30

Im fernen Rugierland war Elda schier verzweifelt, die Angst um Arminius trieb sie fast an den Rand des Wahnsinns, aber als sei das noch nicht genug, wuchs ihre Sorge um die kleine Lenia. Das Kind schrie, weinte, quälte sich, fieberte und behielt keine Nahrung mehr bei sich. Was man auch versuchte, ihr einzuflößen, erbrach sie. Zusehends magerte sie ab. Elda wusste sich keinen Rat mehr.

In den Familienverbänden lernten die jungen Mütter von den erfahrenen Großmüttern, was zu tun war, doch Elda befand sich weit weg von ihrer Heimat bei freundlichen Gastgebern. Vor ein paar Tagen war Heban zu Arminius aufgebrochen, um ihm auszurichten, dass es allen gut ginge. Lenias rätselhafte Krankheit deutete sich zwar bereits an, doch wollte Elda ihren Mann nicht beunruhigen. Nun zweifelte sie daran, ob sie richtig gehandelt hatte und ihm nicht die Wahrheit hätte übermitteln lassen müssen. Wieder sah sie zu Lenia, die inzwischen ganz blass, ganz durchscheinend war, und die Furcht brachte jede Zelle in ihr zum Sieden.

Aus großen Augen schaute ihre Tochter sie an. Sanft und mit der flehentlichen Bitte, ihr zu helfen, und Elda wusste doch nicht, wie. Nur allzu gern hätte sie die Schmerzen, die das kleine Mädchen litt, auf sich genommen, alles hätte sie dafür gegeben, wenn das möglich gewesen wäre.

Schließlich raffte sie sich auf und rief Ansar. »Du musst reiten, so schnell du kannst, und Nehalenia herbringen. Es geht um Leben oder Tod. So schnell du kannst, hörst du! Weile nicht, raste nicht, sondern reite, reite, reite! Häng den Wind ab, sei schneller als jedes gerufene Wort und sei geschwinder als der Sonnenstrahl.«

Während sie auf Ansar einsprach, hatte die Fürstin, bei der sie zu Gast weilte, das Kind aus der Wiege genommen und es sich gründlich angeschaut. Dann sagte sie lachend: »Es ist nicht nötig, dass Ansar reitet. Lenia bekommt ihre Eckzähne. Sie wird sich noch zwei, drei Tage quälen, dann ist es vorbei. Hauptsache, sie trinkt. Wir geben ihr kaltes Wasser aus dem tiefen Brunnen. Das kühlt. Alles wird gut!«

»Bist du dir sicher?«, fragte Elda ungläubig.

»Komm mal her, mein Mädchen.« Elda kam der Aufforderung nach. Die Fürstin legte das Kind in die Wiege zurück, dann nahm sie Elda in den Arm. Es tat ihr gut. Sie spürte, wie sie sich entspannte. »Ist ja gut. Dafür hat man ja eigentlich seine Mutter, wenn man mit dem ersten Kind nicht weiter weiß.«

»Ich habe keine Mutter mehr.«

»Oh, sie ist tot?«

»Nicht tot, nur mit meinem Vater zusammen, der meinen Mann am liebsten töten würde und die Schuld daran trägt, dass meine Schwiegereltern grausam ermordet wurden.«

Die Fürstin schüttelte den Kopf. Sie war alt genug, um zu wissen, wie viel Grausamkeiten sich in Familien abspielten, die eigentlich gegen den Rest der Welt zusammenstehen sollten. »Sei, solange du bei uns bist, meine Tochter. Ich werde dir helfen. Und jetzt lass uns sehen, dass wir der kleinen Königin hier helfen. Wenn du so alt sein wirst, wie ich es bin, wirst du wissen, was es mit den Zähnen für ein Fluch ist. Erst bringen sie uns fast um, wenn man sie bekommt, dann quälen sie uns, wenn man sie verliert, und dazwischen tun sie alle naselang weh.«

Als sie am späten Nachmittag wieder im Lager eintrafen, wunderte sich Arminius, dass Heban immer noch nicht aus dem Rugierland zurückgekehrt war. Er hatte ihn mit Nachrichten zu Elda geschickt und harrte nun seiner Rückkehr mit klopfendem Herzen, denn es verlangte ihn, endlich zu erfahren, ob seine Tochter und seine Frau wohlauf seien. Aber Heban war bereits zwei Tage überfällig. Statt des Boten erwartete ihn jedoch ein aufgeregter Velleius.

