Er ritt den ganzen Tag, wechselte an einer Station der Reichspost nur kurz das Pferd und ritt die Nacht hindurch weiter. Am Morgen machte er Station in der Villa eines Senators in Aquileia, schlief zwei Stunden, wusch sich und schwang sich auf ein frisches Pferd. So erreichte Arminius in nur zwei Tagen das Militärlager des Tiberius im Norden der römischen Provinz Pannonia unweit der Grenze zum Noricum. Drei Legionen und ein paar Reiterverbände lagerten hier und warteten nur auf das Kommando des Feldherrn zum Aufbruch.
Als er vom Pferd sprang, spürte Arminius zwar jeden Muskel, aber die Freude und die Neugier auf ein Wiedersehen mit Tiberius nach all den Jahren trieb ihn weiter. Der Feldherr hatte sich zehn Jahre zuvor aus der Politik zurückgezogen und seither im freiwilligen Exil auf der Insel Rhodos gelebt. Den Grund dafür sahen einige im Verdruss über seine Gemahlin Julia, andere in der Zurücksetzung des Tiberius durch Augustus, der seine Enkel Gaius Caesar und Lucius Caesar zu seinen Nachfolgern erkor. Aber niemand wusste letztendlich genau, was den melancholischen Mann ins Exil getrieben hatte.
Doch die Zeit hatte für ihn gearbeitet. Seine Ehe war inzwischen geschieden und die untreue Frau auf eine kleine Mittelmeerinsel verbannt worden. Die beiden Enkel des Kaisers waren überraschend jung an den Folgen von Verletzung und Krankheit verstorben. Danach war Tiberius von Augustus adoptiert und damit offiziell vor aller Welt zu seinem Nachfolger bestimmt worden. Eine einzige Bedingung hatte ihm Augustus gestellt: Tiberius musste seinerseits seinen Neffen Germanicus an Sohnes statt annehmen.
Als Arminius das Zelt des Imperators betreten wollte, hielt ihn ein Prätorianer auf. »Wer bist du?«
»Julius Caesar Arminius.«
Der Prätorianer salutierte, und Arminius betrat das große, mannshohe Zelt. Auf einem Sessel saß Tiberius. Mehrere Offiziere umstanden ihn, und er unterhielt sich gerade mit einem Reitertribun. Arminius erschrak bei seinem Anblick. Die Augen des Mannes, der ihm einst seinen römischen Namen gegeben hatte, blickten womöglich noch freudloser als früher, sein Gesicht war mit Ausschlag und mit Narben von verheilten Pusteln übersät, untilgbare Spuren der um sich greifenden gefürchteten Mundlepra. Als er kurz aufblickte, gewahrte er Arminius und überlegte einen Moment, bevor sich sein finsterer Gesichtsausdruck aufhellte. »Ist das nicht … bist du nicht?«
»Julius Caesar Arminius, Imperator!«
Tiberius sprang auf. Er mochte jetzt an die fünfzig Jahr zählen, wirkte aber immer noch jugendlich. Nur ein kleiner schwarzer Strich am linken Ohr verriet, dass er sich die Haare färbte. Der Feldherr strahlte freudig, als er Arminius fest in den Blick nahm, und unterdrückte spürbar die Regung, ihn zu umarmen. Dann wandte er sich dem Mann zu, mit dem er gesprochen hatte.
»Komm, Velleius, komm her, und werde Zeuge meiner Freude!« Der Angesprochene folgte lächelnd der Aufforderung seines Vorgesetzten, und Tiberius legte ihm seine rechte Hand auf die Schulter. »Das, mein lieber Velleius, ist der Junge, den ich vor über zehn Jahren aus Germanien mit nach Rom gebracht habe. Ich wusste, dass er eine Zierde unserer Armee werden würde.«
Arminius hob abwehrend die Hände, doch der Feldherr drückte sie, keinen Widerspruch duldend, nach unten.
