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»Tut mir leid, ma petite«, entschuldigte sich Alex, als sie die Treppe zu seiner Suite hinaufstiegen. »Gestern traf ich Yuri in Moskau, und weil wir schon so lange befreundet sind, lud ich ihn nach Podolsk ein. Aber ich hätte nie vermutet, daß er Amalie mitbringen würde. Vorhin erklärte er mir, sie hätte sich aufgedrängt. Sie ist ein Biest, und ich war furchtbar wütend, weil sie dich so unhöflich behandelt hat.«

»Schon gut, Sasha. In Zukunft werde ich mich auf indiskrete Fragen vorbereiten und mir irgendwelche Lügen ausdenken.« Sie betraten das Wohnzimmer, und Zena schaute ihn unsicher an. »Ist sie eine alte Freundin? Ihr scheint euch sehr gut zu kennen.«

»Keine Freundin, nur eine Bekannte. Wollen wir mit Bobby Spazierengehen?«

Während der nächsten Tage kam Yuri sehr oft in die Datscha. Seit der Kindheit zählte er zu den besten Freunden des Prinzen. Sie waren noch nie so lange getrennt gewesen wie in diesen Wochen, die Alex mit Zena in Podolsk verbracht hatte. Bald gewann Yuri den Eindruck, daß Sasha nicht nur erotische Gefühle für seine neue Geliebte empfand. Ihm selbst war das offensichtlich noch nicht klargeworden.

Yuri hoffte, er würde die Situation richtig einschätzen. Wenn Zena das gleiche Schicksal erleiden müßte wie ihre Vorgängerinnen – dann gnade ihr Gott. Nur zu gut erinnerte er sich, wie viele Herzen Sasha in den letzten sechs Jahren gebrochen hatte. Vielleicht spielte er nur mit ihr, und dann wäre die junge Frau, die ihren Verführer zweifellos liebte, zu bedauern.

An einem sonnigen Nachmittag saßen sie zu dritt im kleinen Salon an der Rückfront des Hauses. Alex und Yuri hatten verschiedene, soeben aus Frankreich gelieferte Weine gekostet. Auch Zena probierte aus jeder Flasche einen kleinen Schluck. Durch die venezianischen Erkerfenster, die nach Süden und Westen hinausgingen, fiel helles Licht ins Zimmer.

»Wie idyllisch es hier ist, Sasha!« meinte Yuri. »In deiner Datscha kann man sich großartig von der Moskauer und Petersburger Hektik erholen.«

»Amen.« Alex prostete seinem Freund zu.

»Und du mußt auf dem Land nicht vor kupplerischen Müttern heiratsfähiger Töchter fliehen. Übrigens, letzte Woche ist Malekov endlich in Lydias Netz hängengeblieben. Wenn ich mich nicht irre, wird er bald Vater.« Yuri seufzte tief auf. »Eines Tages wird’s uns allen passieren.«

»Mir nicht. Ich will mich nicht mit einer Ehefrau und Kindern belasten.«

Bestürzt über diese unverblümte Erklärung, schaute Yuri die errötende Zena an. Um ihr über die Verlegenheit hinwegzuhelfen, wechselte er taktvoll das Thema. »Willst du mir immer noch Pashas jüngsten Sprößling verkaufen, Sasha?«

»Gewiß. Möchtest du das Fohlen sehen? Ein bildhübsches Tierchen. Entschuldigst du uns, ma petite

Alex führte seinen Freund in den Stall, ohne zu ahnen, welchen Kummer er heraufbeschworen hatte. Was das verletzliche Gefühlsleben der Frauen betraf, fehlte ihm jegliches Verständnis, und er interessierte sich auch nicht dafür. Schon in jungen Jahren hatte der reiche, attraktive Prinz gelernt, hoffnungsvollen jungen Damen und ihren Müttern sehr distanziert zu begegnen. Und er beherzigte stets den Rat seines Vaters, niemals ein Versprechen zu geben, das er nicht halten wollte.

