Mehr als einmal dachte Germanicus auf seiner langen Reise nach Rom an die junge Frau, die er beim Fest des Saturninus kennengelernt hatte. Er erinnerte sich an ihre blauen Augen, die klar waren wie das Meer zwischen Baiae und Capri und an ihre sinnliche Figur, die aber nicht zu zerfließen drohte. Das altrömische Ideal waren kleine Brüste, die man zu formen suchte, indem die Töchter der Ritter und Senatoren von klein auf mit festen Brustwickeln traktiert wurden, und ausladende gebärfreudige Becken. Eldas Busen jedoch würde wunderbarerweise seine Hände füllen, während ihre Statur fast knabenhaft schlank war. Diese cheruskische Wirklichkeit gefiel ihm weit besser als das altrömische Ideal.
Das alles aber wurde gekrönt durch Eldas natürliche Ausstrahlung. Germanicus hatte genügend junge Mädchen und reife Frauen aus bedeutenden Häusern gehabt, als dass ihm irgendein Wunsch unerfüllt geblieben wäre. Doch die kulturelle Raffinesse, gepaart mit Durchtriebenheit und Dünkel, erweckten bei ihm bestenfalls nur noch Langeweile. Immer häufiger dachte er an seinen Vater Drusus, dessen Ruhm und Beliebtheit beim Volk ebenso auf ihn, auf seinen Sohn, übergegangen waren wie der Ehrenname Germanicus. Voller Liebe und Sehnsucht rief er sich ins Gedächtnis, dass seine Eltern eine glückliche Ehe geführt hatten. Gleichzeitig kam ihm die katastrophale Ehe seines Onkels und nunmehr Adoptivvaters Tiberius mit Julia in den Sinn, die längst geschieden worden war.
Germanicus spürte, dass mit Elda eine Ehe, wie sie seine Eltern geführt hatten, möglich wäre. Natürlich konnte er nicht darauf hoffen, als Spross des ersten Hauses des Reiches eine Germanin heiraten zu dürfen. Aber er konnte es nicht leugnen – er sehnte sich auch körperlich nach ihr. Wenn er schon das eine nicht haben dufte, musste ihm das andere ja nicht unbedingt verwehrt bleiben. Und was war mit Arminius, seinem Freund? Ach der, der trug nur ein Bild aus Kindertagen in seiner Brust, das nichts mehr mit der erwachsenen Frau zu tun hatte.
Man würde sehen, wie die neue Provinz sich entwickelte. Unter politischen Aspekten konnte es sogar sinnvoll sein, dass Germanicus eine Germanin ehelichte. Und es waren allein politische Gründe, die für Augustus bei einer Ehe zählten. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr Hoffnung schöpfte Germanicus, Elda eines Tages vielleicht doch noch zu gewinnen. Er musste nur klug genug vorgehen. Wie von ungefähr kam ihm ein Vers seines älteren Freundes Ovid in den Sinn: »Jeder, der liebt, ist Soldat, und sein eigenes Lager hat Amor.« Ein Soldat war Germanicus und ein Liebender zugleich, also durfte ihm Amor das Lager nicht vorenthalten.
Als er nach einer knappen Woche endlich die Kuppeln und Türme Roms erblickte, wurde es ihm warm ums Herz, und er spürte wieder einmal, wie sehr er die germanischen Wälder hasste. Seine wahre Sehnsucht aber galt dem Osten, dort, wo Dichtung und Philosophie und Wissenschaft ein lebendiges Dasein führten. Selbst sein geliebtes Rom war im Vergleich dazu geistige Provinz. Zwar gab es in seinem Zuhause fähige Juristen, gerissene Politiker, begnadete Schlachtenlenker, aber nicht einen Philosophen, der es mit Platon aufnehmen konnte. Germanicus liebte seinen Vergil, seinen Horaz und vor allem die kunstvollen Verse Ovids – aber was waren sie alle im Vergleich zu Hesiod oder Homer? Von dem großen Wissenschaftler Euklid nicht zu reden. Wo auf der ganzen Welt fände sich eine Bibliothek wie die von Alexandria, ganz zu schweigen von den undurchdringlichen Mysterien des Thot und der Isis! Wie sehr hatte er damals Arminius beneidet, dass er Gaius Caesar in den Osten begleiten durfte, während er selbst nach Illyrien und nach Germanien geschickt worden war.
