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In rasendem Tempo fuhr die Troika zur Station. Von den Mäulern des kostbaren braunen Gespanns wehten weiße Atemwolken empor, und der kalte Wind rötete Zenas Wangen. Als die Pferde vor dem Bahnhof hielten, lief ein Straßenjunge herbei und übernahm die Zügel.

»Trag das Kind, Ivan«, befahl der Prinz. Vor fünfzehn Minuten waren alle Fahrgäste in den Zug gestiegen, der nur mehr auf Alex wartete. Er führte Zena den menschenleeren Bahnsteig entlang zu dem hellgrauen Waggon mit den Kuzan-Wappen. Davor standen einige Bahnbeamte, die sich ehrerbietig verneigten.

»Guten Abend, Exzellenz«, grüßte einer der Männer, »alles ist vorbereitet.« Diskret wandten sie den Blick von dem kleinen Jungen ab, den der Diener im Arm hielt. Aber am nächsten Morgen würde ganz Petersburg über den Prinzen klatschen, der mit einem Mädchen und einem Kind verreiste.

»Danke«, erwiderte er geistesabwesend. Ivan überreichte Zena den schlafenden Bobby.

»Gute Fahrt, Exzellenz!« riefen die Beamten, als er ihr in den Wagen half.

Lächelnd nickte er ihnen zu, und Ivan verteilte das übliche Trinkgeld.

Zena sah sich erstaunt in dem luxuriösen Waggon um. Wenigstens brenne ich stilvoll durch, dachte sie. Drei Diener, der patissier und ein Dienstmädchen standen bereit. In die schimmernde Rosenholztäfelung waren silberne Ornamente und Spiegel eingelassen. Zu den apfelgrünen Samtvorhängen paßte ein grün, schwarz und goldgelb gemusterter Perserteppich, auf dem Louis Quinze-Möbel mit bestickter weißer Satinpolsterung standen, Der Prinz winkte die Dienerin zu sich. »Bring das Kind in der blauen Schlafkammer zu Bett, Mariana, und bleib während der Nacht bei ihm.«

»Aber – Monsieur …«, begann Zena.

»Ja?« fragte er kühl. Er war es nicht gewöhnt, daß man gegen seine Anordnungen protestierte. »Seien Sie beruhigt, meine Liebe, Mariana kann sehr gut mit Kindern umgehen.«

Sichtlich geschmeichelt, streckte die Dienerin ihre Arme nach dem Kleinen aus, den Zena ihr widerstrebend überließ, da sie keine Szene machen wollte. Als Mariana den schlafenden Jungen aus dem Salon trug, fing sie leise zu singen an.

Alex nickte zufrieden. »Nun, Mademoiselle – eh …«

»Turkuaminen, Monsieur. Aber nennen sie mich bitte Zena.«

»Was für ein hübscher Name! Darf ich Ihnen den Umhang abnehmen und Sie zu einem heißen Punsch einladen? Der wird Sie wärmen. Feodor, ist der Punsch fertig?«

»Ja, Exzellenz.«

»Stell die Schüssel auf den Tisch.«

»Brauchen Sie sonst noch etwas, Exzellenz?«

»Nein, danke, ihr könnt alle gehen.« Nachdem sich die Dienerschaft zurückgezogen hatte, füllte Alex zwei ziselierte Silberbecher mit dem dampfenden Getränk. »Setzen Sie sich, meine Liebe, und trinken Sie.« Mit sanfter Gewalt drückte er sie auf ein Sofa.

»Monsieur, ich weiß nicht recht …«

»Unsinn, Sie sind ganz durchfroren und müssen sich wärmen. Ich bestehe darauf.«

Zögernd nippte sie an ihrem Becher, und er sank ihr gegenüber in einen fauteuil. Den warmen Becher zwischen den Händen, streckte er die langen Beine aus und musterte Zena. Eigentlich sah sie nicht wie eine Straßendirne aus – zumindest nicht wie eine erfolgreiche. Das aquamarinblaue, mit grünen und weißen Perlen bestickte Seidenkleid war seit zwei oder drei Jahren aus der Mode und saß etwas zu eng über den Brüsten. Offenbar stammte es von einem Händler, der Ware aus zweiter Hand verkaufte. Auch die Satinschuhe hatten schon bessere Tage erlebt, und die Perlenkette am schlanken Hals erschien dem Prinzen sehr bescheiden.

