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Alex kam zu Mittag in der Datscha an und betrat den kleinen Salon an der Westseite, weil er vermutete, Zena und Bobby würden gerade dort essen. Als er die beiden nicht antraf, schaute er sich nach einem Diener um, den er fragen konnte, wo sie zu finden seien. Zu seiner Verblüffung ließ sich niemand blicken. Das beunruhigte ihn. Erst jetzt erinnerte er sich wieder an die seltsame Nervosität des Reitknechts, dem er das Pferd übergeben hatte.
»Wo zum Teufel stecken denn alle?« rief er ungeduldig.
Es dauerte eine Weile, bis Ivan erschien.
»Also, wo sind die Dienstboten?« stieß Alex hervor.
»Sie gehen Ihnen aus dem Weg, Sasha.«
»Warum?« Erschrocken runzelte Alex die Stirn. »Ist mit Zena alles in Ordnung?« Womöglich hatten sich irgendwelche Beschwerden eingestellt, die mit der Schwangerschaft zusammenhingen.
»Keine Ahnung.«
»Was?«
»Vor zwei Tagen ist sie mit Bobby abgereist. Sie erklärte mir, sie würden ihren Großvater besuchen, und Vladimir fuhr sie zum Hotel d’Angleterre.«
»Dieses unverschämte Biest!« schrie der Prinz. Dann merkte er, daß sein Verwalter nach wie vor neben ihm stand, und bezwang seinen Zorn. »Danke, Ivan. Sag den Dienern, sie können aus ihren Verstecken hervorkriechen. Ich werde niemandem den Kopf abreißen. Und laß eine Flasche Cognac in mein Zimmer bringen.«
Sorgfältig suchte er seine ganze Suite nach einem Brief von Zena ab, fand aber keinen. Wenigstens ein paar Zeilen hätte sie ihm höflichkeitshalber schreiben können …
Nun, er sollte froh sein, daß er sie losgeworden war. Dieser barbarische alte Tartar und seine rebellische Enkelin paßten großartig zusammen.
Wenn sie so kindisch ist, nach jedem Streit davonzulaufen – meinetwegen, dachte Alex. Sie weiß, wo ich bin. Wenn sie will, kann sie jederzeit zurückkommen.
Leise klopfte es an der Tür, und der Cognac wurde serviert.
Am Abend schlug das dunkelhaarige Stubenmädchen das Bett des Prinzen auf und warf ihm wieder einmal kokette Blicke zu. Diesmal nicht vergeblich. Als er sich in seinem bequemen Sessel vor dem Kamin räkelte, musterte er die junge Frau mit halb geschlossenen Augen. »Du bist neu hier, nicht wahr?« Lässig winkte er sie zu sich. »Wie heißt du?«
»Sophia, Exzellenz«, erwiderte sie und knickste anmutig.
»Sophia …«, wiederholte er in sanftem Ton. »Warum ziehst du dich nicht aus?«
Unglücklicherweise durfte die arme Sophia nur in einer einzigen Nacht ihre treue Ergebenheit beweisen, denn ihr Herr fuhr am nächsten Morgen nach Petersburg.