7

Es widerstrebte ihm, Trübsal zu blasen. Deshalb reiste er nach Petersburg. In Moskau amüsierte er sich nur, während er das Landleben in Podolsk genoß. Aber wenn er gewissen Ausschweifungen frönen wollte, bot diese Stadt nur unzulängliche Möglichkeiten.

Am frühen Abend betrat er den eleganten, mit chinesischer Seide tapezierten Salon im rosa Marmorpalast an der Newa. Lächelnd sank er in seinen Sessel und beobachtete die Verblüffung seiner Familie. »Ist der verlorene Sohn nicht mehr willkommen?«

Alisa, seine Mutter, erholte sich als erste von der Überraschung, eilte zu ihm und umarmte ihn. Zufrieden atmete er das Aroma ihres Parfüms ein. Dieser zarte Lilienduft gab ihm immer wieder ein Gefühl der Sicherheit.

»Lieber Sasha, wir freuen uns so!«

»Danke, maman.« Als er zu ihr aufschaute, las sie bestürzt die Bitterkeit in seinen Augen.

»Wo sind Zena und Bobby?«

»Unterwegs – zu ihrem Großvater.«

»Obwohl deine Frau im sechsten Monat schwanger ist?« fragte Nikki, der am Fenster saß, in skeptischem Ton.

»Offenbar vermißt sie Iskender-Khan.«

»Wann erwartest du sie zurück?« fragte Alex’ Schwester Katelina. Während ihr Mann durch Europa reiste, wohnte sie mit ihren beiden Kindern im Petersburger Palais.

»Das hat sie nicht erwähnt.« Alle hoben verwundert die Brauen. »Habe ich noch Zeit, mich vor dem Abendessen umzukleiden?« fragte Alex, um das Thema zu wechseln.

»Natürlich, Sasha«, versicherte Alisa freundlich. »Wir warten gern auf dich.« Als er den Salon verließ, warf sie ihrem Mann einen warnenden Blick zu und hinderte ihn an einer sarkastischen Bemerkung. »Hab’ Geduld mit ihm, Nikki. Für ihn ist das alles nicht so einfach, nachdem er schon in jungen Jahren zur Ehe gezwungen wurde.«

»Du müßtest es wissen, Papa«, neckte ihn Katelina.

»Sei nicht so frech!« schimpfte er in gespieltem Zorn. Er vergötterte seine Stieftochter, die genauso aussah wie Alisa vor fünfundzwanzig Jahren. Und sie wußte, daß sie ihren Vater um den kleinen Finger wickeln konnte.

»Katelina hat völlig recht, Nikki«, meinte Alisa. »Gerade du müßtest Sashas Probleme verstehen. Wir werden bald herausfinden, was geschehen ist. Bitte, keine Streitigkeiten beim Abendessen!«

»Keine Bange, ich werde meine scharfe Zunge im Zaum halten. Am besten reden wir über das Wetter.«

Eine halbe Stunde später wurde der erste Gang serviert. Alex starrte ins Leere, schob geistesabwesend einen Löffel Suppe in den Mund und hörte seinen Vater fragen: »Findest du das Wetter in letzter Zeit nicht auch ungewöhnlich angenehm, Sasha?« Da Nikki keine Antwort erhielt, fuhr er mit sanfter Stimme fort: »An einem so milden Sommerabend gehe ich sehr gern spazieren.«

»Ich mag die langen Sommerabende, weil ich da nicht so früh ins Bett muß«, verkündete die kleine Natalie.

»Wandern wir heute am Ufer entlang, Großpapa?« schlug Katelinas Sohn vor, ein hochgewachsener blonder Junge.

»Ja, bitte!« piepste seine vierjährige Schwester.

»Nur wenn ihr die Damen nicht mit Fröschen bewerft!« erwiderte Nikki lachend.

»Sind Georgi und Valentin in Paris, Papa?« fragte Alex.

»Nur Georgi. Für diese – eh – Erziehung ist er noch zu jung. Georgi scheint in deine Fußstapfen zu treten und sich köstlich zu amüsieren. Er hat Honore Constances Nichte kennengelemt. Derzeit kann man ihn nicht nach Hause locken. Ich glaube, unsere Familie wird ihre finanzielle Transaktion wiederholen.«

Warnend schaute der Sohn den Vater an, da die Mutter nicht wußte, auf welche Weise Honore Constance de la Garonne, Alex’ frühere Geliebte, entschädigt worden war. Maman mißbilligte die Gepflogenheit der Kuzans, die Frauen, die ihren Reiz verloren hatten, mit großzügigen Summen abzuspeisen. Nach Alisas Meinung konnte man gebrochene Herzen mit Geld nicht heilen.

Diese kaltblütige Nonchalance tat ihrer romantischen Seele weh.

