Sveinn stand etwas abseits und rührte sich nicht. Ihm war
klargeworden, dass Þórhildur die Leiche identifiziert hatte. Er
wunderte sich allerdings darüber, wie nahe es ihr zu gehen schien.
In der kleinen Gesellschaft eines spärlich besiedelten Landes muss
man immer damit rechnen, auf jemanden zu stoßen, mit dem man
bekannt oder befreundet ist. Er dachte gerade daran, das in einem
tröstenden Tonfall anzusprechen, als Þórhildur sich umdrehte, ihn
ansah und sagte: »Jetzt kann ich nicht mehr.«
Dann verließ sie den Sektionssaal ohne ein weiteres Wort. Sveinn
schüttelte über die Kapriolen dieser Frau den Kopf.
Die Leiche lag auf dem Tisch. Ein junger Mann. Zwischen zwanzig und
dreißig. Gut gebaut, aber sehr schlank.
Schien unterernährt zu sein. Offenbar wieder einer von den
Rauschgiftkonsumenten.
Verfluchte Plage, dieses Gift, dachte Sveinn und sein Blick fiel
auf das Schild, auf das Þórhildur ihn hingewiesen hatte, als sie
ihn belehrte, dass Flüche an diesem Ort nicht angemessen
seien.
Hic
locus est ubi mors gaudet succurrere vitae.
An diesem Ort freut sich der Tod, dem Leben beizu
stehen.
*****
Kurz gesagt hatte der Tag nichts ergeben. Keine Hinweise. Keine
merkwürdigen Zufälle. Nichts.
Die Stimmung bei der Nachmittagsbesprechung war trüb. Das war kein
gutes Zeichen. Normalerweise, wenn man es mit einem Mordfall zu tun
hatte, war die Atmosphäre bei den Planungsbesprechungen der Kripo
mit Spannung geladen, voller Aufregung, aber diesmal nicht.
Randver hatte nicht die geringsten Zweifel daran, dass das
Schleppende an der Besprechung seine eigene Schuld und darin
begründet war, dass er ein schlechter Leiter war. Unfähig, die
Menschen anzuspornen, sie aufzumuntern, sie dazu zu bringen, sich
anzustrengen.
Die Morde im Sommerhaus waren der erste ernsthafte Fall, der ans
Ufer der Kripo gespült wurde, seit Randver die Leitung übernommen
hatte. Víkingur war zwar immer noch da, aber er war befördert
worden und es gehörte nicht mehr zu seinem Aufgabengebiet, die
Untersuchungen zu leiten, sondern seine Aufgabe war es, zu
begleiten und Ratschläge zu geben, zu loben oder Anmerkungen zu
machen. Gleichwohl hatte er nichts davon getan. Irgendetwas musste
auf ihm lasten. Seit seiner Reise war der Mann mit den Gedanken
woanders, gleichgültig und lustlos.
Randver wusste, dass Þórhildur und Víkingur nach Holland gefahren
waren, um sich zu vergewissern, ob es sich bei der Leiche, die die
holländische Polizei aufbewahrte, um ihren Sohn Magnús handelte.
Víkingur hatte die Reise nur ungern angetreten, denn es war zu
vermuten, dass dies nicht der Fall war und Magnús früher oder
später von selbst wieder auftauchen würde.
Zumindest hatte noch keine offizielle Suche nach ihm begonnen,
wenngleich die Polizei Erkundigungen nach ihm eingezogen hatte, die
bisher jedoch ergebnislos geblieben waren. Es musste der Zustand zu
Hause sein, der Víkingur so runterzog. Randver konnte sich nicht
daran erinnern, ihn je mit einem so betrübten Ausdruck gesehen zu
haben. Als trüge er eine schwere Last. Seltsam, denn seitdem er mit
Þórhildur zusammen war, hatte er sich verändert. Darin waren sich
alle seine Mitarbeiter einig. Früher war er einsilbig gewesen oder
sogar griesgrämig.
Nachdem er Þórhildur kennengelernt hatte, hatte er sich grundlegend
verändert. Man konnte zwar nicht behaupten, dass er regelrecht
fröhlich oder unbeschwert geworden sei, aber er lächelte und
plauderte häufiger, war freundlicher und zeigte mehr Interesse an
anderen Menschen.