»Und das, mein lieber Junge, ist mein bester Reitertribun und Freund Velleius Paterculus. Halte dich an ihn, wenn du noch etwas lernen willst. Ich glaube, mein lieber Freund, wir können dem jungen Mann ein Kommando überlassen?«
»Die germanischen Reiter benötigen einen klugen und kühnen Anführer!«, sagte Velleius Paterculus lächelnd.
»So soll es sein«, sagte Tiberius und setzte hinzu: »Das Wiedersehen muss gefeiert werden.« Er blickte sich im Kreis seiner Offiziere um und erntete zustimmendes Nicken.
»Hat nicht Bacchus Indien erobert? So wird Biberius auch die Markomannen besiegen«, rief ein Tribun, dem eine Narbe quer übers Gesicht lief, mit rauer Stimme. Alle amüsierten sich über den derben Spaß, den Namen Tiberius – Sohn des Flusses Tiber – zu Biberius – Trinker – zu verballhornen. Am lautesten aber lachte der Imperator selbst über den Scherz, der auf seine Kosten ging.
»Seien wir heute groß im Trinken, morgen werden wir groß sein im Kämpfen«, sagte er, nachdem sich das Gelächter gelegt hatte. Dann wandte er sich wieder Arminius zu.
»Da auf dem Tisch liegt die Nachricht aus Rom, die dich ankündigt. Sie ist erst vor einer Stunde hier eingetroffen. Wie schnell du geritten sein musst! Respekt.«
»So schnell, Imperator, dass es drei Pferde brauchte.«
»Und einen Hintern, der jetzt zäh wie Leder sein dürfte«, warf der Narbengesichtige lachend ein. »Was hat dich so angetrieben, mein Junge?«
»Ich wollte nicht zu spät kommen, Imperator, wenn du Maroboduus schlägst!«, sagte Arminius lächelnd.
»Ich auch nicht«, ertönte eine Stimme vom Zelteingang her, die Arminius – bei Jupiter! – kannte und die ihm die liebste auf der Welt war. Kein Zweifel, hinter ihm stand Germanicus.
Mit gespielter Verzweiflung sah Arminius abwechselnd zu Tiberius und dann zu dem Neuankömmling: »Kaum gibt es einen Finkennapf Ruhm zu gewinnen, ist er auch schon da, um ihn mir streitig zu machen.«
»Nur die Ruhe, es ist genug Ruhm für alle da. Maroboduus sitzt wie eine Spinne in seinem Nest an der Gabelung der Albis. Eine riesige Burg soll es sein. Er hat vierzigtausend Krieger versammelt. Germanicus, du kommst von Gajus Sentius Saturninus. Wie steht es mit seinen Vorbereitungen?«
Germanicus nahm den Helm unter den Arm und schritt zu Tiberius, stieß dabei mit todernster Miene Arminius im Vorbeigehen scherzhaft in die Seite und baute sich vor dem Imperator auf.
»Die Truppen sind versammelt. Er wird morgen früh losmarschieren. Er lässt dir ausrichten, du sollst nicht bummeln, sonst ist er vor dir in Marobudum und wird den Markomannen allein schlagen!«
»Hoho, er wäre kein guter Feldherr, wenn er nicht seine Truppen wie seine Worte ins Gefecht zu schicken verstünde. Das ist der Plan, meine Herren: Wir werden mit unseren Legionen morgen früh aufbrechen und vom Süden her Bohemia aufrollen, während Saturninus vom Westen, von Mogontiacum aus losschlägt. Zwei starke Heereskeile werden getrennt marschieren, sie werden einen eisernen Ring um den Hals des Maroboduus legen, um ihn dann gemeinsam zuzuziehen.«
»Ruhm und Ehre!«, riefen die Offiziere.