Vielleicht hatte sie die Sachen vor einiger Zeit von einem Beschützer erhalten und dann keinen Nachfolger gefunden. Der Punsch rötete allmählich das hübsche, von kastanienbraunen Locken umrahmte Gesicht.

Schweigend leerte er seinen Becher und füllte ihn noch einmal. Dieser Punsch war sein Lieblingsgetränk, nach einem uralten Rezept gebraut, das er am Berliner Hof erhalten hatte. Außer verschiedenen Gewürzen enthielt die Mixtur etwas Arrak und Rum. Während die Räder rhythmisch ratterten, wirkte Zena immer nervöser, und er versuchte sie mit belangloser Konversation zu ermuntern. Aber da sie nur einsilbige oder doppeldeutige Antworten gab, versank er bald wieder in seiner angenehmen Lethargie. Für sie war die Reise ein Geschäft, und was ihn anbetraf, sollte die junge Frau einfach nur sein Verlangen stillen. Also brauchte man keine nichtssagenden Floskeln auszutauschen.

Zu seiner eigenen Verblüffung erregte sie ihn schon jetzt, wenn auch nur flüchtig.

Normalerweise fühlte er sich nicht zu zart gebauten jungen Mädchen hingezogen, die so kindlich und unschuldig aussahen – eher zu voll erblühten, üppigen, erfahrenen Frauen. Diese hübsche Kleine erinnerte ihn an einen verschüchterten Spatz, und er fragte sich, wie sie auf der Straße überlebt hatte, ohne die aggressiven Verführungskünste ihres Gewerbes zu beherrschen.

In der stillen Atmosphäre des Privatwaggons, dem Blick dieser kühlen goldbraunen Augen ausgeliefert, fühlte sich Zena wie ein Kaninchen angesichts der Schlange. Die Nähe des attraktiven, autoritären Prinzen zerrte an ihren Nerven. Jedenfalls mußte sie wach bleiben, bis sie Moskau erreichten, dann würde sie sich mit Bobby verabschieden. Aber als Alex ihr noch einmal Punsch einschenkte, trank sie etwas zuviel, um ihr Unbehagen zu bekämpfen. Zu spät entsann sie sich, daß sie nicht an Alkohol gewöhnt war, und nach einer Weile konnte sie die Augen kaum noch offenhalten.

»Offensichtlich sind Sie müde, Kindchen«, bemerkte der Prinz. »Gehen Sie ins Bett. Sie finden das Schlafabteil hinter der ersten Tür links. Machen Sie sich’s bitte bequem.« Er zog sie auf die Beine und schob sie aus dem Salon.

Wie in Trance öffnete sie die Tür, auf die er sie hingewiesen hatte. Ohne die verschwenderische Ausstattung des Raums wahrzunehmen, sank sie vollständig bekleidet auf das geschnitzte Mahagonibett. Bevor sie einschlummerte, breitete sie mit letzter Kraft die Daunendecke über ihren Körper.

Für Alex war es zu früh, um schlafen zu gehen. So saß er noch zwei Stunden im Salon, leerte langsam die Punschschüssel und malte sich die Amusements aus, die ihm sein Landsitz bieten würde. Seine Bibliothek war ebenso reich bestückt wie sein Weinkeller. In den Wäldern tummelte sich genug Jagdwild. Und was ihm am allerbesten gefiel – dreihundert Meilen würden ihn von der albernen Petersburger Gesellschaft trennen. Vermutlich war das junge Mädchen – für das Balg würde die Dienerschaft sorgen – eine erfrischende Abwechslung nach seinen diversen Begegnungen mit fashionablen, koketten Damen.

Bei diesem Gedanken erwachte seine Begierde von neuem. Er zog die Stiefel aus, stand auf und streckte sich wohlig. Während er zum Schlafzimmer ging, legte er den Gürtel und das Hemd ab und ließ beides achtlos fallen. Verwundert blieb er auf der Schwelle stehen und betrachtete die junge Frau im schwachen Widerschein einer Kerze. Guter Gott, sie war eingeschlafen, ohne sich zu entkleiden. Sie mußte völlig erschöpft gewesen sein. Durfte er sie wecken? Sekundenlang plagten ihn Gewissensbisse. Aber sein Verlangen siegte. Allzulange werde ich sie nicht belästigen, dachte er zynisch, und dann großzügig für die gestörte Nachtruhe entschädigen.