»Das empfehle ich dir nicht nur zu deinem Wohl, sondern auch aus reiner Selbstsucht«, hatte Nikki vor einiger Zeit betont. »Ich möchte mir von meinen Freunden nicht vorwerfen lassen, ich hätte einen skrupellosen jungen Wüstling großgezogen, der ihre Töchter verführt. Halte dich von allen Jungfrauen aus ehrbaren Familien fern! Manchmal wir’s dir schwerfallen. Viele dieser süßen kleinen Dinger sind nur zu gern bereit, ihre Unschuld zu opfern. Wenn ich deine Mutter nicht so innig liebte, würden sie meine Treue auf eine harte Probe stellen. Daß sie nach einem hübschen Jungen wie dir verrückt sind, begreife ich. Aber warum sie auch mich zu umgarnen suchen ist mir rätselhaft.« Die Bescheidenheit des Fürsten entbehrte jeder Grundlage, denn er sah mit seinen grauen Schläfen und der schlanken, muskulösen Gestalt so attraktiv aus wie eh und je. »Begnüge dich lieber mit verheirateten Damen oder Frauen aus einer gewissen Gesellschaftsschicht. Die können dich nicht zur Ehe zwingen.«

»Ich schlafe, mit wem ich will«, erwiderte Alex selbstbewußt.

»In diesem Fall muß ich meine diplomatischen Fähigkeiten nutzen.« Dazu sollte Nikki in den nächsten Jahren zahlreiche Gelegenheiten bekommen.

Mit vierundzwanzig hatte Alex gelernt, den weisen Rat seines Vaters und die gesellschaftlichen Regeln zu befolgen. In einem Punkt hatte er sich allerdings schon immer an Nikkis Ermahnung gehalten und keiner Frau irgend etwas versprochen.

Von qualvollen Kopfschmerzen geplagt, eilte Zena in ihr Zimmer und sank aufs Bett. Sashas vehementer Protest gegen die Ehe lastete bleischwer auf ihrer Seele, denn sie fürchtete, er könnte bald Vater werden. Seit Wochen weigerte sie sich, die offenkundigen Anzeichen wahrzuhaben. Natürlich war ihr von Anfang an bewußt gewesen, daß er sie nicht heiraten würde. Er hatte ihr nichts weiter angeboten als seine Gastfreundschaft, bis sie beschließen würde, ihre Reise fortzusetzen. Warum hoffte sie wie eine romantische Närrin auf ein Wunder? Verzweifelt begann sie zu schluchzen. O Gott, was sollte sie tun? Bald versiegten die Tränen, aber die Kopfschmerzen ließen nicht nach, während sie ihre prekäre Situation überdachte. Sie wollte bei Sasha bleiben, seine Liebe gewinnen, jeden Morgen in seinen warmen, starken Armen erwachen … Vorerst besiegte dieser schöne Traum ihre Angst und die Stimme ihrer Vernunft.

Alex schlenderte eine Stunde später ins Zimmer und teilte ihr mit, Yuri sei nach Moskau zurückgefahren. »Heute abend findet ein Ball bei den Strindbergs statt. Zum Glück muß ich nicht hingehen. In unserer Einsiedelei gefällt’s mir viel besser. Fühlst du dich nicht wohl?« Aufmerksam musterte er ihr blasses Gesicht.

»Nun – mein Kopf tut ein bißchen weh«, gab sie zu. »Nichts Ernstes …«

»Armes Kind!« Er setzte sich auf die Bettkante. »Hast du zuviel Wein getrunken?«

»Nein, das glaube ich nicht.«

»Ruh dich aus.« Behutsam massierte er ihre Schläfen. Was für seltsame Gegensätze sich in diesem faszinierenden Mann vereinen, dachte sie – kalte Selbstsucht und zärtliche Fürsorge. »Geht’s dir jetzt besser?« fragte er nach einigen Minuten.