»Ja, Ruhm und Ehre. Wenn der einzige germanische König fällt, der mächtig genug ist, Rom gefährlich zu werden, dann liegt uns ganz Germanien diesseits und jenseits der Albis zu Füßen«, sagte Tiberius. Nachdenklich schaute er Arminius an und strich ihm kurz über die Wange. »Kämpfe gut, mein Junge, es wird auch dein Land sein!« Er wies auf ihn und fuhr fort: »Hier steht der künftige König des Cheruskerlandes. Mit den anderen Fürsten wirst du Rom dienen. Aber sag mir, mein Junge, was ist Rom?«
»Unser Wille, unsere Disziplin und unser Verstand.«
»Nerv von unsren Nerven, Sehnen von unsren Sehnen, Fleisch von unserm Fleisch, das ist Rom. Die Stadt lebt von unserem Blut!«
»Salve!«, riefen die Offiziere.
»Erfrischt und säubert euch, wir sehen uns in einer Stunde im Speisezelt«, sagte Tiberius. Die beiden jungen Männer salutierten, dann legten sie sich die Arme um die Schultern, stießen sich noch einmal versteckt in die Seite und traten Arm in Arm nach draußen.
Tiberius sah ihnen mit unbewegtem Gesicht nach. Nur wer den Feldherrn sehr gut kannte, bemerkte den Stolz in seinen Augen. Seine menschgewordene Vision von Rom hatte gerade übermütig sein Zelt verlassen.
Der trunkene Atem der Offiziere machte die Luft im Speisezelt allmählich warm und dunstig. In all dem Lärmen und Zuprosten ließ Tiberius seine Blicke schweifen. Für ihn war es diese Mischung aus Alkohol, überwundener Todesgefahr, erlebten Abenteuern und überbordender Großsprecherei, die nur mühsam die Trauer in der Seele zu verdecken vermochte, die ein Gelage der Offiziere vor einem großen Feldzug zu einem einzigartigen Erlebnis machte.
Es war beglückend und ekelhaft zugleich, weil es sich ständig an der Zumutung stieß, ein Mann zu sein. Als Mann musste man die Führung übernehmen, man hatte sich zu schlagen, in den Krieg zu ziehen, zu töten und sich töten zu lassen, und sich notfalls, wenn man aus politischen oder finanziellen Gründen verleumdet worden war, das Leben zu nehmen, um seine Familie zu retten. Es ging dabei nicht um körperliche Regungen wie Essen, Trinken, Schlafen, Vögeln oder Ausscheiden, es ging einzig darum, den täglichen Überlebenskampf zu meistern.
Das Leben war eine animalische Angelegenheit, und der Krieg spiegelte diese Tatsachen nur offen und deutlich und nicht versteckt und hinterrücks wie die Politik. Tiberius fand den Krieg ehrlicher, weil man den Speer durch die Luft fliegen sah, der dem eigenen Leben ein Ende setzen sollte. Das machte den Reiz dieser Gelage aus – alle wussten, dass sie am nächsten Tag in der Schlacht zusammenstehen mussten, vielleicht erwartete sie auch der Tod. Aber sie waren so herrlich frei, denn sie wussten auch, dass der Dolch nur von vorn und niemals von hinten kam. Deshalb war bei diesen Besäufnissen die Zunge lockerer und das Herz offener.
Aus ebendiesem Grund war es nicht verwunderlich, dass Augustus Legionslager und Krieg hasste. Der große Kaiser war ein durchtriebener Politiker, der virtuos mit den Stimmungen und Gefühlen der Menschen spielen konnte. Bereitwillig richtete er Spiele aus, die das einfache Volk liebte, und ließ sich, wann immer es ging, demonstrativ bei diesen Ereignissen sehen. Als Feldherr jedoch war er eine glatte Fehlbesetzung – alle Siege des großen Augustus hatten andere erfochten, Agrippa, er, Tiberius, selbst oder sein Bruder Drusus. Und genau aus diesem Grunde liebte Tiberius die Gemeinschaft der Männer im Krieg und hasste die Politik.