Zena lag auf dem Rücken, einen Arm hinter dem Kopf. Über dem Spitzenbezug des Kissens waren zerzauste Locken ausgebreitet. In der Wärme, die ein Ziegelofen verströmte, hatte sie die Decke teilweise abgestreift. Tiefe, gleichmäßige Atemzüge hoben und senkten die vollen Brüste im Dekollete des engen Kleids. Ungeduldig schloß Alex die Tür, zog seine Hose aus und stand nackt neben dem Bett, ein bronzebrauner Riese mit breiten, muskulösen Schultern und schmalen Hüften.

Eine Zeitlang starrte er das Mädchen nur an, dann gab die Matratze unter seinem Gewicht nach, als er sich auf die Bettkante setzte. Geschickt öffnete er die winzigen, mit Seide bezogenen Knöpfe und befreite Zenas runde Brüste vom engen Oberteil ihres Kleids. Er schob den Spitzenrand ihres Hemds hinab, küßte behutsam eine muschelrosa Knospe.

Leise stöhnte sie im Schlaf. Es klang wie das Schnurren einer zufriedenen Katze und bewog ihn, weitere Liebeskünste anzuwenden, die er so vollendet beherrschte. Bei seinen erotischen Abenteuern suchte er niemals die schnelle Erfüllung, sondern langsam gesteigerten Lustgewinn, ehe er den höchsten Genuß anstrebte. Mit sanften Fingerspitzen streichelte er die duftende Haut an Zenas Hals, die Schultern, die Brustwarzen, bis sie sich aufrichteten.

Im Paradies ihres schönen Traums seufzte sie wohlig, empfand seltsame, unbekannte Gefühle, während sich ihr Blut allmählich erhitzte.

Alex löste die Häkchen ihres Rocks, die Bänder des Unterrocks und der Unterhose. Dann streifte er die Kleidung von ihrem trägen Körper und enthüllte ihn. Als sie die kühle Luft auf ihrer nackten Haut spürte, flatterten ihre Lider. Aber ein zarter Kuß auf die Wange entlockte ihr ein Lächeln, und sie schlief weiter. Die Finger des Prinzen wanderten über ihren Bauch und das seidige Schamhaar, in die Wärme ihres nachgiebigen Fleisches.

Suchend glitten sie zwischen die weichen Falten und fanden die winzige sensitive Perle, die sie liebkosten, bis sich Zenas Atemzüge beschleunigten. In drängendem Rhythmus bewegte sie die Hüften, ihr ganzer Körper schien der Quelle dieses exquisiten Entzückens entgegenzufiebern.

Alex legte sich zu ihr, küßte die bebenden Lippen, zunächst ganz sanft, dann erforschte seine Zunge ihren süßen Mund. Um ihr sein Verlangen zu zeigen, preßte er sich an ihre Hüften.

Plötzlich öffnete sie die Augen. Von panischem Entsetzen erfaßt, starrte sie ihn an. Das war kein Traum! In ihrer Kehle stieg ein Schrei auf, den Alex mit einem neuen Kuß erstickte. Er streichelte sie, besänftigend und aufreizend zugleich, löste seine Lippen von ihren und flüsterte ihr Liebesworte ins Ohr, die ihre unerwünschte Erregung noch schürten.

Was tat sie da? Entschlossen bekämpfte sie den Angriff auf ihre Sinne. Aber die Küsse, die ihre geschwollenen Brüste bedeckten, weckten neue betörende Gefühle und lähmten ihre Willenskraft. »Bitte, Monsieur!« wisperte sie. »Hören sie auf! Das ist ein Mißverständnis …«

Erstaunt hob er den Kopf. »Meine Süße, jetzt ist es zu spät, ich kann nicht mehr aufhören.« Zärtlich strich er ihr das Haar aus der Stirn und küßte sie wieder. In diesem Moment spürte er in ihrem zitternden Puls jenes besondere Zögern, das der Kapitulation vorausging.