»Wo warst du, Freund? Wir haben dich überall gesucht. Varus erwartet dich. Er will dich dringend sprechen.«

»Warum? Ist etwas geschehen?«

Velleius zuckte nur kurz mit den Achseln. »Keine Ahnung.«

»Komm, Randulf!«, wies Arminius den alten Semnonen an, und beide folgten dem Legaten sogleich ins Hauptlager. So kurz vor dem Beginn des Aufstandes tat er keinen Schritt mehr allein.

Wenig später betraten sie das große Zelt des Statthalters. Arminius schaute sich verblüfft um, denn es war voller Prätorianer. Vor ihm stand Varus mit undurchdringlichem Gesicht, neben ihm Segestes. Auf ein Zeichen des Statthalters hin zog die Leibwache die Schwerter. Die Luft knisterte vor gefährlicher Spannung.

»Eine schwerwiegende Anklage gegen dich wurde vorgebracht, Julius Cäsar Arminius!«

Überheblicher Affe, dachte Arminius, dann lächelte er amüsiert. »Von dem da?«, fragte er und zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger verächtlich auf Segestes.

»Dir wird das Lachen gleich vergehen!«, drohte dieser mit dürftig verhohlenem Zorn.

»Segestes teilte mir mit, dass du im Bunde mit einigen Fürsten eures Volkes einen Aufstand gegen Rom planst«, bellte Varus.

»Wenn du soviel weißt, verrätst du mir doch bitte auch noch, wann wir loszuschlagen gedenken, damit ich den Zeitpunkt meines Aufstandes nicht verschlafe?«, fragte Arminius kaltblütig zurück.

»Morgen, sagt Segestes, wollt ihr uns auf unserem Marsch überfallen!«

Arminius zwang sich zur Ruhe, doch er fühlte, wie ihn die Panik zu verschlingen drohte. Der ganze Aufstandsplan war verraten worden. Alle, die morgen auf sein Signal warteten, würden in die Falle laufen und getötet werden. Sie besaßen nicht einmal den leisesten Hauch einer Chance. Weshalb nur hatte er diesen Verräter nicht schon längst bestraft? Arminius bemerkte, dass die Prätorianer sich ihm näherten. »Die Behauptung ist ungeheuerlich und fordert Genugtuung!«, rief er.

»Das Spiel ist aus, Arminius. Ich habe Beweise!« Segestes winkte seinem Waffenmeister, der Heban wie ein Bündel Lumpen hereinschleppte. Bei seinem Anblick krampfte sich Arminius das Herz im Leib zusammen. Der Körper war über und über mit Blut bedeckt, ein Auge geschwollen und verklebt. Sie hatten den armen Jungen abgefangen und dann gefoltert. Er hätte ihn nicht als Boten einsetzen dürfen, noch nicht. Er empfand keinen Groll gegen den jungen Semnonen, der ihn unter der Folter verraten hatte, nur Hass gegen Segestes, der vor nichts zurückschreckte. Er legte seine Hand auf Randulfs Schulter, um ihn zu beruhigen, denn der alte Semnone starb vermutlich tausend Tode aus Scham darüber, dass sein Sohn zum Verräter geworden war.

Dann lachte Arminius laut und höhnisch auf. »Es wundert mich sehr, dass ein Mann von Kultur wie du, Varus, einem sabbernden Greis wie dem da sein Ohr leihen kann für seine schmutzigen Verleumdungen. Weißt du denn nicht, du allwissender Statthalter, dass er mich seit dem Tag, an dem ich seine Tochter geheiratet habe, durch Gift, Eisen und Verleumdung zu töten versucht? Er ist zu feige, mich wie ein Mann zum Kampf zu fordern. Und dem glaubst du also? Varus, Varus, wir werden mit Augustus reden müssen! Und wage nicht, mich daran zu hindern.« Arminius zog sein Schwert.