Augustus, auch hierin typisch Politiker, verachtete die Philosophen, während Tiberius sie liebte. Wie hatte ihm der Stoiker Thrasyllos einmal gesagt: »Nur Soldaten können Philosophen sein.« »Aber ich kenne so viele Soldaten, die keine Philosophen sind«, hatte er damals eingewandt. Thrasyllos hatte nur gelächelt: »Dann sind sie nur Schlagetots, aber keine Soldaten. Der Krieg ist eine Kunst, mein Freund, er ist der Vater aller Dinge.«
Tiberius sah, dass die Offiziere zu viel tranken und unverzinsbare Windbeuteleien verkündeten. Doch er liebte diese Männer, die mit ihm zu der größten militärischen Unternehmung, die Rom seit über hundertfünfzig Jahren gesehen hatte, aufbrachen.
»Imperator«, riss ihn der ewig wissbegierige Velleius aus seinen Gedanken, »Imperator, ich hatte das Gefühl, dass ihr Maroboduus achtet. Aber er ist doch ein Barbar. Warum also?«
Tiberius verzog unwillig den Mund. »Auch die weisen Griechen, die Söhne Alexanders des Großen, unterlagen unseren Bürgerheeren, obwohl wir für sie die Barbaren waren. Warum wohl?«
»Weil sie uns unterschätzt haben, Imperator?«
»Genau darum, mein lieber Velleius, weil sie uns unterschätzt haben. Unterschätzen wir unsre Feinde nicht. Maroboduus ist bei den Barbaren ein so großer König geworden, der Einzige und der Erste, dem sich der Adel einer ihrer Stämme gefügt hatte, weil er uns weder über-noch unterschätzt.«
»Aber woher weiß er so viel über uns?«, fragte Germanicus, und Arminius, der neben ihm saß, erwartete gespannt die Antwort des Tiberius.
»Ganz einfach. Er wurde in seiner Jugend in Rom ausgebildet. Er kennt uns.«
»Also dürfen wir nicht von oben auf sie herabschauen, sondern müssen auch sie kennenlernen«, sagte Germanicus und schaute gedankenverloren zu seinem Nachbarn. Die anderen Offiziere waren seinem Blick gefolgt und sahen nun alle zu Arminius hinüber.
»Das tust du ja nun schon lange genug«, entgegnete dieser verärgert.
»Erzähl uns von Gaius Caesar!«, hakte Tiberius ein. »Du warst bei ihm im Osten?«
»Ja, und auch als er starb«, antwortete Arminius. »Er war ein ausgezeichneter junger Mann.«
»Wie ist Armenien?«
»Was soll ich sagen, die Götter selbst ruhen sich dort aus. Die Liebe einer Mutter ist nichts gegen die Fürsorge der Sonne. Weintrauben, groß und süß, sprießen dort wie andernorts das Unkraut.«
»Redest du von den Weintrauben oder von den Mädchen?«, warf Germanicus lachend ein.
»Ach, dass du nur an das eine denken kannst, ich rede natürlich von den Weintrauben und den Mädchen. Wir haben den König eingesetzt und die Parther am Fluss Tigranes geschlagen, die unseren König wieder vertreiben wollten. Dabei wurde Gaius Caesar verletzt. So eine Scheißwunde macht aus einem Mann einen anderen Mann.«
»Wohl wahr«, pflichtete Germanicus dem Freunde bei. Tiberius wusste, dass er dabei an seinen Vater dachte, an Drusus, den der Sturz mit dem Pferd das Leben gekostet hatte.
»Ich war bei Gaius Caesar«, fuhr Arminius fort, »in seinem letzten halben Jahr. Er weigerte sich nach Rom zurückzukehren und wollte im Osten bleiben.«
»Wie gut ich ihn verstehe!«, sagte Germanicus halblaut mehr zu sich und ohne, dass es jemand mitbekam.