Eine berückende Schwäche besiegte ihren letzten Widerstand, und sie überließ sich dem heißen Mund, der an einer ihrer Brustwarzen saugte, den tastenden Fingern in ihrer intimen feuchten Wärme. Nun streichelte er wieder das Zentrum ihrer Lust. Unwillkürlich hob sie die Hüften, sehnte sich nach intensiveren Freuden. Ihr Verstand unterwarf sich den Wünschen ihres Körpers. In diesem Augenblick schwanden die Realität, ihr Gewissen, die Ängste dahin. Es gab nur mehr beglückende Liebkosungen, brennende Küsse, die nach würzigem Punsch schmeckten. Statt den gefährlichen, skrupellosen Mann abzuwehren, schlang sie instinktiv die Arme um seine breiten Schultern und schmiegte sich an ihn.

Nun konnte er seine Begierde nicht länger bezähmen. Er schob sich zwischen ihre Schenkel, sein pochender Penis erforschte ihre feuchte Hitze, während sie die Hüften im uralten Liebestanz umherwand. Seltsamerweise stieß er auf einen Widerstand, den sein Gehirn – vom Punsch leicht umnebelt – sekundenlang registrierte. Aber seine fieberheiße, beharrliche Leidenschaft ignorierte das kleine Hindernis, das er zielstrebig durchdrang.

Ein Schmerzensschrei zerriß die Stille des halbdunklen Raums und ernüchterte Alex ein wenig. Großer Gott, eine Jungfrau … Zena schluchzte leise, und ihre bebende Wärme, die ihn umhüllte, steigerte sein Verlangen. Wie gut sie sich anfühlte, so eng und vibrierend, die harten Knospen ihrer Brüste, die sich an ihn preßten, die weiche Haut unter seinen Händen …

Normalerweise hielt er nichts von Jungfrauen. Er bevorzugte erfahrene Gespielinnen. Doch für solche Überlegungen war es zu spät. Er küßte salzige Tränen von Zenas Wangen und begann sich langsam in ihr zu bewegen.

Sanft und rhythmisch reizte er ihre Sinne, bis ihr Schluchzen in lustvolles Stöhnen überging. Er ließ sich Zeit und genoß die exquisiten Emotionen, die sie erschütterten. Als sie ihm die Hüften entgegenhob und ihn zu einem schnelleren Tempo drängte, erkannte er, daß sie nicht länger warten konnte. Er schenkte ihr, was sie ersehnte, und füllte ihren Schoß mit seinem heißen Samen.

In diesem Augenblick verspürte sie keine Schuldgefühle, nur wohlige Erschöpfung und tiefe Zufriedenheit. Nie wieder wollte sie dieses bequeme warme Bett verlassen. Alex glitt von ihrem Körper und nahm sie in die Arme.

Viel zu früh kehrte sie in die Wirklichkeit zurück. Um Himmels willen, was hatte sie getan? War sie schlecht und verworfen? Die Tante hatte ständig behauptet, Zenas tscherkessische Mutter sei eine Wilde gewesen, das Mitglied eines primitiven Clans, der in den Bergen hauste. Stimmte das? Aber dann besiegte Zenas Vernunft die drohende Hysterie. Was geschehen war, bedeutete nicht das Ende der Welt und war einer Ehe mit dem abscheulichen alten General zweifellos vorzuziehen. Andererseits fühlte sie sich so verletzlich, wenn der attraktive Prinz sie berührte, und sie gewann den beängstigenden Eindruck, sie würde nicht mehr sich selbst gehören.

Sicher hielt er sie für eine Hure, nachdem sie ihm solche Freiheiten erlaubt und in seinen Armen geradezu um Erlösung von der süßen Qual gefleht hatte. Wie konnte sie ihre schamlose Hingabe mit ihrer vornehmen Erziehung in Einklang bringen? Niemals würde der Prinz sie respektieren. Durch gesenkte Wimpern musterte sie den Mann, der ihr die Unschuld geraubt hatte.

Wie wundervoll er aussah mit seinen aristokratischen Zügen und dem langen, dunklen, welligen Haar … An seiner Hand, die besitzergreifend auf ihrer Hüfte ruhte, entdeckte sie einen großen Smaragd, und dieses Juwel führte ihr den Unterschied vor Augen, der zwischen ihnen bestand. Er war ein reicher, charmanter Verführer – und sie ein armes Mädchen, das sich lächerlich gemacht hatte.