»Das Schwert runter, wir sind in der Verhandlung!«, befahl Varus, der seinen Schrecken nur mühsam verbergen konnte. »Der Mann hat Beweise!«

Arminius ließ das Schwert sinken, ohne es aber wegzustecken. »Was für Beweise denn? Er hat einen Jungen aus meiner Umgebung gefangen und ihn halb bewusstlos geprügelt, um ihn dann die Worte in den Mund zu legen, die er hören wollte. Aber ich beweise dir jetzt das Gegenteil.«

»Und wie?«

»Ich foltere Segestes mit der gleichen Sorgfalt, mit der er Heban gepeinigt hat, und du wirst mit Staunen vernehmen, Varus, wie gern Segestes zugibt, ja sogar alle Eide darauf schwört, den Aufstand gegen Rom unter deiner Anleitung geplant zu haben! Die gleiche Geschichte mit dir in der Hauptrolle als Empörer gegen Rom. Und dann führe ich Klage vor Augustus. Na, wie gefällt dir das, Statthalter? Wach auf, Varus, es ist nicht die Wahrheit, es ist das Werk eines von Hass zerfressenen alten Mannes.«

Varus wurde nachdenklich. Die scheinbar klaren Beweise schmolzen durch Arminius’ Worte wie Eis in der Sonne.

»Alles wahr, alles falsch«, brach es aus Heban heraus. »Schaut mich doch an! Die haben solange auf mich eingeprügelt, bis ich alles sagte, was sie hören wollten, nur um keine Schmerzen mehr zu haben.« Er hob seine linke Hand, und alle konnten sehen, dass man dem Jungen sogar die Fingernägel herausgerissen hatte. Arminius wurde übel.

»Du falscher Hund!«, brüllte Segestes Heban an und wollte sich mit dem Schwert auf den Jungen stürzen, aber Arminius war schneller, schlug ihm die Waffe aus der Hand und richtete die Spitze seines Schwerts auf seinen Hals. »Der Junge gehört mir.« Keiner wagte, etwas zu sagen, denn die Augen des Arminius glühten vor Zorn. »Hilf deinem Sohn, Randulf!«

Der Semnone nahm Heban vorsichtig in die Arme und hob ihn auf.

Arminius spürte den Schmerz des alten Kriegers und zitierte, an Varus gewandt, die erste Zeile von Homers ›Ilias‹ auf Griechisch – die erste Zeile, die das ganze Verhängnis der Welt enthält und wie die Mutter aller Drohungen klingt: »Singe mir, oh Muse, die Wut des Pelleiden Achilleus.« Dann strich er Heban zärtlich über die Wange. »Wer hat dir das, angetan, mein Sohn?«

Heban zeigte auf Segestes’ Waffenmeister, der zwischen dem verräterischen Fürsten und Varus stand. Arminius nahm sein Schwert in beide Hände, stach den Waffenmeister durch die Kehle und drehte das Schwert herum, bevor er es wieder herauszog. Varus erstarrte vor Schreck, während Segestes einen Schritt zurücktrat. Dann fiel der Körper des Waffenmeisters wie eine gefällte Eiche zu Boden. Niemand im Zelt vermochte in diesem Moment zu reagieren. Der Schock hatte Wurzeln geschlagen.

»Du hast das Blut vergossen, Statthalter, weil du den Einflüsterungen eines Lügners mehr geglaubt hast als einem römischen Ritter«, sagte Arminius und wartete Varus’ Antwort nicht ab, sondern nutzte die Erstarrung der Anwesenden, um das Zelt zu verlassen. Nicht aus Jähzorn, sondern kalten Blutes hatte er die Maske der Wut des Achilles aufgesetzt, um Verwirrung zu stiften und so Zeit zu gewinnen, um sich in Sicherheit zu bringen, die er allein inmitten seiner Truppen fand. Jetzt war Improvisationskunst gefragt, noch war nichts verloren, aber alles stand auf Messers Schneide.

Arminius ritt mit Randulf, der seinen geschundenen Sohn vor sich auf dem Sattel hatte, zum Lager.

Randulf rang stumm mit sich, schließlich murmelte er, aber es war, als ob jedes Wort glühendes Eisen war, das man ihm zu schlucken gab und ihm die Kehle verbrannte: »Verräter verdienen nur zu sterben. Erlaube mir, dass ich meinem Sohn den Tod selbst gebe, einen leichten Tod, denn er hat genug gelitten.«

Davon wollte Arminius jedoch nichts hören. »Nein, er wird, er soll leben. Ihn trifft keine Schuld, Randulf. Er war noch zu jung dafür. Es ist allein meine Schuld, ich habe ihn zu früh einer zu großen Gefahr ausgesetzt. Er war noch nicht so weit. Du kannst stolz sein auf deinen Sohn, er hat sich in der höchsten Gefahr zu uns geschlagen und uns gerettet.«

Im Lager angekommen überwachte er persönlich, dass Hebans Wunden gewaschen und behandelt wurden. Dabei berichtete ihm der Bote trotz der Schmerzen, die der Junge litt, von seiner Frau und seiner Tochter. Dass beide sich wohlauf befanden, nahm zumindest einen Teil der Sorgen von seinen Schultern.