Eines Tages aber würde er nach Ephesos reisen, nach Antiochia, nach Memphis und vor allem nach Alexandria. Eines Tages. Er war ja noch jung. Wie hatte doch Ovid gedichtet: »Nur die Jugend, welche zum Krieg taugt, passt auch zur Liebe.« An Jugend mangelte es ihm nicht, auch nicht an Erfahrungen im Krieg und in der Liebe!
Als er auf dem Weg zum Palatin über das Forum kam, fand er die Kurie offen. Er pfiff einen der herumlümmelnden Botenjungen zu sich, drückte ihm die Zügel seines Pferdes in die Hand und ermahnte ihn, gut darauf aufzupassen. Es würde ihm reichlich entgolten werden. Dann lief Germanicus die Treppe hinauf und betrat die hohe Versammlungshalle. Die Amtsdiener, die am Eingang postiert waren, erkannten ihn und ließen ihn, ohne nachzufragen, passieren.
Drinnen lauschten die Senatoren mit gewichtigen Mienen der Rede des Princeps. Was für eine elende Bande eitler, von blanker Gier getriebener Staatsschauspieler, dachte Germanicus mit einem Gefühl der Verachtung, das er sorgsam hinter einer unbewegten Miene verbarg. Der Kaiser sprach von der Notwendigkeit von Steuern und Opfern angesichts des illyrischen Aufstandes und des Terrors der Breuker.
»Bedenkt, hochverehrte Senatoren, dass unsere Stadt, die uns alles ist, Anfang und Ende, Mutter und Vater, Blut und Atem, Sehnen und Muskeln, der tödlichsten Bedrohung seit ihrem Bestehen ausgesetzt ist. In zehn Tagen können Batos Horden mühelos vor unseren Mauern stehen, sie niederreißen, die Männer töten, die Frauen schänden, die Tempel entweihen und die Stadt dem Erdboden gleichmachen, wenn unsere Legionen sie nicht vernichten. Eile ist also geboten! Von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde gar wächst Batos Heer. Mit jedem Moment, den wir zögernd verstreichen lassen, spielen wir leichtfertig dem Barbaren in die Hände.«
Augustus hatte kaum geendet, da erhob sich eilfertig der Senator Aemilius Gallus: »Nicht nur, dass ich dem Retter des Vaterlandes zustimme und alle seine Vorschläge unterstütze – ich spende eine Million Sesterzen für den Krieg.«
Nobel, aber angesichts deines sprichwörtlichen Reichtums knauserig, dachte Germanicus, der in die Mitte der hohen Halle trat. Ein Gastmahl, so munkelte man, konnte bei dem Senator auch schon einmal eine Million Sesterzen verschlingen – eine halbe Million kosteten die lukullischen Köstlichkeiten, und der Rest ging aus lauter Übermut in Form kostbarer Perlen in Rauch auf. Er hatte diese ins Feuer geworfen, um allen zu zeigen, dass er es sich leisten konnte, so viel Geld im wahrsten Sinne des Wortes zu verbrennen.
Germanicus gegenüber an der Schmalseite der Kurie saß Augustus mit einem sorgenvollen Gesichtsausdruck. An den rechten und linken Längsseiten, die bis zum Ausgang führten, befanden sich die Plätze der Senatoren. Als Augustus ihn sah, wandte er den Kopf so langsam zu ihm, dass jeder Senator seinem Blick zu folgen imstande war. Danach erhob sich der Princeps würdevoll und ging Germanicus gemessenen Schrittes entgegen. Waren alle, die hier saßen und wichtigtuerisch lümmelten, schon Staatsschauspieler von hohen Graden, so übertraf der Princeps sie bei Weitem. Er war der begabteste Politiker, den Rom je gesehen hatte.
»Ah, Germanicus, sei gegrüßt. Mein Herz freut sich, dich zu sehen. Was bringst du Neues von Maroboduus?«
»Frieden, Princeps, ich bringe Frieden.«
»Bei Jupiter, beim vergöttlichten Julius Cäsar, endlich einmal gute Nachrichten! Dann können wir jetzt mit aller Kraft Bato züchtigen und den Aufstand niederschlagen.«
»Salve, Augustus!«, rief Aemilius Gallus, und es gab keinen Senator, der es wagte, nicht in den Ausruf einzustimmen. Im Gegenteil, sie suchten einander zu übertreffen. Unter Jubel verließen Augustus und Germanicus die Kurie.