»Augustus drängte, doch Gaius sehnte sich nur danach, aus der Politik auszuscheiden, und wollte auch kein Kommando mehr übernehmen.«
»Aber was wollte er dann?«, fragte Tiberius stirnrunzelnd. Er hatte nie verstanden, weshalb der Jüngling, der ihm in der Nachfolge vorgezogen worden war und wegen dem er ins Exil gegangen war, so plötzlich auf alles verzichtete und bald drauf starb.
»Er suchte nach der Wahrheit«, sagte Arminius.
»Wahrheit? Was soll das sein?«
»Ich weiß es nicht, Imperator, ich weiß nur, dass es dieses Fieber war, an dem er verglühte, und nicht der Wundbrand. Er las alte griechische Schriften und suchte nach einem verborgenen Heiligtum.«
»Warum ist er dann nicht zum großen Orakelheiligtum nach Eleusis gegangen?«
»Weil er es für Schwindel hielt. Dort amtierten vom Staat eingesetzte Priester. Die sich auch bewusst waren, wem sie zu dienen hatten. Wie kann aber die Wahrheit dienen wollen? Die Wahrheit lebt nur im Verborgenen. Eleusis war für ihn Herrschaft, nicht aber Wahrheit.« Arminius merkte nicht, wie sehr Germanicus an seinen Lippen hing, gespannt auf jedes seiner Worte.
»Wer die Macht hat, hat die Wahrheit«, sagte Tiberius verdrossen.
»Nein, wer die Macht hat, hat nur die Macht. Kurz vor seinem Tod flüsterte mir Gaius noch zu: Wenn die Macht kommt, geht die Wahrheit zuerst.«
»Was heißt das?«
»Ich weiß es nicht, Imperator.«
»Vielleicht weiß es Maroboduus«, warf der mit der Narbe ein und erntete damit Heiterkeit. Und er setzte noch einen Scherz drauf: »Wer von uns in der Schlacht zuerst fällt, kann Gaius im Hades ja fragen, was er damit gemeint hat.«
Die Männer lachten und suchten sich im Witzereißen zu übertreffen. Aus den Augenwinkeln beobachtete Tiberius, der sich gerade einen neuen Becher Wein bringen ließ, dass Arminius das Zelt verließ und Germanicus ihm folgte.
Draußen pfiff der Wind durch die Äste. Der Mond hatte sich hinter einer Wolke versteckt, und auch die Sterne leuchteten nur spärlich. Arminius schlug sein Wasser an einer Birke ab. Germanicus trat neben ihn und tat das Nämliche.
»Hast du Gaius gemocht?«, fragte er den Freund.
»Nein, aber seine letzten Monate, der Verzicht und das Verbrennen in der Suche nach der Wahrheit, weißt du, wie eine Motte Feuer fängt, wenn sie zu dicht an die Kerze gerät, das hat mich beeindruckt. Aber gemocht habe ich ihn nicht, nein. Wie war es in Germanien?«
»Schöne Frauen gibt es dort, schöne Römerinnen und schöne Germaninnen. Und übrigens, ich verstehe jetzt, dass du Elda nicht vergessen konntest.«
»Du hast sie gesehen! Sie lebt! Es geht ihr gut!«
»Sie ist schön. Sie ist eigensinnig. Sie ist eine Herausforderung für einen Mann. Sicher freut man sich, wenn man mit ihr verheiratet ist, auf den Krieg, um sich von ihr zu erholen. Mit einem Wort, die perfekte Frau für einen Militärtribun.«
Arminius lachte laut und glücklich auf. »Du hast also mit ihr gesprochen, und sie hat sich überhaupt nicht verändert.«
Am anderen Morgen brachen die Legionen sehr früh auf. Sie marschierten bis zum frühen Nachmittag, dann errichteten sie das Militärlager. Die folgenden Tage glichen dem Ersten. Manchmal schafften sie 15, manchmal 17 Meilen am Tag. Unaufhaltsam fraß sich der römische Heereswurm durch Bohemia, durch das Reich der Markomannen und ihres Königs Marbod oder, wie die Römer sagten, Maroboduus. Und vom Westen zog ein zweites Heer heran.