Ein Bote des Statthalters traf ein und wurde ins Zelt des Befehlshabers geführt. »Tribun, Quinctilius Varus bittet von Herzen, das Ungemach zu entschuldigen. Er hat den lügnerischen Germanen fesseln lassen und lädt dich zum Essen ein.«

Arminius, der gemeinsam mit dem Feldarzt Hebans Wunden versorgte, schaute nur kurz auf. »Richte Varus aus, dass ich die Wunden meines geschundenen Dieners verbinde.«

Der Bote stand hilflos da und starrte ihn an, denn er wusste nicht, wie er diese Antwort verstehen sollte. »Du schlägst die Einladung des Statthalters aus?«

»Nein, ich nehme sie an, wenn die Wunden meines Dieners verheilt sind, die Verleumdung und Verrat ihm geschlagen haben.«

Der Bote kratzte sich verwundert am Kopf und machte sich wieder auf den Weg zurück ins römische Lager.

Eine Stunde später erschien Velleius Paterculus. Arminius erhob sich und wusch sich die Hände, dann verließ er mit dem Freund das Zelt. Sie gingen in die Nacht hinaus. Kalt standen die Sterne am klaren, erbarmungslosen Himmel. Nun erwartete Arminius das Schwerste, er musste den Waffengefährten täuschen.

»Warum kommst du nicht einfach zum Essen – und wir vergessen die Sache?«, fragte der Legat.

Arminius packte Velleius bei den Schultern und schaute ihm fest in die Augen. »Hast du an meine Unschuld geglaubt?«

»Ich wusste doch gar nichts von einer Anschuldigung.«

»Und, bist du dir jetzt sicher, dass du es wüsstest, wenn ein weiterer Anschlag auf mein Leben geplant wäre?«

»Ich würde dich mit meinen Männern schützen!«

»Wirklich, Velleius? Wer sagt dir, dass deine Männer im Zweifelsfall auf dich hören?« Velleius schwieg. Arminius hatte recht.

»Lass uns erst in den Winterquartieren zurück sein, dann werde ich Klage bei Augustus gegen den Statthalter führen. Bis dahin halte ich mich nur bei meinen Truppen auf.«

»Varus ist ein Opportunist, ja, eitel und geldgierig, ja, aber warum sollte er dich töten wollen?«

»Warum hat er zugelassen, dass meine Eltern getötet wurden?«

»Er kennt die Mörder deiner …« Arminius nickte. »Bei Jupiter, woher weißt du das?«

»Du wirst es rechtzeitig erfahren, mein Freund, aber jetzt begib dich wieder zu Varus und richte ihm aus, dass wir unsere Streitigkeiten vor dem Princeps klären werden. Ich traue ihm nicht mehr!«

Betroffen bestieg Velleius das Pferd und ritt los. Arminius sah ihm lange traurig nach. Tut mir leid, mein Freund, dachte er, es musste sein, der morgige Tag wird uns als Feinde finden.

Früh brachen sie auf. Wie bei jedem Marsch übernahm ein kleiner Teil der Hilfstruppen, der unter dem Kommando Gerwulfs stand, die Vorhut und ritt den Legionen voran. Ein Teil der Leute des Sachsen hatte bereits an einer engen Stelle des Hohlweges begonnen, Wälle zu errichten. Arminius bildete mit dem Großteil der Krieger die Nachhut.

Bevor sich der Heerwurm in Bewegung setzte, hatten sich Varus und Arminius noch einmal kühl angeblickt. Dabei hatte der Statthalter unwillkürlich die Schultern hochgezogen. Er fühlte sich offensichtlich unbehaglich. Da er annahm, dass Arminius in Rom, wo er über gute Kontakte verfügte, Klage gegen ihn führen würde, wollte Varus nicht den Anschein erwecken, als glaube er den Verleumdungen oder stecke womöglich mit den Verleumdern unter einer Decke. Deshalb verzichtete er auf jegliche Vorsichtsmaßnahmen und ließ die Legionen in lockerer Ordnung marschieren. Zudem beabsichtigte er, den Befehlshaber der Hilfstruppen in Sicherheit zu wiegen. Der Weg nach Rom war schließlich weit. Gift und gedungene Mörder standen zwischen dem Rhenus, von dem Arminius aufbrechen würde, und dem Tiber, den er nie erreichen durfte, überall bereit. Bei dem Gedanken, dass der Germane nicht die geringste Ahnung hatte, mit wem er sich einließ, als er Varus beschämte, besserte sich die Laune des Statthalters. Das Schwert führt ein Arm, der erschlafft – das Geld aber hat tausend Arme mit tausend Schwertern.