Die zwölf Amtsdiener liefen vor dem Princeps her und machten ihm den Weg frei. Er hatte sich so sehr an sie gewöhnt, dass er ihre Anwesenheit gar nicht mehr wahrnahm. Im Vorbeigehen wurde der Junge, in dessen Obhut sich das Pferd des Germanicus befand, beauftragt, es in den Reitstall des Kaisers zu bringen.
Nachdem Augustus sich ausführlich nach dem Ablauf der Friedensverhandlungen erkundigt und einige anerkennende Worte für Arminius und Velleius gefunden hatte, lobte er Germanicus, der dies als echter Römer wie selbstverständlich entgegennahm: »Die Bedingungen, die Maroboduus für den Frieden stellt, sind zwar hoch, aber angesichts unserer Notlage erstaunlich moderat. Du hast Rom einen großen Dienst erwiesen.«
»Meine Liebe gehört Rom«, sagte Germanicus.
»Apollon ist mein Zeuge, ich habe deinen leiblichen Vater sehr gemocht. Drusus hatte eine besondere Ausstrahlung, er war liebenswürdig, intelligent, schön, ein Mann, dem Amor und Mars huldigten, wiewohl er nach altrömischer Sitte seiner Frau stets Liebe und Treue wahrte. Weißt du, dass du mich sehr an ihn erinnerst?«
Germanicus errötete. Der Vergleich machte ihn schon deshalb verlegen, weil er ihm wieder einmal vor Augen führte, wie viel er seinem Vater verdankte, dem er andererseits so viel schuldete. Ja, Augustus beschämte ihn, aber der Princeps konnte auch nicht wissen, dass er seinen Vater in den letzten Lebenstagen verraten hatte. Das wussten nur Drusus und er. Und er hatte zu niemandem darüber gesprochen, nicht einmal zu seiner Mutter – die allerdings wohl manches ahnte –, auch nicht zu Arminius oder zu Salvianus. Ein Geheimnis verband Germanicus mit seinem Vater, das Geheimnis des Verrats. Wenn er einst zu den Manen ginge und ihn wiedersähe, würde er ihn um Verzeihung bitten, und vielleicht würde Drusus sie ihm gewähren. Auf Erden jedoch würde er sich mit dieser Schuld plagen müssen. Ja, wenige nur hatten ein so enges Verhältnis zu ihrem verstorbenen Vater – leider bestand das des Germanicus in einer nicht zu sühnenden Schuld.
»Hast du mir überhaupt zugehört, Germanicus?«, fuhr ihn Augustus zornig an. Sie waren inzwischen nicht mehr weit vom Haus des Princeps entfernt.
»Selbstverständlich«, versicherte Germanicus rasch, obwohl er sich seinen Gedanken hingegeben hatte.
»Dann steht der Hochzeit mit meiner Enkelin also nichts mehr im Wege? Ich bin froh, dass sich auf diese Art die Bande zwischen uns festigen.«
Germanicus überlief es siedend heiß. Er sollte heiraten!
»Ich will«, fuhr der Princeps fort, »dass du eine wichtige Rolle in der römischen Politik spielst. Rom ist nicht überreich an so glänzenden Talenten, wie du eines bist. Nicht ausgeschlossen, dass du eines Tages meine Stelle einnimmst. Aber diesen Gedanken wollen wir dem stets misstrauischen Tiberius nicht auf die Nase binden. Durch ihn habe ich dich adoptiert, vergiss das niemals, Germanicus. Lieblich wird dieses Band nun fester gezogen durch die Ehe mit Vipsania Agrippina, der Tochter meines Freundes Agrippa und meiner Tochter Julia.«
Germanicus war, als stürze er in ein tiefes Loch. Er sollte also Agrippina heiraten. Hatte er nicht vor Kurzem noch davon geträumt, Elda zu erobern? Und nun sollte er nach dem Willen des Kaisers dessen Enkelin ehelichen. Germanicus kannte sie kaum. Sie waren zwar beide im Haus der Livia aufgewachsen, aber er und die anderen Knaben hatten sich nicht für die Mädchen interessiert. Und als sie damit anfingen, hatte Livia achtgegeben, dass sie nicht mehr zusammentrafen. Überhaupt lebten ständig zwischen zehn und zwanzig Kinder in ihrem Haus. Selbst seine eigene Schwester Drusilla hatte er kaum kennengelernt, ganz zu schweigen vom Schandfleck der Familie, seinem behinderten und eigenbrötlerischen Bruder Claudius, für den er sich vor Arminius sogar geschämt hatte. Seine Geschwister hatte Germanicus nur an den Feiertagen gesehen.