»O ja, danke, Sasha. Wo hast du das gelernt?«

»Bei meiner Kinderfrau. Auf diese Weise pflegte sie meine schlimmsten Wutausbrüche zu beenden.« Er griff nach der Karaffe, die auf dem Nachttisch stand, und schenkte sich einen Cognac ein. »Möchtest du auch ein Glas?«

»Jetzt nicht. Trinkst du immer soviel?«

»Meistens. Je nachdem. Hier draußen auf dem Land halte ich mich einigermaßen zurück. Du solltest uns mal bei den Manövern im August sehen. Da werden wir drei Wochen lang nicht nüchtern. Ein Wunder, daß wir auf unseren Pferden sitzen bleiben … Jetzt, wo mich deine Schönheit berauscht, brauche ich nur wenig Alkohol, meine Süße.« Lächelnd strich er über ihre Wange. »Aber in der Stadt muß ich mich betrinken, um die gesellschaftlichen Verpflichtungen zu ertragen. Wie ich diese verfluchten Bälle hasse! Normalerweise besuchen Yuri und ich diese Feste erst zu später Stunde – und ziemlich angeheitert. Dann können wir’s halbwegs verkraften, mit schmachtenden jungen Damen zu tanzen und ihr albernes Geschwätz mit anzuhören.«

»Du bist sehr oft mit Yuri zusammen, nicht wahr?«

»Ja, gewiß.«

»Neulich erzählte er mir, du würdest in eurem Freundeskreis der ›Bogenschütze‹ genannt. Betreibst du diesen Sport regelmäßig?«

»Gelegentlich.«

»Nur gelegentlich? Wieso bist du dann zu diesem Beinamen gekommen?«

»Das dürfte dich wohl kaum interessieren.«

»Doch, sogar sehr.«

Resignierend zuckte er die Achseln. »Also gut … Ich habe einmal einen Wettbewerb gewonnen.«

»Welchen?«

»Ach, das war nichts Besonderes.«

»Erzähl mir davon.«

»Die Bescheidenheit verbietet mir, darüber zu sprechen.«

»Als ob du wüßtest, was Bescheidenheit ist, du arroganter, egoistischer Schurke! Sag’s mir endlich!«

»Warum müssen die Frauen so hartnäckig sein? Um deine Neugier zu befriedigen – Yuri und ich gingen auf einen Kostümball, und ich war als einer von Robin Hoods Bogenschützen verkleidet. Das Fest geriet außer Kontrolle. Zu fortgeschrittener Stunde beschlossen wir, einen erotischen Wettkampf zu veranstalten.«

»Einen – was?« flüsterte Zena schockiert.

»Damals war ich jung und leichtsinnig«, versuchte er sich zu rechtfertigen.

»Wann?«

»Vor einem Jahr.«

»Ah, da warst du doch blutjung!« spottete sie.

»Und sternhagelvoll.«

»Wie hast du den Wettbewerb gewonnen?«

»Indem ich’s sechsundzwanzig Stunden lang mit diversen Damen trieb und Yuri um anderthalb Stunden besiegte. Das hat er mir nie verziehen.«

»Hat jemand zugesehen?« fragte Zena entsetzt.

»Natürlich.«

»Oh, wie widerwärtig!«

»Jetzt bist du mir böse, ma petite. Aber du wolltest es ja unbedingt wissen. Schade, daß ich dich damals noch nicht kannte«, fügte er grinsend hinzu. »Sonst hätte ich’s mit einer einzigen Dame geschafft.«

»Wie kannst du es wagen …«

»Warum bist du denn beleidigt? Das war ein Kompliment.«

»Du behandelst mich wie eine – eine Hure!« fauchte sie erbost.

»So habe ich’s nun wirklich nicht gemeint«, protestierte Alex. »Vergiß es! Du hast mich mißverstanden …«

»Mißverstanden?« zischte sie. »Das bezweifle ich! Und da du mich für eine so großartige Liebhaberin hältst, sollte ich meine Fähigkeiten nicht länger verbergen. Es wäre doch töricht, wenn ich sie an einen einzigen verschwendete. Vielleicht lerne ich in den Armen anderer Männer ganz neue Freuden kennen. Du sagst, du hättest Yuri bei jenem Wettbewerb nur um anderthalb Stunden geschlagen? Am besten fange ich mit ihm an.« Voller Genugtuung sah sie einen Muskel in seinem Kinn zucken.

»Keiner außer mir wird dich anrühren«, stieß er hervor.