Als das Bergland die Kolonne völlig geschluckt hatte, flammten auf den Bergspornen Leuchtfeuer auf. Kurz darauf erklangen das Sturmgeheul der Luren und die monotonen Schicksalsschläge der Trommeln. Überall regte und bewegte sich etwas. Es war, als ob der Wald lebendig würde, als kämpfte selbst der Fels gegen die Eindringlinge.

Wie lange hatte er auf diesen Moment hingearbeitet! Wie sehr hatte er ihn herbeigesehnt! Nun war es endlich soweit. Arminius zog sein Schwert, und er brüllte, dass es widerhallte. Und tatsächlich trugen die Anführer die Worte des Königs wie ein Echo weiter, dass es die dreißig Meilen, über die sich die Marschkolonne inzwischen hinzog, mühelos überwand: »Sinthgunt wird uns entweder als Sieger oder in Tyrwal sehen! Bettgenossen der Freiheit werden wir so oder so heute Abend sein! In diesem oder im nächsten Leben!«

Auf seinem Schimmel stürmte Arminius an der Spitze seiner Männer von hinten durch die Kolonne der neunzehnten Legion und hielt grausige Ernte. Wer ihm in den Weg kam, den erstach er oder schlug ihn aufs Haupt. Wie ein eiserner Rechen zogen die germanischen Reiter durch die römischen Reihen. Ehe die Legionäre begriffen, dass sie von den eigenen Hilfstruppen angegriffen wurden, hatten die Reiter bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt. Panik breitete sich aus. Die Soldaten rannten zu den Wagen, um an ihre Helme und Brustpanzer zu kommen. Die Heerführer versuchten vergeblich, Kampfordnungen aufzustellen, aber die Hilfstruppen, nicht weniger militärisch ausgebildet als ihre römischen Kollegen, jagten und töteten zuerst die Führer und Unterführer. So lebte kaum mehr als ein Drittel der 5.378 Legionäre der neunzehnten Legion, als sie sich zur gemeinsamen Abwehr zusammenfanden. Auf die Befestigung, die seine Leute als Sperrriegel zwischen der neunzehnten und der achtzehnten Legion errichtet hatten, pflanzte Arminius wie zum Hohn den erbeuteten Legionsadler. Unterleib und Brust seines Schimmels waren inzwischen rot von Blut.

»König, was machen wir mit den Gefangenen?«, rief einer der Kämpfer Arminius zu.

»Es wird keine geben«, schrie er zurück, so laut er konnte.

Die Legionäre saßen in der Falle. Es ging weder vor noch zurück, und nun kam das Verderben auch noch von den Hängen in Gestalt unzähliger Pfeile. Kaum war der todbringende Regen über die bedauernswerten Männer niedergegangen, da folgten bereits die nächsten Geschosse mit ihren eisernen Schnäbeln, die den Römern das Fleisch von den Knochen hackten.

Arminius musste zweimal hinsehen, denn er traute seinen Augen nicht: Unter den Bogenschützen der Brukterer befanden sich tatsächlich Frauen. Ihrer Weiber kämpften mit ihnen zusammen, weil sie von jeher wussten, dass sie nur gemeinsam siegen oder zusammen sterben würden. Einen kurzen Moment lang wanderten seine Gedanken zu Elda, dachte er an Lenia, und er sah sie vor sich, Frauen und Männer und Kinder, die fröhlich und scherzend ihr Land bestellten, Jungen, die Schafherden auf die Weide trieben, Fruchtbarkeit und Glück überall, und nicht einer trug Waffen.

Er senkte den Kopf herunter, ließ ihn nach rechts und nach links pendeln, dann blickte er von unten auf, hob das Schwert und sprengte auf seinem Pferd in den Talkessel. »Setzen wir dem jetzt ein Ende!«

Mit wilden, markerschütternden Schreien folgten ihm seine Männer. Von den Hängen stiegen die Bogenschützen herab, die nun mit Schwertern, Speeren, Messern und Keulen in den Kampf eingriffen. Aber die Römer, die wussten, dass sie diese Schlacht nicht überleben würden, kämpften mit eiserner Entschlossenheit. Anders hatte es Arminius auch nicht erwartet. Vieles konnte man über diese Männer sagen, nicht aber, dass sie Feiglinge waren.