Nun versuchte er sich fieberhaft daran zu erinnern, wie Agrippina aussah und wie alt sie war. Er wusste, dass es keinen Zweck hatte, Augustus zu widersprechen. Also schwieg er, bedankte sich zurückhaltend für die große Ehre, dass sich der viel beschäftigte Princeps selbst um sein privates Glück kümmerte, und gab sich ganz und gar unerfreulichen Gedanken hin. Augustus tätschelte ihm zufrieden den Rücken.
»Damit du siehst, dass es mir ernst ist, wirst du am Tag nach deiner Hochzeit in dein erstes Amt eingewiesen, das dir die Tür zum Senat aufstoßen wird. Du wirst Quästor, Germanicus«, sagte er gönnerhaft.
Der junge Mann sah den Princeps mit großen Augen an, zweifelte einen kurzen überflüssigen Moment daran, dass er richtig gehört hatte, bevor ein einziger Jubel in seinem Herzen losbrach. Eigentlich war er zu jung für dieses Amt. Doch wenn Augustus es wünschte, spielte das Alter natürlich keine Rolle. Und Augustus wünschte es offensichtlich.
Germanicus fühlte sich erleichtert und auch stolz. Er war klug genug gewesen, nicht zu protestieren, als der Princeps seine Loyalität auf die Probe gestellt hatte. Weil er diese bestanden hatte, belohnte ihn Augustus nun. Und jedes öffentliche Amt in der Karrierelaufbahn, die vom Quästor über den Prätor bis zum Konsul führte, durfte nur antreten, wer verheiratet war. Um Quästor zu werden, hätte Germanicus ohnehin heiraten müssen, und umgekehrt, wenn er verehelicht war, standen die strengen Ehegesetze des Kaisers diesem Amt nicht mehr im Wege. Germanicus hatte das Gefühl, die ganze Welt läge ihm zu Füßen, und er genoss es, weil er zutiefst davon überzeugt war, dass es gar nicht anders sein konnte. Glück war Schicksal. Entweder man war wie er unter dem Füllhorn der Fortuna geboren worden oder eben nicht.
Bei aller Freude beunruhigte ihn der Gedanke, dass er sich kaum an Agrippina erinnern konnte. Aber er verdrängte die Skepsis, denn was hatte die Ehe mit der Liebe zu tun? Schlimmstenfalls konnte er diese Ehefrau bei seiner Großmutter und seiner Mutter auf dem Palatin unterbringen und sich in die Abenteuer dieser Welt, zu denen für ihn die Liebe gehörte, stürzen. Wieder erstand Elda vor seinem geistigen Auge, ihr spöttisches Lächeln, ihr Meeresblick, in dem er zu versinken drohte, die Linien ihres Körpers, die ihn wie auf einem hohen Felsengrat schwindeln ließen, die Entschiedenheit ihrer Stimme, die ihn im Unterleib traf. Er war bereit zu heiraten, wann immer Augustus es wollte. Das hatte keine Bedeutung. Wichtig war nur eines: Er begehrte diese cheruskische Frau, mochte es auch dumm, mochte es auch unvernünftig sein, aber allein der Gedanke an sie löschte Vergangenheit und Zukunft aus, weil er nur ein einziges Jetzt kannte.
Vor seinem Haus angekommen, entließ der Kaiser Germanicus, nicht ohne ihn zum Essen einzuladen. Sie würden zur neunten Stunde im Hause des Senators Publicus Lentinus speisen, der ein enger Freund des Princeps war. Germanicus verabschiedete sich höflich und eilte in den Gebäudeflügel der Livia, um endlich seine Mutter wiederzusehen.
Während er das Bad genoss und die Essenzen ihm Körper und Seele streichelten, saß Antonia bei ihrem Sohn. Sie hatte dafür gesorgt, dass das Bad gerichtet wurde, dass ihre persönliche Sklavin bereitstand, um ihm die Finger-und Fußnägel zu schneiden und die Frisur herzurichten, die vielen kleinen Locken zu brennen, die seit dem Aufstieg des Augustus bei den römischen Männern in Mode gekommen war. Als besonderer Clou galt die Zangenlocke, die keck in die Stirn fiel.
