Wütend starrte Elda auf die Wand der kleinen Kammer, in die man sie gesperrt hatte. Wie hatte sie nur auf die Finte hereinfallen können? Die Tür wurde geöffnet, und Segestes trat ein. Sie funkelte ihn hasserfüllt an. »Wo ist meine Tochter?«
»Du musst es endlich lernen, deinen Vater zu ehren!«
»Du bist nicht mein Vater. Wer immer mich gezeugt haben mag, es kann keine Schlange wie du gewesen sein!« Sie sah ihm an, dass er sich beherrschen musste, um sie nicht zu schlagen.
»Deine Tochter habe ich nicht dabei, dafür bekommst du aber hohen Besuch. Freu dich!«
Elda stutzte, als ein römischer Feldherr ihr Gefängnis betrat. Dann erkannte sie Germanicus.
»Offengestanden habe ich mir unser Wiedersehen anders vorgestellt«, sagte er galant.
Sie lachte nur höhnisch auf. »Der große Feldherr braucht Legionen, nur um sich einer einzelnen, dazu noch wehrlosen Frau zu nähern?«
Germanicus verzog keine Miene, sondern starrte nur auf ihren Bauch. »Glück für das Kind, dass es in römischen Verhältnissen aufwachsen wird, Pech allerdings, dass es als Waise zur Welt kommen wird.«
»Wo ist Lenia?«, fragte sie hart, bemüht, ihre Angst um das Kind zu verbergen. Segestes grinste, als amüsiere ihn ein trefflicher Scherz. »Bei ihrem Vater, hoffe ich.«
»Bei Arminius?«
»Was meinst du, was dein lieber Mann unternehmen wird, wenn er erfährt, dass ich euch entführt habe.« Segestes genoss das Wort ›entführt‹. Jetzt begriff sie: Die Schande, dass Arminius in seinen Augen seine Tochter geraubt hatte, endete für den harten alten Mann mit dem heutigen Tag, da er sie zurückholte. Er schien ihre Gedanken zu lesen. »Er wird mit ein paar Reitern hier herkommen, um dich zu befreien und mich endlich zu töten. Denn jetzt bin ich zu weit gegangen. Was er nicht weiß, ist, dass sich Germanicus Legionäre im Wald versteckt halten. Und wenn er es bemerkt, wird es bereits zu spät sein.«
»Ich freue mich auf das Wiedersehen mit meinem Bruder, Julius Cäsar Arminius«, sagte der Germanicus mit unangebrachter Liebenswürdigkeit, »nach all den Jahren, in denen er mich nicht besucht hat, was gewiss nicht recht von ihm war.«
Eine Falle, dachte Elda, eine dämonische Falle.
Rasend vor Wut sprengte Arminius seinem Gefolge voran. Dafür würde Segestes bezahlen – niemand würde ihn mehr davon abhalten können, Rache zu nehmen! Doch sein Zorn legte sein Denken nicht lahm, und er fragte sich, weshalb Segestes das Verbrechen gewagt hatte. Er mochte ein Verräter sein, aber er war nicht dumm. Ohne Rückendeckung würde er sich nicht mit ihm anlegen. Und wer konnte ihm gegen den König der Krieger Schutz gewähren, zumal er aus germanischer Sicht frevelte? Nur einer – Germanicus! Arminius riss so heftig an den Zügeln, dass sein Rappe fast ins Straucheln kam und seine Gefolgschaft erst einmal an ihm vorbeizog, bevor die Pferde zum Stehen kamen und seine Krieger ihn verdutzt umringten.
»Das Ganze riecht nach einer Falle!«, rief Arminius. Er suchte ein paar seiner besten Leute aus, die Weg und Gelände erkunden sollten, dann stellte er Wachen auf und beschloss zu warten. Ausharren, wo man angreifen wollte, Geduld zeigen, wo jeder Gedanke nach der Tat verlangte. Auch wenn es Arminius wie eine Ewigkeit vorkam, dauerte es in Wirklichkeit nur kurze Zeit, bis seine Späher zurückkehrten. Sie berichteten ihm, dass sich überall im Wald Legionäre versteckt hielten. Überdies standen nicht weit von Segestes’ Burg die Legionen und die Einheiten der Reiterei kampfbereit und erwarteten sie.