Als er ihr die zerzausten Locken aus dem Gesicht streifte, funkelte der Smaragd im schwachen Licht. »Ich habe dir weh getan, ma petite, und das tut mir leid. Aber wie sollte ich ahnen, daß du zum erstenmal das Gewerbe einer Dirne ausübst? Hätte ich’s gewußt, wäre ich sanfter mit dir umgegangen.«

Nun erhielt er eine Information, auf die er lieber verzichtet hätte. »Ich bin keine Straßendirne, sondern die Tochter des Barons Turku aus Astrachan«, erklärte Zena, und er runzelte bestürzt die Stirn. »Vor sechs Monaten ist er gestorben. Meine Tante wollte mich mit General Scobloff verheiraten.«

Erleichtert atmete er auf. Ein kleiner Lichtblick … Wenigstens mußte er sich nicht vor einem erzürnten Vater verantworten. »O Gott, dieser alte Geier ist mindestens siebzig!«

»Einundsechzig. Zwei Ehefrauen hat er schon begraben. Ich wollte ihn nicht heiraten. Leider bestand meine Tante darauf, und deshalb beschloß ich, mit meinem Bruder zu fliehen.«

»Also ist er nicht dein Kind?« fragte Alex verwirrt. Natürlich nicht, nachdem er sie soeben entjungfert hatte … Sein Unbehagen kehrte zurück. Merde! In was für eine Situation war er geraten? »Du hast mir was vorgemacht!«

»O nein!« protestierte sie empört. »Wohlerzogene junge Damen machen den Männern ganz bestimmt nichts vor.«

»Da irrst du dich. Ich kenne viele wohlerzogene junge Damen, und einige haben mir die gleichen Freuden bereitet wie du. Offenbar möchten sie den langweiligen gesellschaftlichen Konventionen hin und wieder entrinnen.«

In ihrer Naivität wußte Zena nicht, mit welchen Argumenten sie seinen reichhaltigen Erfahrungen begegnen sollte. Und so schwieg sie.

»Was soll ich jetzt mit dir anfangen?« seufzte er. »Eine Straßendirne, die sich als Jungfrau aus einer respektablen Familie entpuppt – und noch dazu ihren kleinen Bruder mit sich herumschleppt!«

»Du könntest den Entschluß eines Ehrenmanns fassen und mich heiraten«, schlug sie schüchtern vor.

»Ha! Du kennst die Kuzans nicht, mein Täubchen. In dieser Familie heiratet man keine deflorierten Mädchen – nicht einmal, wenn man sie selber verführt hat.«

»Eines Tages wirst du doch sicher heiraten.«

»Wozu?«

»Weil du einen Erben brauchst.«

»Ich habe schon Kinder.«

Verwundert starrte sie ihn an. Er stützte sich auf einen Ellbogen und betrachtete die nackte Schönheit an seiner Seite. Welche Pläne mochte sie schmieden? Würde sie sich an seinen Vater wenden? So etwas war schon vorgekommen, und der Fürst konnte manchmal ziemlich moralisch sein. (Unbehaglich erinnerte sich Alex an das Bauernmädchen, das er vor ein paar Monaten geschwängert hatte. Statt ihn selbst zur Verantwortung zu ziehen, war sie in den Palast gelaufen. Sein Vater hatte ihr eine großzügige Abfindung gezahlt und ihm bittere Vorwürfe gemacht.) Würde Zenas Tante ihn zwingen, ihre Nichte zu heiraten? Zumindest in diesem Punkt teilte der Fürst seine Meinung und fand, mit vierundzwanzig Jahren müßte der Sohn noch nicht in den Ehestand treten.

Verdammt, fluchte Alex stumm. Vielleicht war es seine eigene Schuld, daß er keine Fragen gestellt hatte. Aber welche anständige Frau würde einen Fremden am späten Abend bitten, sie nach Podolsk mitzunehmen und sein Bett benutzen, in einem altmodischen, viel zu engen Kleid, ohne Korsett? Außerdem – konnte man erwarten, ein Mädchen, das so leidenschaftlich auf erotische Zärtlichkeiten reagierte, wäre eine scheue Jungfrau? Niemals!