Germanicus, der neben Arminius ritt, ließ seinen Blick über die marschierenden Einheiten schweifen, eine endlose Kolonne, die sich durch das böhmische Becken wälzte.
»Anstelle des Markomannen würde ich mich ins eigene Schwert stürzen. So aussichtslos ist seine Lage, dass ich fast Mitleid mit ihm habe«, sagte er.
»Wenn er es nicht tut, wird er einen Grund dafür haben. Unterschätzen wir Marbod nicht. Er wird nicht untätig herumsitzen!«
»Ja, aber zaubern kann auch er nicht«, antwortete Germanicus und trieb sein Pferd an.
Nach und nach wurde das Grün der Halme, die auf den Feldern standen, heller. Die Truppen des Tiberius versorgten sich vom eigenen Nachschub. Der Feldherr achtete darauf, die Bauern auf dem Weg zur Schlacht nicht zu behelligen. Er wusste, dass die Menschen, an denen sie vorbeizogen, hierbleiben würden und auch hierbleiben sollten. Marbods Tage waren gezählt, und dann musste man mit den Menschen, die hier lebten, etwas Neues errichten. Warum also unnötig Feindschaft und böses Blut schaffen? Es war ein schönes Land mit seinen weichgeschnittenen Hügeln, dem ausladenden blauen Himmel, den Wäldern und Feldern, den saftigen Weiden und unzähligen Quellen und Bächen und Flüsschen, die alle zur Albis rieselten und strömten.
Am Fuße eines baumbestandenen Hügels, der auch frisches Wasser aus einem kleinen Bach aus seinem Inneren lieferte, befahl der Feldherr zu rasten. Geübt errichteten die Legionäre das Marschlager. Die Zelte wurden aufgestellt und mit einer schützenden Palisadenwand umgeben.
Germanicus und Arminius nutzten die Zeit für einen Spaziergang im Wald. Germanicus erzählte dem Freund von seiner Lehrzeit in Germanien, die er zunächst bei Marcus Vincius, dann bei Sentius Saturninus verbracht hatte. Er berichtete Arminius von den Städten, die links des Rhenus entstanden, über die festen Legionslager auf der rechten Seite des Flusses, über die Straßen, die sie dort anlegten, über das Zusammenleben mit der örtlichen Bevölkerung, aber auch über die kleineren Aufstände, die noch vor ein paar Jahren immer wieder aufgeflackert und, so schnell sie aufloderten, niedergeschlagen worden waren.
»Es entspricht nicht unserer Lebensart, Herren zu dulden. Und erst recht nicht, Steuern zu zahlen«, meinte Arminius lachend.
»Die Ubier, die Chatten und auch viele Cherusker haben eingesehen, dass sie mit den Segnungen unserer Kultur besser leben.«
»Römische Kultur und germanische Tugenden, römische Ordnung und germanische Kraft könnten etwas völlig Neues schaffen. Ich habe im Osten gesehen, wie nutzlos der ewige Krieg der Armenier gegen die Parther ist. Und auch die Parther werden nicht glücklich im Kampf gegen Rom. Dieser ewige Krieg saugt ihnen die Kraft aus. Meinst du, Kerls wie wir können ein neues Germanien schaffen?« Arminius lachte verwegen.
»Wer, wenn nicht wir, Bruder?« Germanicus stimmte in das Lachen ein. Doch plötzlich verstummten beide, denn sie hörten, wie Männer durchs Unterholz brachen. Sie wollten schon ihre Schwerter ziehen, da kam ein Legionär zum Vorschein.