Arminius spuckte aus. »Da können sie lange warten.« Dann ritt er mit seiner Gefolgschaft davon. Der Feind hatte seine schwangere Frau in seiner Gewalt, und sein Entschluss stand fest: Er würde die Römer auf ihrem Rückweg stellen, aber dort, wo er es wollte, und nicht, wo Germanicus es wünschte. Es sollten quälend lange Monate ins Land gehen, in denen er die Züge des Römers geduldig mit ansehen musste. Dann war es endlich soweit.
Obwohl der Mittag anbrach, wollte der Dunst in der feuchten Talsenke nicht weichen. Die Nässe dampfte. Mit zweihundert Reitern ritt Arminius dem Feind entgegen. Wie er es vorausgesehen hatte, erteilte Germanicus, der die Entscheidungsschlacht herbeisehnte, seiner Reiterei den Befehl zum Angriff. Die Fußsoldaten bildeten ihre Schildkröten.
Arminius konnte nicht wissen, dass Tiberius seinem Adoptivsohn dringend von der Fortführung des Krieges abgeraten hatte, weil die Verluste die Vorteile nicht ausglichen, nicht einmal dann, wenn die Römer siegen würden.
Als Arminius die Gesichter der angreifenden Reiter schon erkennen konnte, wandte er sich scheinbar zur Flucht. Siegesgewiss verfolgten ihn die Römer. Dann hielt Arminius plötzlich an, wendete und griff die Feinde nun von vorn an. Von allen Seiten fielen die Germanen über sie her und vernichteten alle bis auf ein paar Reiter, die entkommen konnten. Dann stürmten die Leute des Arminius gegen die Legionen an.
Doch bald erkannte dieser, dass es mehr als fraglich war, ob er Germanicus hier besiegen konnte. Ohne Zweifel würde die Schlacht auch zu viele Kämpfer das Leben kosten, und er durfte seine Streitmacht nicht aufs Spiel setzen. Er war ja nicht nur Ehemann und Vater, sondern auch Feldherr und der König der Krieger. Also gab er schweren Herzens das Zeichen zum Rückzug. Er hatte den Römern hohe Verluste beigebracht, sie aber nicht endgültig besiegt.
Es gelang ihm auch nicht, Elda zu befreien. Nur die Burg des Segestes, der im Schutz der Römer über den Rhenus gezogen war, brannten er und seine Leute in blinder Wut nieder.
Den ganzen Winter über gönnte sich Arminius wenig Schlaf und arbeitete verbissen daran, sein Heer zu vergrößern und seine Soldaten auszubilden und zu schulen. Wilde Stammeskrieger verwandelte er durch tägliche Waffenübung in eine Streitmacht, in der sich römische Fähigkeiten mit germanischen mischten. Mit Geld, Spitzeln und über seine Verbindungen versuchte er verzweifelt, Kontakt mit Elda aufzunehmen, die in der Stadt der Ubier festgehalten wurde, und einen Weg zu ihrer Befreiung zu finden. Aber alles Geld und alle Spitzel versagten, Elda wurde bewacht wie eine Staatsgefangene.
Wenigstens hatte er seine Tochter immer bei sich. Jede freie Minute nutzte er, um sie in Latein und Griechisch, im Reiten und im Fechten zu unterrichten. Er wusste nicht, wie lange er leben würde, doch er wollte ihr so viel mitgeben, wie er nur konnte. Sollte es jemand wagen, sie als seine Erbin infrage zu stellen, würde er ihn eigenhändig erschlagen!