Während er die makellose Gestalt betrachtete, wuchs ein neues Verlangen. Rasch verdrängte er seine unangenehmen Gedanken, mit jenem Gleichmut, der ihm half, alle Hindernisse zu überwinden. Er streichelte Zenas Brüste, und ihre Skrupel verschwanden erneut, vom Zauber ihrer eben erst erwachten Sinnlichkeit besiegt. Bald schien ihr ganzer Körper zu glühen. In keinem der Liebesromane, die sie heimlich gelesen hatte, wurden so überwältigende Gefühle beschrieben. Hingebungsvoll schlang sie die Arme um Alex’ Hals.

Um sie für die Schmerzen zu entschädigen, die er ihr vorhin bereitet hatte, zwang er sich zur Geduld, küßte ihren Hals und ihre Brüste. Sie glaubte, ringsum würde die Welt versinken. Mit Lippen und Händen liebkoste er ihren ganzen Körper, verweilte an besonders empfindsamen Stellen, bis sie nach Atem rang und die süße Erfüllung herbeisehnte. Stöhnend hob sie ihm die Hüften entgegen.

Aber er löste ihre Arme von seinem Nacken. »Nicht so hastig, dushka (Herzchen)«, flüsterte er, »wir haben viel Zeit.«

Als er sich aufrichtete, griff sie enttäuscht nach ihm, doch er wehrte ihre flehenden Hände ab. Behutsam schob er ihre Schenkel auseinander, strich über die Innenseiten, und heiße Wellen durchströmten ihre Adern. Dann legte er den Kopf auf ihren Bauch, rückte weiter hinab und küßte ihr gekräuseltes Schamhaar. Sein warmer Atem schürte ihre Erregung. Langsam wanderten seine Lippen nach unten und berührten die weichen, fleischigen, pulsierenden Fältchen – den Eingang zum Paradies.

Was hatte er vor? Erschrocken hielt sie die Luft an. Dort durfte er sie nicht küssen. Sie versuchte ihn wegzustoßen. Das gelang ihr nicht. Ohne ihren Widerstand zu beachten, ließ er seinen Mund über die äußeren Schamlippen gleiten, erforschte die inneren, bis Zenas Entsetzen von fieberhafter Leidenschaft bezwungen wurde.

Immer schneller hämmerte ihr Herz gegen die Rippen. Alex’ Zunge suchte und fand die Stelle, in der sich alle erotischen Empfindungen konzentrierten, und Zena glaubte zu sterben. Hilflos begann sie zu zucken, während er ganz sanft an der winzigen rosa Perle saugte, und wand sich in schmerzlicher Begierde umher. Von heftigen Erschütterungen durchflutet, schlang sie ihre Finger in sein dichtes, schwarzes Haar.

Als sie vor wilder Ekstase zu vergehen fürchtete, schob er seine Hüften zwischen ihre Schenkel. Stöhnend und begierig verschmolz er mit ihr. Sie umfing ihn mit ihren Beinen, genoß bei jeder drängenden Bewegung seine männliche Kraft. Auf dem Gipfel der Lust stieß sie einen gutturalen Schrei aus, den ein verzehrender Kuß erstickte.

Danach lag er reglos auf ihr. Sein schweres Gewicht störte sie nicht – im Gegenteil, sie wollte seine intime Nähe so lange wie möglich auskosten. Schließlich streckte er sich neben ihr aus. Sein Puls raste immer noch, und es dauerte eine Weile, bis sich seine Atemzüge verlangsamten.

Lächelnd küßte er ihre Wange. »Eine so heißblütige Jungfrau ist mir noch nie begegnet. Welch ein Glück, daß ich dich gefunden habe, ma petite! Nun werden wir einen wundervollen Urlaub auf meinem Landsitz verbringen und uns von der langweiligen Petersburger Gesellschaft erholen.«

In qualvoller Verlegenheit wich sie seinem Blick aus. Wenn er sie respektierte, würde er ihr wohl kaum einen solchen Vorschlag machen. Da sie erst vor kurzem debütiert hatte, wußte sie nicht, daß Affären oder amouröse Urlaubsfreuden keineswegs den Straßendirnen und gefallenen Mädchen vorenthalten blieben. Solange die nötige Diskretion gewahrt wurde, wußten sogar die vornehmsten Damen solche Amüsements zu schätzen.3 »Nein, ich kann dich nicht auf deinen Landsitz begleiten – ich schäme mich so.«

»Warum denn?« fragte er überrascht. »Es ist doch nicht deine Schuld, daß ich dich für eine Dirne gehalten habe.«