»Hoffentlich ist die Nichte so charmant wie die Tante«, meinte Sasha und wechselte hastig das Thema. »Wo ist mein Bruder Valentin?«

»In Mon Plaisir«, entgegnete Nikki. »Dort bringt Yukko ihm bei, wie man Pferde zureitet. Vor einer Woche besuchte ich ihn und gewann den Eindruck, es würde ihm widerstreben, jemals wieder in die langweilige Großstadt zurückzukehren.«

»Und wo steckt Wolf? Wohnt er denn nicht bei euch?«

Die Eltern wechselten einen raschen Blick, und Katelina errötete heftig. Dann räusperte sich Nikki. »Er ist – eh – ebenfalls nach Mon Plaisir gefahren. Bald kommt er wieder hierher. Das hängt davon ab, wie viele Fische er fängt …«

»… oder wie lange es dauern wird, bis er sich beruhigt«, warf Natalie ein. »O Gott, war der wütend!«

»Warum?« fragte Alex.

»Offenbar hat er das wilde Kuzan-Temperament geerbt«, seufzte Nikki. »Er wollte etwas, das er nicht bekommen konnte. Reden wir nicht mehr darüber, sonst würde sich deine maman aufregen. Und du solltest an deine Manieren denken, Natalie. Für dein zartes Alter hast du viel zu große Ohren.«

»Ja, Papa«, murmelte seine kleine Tochter tugendhaft. Aber allzulange würde sie ihre Neugier nicht bezähmen. Sie fand immer heraus, was in diesem Haus geschah, und Alex beschloß, sie später zu befragen. Seltsam – warum war Katelina feuerrot geworden?

Nach dem Dessert stand er auf und rückte seine Manschetten unter dem Abendjackett zurecht. »Ich gehe in den Nobles Club. Wartet nicht auf mich.«

Zur Schlafenszeit saß Alisa vor ihrem Toilettentisch mit der weißen Moire-Decke und bürstete ihr Haar. Nikki berührte die schönen rotgoldenen Locken, und ihre Blicke trafen sich im Spiegel.

»Was sollen wir nur tun, Nikki?« klagte sie. »Zwei ungebärdige Jungs auf einmal in der Stadt! Stell dir die Skandale vor, die Sasha und Wolf heraufbeschwören werden! Dabei ist eben erst Gras über den Zwischenfall mit Krasskov gewachsen. Glücklicherweise ist er am Leben geblieben.«

»Mach dir keine Sorgen, mein Schatz. Haben wir’s nicht immer wieder geschafft, Katastrophen abzuwenden?«

»Aber Sasha mußte dieses Mädchen aus dem Kaukasus heiraten. Nicht einmal du konntest es verhindern. War es denn wirklich nötig?«

»Allerdings. Wie ich dir schon oft genug erklärt habe – das war er seiner Ehre schuldig.«

»Und jetzt Wolf! Und Katelina! Seine amourösen Attacken haben sie zutiefst verstört. Wo sie ihrem Stefan doch immer treu war!«

Nikkis Augen verengten sich, als er an die zahlreichen Seitensprünge seines Schwiegersohns dachte. Diesem Kerl hätte Katelina längst eine Lektion erteilen müssen.

»Offenbar ist Wolf nicht an solche Abfuhren gewöhnt«, fügte Alisa hinzu. »Ich hoffe nur, jene gräßliche Szene wird sich nicht wiederholen, wenn er zurückkommt. Eigentlich sollte er verstehen, daß Katelina eine verheiratete Frau und nicht an seinen Avancen interessiert ist. Wirklich, diese Leute aus den Bergen strapazieren meine Nerven. Man kann einfach nicht vernünftig mit ihnen reden wie mit normalen Menschen. Versteh mich nicht falsch – ich finde Wolf sehr nett. Aber er ist so …«

»Unkontrollierbar?«

»Ja, genau. Ich habe ein ungutes Gefühl. Wirst du Wolfs und Sashas Eskapaden in den Griff kriegen?«

»Natürlich. Früher war ich ebenso unkontrollierbar, und ich habe von meinem Vater gelernt, wie man damit umgeht. Mit Geld und Einfluß lassen sich alle Probleme lösen. Das funktioniert schon seit Jahrhunderten. Wenn es jemand wagt, dich auf diesen langweiligen Teeparties mit Klatschgeschichten über meine verworfenen Söhne zu beleidigen, sag einfach, das Laster liege nun mal im Kuzan-Blut. Beruhige dich. Weder den beiden Jungs noch Katelina wird ein Leid geschehen. Und jetzt gehen wir ins Bett.« Zärtlich strich er über den Satin, der Alisas Schultern bedeckte. »Warum hast du dich in den letzten fünfundzwanzig Jahren kein bißchen verändert?«

Sie stand auf, wandte sich lächelnd zu ihm und legte die Arme um seinen Hals. »Weil ich jede Woche fünf Tage lang hungere, um für dich schlank zu bleiben, du Lüstling.«

»Ah, das gefällt mir! Eine pflichtbewußte Ehefrau!«