Auch Elda suchte nach Wegen, ihr ungeborenes Kind und sich selbst aus der römischen Gefangenschaft zu befreien. Sie war zwar bereit, ihr Leben hinzugeben, damit ihr Kind zu Arminius kam. Doch nur Feinde umgaben sie. Zuweilen fühlte sie sich so verzweifelt, dass sie statt an Flucht daran dachte, wie sie sich selbst und damit auch ihrem Kind den Tod geben konnte. Doch dann riet ihr eine innere Stimme abzuwarten. Ihre Chance würde kommen. So schwankte sie lange zwischen Hoffnung und Niedergeschlagenheit. Und niemand war da, mit dem sie hätte reden können.
Eines Tages wechselte der Prätorianeroffizier, der für ihre Bewachung zuständig war. Der neue Kerkermeister stellte sich vor. Sein Schopf leuchtete blond, er trug eine Klappe über dem linken Auge, das er verloren hatte, und irgendwie kam er ihr bekannt vor.
»Wie heißt du?«, fragte sie nachdenklich.
»Flavus.«
»Kenne ich dich? Du scheinst germanischer Abstammung zu sein.«
»Wer kann schon sagen, dass er jemanden kennt«, winkte der Mann ab.
Weshalb sollte sie über einen Verräter nachdenken, über einen Lumpen, wie ihr Vater einer war. Elda wandte sich unwillig ab, verlor dabei das Gleichgewicht und wäre gefallen, wenn der römische Offizier sie nicht geistesgegenwärtig aufgefangen hätte.
»Sei doch vorsichtig, du trägst meinen Neffen im Bauch!«
Jetzt erinnerte sie sich. Mit einem Mal wusste sie, wer vor ihr stand, und Hoffnung stieg in ihr auf. »Germir?«, fragte sie zögernd.
»Das war ich einmal.«
»Und wer bist du jetzt?«
»Der Prätorianeroberst Flavus. Weißt du, ich hatte ein sehr schönes Leben in Rom, in dieser wunderbaren Stadt.«
Elda wollte etwas einwenden, doch er hob die Hand. »Sag nichts, du kennst die Stadt nicht. Ich hatte es sogar zum Chef der germanischen Leibwache des Kaisers gebracht. Aber mein Brüderchen musste ja dann den Varus verhauen. Aus Angst vor unserer Treulosigkeit löste Augustus die Truppe auf, verteilte die Männer im ganzen Reich, und ich wurde nach Germanien geschickt.«
Elda sah den Zorn in seinen Augen, und die Hoffnung, die sie für einen kurzen, unendlich kostbaren Moment gehegt hatte, zerfiel. Dennoch, er war sein Bruder, vielleicht lebte unter der Wut noch ein Fünkchen Liebe zu Arminius. Sie durfte auch eine noch so kleine Chance nicht vertun.
»Ich werde dafür sorgen, dass dir nichts widerfährt, aber zur Flucht verhelfe ich dir nicht!«, sagte Flavus bestimmt.
Ihre Klugheit riet ihr, ihr Ziel nicht geradewegs anzugehen, sondern sich Zeit zu lassen. Ihre gemeinsame Kindheit musste in ihm zurückkehren, die Liebe zu seinen Eltern in seinem Herzen wachsen. Erst dann konnte es ihr vielleicht gelingen, ihn auf ihre Seite zu ziehen.
Seit Stunden tobte die Schlacht. Diesmal musste die Entscheidung fallen, denn Germanicus lief die Zeit davon. Tiberius hatte ihm befohlen, den Krieg einzustellen und nach Rom zurückzukehren. Dort erwarte ihn, so ließ ihn der Kaiser wissen, wegen seiner Siege im Barbarenland der Triumphzug und das Konsulat. Schlau wie immer, dachte Germanicus, Tiberius erzählt den Römern, dass ich die Barbaren besiegt hätte. Und die Ehrungen sollen Rom und mich darüber hinwegtrösten, dass ich Arminius immer noch nicht getötet habe und die Germanen noch nicht geschlagen sind.