»Aber ich hätte mich dir nicht hingeben dürfen. Das war falsch.«

»Welch ein Unsinn! Du hast einfach nur den natürlichen Bedürfnissen deines Körpers nachgegeben. Was soll daran falsch sein? Glaub mir, meine Süße, ich habe schon viele Petersburger Boudoirs besucht. In dieser gottlosen, leichtfertigen Gesellschaft ist die Jungfräulichkeit so selten wie das berühmte Einhorn aus der Fabelwelt.«

Um die moralischen Bedenken des armen Mädchens zu beseitigen, übertrieb er ein wenig. Zweifellos gab es genug Jungfrauen in den gehobenen Kreisen von Petersburg. Aber die meisten waren häßlich oder zumindest unscheinbar. Die schöne Zena hatte ihre Unschuld wohl nur deshalb so lange bewahrt, weil sie sich erst seit kurzem in der Gesellschaft zeigte. Sonst wäre sie ihm längst aufgefallen.

Hätte der alte General die Hochzeitsnacht abgewartet, um ihren süßen Körper zu genießen? Daran zweifelte Alex. Durfte er sein Gewissen beruhigen und sich rühmen, er hätte sie subtiler ins Reich der Liebe eingeführt, als es dem alten Lüstling jemals gelungen wäre? Ja, ganz sicher. Allerdings mußte er sich eingestehen, daß er in dieser Nacht nur flüchtig an Zenas Gefühle und vor allem an sein eigenes Vergnügen gedacht hatte.

Für ihn war die Eroberung einer Frau, mochte sie unschuldig sein oder nicht, einfach nur ein körperliches Bedürfnis, das gestillt werden mußte wie Hunger oder Durst. Je nach Lust und Laune ließ er seinen Blick schweifen, und wenn ihm eine Frau gefiel, stieß er niemals auf nennenswerten Widerstand.

»Weine nicht, meine Süße«, bat er und wischte eine Träne von Zenas Wange. »Schlaf jetzt.« Zärtlich zog er sie an sich. »Mach dir keine Sorgen. Du hast keinen Grund, dich zu schämen. Morgen wirst du dich viel besser fühlen.«

Nur zu gern ließ sie sich von seiner sanften Stimme einlullen. In den letzten drei Jahren war sie kein einziges Mal getröstet worden. Ganz allein hatte sie für den kleinen Bruder gesorgt, die Verzweiflung ihres Vaters zu lindern gesucht und die Feindschaft ihrer Tante ertragen. Morgen werde ich mich mit meinen Problemen befassen, beschloß sie. Wenigstens bin ich dem General entronnen … Bald schlief sie in den Armen des Prinzen ein.

Alex glaubte, nur ein paar Minuten wären verstrichen – aber er wurde erst nach mehreren Stunden von einem lauten Klopfen geweckt. »Ja, was gibt’s?« fragte er gähnend, immer noch leicht benebelt vom Punsch, dem er so unmäßig zugesprochen hatte.

»Exzellenz, das Kind ist krank!« rief eine angstvolle Frauenstimme hinter der geschlossenen Tür.

»Einen Augenblick, wir kommen gleich!« antwortete Alex. Jetzt war er hellwach. »Ma petite?« flüsterte er und rüttelte sanft an Zenas Schulter.

Widerstrebend öffnete sie die Augen. Immer noch im Halbschlaf, schlang sie die Arme um seinen Hals und suchte die beglückende Nähe seines warmen Körpers.

Für ein Mädchen, das vor dieser Nacht unberührt gewesen war, besitzt sie höchst erfreuliche Instinkte, dachte er. »Tut mir leid, meine Süße, dein Bruder ist krank.«

Sofort ließ sie ihn los und richtete sich erschrocken auf.

»Einen Augenblick, ich bringe dir einen Morgenmantel, meine Liebe.« Er stand auf, öffnete den eingebauten Schrank neben dem Bett und wühlte in mehreren Kleidungsstücken. Schließlich zog er einen Schlafrock aus tiefroter Seide hervor. »Hier – die Farbe ist zwar ein bißchen zu grell, aber die anderen Morgenmäntel gehören alle mir und würden dir nicht passen.« Er legte die rüschenbesetzte, bebänderte Seidenrobe um ihre Schultern. Dann schlüpfte er hastig in seinen eigenen Schlafrock. Während sie aus dem Bett stieg, den Gürtel verknotete und mit allen Fingern durch ihre wirren Locken strich, öffnete er die Tür. »Hoffentlich ist es nichts Ernstes«, meinte er.