Ein eisgrauer Kämpfer, Lucius mit Namen, dem Arminius das Schwert in den Bauch rammte, bedankte sich bei ihm. »Meine Manen werden jetzt wieder bei Drusus Dienst tun, wie ich es als junger Mann schon tat. Danke, Germane«, röchelte er. Dann floss nur noch Blut aus seinem Mund, doch sein Gesicht wirkte entspannt, es hatte eine zufriedene Miene angenommen. Arminius verneigte sich kurz vor dem Sterbenden, dann schlachtete er weiter.

Bis zum Abend zogen sich die Kämpfe hin. Raben hatten auf den Bäumen Platz genommen und warteten darauf, dass die Kämpfer ihnen das Totenfeld überließen. Auch unter den Leuten des Arminius waren hohe Verluste zu beklagen. Die Römer machten ihrem Ruf alle Ehre. Irgendwann schwand aller Hass, und die Kämpfer schlugen nur noch mit grausamer Eintönigkeit aufeinander ein, bis der geglückte Streich des anderen sie niederstreckte.

Der Bote, den Arminius zu Gerwulf und Randulf geschickt hatte, war zurück. Trotz aller Bemühungen, dies zu verhindern, war es der achtzehnten und der neunzehnten Legion gelungen, sich zu vereinen. Sie waren zwar eingekesselt, aber nichts war entschieden. Arminius begab sich zu den beiden Unterführern, um die Lage zu besprechen. Jederzeit konnten die Römer einen Ausfall wagen. Er befahl, den eingeschlossenen Truppe mit Feuerpfeilen und Speeren zuzusetzen, und zeigte auf einen Bergsporn. »Wenn dort oben ein Feuer leuchtet, ist das das Zeichen zum Angriff. Ich komme mit meinen Leuten von hinten, du, Gerwulf, kommst von vorn und du, Randulf, von den Hängen. Die Krieger sollen solange ausruhen. Bis auf die tausend Schützen, die weiter die Legionen mürbe schießen sollen. Wir dürfen ihnen keine Ruhe lassen. Randulf?«

»Ja, König?«

Woher nimmt der alte Mann nur die Kraft, dachte Arminius voller Bewunderung. Der Semnone kämpfte seit dem frühen Morgen, und es war kein Anzeichen von Müdigkeit an ihm zu entdecken. »Lasst es nicht zu, dass sie sich an einer Stelle konzentrieren. Es darf nur entkommen, wen wir auch ziehen lassen wollen!«

Der Semnone nickte kurz, dann war er bereits im Wald verschwunden. Für einen Augenblick herrschte zum ersten Mal seit Beginn der Schlacht Ruhe. Arminius musterte seine Leute. Der Tag hatte sie erschöpft, aber er hatte ihnen auch Kraft gegeben, denn nun fühlten sie alle, was allzu lange kein Germane mehr gespürt hatte: Die römischen Legionen konnten besiegt werden! Kaum, dass er diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, da surrten von tausend Sehnen die flammenden Pfeile los und ergossen sich über die Römer. Dem Surren antworteten wie in einem grausigen Kanon die Schreie der Verletzten.

Als Arminius von Mann zu Mann ging, jedem Mut zusprach und mit den Kämpfern scherzte, erkannte er, dass sie eine Pause benötigten, wenn das Warten auch an ihren Nerven zerrte. Die Entscheidung stand unmittelbar bevor. Im Gegensatz zu den Stammeskriegern kannten die Hilfstruppen ihre römischen Waffengenossen sehr genau und wussten, wie gefährlich der Gegner immer noch war.

Nichts, noch gar nichts war entschieden. Und dass es nicht gelungen war, die achtzehnte und die neunzehnte Legion zu trennen, war kein gutes Vorzeichen. Im Kessel befanden sich gut zehntausend kampferfahrene Legionäre, die in ihrem Leben nichts anderes getan hatten, als Krieg zu führen. Das Überraschungsmoment, das Arminius und seinen Leuten anfangs geholfen hatte, war mittlerweile dahin, und die Soldaten schlossen sich unter ihren Anführern zu der fast unschlagbaren römischen Kampfordnung der Schildkröte zusammen. Sechs bis acht Männer deckten sich von allen Seiten mit ihren Schilden, und konnten so gut der drei-bis vierfachen Anzahl von Gegnern trotzen und selbst den Reitern gefährlich werden.