Jetzt trug er wieder seine verdrossene Miene, also war zu vermuten,
dass die Veränderung in irgendeinem Zusammenhang mit Þórhildur und
der Ehe stand. Randver brachte es nicht übers Herz, seinen Freund
über dessen persönliche Verhältnisse und seelisches Befinden
auszufragen. So etwas war schon in den isländischen Sagas nicht
üblich gewesen und schließlich waren sowohl er als auch Víkingur
älter als die neuen Generationen, die öffentlich über alles, was
früher unter Privatleben gefallen wäre, in ihrem Blog berichteten
und den lieben langen Tag mit Reiki und Heilen, Psychoanalyse,
Yoga, Bodybuilding und Selbsthilfekursen verbrachten.
Randver graute es davor, die Aufgaben für den kommenden Tag zu
verteilen. Er fühlte sich völlig leer und ihm fiel bis auf das
übliche Prozedere, also Familie, Freunde, Kollegen und Nachbarn
auszufragen und zu hoffen, dass die kriminaltechnische Abteilung
irgendwelche Hinweise finden würde, nichts ein. Guðrún Sólveig
berichtete von den ersten Ergebnissen der
Spurensicherung.
»Wir vermuten, dass zwei Täter an der Folterung beteiligt waren.
Jedenfalls haben wir zwei verschiedene Fußabdrücke gefunden, die
nicht von den Verstorbenen stammen. Es handelt sich um Spuren von
gängigen Turnschuhen Größe 42 und 44. Das sind Männergrößen, aber
ob es sich bei den Tätern um zwei Männer handelt, wissen wir nicht,
auch wenn einiges darauf hinweist.«
»Was zum Beispiel?«, fragte Randver.
»Abgesehen von der Frage, ob es politisch korrekt ist, halte ich es
einfach für wahrscheinlicher, dass zwei Männer es schaffen, drei
Leute zu überwältigen und ihre Gefangenen dann vollständig unter
Kontrolle zu halten.
Wie ich gesagt habe, haben wir nichts in den Händen, was uns sagt,
welchen Geschlechts die Täter waren. Es ist jedoch interessant,
dass es uns scheint, als wäre Elías zuerst allein im Sommerhaus
gewesen und als seien Jói der Bäcker und Goldköpfchen erst später
hinzugekommen.
Man sollte auch dazusagen, dass dort relativ fachmännisch
vorgegangen worden ist. Die Täter haben alle Werkzeuge und
Hilfsmittel entfernt und nichts hinterlassen, obwohl diese
Hinrichtungen einige Zeit in Anspruch genommen haben dürften. Wir
haben keine Zigarettenstummel, Weinflaschen, Bierdosen, Essensreste
oder sonstige Hinterlassenschaften im Sommerhaus gefunden. Nichts
bis auf das Gekrakel, das Theódór gerade untersucht.«
Guðrún verstummte und betrachtete ihre Handflächen. Sie hatte
anscheinend nichts weiter zu der Sache beizutragen.
Randver blickte zu Marinó, der wiederum Jón Esra anschaute, der in
die Reinigung seiner Fingernägel vertieft war, sodass es Marinó
zufiel, sich stellvertretend für die beiden zu äußern.
»Ja, also Jón Esra und ich haben die Gegend durchkämmt. Wir haben
mit allen gesprochen, die sich dort in ihren Ferienhäusern
aufhielten, und haben alle Besitzer der umliegenden Ferienhäuser
ausfindig gemacht. Niemand hat irgendetwas bemerkt. Ich versteh
nicht, warum diese Leute überhaupt aufs Land fahren. Sie fahren mit
dem Auto bis an die Haustür von ihrem Häuschen.
Sie schleppen ihren Kram rein, und dann wird gelesen, DVD oder
Fernsehen geschaut, bis man schlafen geht.
Außer natürlich diejenigen, die trinken. Aber die gehen auch nicht
raus. Gerade mal auf die Veranda, um zu grillen, und dann direkt
wieder rein. Und keiner bemerkt fahrende Autos. Die wenigsten
wissen, wer im Nachbarhaus lebt oder ob überhaupt jemand dort ist.