Sie eilten durch den schmalen Gang und betraten das zweite Abteil an der linken Seite.

Keuchend saß der kleine Bobby auf Marianas Schoß.

»O Gott, er bekommt keine Luft!« stieß Alex bestürzt hervor. »Wir lassen den Zug sofort anhalten und rufen einen Arzt.«

Ehe er davoneilen und die nötigen Anweisungen geben konnte, hielt Zena ihn zurück. »Das ist bestimmt nicht nötig. Im Winter ist er sehr oft erkältet. Wenn er heißen Dampf inhaliert, geht’s ihm sicher bald wieder gut.«

Fünf Minuten später stand ein brodelnder Samowar auf dem Tisch. Zena setzte das Kind auf ihre Knie. In der feuchten heißen Luft verstummte das beängstigende Röcheln schon nach kurzer Zeit. Schließlich versank Bobby in unruhigem Schlaf. Alex legte ihn in sein Bettchen und ermahnte die Dienerin, ihn unverzüglich zu verständigen, falls neue Problem auftauchten.

Nachdem er mit Zena in sein Schlafabteil zurückgekehrt war, entschied er: »Bobby braucht einen Arzt. Sobald wir in Moskau ankommen, lassen wir ihn untersuchen.«

Sie nickte bedrückt. Ohne seine Hilfe wäre sie außerstande, die Dienste eines Arztes zu beanspruchen.

»Leg dich wieder hin – du siehst völlig erschöpft aus.« Sie gehorchte, und er setzte sich zu ihr. »Wenn du mir in meinem Urlaub Gesellschaft leistest, werde ich sehr gern für Bobby sorgen.«

Dieser unzweideutige Vorschlag nahm ihr fast den Atem. Aber sie hatte die Beleidigung zweifellos verdient.

»Komm schon, ma petite.« In seiner Selbstsucht fand er es überflüssig, eine subtilere Taktik anzuwenden. »Überleg doch, wie schnell sich Bobbys Zustand bessern würde! Sorg dich nicht um deine Tugend. Was du unwiederbringlich verloren hast, kannst du kein zweites Mal verlieren.« Als er ihre Verlegenheit bemerkte, erfaßte ihn ein leichtes Unbehagen, das er entschlossen verdrängte. »Außerdem bin ich sicher ein angenehmerer Bettgefährte als General Scobloff.«

Eisiges Schweigen folgte seinen Worten. Den Kopf halb abgewandt, starrte Zena die Wand an. »Bei mir wirst du dich wohl fühlen«, flüsterte er in die kastanienroten Ringellocken an ihrem Nacken. »Meine Datscha liegt völlig abgeschieden, und ich werde dich im Sonnenschein lieben – und vor dem Kaminfeuer, dushka.«

Zögernd gestand sie sich ein, daß sie bereit war, den charmanten Prinzen überallhin zu begleiten – obwohl sie ihn erst seit wenigen Stunden kannte.

»Denk doch an Bobby!« mahnte er eindringlich. »Bald wird er genesen. Er soll die beste ärztliche Versorgung erhalten – alles, was man mit Geld kaufen kann.« Weil er ahnte, wie innig sie ihren Bruder liebte, zielte er auf die verwundbarste Stelle ihres Herzens. »Sei mein Gast, nur für ein paar Tage – bis es deinem Bruder bessergeht. Und um deine Bedenken zu zerstreuen – ich werde dich nicht anrühren, bei meiner Ehre.« Solange du nicht willst, dachte er zuversichtlich.

Verwirrt schaute sie ihn an und verstand nicht, daß er ihr dieses Versprechen nur gab, weil ihn seine unerschütterliche Selbstgefälligkeit dazu bewog. »Also gut«, sagte sie leise und redete sich ein, sie würde sein Angebot nur Bobby zuliebe annehmen. Aber eine innere Stimme flüsterte ihr zu, es würde noch andere Gründe geben, die sie nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren könnte.

»Wunderbar, meine Süße!« Der Prinz gestattete sich ein triumphierendes Lächeln und streichelte ihre Wange. »In vierzig Minuten werden wir den Moskauer Bahnhof erreichen.«