Flammen auf dem Bergsporn strebten zum Himmel. Nun gab es kein Zurück und kein Verschnaufen mehr, nun wurde gekämpft bis zum Ende. Arminius konnte nur noch das Gleiche tun wie jeder andere auch, sei er Krieger, Fürst oder König, nämlich kräftig dreinschlagen. Alles lag jedoch in den Händen der Nornen.

»Heute ist der Tag, an dem wir Gericht halten!«, brüllte Arminius, und wieder gab jeder, der den Schlachtruf des Königs hörte, ihn weiter. Während er auf dem Rücken seines Pferdes in das Lager der Feinde flog und seine Leute von überall her nachdrängten, spürte er plötzlich, dass sein Schimmel unter ihm strauchelte und stürzte. Schnell sprang er nach vorn, um nicht unter dem stürzenden Pferd begraben zu werden, rollte sich zur Seite, sah über sich eine Lanze, die auf ihn zuraste, und drehte sich blitzschnell nach links. Die Lanze, von den Römern pilum genannt, fuhr in den Boden. Im Aufstehen stach er mit seinem Schwert nach dem Lanzenträger und traf ihn von schräg unten in den Bauch. Er zog das Schwert heraus und nahm mit einem Seitenblick wahr, dass sein treuer Schimmel tot am Boden lag. Aus der Brust des Pferdes ragte ein Speer.

Hinter dem Kadaver sah Arminius eine Schildkröte auf sich zukommen. Er griff nach der Lanze und zog sie mit einiger Anstrengung aus dem Boden. Sie hätte ihn durchbohrt, mit einer solchen Kraft war sie in die Erde gerammt worden. Er nahm Anlauf und sprang mithilfe ihres Stiels auf die Schildkröte. Auf den Schilden der Legionäre stehend, stach er nun von oben mit der Lanze durch die Lücken. Aus dem Inneren der Kampfordnung drangen Schreie. Die Schildkröte brach auseinander, und Arminius fiel zu Boden. Im selben Moment sah er sich von sechs Legionären umstellt. »Na bitte«, brüllte er, »so öffnet man Schildkröten!«

Germanen, die den König in Bedrängnis sahen, kamen ihm zu Hilfe. Arminius musste unwillkürlich schmunzeln. Seine Leute hatten von ihm gelernt. Die Reiter standen auf den Rücken ihrer Pferde, sprangen von dort auf die Schildkröten und sprengten sie von oben auf. Vergeblich versuchten die Römer, ihre Schlachtordnung zu halten. Bald schon kämpfte nur noch Mann gegen Mann. Das Gras färbte sich rot, wie auch der Bach, der links vom Wege floss. Obwohl sich die Nacht auf die ineinander verkeilten Kämpfer herabsenkte, blieb es hell, denn der Tross stand in Flammen – Wagen, Planen, das mitgeführte Olivenöl – und beleuchtete gespenstisch das Schlachtfeld. Germane lag neben Römer, Römer neben Germane, wie es schien, im Tod vereint. Immer enger zog sich der Ring um die Legionäre.

Arminius spaltete einem Centurio den Kopf. Er wurde nur noch von seinen Reflexen regiert und von seinen Instinkten geleitet. Wie vom Donner gerührt blieb er plötzlich stehen, denn das, was er sah, erschreckte ihn zutiefst. Er glaubte zuerst an ein Trugbild, aber, das, was sich vor ihm abspielte, geschah leider tatsächlich: Heban hatte sich, obwohl es ihm verboten worden war, vom Krankenlager erhoben und sich mit seinem Schwert in den Kampf gestürzt. Du dummer, dummer Junge, grollte Arminius. Er stürmte zu Heban, doch vier Legionäre stellten sich ihm in den Weg. Im gleichen Moment griff ein alter Römer, ein Militärtribun, den Jungen an. Dieser war zwar noch von der Folter geschwächt, behauptete sich jedoch tapfer gegen den erfahrenen Kämpfer.