Vielleicht ist es der Sinn dieser Sache, seine Ruhe zu haben, aber
ich finde es dennoch seltsam, dass die Leute nichts von ihrer
Umgebung mitzubekommen scheinen. Sie betrachten höchstens den See,
und das vor allem, um zu sehen, ob jemand schwarz angelt. Mir ist
dieser Müßiggang ein absolutes Rätsel.«
»Das geht mir auch so«, sagte Randver. »Sind die Leute heutzutage
nicht mehr neugierig, was ihre Nachbarn betrifft?«
»Doch, das schon noch«, antwortete Marinó. »Man interessiert sich
vielleicht nicht für die Menschen selbst, aber welche Automarke der
Nachbar fährt und wie mondän das Haus ist und so etwas, das wollen
sie alle wissen.«
»Nun gut«, sagte Randver. »Aber wie kommt es, dass es genau in
diesem Sommerhaus passierte? Was sagt der Besitzer, Lárus
Herbertsson, selbst?«
»Es war gar nicht so einfach, Lalli im Leder zu erreichen«,
antwortete Helgi Leifur. »Er ist in Polen und ging erst an sein
Mobiltelefon, nachdem ich ihn bestimmt schon zwanzig Mal angerufen
hatte.«
»Was macht er in Polen?«, fragte Randver. »Irgendetwas
Geschäftliches?«
»Nein, er sagte, er sei hingefahren, um zu scheißen.
Hast du nicht gehört, dass es das Neueste bei den Isländern ist,
nach Polen zu düsen und sich einen Einlauf und Kräutertee zu
genehmigen?«
»Doch, ich meine davon gehört zu haben«, sagte Randver. »Fahren die
Leute jetzt wirklich schon ins Ausland, um Stuhlgang zu
haben?«
»Ganze Flugzeugladungen voll«, sagte Helgi Leifur.
»Und das muss auch ganz schön was kosten. Überleg dir mal, wie viel
Geld man jedes Mal spart, wenn man sich gemütlich zu Hause aufs
Porzellan setzt.«
»Das ist ganz schöner Klosetthumor.« Dagný unterbrach die
Unterhaltung, um ihrem Vorgesetzten und Helgi Leifur aus der analen
Phase zu helfen.
»Ja, entschuldigt bitte«, sagte Randver. »Was sagte Lárus denn, als
du ihn gefragt hast, wer Zugang zu seinem Sommerhaus
hat?«
»Er sagte, er wisse von nichts. Es könnte allerdings gut sein, dass
er irgendwann einmal Elías die Schlüssel zum Häuschen geliehen hat,
der hätte überlegt, es zu kaufen, aber dann wäre nichts daraus
geworden. Die Unterhaltung hat unheimlich wenig ergeben. Ich musste
ihm jedes Wort aus der Nase ziehen. Vielleicht hatte die
Darmspülung noch nicht gewirkt. Er sagte, er sei seit Jahren nicht
in diesem Sommerhaus gewesen, und betonte ausdrücklich, dass es in
letzter Zeit niemand mit seiner Erlaubnis betreten habe. Und dann
hat er eigentlich den Hörer aufgeknallt.« »Das ist vielleicht
etwas, das wir besser untersuchen sollten«, sagte
Randver.
»Was denn?«
»Die Verbindung zwischen Lalli im Leder und Elli vom Octopussy.
Früher sprach jeder davon, dass Lalli den Rauschgiftschmuggel
finanziert. Man hat ihm nie etwas nachweisen können, und soweit ich
weiß, hat er ein blütenreines Führungszeugnis. Ich halte es für
einen merkwürdigen Zufall, dass Elli vom Octopussy, dem auch
nachgesagt wird, dass er Drogen schmuggelt, in einem Sommerhaus im
Besitz von Lárus ermordet wird.
Hat Lalli denn etwas davon gesagt, wann Elli das Häuschen kaufen
wollte?«
»Nein, es war streng genommen keine richtige Unterhaltung. Der Mann
wollte so wenig wie möglich mit mir sprechen«, sagte Helgi Leifur.