Aber hieß er denn nicht Germanicus, Germanenbezwinger? Sein Heer war dreimal so groß gewesen wie das des Varus, und er hatte das Land verwüstet. Er hatte die Feinde eingekesselt, war überraschend mit der Flotte über die Visurgis gefahren, hatte Stürme überlebt, Dörfer gebrandschatzt – und doch war es, als ob man in einen Sandsack schlug. Man wurde allmählich müde dabei, aber der Sack platzte nicht, sondern nahm seine alte Form wieder an. Nicht einmal die Gefangennahme seiner Frau hatte Arminius zu einer unbedachten Handlung verleiten können.
Trotz des Verrats hatte Germanicus immer geglaubt, diesen Mann zu kennen, aber nun, in diesem schon seit Stunden andauernden Hauen und Stechen und Köpfespalten, musste sich Tiberius Claudius Julius Germanicus eingestehen, dass er mit seiner Einschätzung falsch lag. Arminius war kein Verräter, schlimmer noch, er war ein Fremder für ihn. Dieser Gedanke raubte ihm die Kraft. Wofür kämpfte er hier eigentlich? Plötzlich kam ihm die ganze Sinnlosigkeit des Kampfes zu Bewusstsein. Von außen und befremdet sah er auf die Raserei, in die sich seine Seele verloren hatte. Einen Tag zuvor hatte ihn außerdem die Nachricht erreicht, dass sein Freund Ovid in der Verbannung in Tomi gestorben war, alt und vereinsamt. Tiberius hatte ihn nicht begnadigt und ihm auch nicht erlaubt, nach Rom zurückzukehren, obwohl sich Germanicus für den Dichter eingesetzt hatte. Der Kaiser konnte Ovid nicht vergeben, dass er zu den Lieblingen seiner geschiedenen Frau Julia gehörte hatte, die er abgrundtief hasste. Armer Ovid, dachte Germanicus, während er einem jungen Germanen das Schwert in den Bauch trieb.
Was war das Schicksal doch für ein hämischer Komödiant! Nun, als es ihm gleichgültig geworden war, als er das Interesse daran verloren hatte, stand Arminius plötzlich in dem großen Bluttanz, den man Schlacht nannte, vor ihm.
Germanicus brach in lautes Gelächter aus. »Was sind wir für doch für große Kinder, Arminius, die niemals erwachsen werden! Wir brauchen immer etwas zum Spielen, und je mehr Blut dranklebt, umso besser«, brüllte er ihm zu.
Arminius antwortete nicht. Er senkte nur stumm sein Schwert, um ihm als Gegner seine Ehrerbietung zu erweisen, dann schlug er zu. Sie schenkten sich nichts in dem Gefecht. Und sie waren einander ebenbürtig, sie kannten die Stärken und Schwächen des anderen, seine Finten und die Winkel, aus denen sie den Stoß am liebsten führten. Ja, sie kannten sich wie Freunde, wie Brüder. Und plötzlich war es wieder so wie vor vielen Jahren auf dem Schiff, als sie auf Leben und Tod miteinander rangen und in den Fluss fielen.
Es bleibt nur Feindschaft, nicht Liebe, dachte Germanicus. Was wäre denn gewesen, wenn Tiberius sie damals nicht gerettet und sie auf dem Grund der Mosella den Tod gefunden hätten? Was? Varus würde noch leben und mit ihm viele Soldaten der drei Legionen. Auch nicht wenige germanische Krieger erfreuten sich noch des Daseins. Viele Kinder wären nicht zu Waisen, viele Frauen nicht zu Witwen geworden. Die Marser hätten in Ruhe ihren Rausch ausgeschlafen und wären nicht als Manen wieder erwacht. Wie viel Blut wäre nicht vergossen worden?
