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Als Zena erwachte, lag sie auf einer gepolsterten Kutschenbank. Angstvoll hob sie den Kopf, dann erblickte sie Alex auf der Bank gegenüber und seufzte erleichtert.

»Endlich hast du deine schönen Augen geöffnet, dushka.« Er neigte sich zu ihr und umarmte sie. Von der Erinnerung an das Leid und die Demütigungen der letzten Woche überwältigt, brach sie in Tränen aus. »Jetzt ist alles vorbei, meine Süße«, beteuerte er und streichelte sie beruhigend. »Bei mir bist du in Sicherheit.« Zärtlich küßte er ihre Lippen. »Bobby und ich haben dich sehr vermißt. Lauf nie wieder weg! Für unerfahrene junge Damen ist diese Welt viel zu gefährlich.«

Sie schluchzte noch lauter, klammerte sich an den geliebten Mann und fürchtete, sie würde träumen und bald wieder in der Gewalt jener elenden Banditen erwachen. Doch dann spürte sie Alex’ starke Brust, roch seinen vertrauten maskulinen Duft.

Nein, es war kein Traum, sondern wunderbare Wirklichkeit.

Behutsam löste er ihre Arme von seinem Hals und preßte die Lippen auf ihre Handflächen. »Warum hast du mir nichts von dem Baby erzählt?«

»Weil ich dachte – es würde dich nicht interessieren.«

»Natürlich interessiert es mich«, tadelte er sanft, und ein zaghafte Hoffnung stieg in ihr auf. »Sobald wir wieder daheim sind, kaufe ich dir ein Haus in Petersburg oder Moskau. Oder eins in beiden Städten. Was immer du willst.« Als er sah, daß sie mit neuen Tränen kämpfte, fragte er besorgt: »Habe ich was Falsches gesagt?« Er verstand ihren Kummer nicht. Immerhin hatte er ihr ein Angebot gemacht, das er überaus großzügig fand. Wie seltsam sich die Frauen manchmal benahmen … Wahrscheinlich hing dieses Wechselbad der Gefühle mit Zenas Schwangerschaft zusammen.

»O nein, Sasha«, erwiderte sie wehmütig und wischte ihre tränenfeuchten Wangen ab, »du hast nichts Falsches gesagt.«

»Dann hör zu weinen auf. Ich kümmere mich um dich und das Baby.«

Von einer Heirat war nicht die Rede. Daran verschwendete er keinen einzigen Gedanken. Trotzdem verzieh sie ihm – weil sie ihn über alles liebte. Vielleicht würde eines Tages ihr Stolz zurückkehren und ihr gebieten, seine starken Arme abzuwehren. Aber jetzt wollte sie bei ihm bleiben, um jeden Preis. Es kam ihr so vor, als wäre sie von den Toten auferstanden und neues Lebensblut würde durch ihre Adern fließen.

»Und in der Datscha lassen wir das Kinderzimmer renovieren«, fügte er hinzu. Jeder Frau machte es doch Spaß, Räume umzugestalten und hübsch zu dekorieren, nicht wahr? Er unterbreitete ihr einige Vorschläge, versuchte auf vage, unvollkommene Weise ihre Wünsche zu erfüllen.

Was sie wirklich ersehnte, konnte man mit Geld nicht kaufen. Doch er war unfähig, solche Träume auch nur zu erahnen.

Die Kutsche brachte sie nach Wladikawkas. Fürsorglich vermied er alle Gesprächsthemen, die Zena bedrücken mochten. Nachdem sie ein freudiges Wiedersehen mit Bobby und den Kindermädchen gefeiert hatte, stiegen sie alle in den Privatwaggon des Prinzen und fuhren nach Kislowodsk. Nur Ivan blieb zurück, um den ersten Transport der Pferde in Ibrahim Beys Lager zu organisieren.

Auf der Reise nach Kislowodsk hatte Alex ausdrücklich bestanden, denn es gehörte zu den vier Städten des Beschtau, wo die berühmten kaukasischen Heilquellen entsprangen. Hier besaß die Familie Kuzan eine Villa, in der sich Zena von ihren qualvollen Strapazen erholen sollte, bevor sie nordwärts weiterfuhren.

Der Luxus von Kislowodsk übertraf den Komfort aller europäischen Kurorte. In gepflegten Gärten erhoben sich prächtige Gebäude, von Bankiers und Aristokraten aus Petersburg bewohnt. Tropische Pflanzen und Wäldchen schmückten die Stadt. Ringsum ragten zerklüftete Felsgebirge empor. Nirgendwo anders fand man eine so romantische Verschmelzung von westlicher und östlicher Kultur.