»Zuerst war alles in Ordnung mit ihm, aber nachdem ich ihm sagte,
wen wir im Sommerhäuschen gefunden hatten, war es so, als ob er
alles so weit wie möglich von sich weisen wollte, und er
behauptete, nichts zu wissen und sich an nichts zu
erinnern.«
»Weißt du denn, wann er wieder vom Klo zurück nach Island
kommt?«
»Nicht vor Dienstag nächster Woche.«
»Bis dahin haben wir das aufgeklärt«, sagte Randver, aber er
spürte, dass es seiner Stimme absolut an Überzeugungskraft
mangelte. »Dagný und Terje, was gibt es Neues von euch
beiden?«
»Eher wenig«, sagte Dagný, die sich beeilte, zu antworten, damit
Terje ihr nicht zuvorkam. »Die Angehörigen von Goldköpfchen und dem
Bäcker schienen von allen am wenigsten zu wissen, wo sie sich
aufgehalten haben könnten und mit was sie sich beschäftigt haben
mögen. Goldköpfchen wohnte in einer Garage an der Ægissíða, aber wo
der Bäcker seine Unterkunft hatte, konnten wir noch nicht
herausfinden. Allerdings sagte uns der Grönländer im Playboy-Club,
dass der Bäcker sich dort die eine oder andere Nacht aufgehalten
habe und anschreiben ließ, und er vermutete, dass unser Freundchen
sich meistens bei alleinstehenden Müttern einquartiert
hat.«
»Welcher Grönländer in welchem Playboy-Club?«, fragte
Marinó.
»Der Playboy-Club heißt Gästehaus Hlynur und ist an der
Hverfisgata. Komisch, dass du ihn nicht kennst.
Er ist nur etwa zweihundert Meter von der Polizeiwache entfernt.«
»Man wird ja wohl fragen dürfen«, maulte Marinó.
»Ja, natürlich«, erwiderte Dagný und beschloss, Marinó nicht
überheblich zu begegnen. Er konnte schließlich nichts dafür, dass
er ihr auf die Nerven ging. »Die Angehörigen von Elías glaubten
anscheinend, er sei auf einer Geschäftsreise im Ausland. Das sagt
seine Lebensgefährtin zumindest. Sie heißt Bjarnveig Samúelsdóttir
und ihr gemeinsamer Sohn Elías hat das bestätigt.«
»Wohin sollte seine Geschäftsreise denn gehen?«, fragte Randver.
»Nach Polen?«
»Nein, nach Kopenhagen, und dann nach Holland und Estland und
vielleicht noch in andere Länder. Er meldete sich wohl gewöhnlich
nur dann, wenn ihm danach war.
Ansonsten war es sehr schwierig, mit diesen Leuten zu reden. Aus
irgendeinem Grund waren sie in Begleitung der Anwältin Auður
Sörensen, die andauernd darauf herumritt, dass sie einen großen
Schock erlitten hätten und deswegen keinen brutalen
Polizeimaßnahmen ausgesetzt werden dürften sprich, ein paar
einfache Fragen zu beantworten. Jetzt sind gute sieben Tage
vergangen, seit Elías sein Zuhause verlassen hat, oder besser
gesagt die Nacht an seinem Arbeitsplatz verbrachte und von dort aus
dann morgens zum Flughafen wollte.«
»Ach, gibt es Übernachtungsmöglichkeiten im Octopussy?«, fragte Jón
Esra.