Mit diesem Gedanken schlug er Arminius das Schwert aus der Hand und setzte die Spitze an seinen Hals. Er musste nur noch zustoßen. Das war der Augenblick der Rache, auf den er lange, und wie sich jetzt zeigte, zu lange gewartet hatte.
Die Augen des Arminius waren tot wie zu Beginn ihres Waffenganges. Er hatte ihn bisher keines Wortes gewürdigt. Und das erboste Germanicus. Es schien Arminius sogar gleich zu sein, ob er jetzt sterben würde oder nicht. Warum sollte er einen toten Mann umbringen? Wie nichts auf der Welt verlangte es ihn nach einer Reaktion dieses Menschen, der ihm am nächsten und gleichzeitig am fernsten stand. Deshalb stieß er nicht mit dem Schwert, sondern mit Worten zu, die schärfer und tödlicher sind als jede Waffe der Welt: »Werde ich denn den Vater eines gerade auf die Welt gekommenen Knaben töten? Ich bin doch kein Barbar.«
Mit den Tränen drang Leben in die Augen des Arminius. Er hatte einen Sohn. Er brach in die Knie. Sollte geschehen, was wollte.
Germanicus ging davon, mochte die Schlacht auch noch eine Weile toben. Er hatte genug von alledem, das geistlose Blutvergießen ekelte ihn an. Er würde nach Rom zurückkehren, seinen Triumphzug halten, das Schwert niederlegen und dann endlich in den Osten gehen, nach Graecia, nach Asia und nach Aegyptus, dort wo der Geist und die Geheimnisse herrschten. Endlich würde er in die Mysterien eingeweiht. Er hatte eine Tragödie verfasst. Es sollte nicht die Letzte sein. Ovid war nicht mehr.
Trotz der großen Verluste, trotz des nicht siegreich beendeten Feldzuges stand Germanicus als Triumphator auf dem Streitwagen, der vom Marsfeld über die Via Flaminia zum Forum gezogen wurde, von den Römern begeistert bejubelt, von den Soldaten mit liebevollem Spott und Hochrufen begleitet. Neben ihm stand, wie es Brauch war, ein Sklave, der ein Wergbüschel verbrannte und ihm beständig ins Ohr brüllte: »Bedenke, dass du nur eine sterblicher Mensch bist!«
In seinem Triumphzug mussten die Gefangenen mitmarschieren, allen voran Elda mit ihrem Sohn auf dem Arm, dem Kind des Arminius, wie alle dachten. Ihre Anwesenheit sollte den Römern den Sieg vorgaukeln, der nicht errungen worden war. Auf der Ehrentribüne aber stand Segestes, von Tiberius endlich für seine Verdienste mit dem römischen Bürgerrecht belohnt, und schaute auf seine Tochter herab. Man hatte beschlossen, sie im Mamertinischen Kerker mitsamt ihrer Brut zu erwürgen. Flavus, der Elda nicht retten konnte und dem es schier das Herz brach, tauschte das Kind gegen ein anderes aus, das unbekannte Eltern ausgesetzt hatten, und gab seinen Neffen, den er Ithalicus nannte, fortan als seinen eigenen Sohn aus.
In der Stunde aber, als die Henker die Schlingen um Eldas Hals und den Hals des Kindes legten und gleichgültig zuzogen, um anschließend die toten Leiber in den Tiber zu werfen, zur gleichen Stunde bedrohte ein blonder Römer den Bürger Segestes in seiner Unterkunft. Ängstlich wollte der Cherusker wissen, was der Römer von ihm wollte. Aber der blickte ihn nur starr an.
»Erkennst du mich denn nicht. Ich bin Germir, Segestes, der Bruder des Ergimer.«
Segestes schüttelte den Kopf, als narrten ihn seine Ohren. »Was willst du? Geld? Fürsprache?«
»Gib dir keine Mühe! Von allem habe ich genug.«
»Was willst du dann von mir?«
»Nur dein Leben, Segestes! Weißt du, wie oft ich an meine Mutter, an meinen Vater denke und wie gern ich sie wiedergesehen hätte?« Mit diesen Worten stieß er dem alten Cherusker seinen Dolch in den Leib.