Schneller als der Wind wollte Arminius bei Heban sein, den er inzwischen wie einen eigenen Sohn liebte. Er bückte sich und zerschlug in einer Drehung dem ersten Legionär mit dem Schwert die Kniegelenke, dass es nur so knirschte. Unter grässlichen Schmerzschreien ging der Mann zu Boden und gab sich mit der eigenen Waffe selbst den Tod. Arminius war bereits herumgewirbelt, hatte den zweiten Römer enthauptet und nun die Klinge in den Hals des Dritten getrieben. Er hatte keine Zeit, er musste zu dem Kind, das dort kämpfte! Denn eigentlich war Heban mit seinen sechzehn Jahren noch ein Kind. Wie lange würde er noch durchhalten können? Als Arminius mit dem vierten Legionär die Klingen kreuzte, musste er leider feststellen, dass dieser ein guter Fechter war, der ihn aufhielt.

Arminius war durch die Sorge um Heban abgelenkt, den er nicht aus den Augen ließ. Er wollte so rasch wie möglich zu ihm, um ihn wieder ins Bett zu schicken, wo er eigentlich hingehörte. Ein Lächeln des Stolzes huschte über sein Gesicht. Einiges hatte er Heban in der kurzen Zeit immerhin beibringen können. Der Junge hielt sich gegen den alten Kämpen erstaunlich gut. Aber was war das? Heban riss die Augen auf, reckte sich leicht wie beim Erwachen am Morgen, die Augen fragend geweitet, dann sank er unendlich langsam in sich zusammen.

Im selben Moment spürt Arminius einen stechenden Schmerz in der Seite. Warum in der Seite, fragte er sich, warum nicht im Herzen? Allmählich begriff er es. In der Sekunde der Unachtsamkeit hatte der Römer ihn verletzt. Er spürte, dass Blut aus seiner Wunde sickerte, taumelte leicht und sah das breite Grinsen des Mannes, der ausholte, um ihm den Todesstoß zu geben. Es ging ihm durch und durch, dieses breite Grinsen des Legionärs, der breite Rücken des Tribunen, mit dem Heban gekämpft hatte, der nun klein und schmal in sich zusammengefallene Leichnam des tapferen Jungen. Dahinter kam nun Lucius Marcus Lupus mit einem Schwert in der Hand zum Vorschein. Der Feigling hatte Heban während des Kampfes von hinten erstochen. Das Grinsen des Legionärs biss auf Eisen, denn Arminius hatte ihm, noch bevor der den sicher geglaubten Todesstoß ausführen konnte, das Schwert in die feixende Visage gestoßen, sodass sein Lachen in einem blubbernden Röcheln verebbte.

Dann zog Arminius sein Schwert wieder heraus. Doch es war nicht mehr er, der das tat, etwas in ihm übernahm die Herrschaft und führte ihn. In seinen Ohren brauste es, sodass er die Rufe, das Gewieher der Pferde, die Schreie der Verletzten und das Stöhnen der Sterbenden nicht mehr vernahm. Er rempelte den Tribunen von der Seite an, worauf ihn dieser erstaunt ansah.

»Musstest du dir von dem da helfen lassen, einen Jungen zu töten?«, knurrte Arminius. »Schande über deine Manen!« Im Vorbeigehen stieß er ihm das Schwert in die Brust, ließ es, wo es war, und schritt weiter. Für Lucius Marcus Lupus benötigte er keine Waffe außer seinen Händen.

Mit Todesangst in den Augen wandte sich der Steuerpächter zur Flucht. Aber er kam nicht weit, mit vier Schritten hatte ihn Arminius eingeholt. Und er war jetzt weder der König der Krieger, noch Ergimer, noch Arminius. Es nutzte Marcus nichts, dass er mit dem Schwert herumfuchtelte, denn Arminius wich ihm nur aus und schlug ihn dann mit der Faust nieder. Dann zog er den Dolch aus seinem Gürtel, warf ihn hoch, fing ihn noch in der Luft in Augenhöhe auf, indem er einen Finger nach dem anderen um den Griff des Messers legte, bückte sich über den Steuerpächter und weidete ihn bei lebendigen Leib aus. Blut spritzte, Gedärme quollen aus dem Bauch.

Als er aufblickte, die Hände tief in der nun leeren Bauchhöhle des sterbenden Lucius Marcus Lupus vergraben, das Gesicht blutverschmiert, die Augen leer, traf sich sein Blick mit dem des entsetzten Legaten Velleius Paterculus. Stumm sahen sie sich an. Arminius brauchte eine Weile, bis er sich erinnerte, wer er war und was er hier tat. Langsam erhob er sich und ging auf den Legaten zu. Da schob sich eine Gruppe von Römern, die einen Ausfall versuchten, dazwischen. Im Kampfgewühl gingen sie einander wieder verloren.