»Es gibt da jedenfalls genug Betten«, sagte Dagný. »Sie werden
wahrscheinlich beim Revuetanz eingesetzt. Wir haben den Laden
besucht und auch mit einigen der Mädchen gesprochen, die da
arbeiten. Die Anwältin ist ihnen nicht von der Seite gewichen. Sie
wussten von überhaupt nichts. Sagten, dass sie von den Reisen des
Besitzers nichts wüssten. Sie hätten ihn einfach seit ein paar
Tagen nicht gesehen. Ansonsten hätten sie eigentlich keinen Kontakt
zu ihm. Sie sagten, sie seien mit allem sehr zufrieden, und
betonten, dass es ein guter Arbeitsplatz sei und dass ihnen
vertraglich untersagt sei, irgendetwas zu tun, das als illegal
gelten könne.«
»Und der Sohn? Hat der nichts zu sagen gehabt?«
Jetzt konnte Terje nicht mehr länger warten, bis er an der Reihe
war. »Nein, der Junior war nichts als eingeschnappt. Aber er weiß
etwas oder verdächtigt jemanden, von dem er nichts sagen will. Ich
schlage vor, dass wir ihn morgen holen und gründlich verhören. Das
ist so ein Typ, der sich total cool gibt, wenn andere zusehen, aber
ich glaube, er wird schnell zu einem furchtsamen Kaninchen, wenn
man mal vernünftig mit ihm reden kann und von dieser Anwältin in
Ruhe gelassen wird.«
»Worüber hast du mit ihm geredet?«, fragte Randver.
»Also«, sagte Terje, »wenn wir diesen Fall aufklären wollen,
sollten wir uns bewusst machen, dass Elli vom Octopussy Rauschgift
geschmuggelt und verkauft hat, abgesehen davon, dass er
Sklavenhalter ist. Ja, weil diese armen Mädchen, die sich nichts zu
sagen getraut haben, nichts anderes als Sklaven sind. Irgendwelche
Kriminellen in Russland oder Estland besitzen sie und verleihen sie
dann an Zuhälter wie Elli. Dieser Mann ist gefoltert und getötet
worden, mitsamt zwei Geldeintreibern, weil er bis zum Hals in
Verbrechen der ekelhaftesten Art steckt. Je früher wir uns die
weißen Handschuhe abstreifen und den Fall mit voller Kraft
untersuchen, desto schneller finden wir diejenigen, die dort am
Werk waren.
Und das sage ich, obwohl mein Mitgefühl denjenigen gilt, die das
getan haben, nicht zuletzt, weil sie die Liebenswürdigkeit besaßen,
Elli einen Stock in den Hintern zu schieben, um ihm zu ersparen,
nach Polen zu fahren, um seine Verstopfung zu lösen. Sie haben
unser Land von diesem Abschaum gereinigt.«
So hätte Terje nie zu reden gewagt, wenn Víkingur die Besprechung
geleitet hätte, dachte Randver. Ich bin im Prinzip einer Meinung
mit dem Kerl, aber der Ton ist unangemessen.
»Hör mal, Terje«, sagte er. »Es kann gut sein, dass da etwas dran
ist an dem, was du sagst, aber dennoch ist es unangemessen, so zu
sprechen. Wenn wir jemandem einen Gesetzesbruch nachweisen können
und die Gerichte ihn verurteilen ... dann ... dann ...«
»Dann sind sie Verbrecher sonst nicht?«, fragte Terje höhnisch.
»Ich finde es einzigartig, dass das ganze Land weiß, dass das
Octopussy ein Verbrechernest ist, in dem Drogen verkauft werden,
und wer genug Geld hat, darf die jungen Mädchen besteigen, die
nichts anderes sind als Sklavinnen oder Leibeigene und das,
obwohl die Leibeigenschaft hierzulande vor mehr als tausend Jahren
abgeschafft wurde. Nominell. Und was macht die Polizei in der
Sache? Überhaupt rein gar nichts. Wir erstatten irgendwelche
Mini-Anzeigen, damit die Prostitution innerhalb geschlossener Räume
stattfindet, und irgendwelche drittklassigen Juristen in den
Gerichten trauen sich nichts weiter als einen nach dem anderen
freizusprechen, und zwar auf Bestellung der Juragenies, die schlau
genug sind, um von den Kriminellen angestellt zu werden und nicht
beim Staat schuften zu müssen.«
»Ist jetzt nicht Raucherpause?«, fragte Marinó. »Man muss rauchen,
um den ekligen Geschmack der Kaffeebrühe hier
loszuwerden.«
Ausnahmsweise war Randver erleichtert, dass Marinó die Rechte der
Angestellten thematisierte. »Machen wir es so. Fünf Minuten
Pause.«