»Ich hab sie gefunden!«, brüllte er. Dann ging er zu den beiden Freunden und salutierte. »Der Imperator will euch sofort sehen!«
Germanicus und Arminius warfen sich einen überraschten Blick zu, bevor sie in Richtung des Lagers eilten. Dort trafen sie Tiberius in seinem Zelt an. Inmitten seiner Offiziere saß er mit sorgenvollem Gesicht auf seinem Sessel. Die Stimmung befand sich offenbar auf dem Tiefpunkt. Die Züge des Imperators wirkten wie grob gemeißelt, der Feldherr sah aus wie eine schlecht gelungene Statue seiner selbst. Langsam hob er den Kopf und sah die beiden jungen Männer an. Als er sprach, bewegten sich seine Lippen kaum: »Pannonia brennt!«
»Ein Aufstand in Pannonia?«, rief Germanicus entsetzt.
Velleius antwortete für den Feldherrn: »Ja, das ganze Land hat sich gegen uns erhoben, den Statthalter vertrieben und unsere Garnisonen gebrandschatzt. Augustus fürchtet, dass die Aufrührer, wenn sie erst Herr in ihrem Land sind, die Landverbindung nach Achaia und von dort in den ganzen Osten blockieren könnten.«
»Und damit nicht genug«, fiel ihm Tiberius ins Wort, »Aquileia liegt zum Greifen nahe. Wer sagt uns, dass sie nicht ihre Räuberhand nach der Stadt ausstrecken und dann nach Bononia? Und dass sie nicht von dort aus auf Rom zumarschieren?«
»Wir müssen den Feldzug also abbrechen«, stellte Arminius nüchtern fest.
Es hatte sich für Marbod gelohnt, sich nicht ins eigene Schwert zu stürzen. Zaubern konnte er sicher nicht, aber das unverschämte Glück, das ihm zuteilwurde, konnten nur die Götter gewährt haben. Warum straften sie uns?, fragte sich Arminius. Er sah dem Feldherrn an, wie sehr es ihn quälte, den großen Sieg wegwerfen und stattdessen zwei oder drei aufständische Provinzen befrieden zu müssen.
Tiberius erhob sich und ging auf Germanicus zu. In seinem Blick lagen Ruhe und die gewohnte Trauer. Er hatte sich mit der Situation bereits abgefunden.
»Du, mein Sohn, wirst zu Maroboduus reiten und einen Friedensvertrag aushandeln. Wir brauchen Ruhe in unserem Rücken. Das weiß auch der Markomanne. Er ist schlau. Er wird den Preis so hoch treiben, wie es irgend geht. Sieh zu, was du ausrichten kannst. Komm nicht ohne Frieden zurück, aber zu annehmbaren Bedingungen. Velleius und Arminius werden dich begleiten. Arminius sollte noch ein Gefühl für das Denken seiner Brüder haben. Viel Glück! Caecus wird zu Saturninus reiten. Er soll umgehend mit den Legionen an den Rhenus zurückkehren und wachsam sein, dass sich der Brand des Aufstandes nicht auf Germanien ausbreitet. Beeilt euch, wir müssen Geschenke verteilen, mit der liebenden Hand und dem scharfen Schwert, je nachdem.«
Sie alle wussten, was auf dem Spiel stand – die Sicherheit Roms. Wenn sich der pannonische Aufstand auf das ganze Illyricum, auf die Dalmatica und Moesia ausweitete, wenn Maroboduus die Gunst der Stunde nutzen und sich mit den Westgermanen verbünden könnte, die über den Rhenus drängen und die nun schwächeren Truppen in der Germania angreifen würden, ja, wenn auch unruhige Elemente in der Belgica und der Gallia Lugdunensis sich ermuntert fühlten, dann fiele das Reich wie ein Kartenhaus in sich zusammen!
Sie alle wussten, was auf dem Spiel stand, und der Schlüssel hieß Maroboduus. Wie würde er sich verhalten? Selten lastete ein größeres Gewicht auf den Schultern von Gesandten als auf denen der drei römischen Offiziere.