»Agrippina wird dir eine gute Ehefrau sein«, sagte Antonia.
»Ich erinnere mich kaum an sie«, gab Germanicus träge zurück.
»Umso größer wird deine Überraschung sein. Die Götter lieben dich, mein Sohn, und dein Vater höchstselbst hält zum Schutze die Hand über dein Leben. Besser hätte die Wahl des Princeps nicht ausfallen können.«
»Liebt sie mich denn, liebe ich sie?«
»Es gibt keinen Grund, der eurer Liebe im Wege steht. Außer natürlich, du liebst eine andere.«
»Und wenn es so wäre?«
»Dafür ist es jetzt zu spät.«
»Aber du hast dich doch auch geweigert, nach Vaters Tod wieder zu heiraten. Du warst noch jung, du bist immer noch schön, einer neuen Ehe hätte nichts entgegengestanden, zumal Augustus es wollte. Du hast dich ihm widersetzt.«
»Ja, aber nur weil ich mit deinem Vater verheiratet bin und unsere Ehe nicht mit seinem Tod endete. Alles andere wäre Verrat.«
»Augustus zürnte dir. Was, wenn er dich verstoßen und verbannt hätte?«
»Das konnte nicht geschehen«, sagte Antonia ruhig.
»Aber warum nicht?«
»Weil Drusus bei mir ist. Weil er mich nie verlassen hat«, sie legte die Hand auf ihre linke Brust, »tief in meinem Herzen lebt er. Solange ich auf Erden weile, ist er bei mir, wenn ich sterbe, bin ich bei ihm. Ich habe mir das nicht ausgedacht, ich habe es nicht einmal so gewollt. Es ist von ganz allein so gekommen. Ich hätte wieder geheiratet, wenn mein Mann mich verlassen hätte. Aber das ist nicht geschehen.«
»Habt ihr aus Liebe geheiratet?«
»Du fragst, ob wir aus Verliebtheit geheiratet haben, denn wer will wissen, ob er den anderen liebt, bevor er ihn kennt?«
»Einerlei! Habt ihr aus Liebe oder Verliebtheit geheiratet?«
»Weder noch, wir kannten uns kaum. Als wir uns in der Ehe kennenlernten, entdeckten wir zu unserer großen Freude die Liebe.«
»Tiberius hat unter seiner Ehe gelitten, er fand nur den Hass und die Verachtung.«
»Ach, der arme Tiberius. Er vergeht immer noch vor Liebe zu Vipsania Agrippina, seiner ersten Frau.«
»Woher weißt du das?«
»Als er das letzte Mal in Rom weilte, sind die beiden einander zufällig auf dem Forum über den Weg gelaufen. Tiberius ertrug ihren Anblick nicht, rannte mit Tränen in den Augen davon und war in den nächsten Tagen nicht ansprechbar. Finde die Liebe in der Ehe, mein Sohn. Vertraue Agrippina. Ein kluger Mann nimmt eine Frau, die ihm Geliebte, Mutter seiner Nachkommen, treueste Gefährtin und kluge Beraterin in einem ist. Ich kenne Agrippina gut. Das alles könnte sie dir sein!«
Germanicus musterte seine Mutter mit einem nachdenklichen Blick. Hatte sie etwa auf dem Umweg über Livia Augustus diese Ehepläne eingeredet?
Das Gastmahl bei Lentinus langweilte Germanicus. Und doch machte er während der cena, dem abendlichen Gastmahl, eine gute Figur und spürte, dass die Augen des Princeps wohlwollend auf ihm ruhten. Germanicus wunderte sich allerdings, weshalb der Princeps, der dem Luxus reserviert gegenüberstand und selbst eher bescheiden lebte, einen derart protzenden Kerl wie Lentinus als Freund ertrug. Das musste mit der Zeit zusammenhängen, in der der jetzige Kaiser, damals der junge Octavian, noch ums Überleben und um die Macht kämpfte, was für ihn damals ein und dasselbe war. Aus diesen Männern bestand der engere Freundeskreis des Augustus, Männern, deren Treue sich bereits bewährt hatte, als er noch ein Niemand war.