Als man den Mann am Morgen tot in seinem Blute fand, machte der bestellte Untersuchungsführer Flavus römisches Raubgesindel für den Tod des Cheruskerfürsten verantwortlich, mit dem dieser sich eingelassen haben musste.
Die Römer waren endgültig vertrieben worden, und die germanischen Stämme huldigten ihrem König der Krieger, der ihnen die Freiheit gebracht hatte. Arminius nahm die Ehrungen mit Ungeduld entgegen, denn sein Herz sehnte sich nur danach, seine Frau und seinen Sohn zu befreien. Mit seiner Familie wollte er auf dem Land seines Vaters leben und das genießen, was man Frieden nennt. Endlich hoffte er nur Vater und Bauer zu sein, nichts sonst, und, wenn es die Götter zuließen, eines Tages vielleicht sogar Großvater. Nur ein kleines, einfaches Glück wünschte er sich. Nichts sonst. Und wusste doch nicht, dass bereits dies vermessen war.
Als er sich zurückzuziehen gedachte, um sich endlich um die Dinge seines Herzens zu kümmern, fiel Marbod über die Semnonen her. Wieder musste Arminius ein Heer versammeln, wieder in den Krieg ziehen. Er besiegte Marbod schließlich. Und obwohl der König der Markomannen ihm einst gedroht hatte, tötete er ihn nicht – zu viel Blut war geflossen. Stattdessen schickte er ihn ins Exil nach Rom und setzte einen neuen markomannischen König ein, der auf dem Thing schwor, die Rechte der anderen Stämme zu respektieren.
Auf dem Rückweg von einem Thing übernachtete Arminius eines Nachts bei dem Suebenfürsten Grendel, der ihn eingeladen hatte. Längst hatte er vergessen, dass er in der Schlacht gegen Varus dessen Bruder tötete. Und auch Grendel erinnerte den König nicht daran, sondern bewirtete ihn freundlich. Als Arminius am nächsten Tag nach Hause kam, fühlte er sich vollkommen erschöpft und legte sich zu Bett. Doch sein Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag. Man rief Nehalenia. Nachdem sie sich angehört, was ihn plagte, und ihn untersuchte hatte, sah sie ihn traurig an.
Arminius lächelte schwach. »Wir kennen uns jetzt solange. Sag mir, was es ist.«
»Man hat dich vergiftet. Ich kann nichts dagegen tun.«
Der König dachte kurz nach, dann erinnerte er sich und stöhnte leise auf. »Ach Grendel, Grendel. Ist das die Rache für deinen Bruder, den ich damals erschlagen habe?«
»Sollen wir ihn zur Rechenschaft ziehen, König?«, fragte Nehalenia.
Aber Arminius schüttelte nur den Kopf. »Jedem seine Hölle. Lasst ihn! Wie muss es ihn vergiftet haben, wenn er über zehn Jahre auf den Augenblick gewartet hat, Rache zu üben. Sie wird ihn nicht befreien, sie nahm ihm ja bereits das Leben.« Plötzlich blickte er sehr traurig, weil er die Welt nicht mehr verstand. »Was haben sich die Parzen bloß dabei gedacht? Ich habe in so vielen Schlachten gekämpft, war so oft dem Tod ausgesetzt, und dann sterbe ich durch Gift, anstatt durch einen Schwerthieb. Seltsam, nicht wahr, Nehalenia?« Er schwieg und dachte nach. Dann ergriff er Nehalenias Hand. »Viel wichtiger ist es, Vorkehrungen zu treffen. Was wird sein? Was können wir tun? Rufe Gerwulf, den Sachsen, und Randulf, den Semnonen. Sie sollen sich beeilen, viel Leben steckt nicht mehr in mir.«
Boten jagten über das Land. Zwei Tage später standen die beiden Fürsten vor ihm. Auf seinem Bett saßen Nehalenia und Lenia und hielten seine Hände. Den ganzen Tag über blieb es diesig, es gelang der Sonne nicht, durch die Wolken zu brechen. Lenia, die kaum verstand, worum es ging, hielt nur mit Mühe die Tränen zurück, die sie zu überfluten drohten.
