weltwirtschafts-system den Status quo bereits verändert und die meisten der Dämme hinweggefegt, die viele Jahre lang die Entwicklung hin zu einer Deregulierung der Unternehmensethik verhinderten. Heute stinkt Geld auch in der Emilia-Romagna nicht mehr. Die Finanzströme diktieren die Regeln und sorgen für Verbindungen, die früher in der Emilia-Romagna, dem Epizentrum des Widerstandes gegen den Faschismus, niemals denkbar gewesen wären.