Am Abend ihrer Ankunft zogen Alex, Zena, Bobby und die Dienerschaft in die Kuzan-Villa. Zwei Wochen lang verwöhnte der Prinz seine Geliebte wie nie zuvor und half ihr, die bösen Erinnerungen zu verwinden. Er brachte ihr persönlich das Frühstück und das Mittagessen ans Bett. Erst nachmittags durfte sie aufstehen. Dann fuhren sie durch die Stadt und die nähere Umgebung, tranken Mineralwasser in einem der Bäder, oder sie sonnten sich auf der Veranda.

Bobby spielte im großen Park, der die Villa umgab. Im milden, heilsamen Klima genas er bald von seinen Atembeschwerden.

Nacht für Nacht beglückte Alex seine Geliebte mit immer neuen sinnlichen Freuden. Sie vergalt es ihm mit gleicher Glut, und was sie einander schenkten, führte zu ekstatischen Höhen, die sie nie zuvor erreicht hatten. Eines Abends lagen sie im Bett, müde und zufrieden, nachdem das Verlangen gestillt war. Durch die offene Verandatür sahen sie den funkelnden Sternenhimmel.

Zena wurde wieder einmal von jenen Bedenken geplagt, die vom Zwiespalt zwischen ihrer moralischen Erziehung und den unersättlichen Bedürfnissen ihres Körpers herrührten. Traf die abfällige Behauptung ihrer Tante zu, alle Tscherkessinnen seien Huren? Was hielt Alex von ihren kühnen Liebesspielen? Sie hatten nie über das Ausmaß ihrer Aktivitäten im Schlafzimmer gesprochen. Glaubte auch er, sie wäre zu wollüstig? Würde er sie deshalb verachten? Den Kopf auf seine Brust gelegt, begann sie zögernd: »Sasha … ?«

»Ja?« murmelte er, einen Arm um ihre Schultern geschlungen.

»Findest du mich manchmal zu – aggressiv?«

»Was meinst du?«

»Ach, ich weiß nicht – vielleicht erlaube ich mir im Bett zuviel.«

Lächelnd blickte er ins Dunkel. »Glaubst du immer noch, du müßtest dich in meinen Armen damenhaft benehmen? Damit würdest du meine Leidenschaft nur abkühlen. Sei versichert, die Ansicht, wohlerzogene Damen dürften sich im Bett niemals ihren Gelüsten hingeben, ist reiner Unsinn und nur die Erfindung gefühlskalter Tugendlämmer. Ich spreche aus Erfahrung. Immerhin kannte ich schon sehr viele Aristokratinnen. Autsch!« klagte er, als Zena in seinen Arm biß.

»Wofür bestrafst du mich denn?«

»Für deine Erfahrungen mit all den vielen Aristokratinnen.«

»Hast du dir etwa eingebildet, du wärst die erste? Soll ich dir zeigen, was die anderen mit mir gemacht haben?« Dieser boshafte Vorschlag führte zu einer fröhlichen Balgerei.

Schließlich lag er lachend auf Zenas Körper und kitzelte sie, bis sie erschöpft nach Luft schnappte.

»Hör endlich auf, Sasha!«

»Unter einer Bedingung – du mußt dein Baby nach mir nennen.«

»O nein, Alexander Nikolaevich ist viel zu lang.«

»Das meine ich nicht. Eigentlich dachte ich an Apollo – eine Huldigung an meine Schönheit.«

»Wie bescheiden du bist …«, spottete sie.

»Daran ist meine Mutter schuld. Sie versicherte mir immer wieder, ich sei wunderschön.«

»Und du glaubst ihr natürlich.«

»Nun, ein paar andere Damen haben ihr zugestimmt – du weißt schon, die besagten Aristokratinnen.«

Ihre blauen Augen verengten sich. Blitzschnell hob sie ein Knie, und er wich ebenso rasch zurück, um einem gefährlichen Angriff auf seine edlen Teile zu entrinnen.

Dann saß er grinsend am Fußende des Betts. »Es klingt zwar wie ein gräßliches Klischee – aber hat dir schon jemand gesagt, wie hinreißend du aussiehst, wenn du wütend bist? Im Ernst, meine Liebe, ich kapituliere«, fügte er galant hinzu. »Verzeih mir die Hänseleien. Selbstverständlich darfst du dein Kind so nennen, wie’s dir gefällt. Oh, ma petite, du bist die Freude meines Lebens.«

Als sie dieses charmante Kompliment hörte, verebbte ihr Zorn. Seufzend schaute sie zu Alex auf. »Ich liebe dich, Sasha«, flüsterte sie und streckte ihm beide Arme entgegen.

Noch nie hatte er so unverhohlene Gefühle in den Augen einer Frau gelesen, und diese Erkenntnis weckte ein leichtes Unbehagen. »Und ich werde dich immer bei mir behalten«, antwortete er ausweichend und zog sie an seine Brust.