7
Eines Morgens frühstückten sie mit Bobby auf der Veranda, die eine spektakuläre Aussicht auf das Gebirge bot. Strahlender Sonnenschein begrüßte den neuen Tag. Nun näherte sich die zweite Woche, die sie in der luxuriösen Villa verbrachten, bereits dem Ende.
Zena bestrich den Toast ihres kleinen Bruders mit Marmelade, als sie plötzlich eine Bewegung am Ende des Parks entdeckte. Nervös berührte sie den Arm des Prinzen.
»Was gibt’s?« fragte er und legte seine Zeitung beiseite.
»Schau doch, Sasha!« wisperte sie.
Zwei Reiter folgten in gemächlichem Trab dem Kiesweg, der direkt zur Terrasse führte. Hinter ihnen sprengte eine Kriegerkavalkade über den schmiedeeisernen Zaun.
Verärgert über die unbefugten Eindringlinge, stand Alex auf, trat an die marmorne Balustrade und wartete ungeduldig.
Die beiden Männer zügelten ihre Pferde vor den Stufen und nahmen die Hüte ab. Aber sie verneigten sich nicht.
»Prinz Alexander Kuzan«, sagte einer der dunkelhäutigen Krieger. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Offenbar wußte er genau, wen er vor sich hatte.
»Ja?«
»Iskender-Khan bittet um die Ehre Ihres Besuchs, und wir sollen auch seine beiden Enkelkinder einladen.«
»Einladen?« wiederholte Alex sarkastisch.
»Die Eskorte wurde nur abgestellt, um Ihre Sicherheit in den Bergen zu garantieren«, erwiderte der Anführer des Trupps gleichmütig, ohne die zornige Miene des Prinzen zu beachten.
»Über hundert Mann?« fragte Alex nach einem kurzen Blick auf die versammelten Krieger in seinem Park.
Erst vor kurzem hatte Iskender-Khan von der unangenehmen Begegnung seiner Enkelin mit den mingrelischen Sklavenhändlern erfahren. Einige Schäfer hatten den schwerverletzten Ma’amed gefunden und sein Leben gerettet. Sobald der Clan-Führer die Nachricht erhalten hatte, war sein Trupp nach Süden aufgebrochen, um nach ihr zu suchen. Schließlich hatte die Spur nach Kislowodsk geführt.
»Unser Herr möchte Ihre Bekanntschaft machen, Prinz Alexander, und seine Enkelkinder sehen«, erklärte der Anführer. »Deshalb befahl er uns, Ihnen sicheres Geleit zu geben.«
»Und wenn ich mich weigere?«
»In diesem Fall sollen wir die Einladung noch einmal aussprechen.«
Auch Zena war mittlerweile an die Balustrade getreten, während Bobby am Tisch sitzen blieb und die imposanten Ritter der Berge ehrfürchtig anstarrte. In ihren silbern beschlagenen Gürteln steckten Säbel und langläufige Pistolen, an den Schultern hingen Gewehre.
»Bitte, Sasha, er ist mein Großvater«, betonte Zena. »Gewiß kann es uns nicht schaden, seine Gastfreundschaft anzunehmen.«
»Wie du weißt, lasse ich mich nicht gern nötigen.«
»Vielleicht ist eine so große Eskorte unter diesen Umständen normal.«
»Ja, das wäre möglich. Und ich fürchte, es bleibt uns auch gar nichts anderes übrig, als Iskender-Khans Truppe zu folgen. Dafür hat er eindrucksvoll gesorgt.« Alex wandte sich wieder zum Anführer. »Also gut, wir werden Sie begleiten. Aber ich nehme einige meiner Leute mit.«
»Natürlich, Prinz Alexander, so viele Sie wollen. Für Iskender-Khans Enkelin haben wir eine Sänfte bereit.«
»Die brauche ich nicht«, protestierte Zena.
»Ich möchte lieber reiten.«
»Zweifellos würde Ihnen mein Herr empfehlen, die Sänfte zu benutzen, Mademoiselle«, entgegnete der Anführer energisch. Auch er hatte die Fußspuren im blaugrauen Schlamm jenes fernen Tals gesehen.
»Wenn Sie meinen …« Resignierend wandte sie sich zu Alex und zuckte die Achseln. Zwei Stunden später zog die Kavalkade langsam durch Kislowodsk, und bald begann der allmähliche Aufstieg in die Berge. Trotz verschiedener Abkürzungen, die kein Europäer kannte, würde die Reise zu Iskender-Khans Wohnsitz sieben Tage dauern.