Arminius konnte nur noch flüstern. Das Gift verbrannte sein Inneres, Zelle für Zelle. »Hört, meine Freunde, ihr müsst mir den letzten Dienst erweisen. Führt ihn treu aus, sonst kehre ich selbst aus Tyrwal zurück, um euch zu bestrafen!«
»Hattest du je Grund, mein König, an uns zu zweifeln?«
»Nein, deshalb seid ihr auch hier, meine Freunde. Aber hört genau zu. Ich, Arminius, befehle euch, gemeinsam mit der weisen Frau dort dafür zu sorgen, dass meine Tochter Lenia eines Tages in alle meine Rechte eintritt. Sie ist meine Erbin, sie ist die Königin!« Dann verstummte er. Sein Geist verabschiedete sich in eine andere Welt, wenngleich er noch einmal zu reden begann, unverständlich den Menschen, klar für Nehalenia.
»Wo ist Elda? Versorgt sie noch das Vieh? Warum ist sie nicht da? Ich will mich doch noch von ihr verabschieden.«
Nehalenia streichelte seine Hand. »Sei ruhig. Sie erwartet dich.«
»Wo?«
»Dort, wo du jetzt hingehst.« Ein sanftes, kindliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, das nur das reine, das vollständige Glück erzeugen konnte. »Ja, du hast recht, jetzt sehe ich sie. Seltsam, je deutlicher ich meine Frau erkenne, umso verschwommener werdet ihr. Aber wo ist mein Sohn?«
»Er ist nicht da, wo sie ist.«
»Er ist nicht da, wo sie ist?« Noch einmal, vielleicht ein letztes Mal wurde seine Miene unwillig. »Wo ist er dann?« Arminius zitterte und hatte große Angst, weil er wusste, dass er nicht mehr die Kraft haben würde, ihn zu befreien.
Doch Nehalenia strich sanft mit ihren alten Händen über seine verkrampften Gesichtsmuskeln. »Eines Tages kehrt er zurück und wird der König sein. Dein Bruder kümmert sich um ihn.«
»Germir?«
»Ja, Ergimer!«
»Ergimer? Wie gut das klingt. Bin ich das?«
»Ja.«
»Und mein Sohn ist bei meinem Bruder? Der gute Germir, er hat mir so oft das Leben gerettet, er wird auch gut auf meinen Sohn aufpassen. Was soll ich jetzt tun, Nehalenia?«
»Nichts mehr, deine Frau wartet, Elda wartet.«
»Ja, Elda. Aber diesmal bin ich der Cherusker, und du bist der Römer!« Dann blieb sein Atem stehen.
*
Nachsatz: Nicht wissend, dass der vermeintliche Sohn des Flavus das Kind der Elda und des Arminius war, ließen die Römer den jungen Mann, der Ithalicus hieß, zu den Cheruskern zurückkehren. Diese machten ihn zu ihrem König. Lenia aber heiratete den Sohn des Gerwulf und wurde die erste Königin der Sachsen.
Was Arminius nicht wissen konnte, war, dass zur gleichen Zeit Germanicus, der sich tatsächlich in den Osten begeben hatte, auf seinem Krankenbette in Syrien lag und vor Schmerzen halb irre schrie, dass Tiberius ihn vergiftet habe. Niemand weiß, ob Fieber oder Gift dem jungen Imperator das Leben entwanden. Bewiesen ist nur, dass Tiberius die Ehefrau des Germanicus, Agrippina, später im Kerker erdrosseln ließ, aber das ist bereits eine andere Geschichte …