»Nein, du wirst mich nicht mehr anrühren. Ich lasse mich nicht mit den Frauen vergleichen, die du bei deinem abscheulichen Wettkampf beglückt hast.«

»Meine Liebe, ich werde dich anrühren, wann immer ich’s will.«

»Nein!«

»Da irrst du dich.« In seinen goldbraunen Augen lag eine unverhohlene Drohung. »Falls du eine Vergewaltigung provozieren möchtest – ich bin bereit.«

»Oh, das würdest du nicht wagen.«

»Soll ich’s dir beweisen?«

»Ich glaube dir nicht …«

Wütend schleuderte er sein Glas zu Boden, und es zersprang in tausend Splitter. Dann packte er den Kragen ihres Kleids und zerriß den dünnen Georgette vom Hals bis zur Taille.

Fassungslos starrte sie ihn an, und er lachte spöttisch. »Schau nicht so erschrocken drein! Ich kaufe dir ein neues Kleid.« Amüsiert beobachtete er, wie ihr Entsetzen in heißen Zorn überging. Ihre Augen schienen blaue Funken zu sprühen. »Nein, ma petite, drei oder vier oder fünf Kleider!« Er genoß es, sie herauszufordern, ihre Wut zu schüren. Von schwachen, fügsamen Frauen hielt er nichts – sie langweilten ihn. Um so heftiger erregte Zenas wildes Temperament seine Sinne.

»Behalt deine verdammten Kleider!« schrie sie.

»Oh, nimmst du keine Geschenke mehr von mir an?« fragte er gedehnt.

»Nie wieder!«

»Dann werde ich alle deine Kleider zerreißen, und du mußt so herumlaufen, wie du mir am besten gefällst – splitternackt.«

»Fahr zur Hölle!« kreischte sie, richtete sich auf und versuchte, aus dem Bett zu springen.

Aber er packte ihre Schultern und hielt sie eisern fest. »Widerspenstige Frauen bringen es nicht weit in dieser Welt. Du mußt lernen, dich meinem Willen zu fügen. Sei ein liebes, braves Mädchen.« Als er die Verzweiflung in ihren Augen las, meldete sich sein Gewissen. Er wußte, wie ungerecht er sie behandelte. In diesem Kampf lagen alle Vorteile auf seiner Seite. Aber verdammt noch mal, sie mußte sich an die Rolle gewöhnen, die eine Frau in dieser Welt spielen mußte. Dagegen durfte sie sich nicht wehren. Und er wollte sie behalten – für sich ganz allein. Plötzlich war dieser Wunsch übermächtig. »Mit niemandem werde ich dich teilen. Du gehörst nur mir.« Eindringlich schaute er in ihre Augen. »Verstehst du mich? Gehörst du mir? Antworte!«

Beklommen wich sie seinem Blick aus.

»Antworte!« wiederholte er und schüttelte sie.

»Ja, Sasha«, flüsterte sie hilflos. »Bin ich einfach nur dein Eigentum?«

»Mein kostbarster Schatz.«

»Wirst du mich gegen meinen Willen hier festhalten?« fragte sie, während er mit den Bändern ihres Hemds spielte.

»Warum nicht?« Sie mußte in seiner Datscha keine unerträglichen Qualen erdulden. Und bevor er sie gehen ließ, würde er sie reich belohnen. Warum sollte er ihre Armut nicht ausnutzen?

»Und wenn ich mich wehre?« erwiderte sie, von neuem Zorn erfaßt.

»Beruhige dich, meine Süße! So viele harte Worte! An ungehorsame Frauen bin ich nicht gewöhnt.« Zärtlich streichelte er ihre entblößten Brüste. »Ist deine Gefangenschaft wirklich so schlimm?«

Als er sie küßte, erwachten ihre Sinne. Brennende Scham stieg in ihr auf, und sie versuchte, ihre Leidenschaft zu bekämpfen, seinen heißen Lippen auszuweichen. Aber ihr verräterischer Körper besiegte die Willenskraft. Sein Mund wanderte an ihrem Hals hinab.

Mit heiserer, atemloser Stimme sprach er auf sie ein, flüsterte tröstliche Worte, bat sie um Verzeihung. Nach einer Weile hob er den Kopf, schaute flehend in ihre Augen, und da wußte sie, daß sie verloren war. Sie begehrte ihn – und sie liebte ihn von ganzem Herzen. Solange sie bei ihm bleiben durfte, würde sie alles tun, was er wollte. Sie las ein brennendes Verlangen in seinem Blick, erwiderte seine Küsse mit gleicher Glut, schlang voller Hingabe die Arme um seinen Hals.