Sie lagen behaglich auf ihren Speisesofas, er neben Augustus. Germanicus musste gegen die Müdigkeit ankämpfen, die ihn immer wieder in Wellen überkam und ihm mit sanfter Gewalt auf die Augenlider drückte. Sklaven musizierten, und Transvestiten tanzten. Als ersten Gang ließ Lentinus Seeigel, Austern und Muscheln, Drosseln mit Spargel und Masthuhn auftragen. Dazu gab es Eiswasser und kostbaren Falernerwein. Obwohl auch rätischer Wein, den der Princeps bevorzugte, bereitstand. Dann folgten Feigendrosseln, Lendenstücke von Reh und Wildschwein, gebackenes Geflügel und wieder Feigendrosseln mit Stachel-und Purpurschnecken. Den Hauptgang bildeten Saueuter, geräuchertes Wild, Schweinskopf, Fischragout, Frikassee von Kriekenten, Hasenbraten und Brot aus Picenum. Gekrönt wurde das lukullische Mahl durch Pfauenzungen und Kämmen, die man lebenden Hähnen abgeschnitten hatte. Die Speisen wurden in unzähligen Silberschüsseln serviert, aus denen man sich mit den Fingern bediente, weshalb jedem Esser ein Sklave zugeteilt war, der eine Schüssel mit Zitronenwasser bereithielt, sodass man sich zwischendurch, sooft man wollte, die Hände säubern konnte. Mit der Nachspeise aus Honigkuchen und Obst lösten Tänzerinnen aus Andalusien die Transvestiten ab. Sie kamen aus Gades und ließen zum Klang ihrer Kastagnetten lüstern die üppigen Hüften erzittern.
Augustus sah eine ganze Weile zu, dann stand er auf. »Komm«, raunte er Germanicus zu. »Lass uns den angefressenen Speck durch einen Wettstreit wieder verlieren. Mir steht jedenfalls die Lanze.«
Obwohl Augustus stets und ständig die altrömischen Tugenden und die Ehe pries, nahm er selbst es mit der Treue nicht so genau. Sein Verlangen machte nicht einmal vor den Frauen der Senatoren halt. Der Princeps, der wie immer mäßig gegessen und sparsam getrunken hatte, ging zu den Tänzerinnen und winkte zwei von ihnen zu sich. Er achtete darauf, dass Germanicus ihm folgte, als er in den hinteren Gemächern verschwand.
Gegen Mitternacht kehrte Germanicus nach Hause zurück und begab sich sogleich zu seinem Zimmer, aus dem seltsamerweise Licht drang. Nach all dem Essen, Trinken, Plaudern und dem kleinen Liebesspiel im Anschluss war er rechtschaffen müde und verspürte keine Lust auf ein Gespräch jedweder Art. Er sehnte sich nur noch danach, auf sein Bett zu fallen.
Am Tisch in seinem Zimmer, auf dem ein Öllicht brannte, saß eine junge Frau und las in einem Buch, wahrscheinlich in den Elegien des Ovid, denn dieses hatte er dort liegen gelassen. Sie trug ein weißes Seidenkleid, unter dem sich ihr schneeweißer Körper abzeichnete. Römisch makellos. Ihre dicken, schwarzen Haare wurden nur unzureichend von einem goldenen Band zurückgehalten. Überall lugten lockige Strähnen hervor – wie eine Schar schwarzer Wolfshundwelpen, die nicht zu bändigen sind, dachte Germanicus. Um den Hals trug sie eine Kette aus Perlen, in deren porzellanenem Weiß sich das warme Gelb des flackernden Öllämpchens spiegelte. Sie musste ihn im Rücken gespürt haben, denn sie wandte sich um und stand vom Stuhl auf. Ihre großen, runden Augen schimmerten in verführerischem Schwarz. Er erkannte sie sofort wieder: Sie hatte die treuen Augen ihres Vaters Agrippa und die schöne Gestalt ihrer Mutter Julia. Vor ihm stand Agrippina.
»Eigentlich kennen wir uns ja gar nicht«, sagte sie. Ihr Lächeln war scheu und doch auch ein wenig beherzt, wie wenn jemand sich selbst Mut macht.
Germanicus’ Müdigkeit war mit einem Mal verflogen. »Und was wir voneinander wissen, ist auch nicht eben viel«, sagte er.
»Und dennoch sollen wir bald Mann und Frau sein.«
»Wir sind Römer.«
»Das ist es, was ich wissen möchte. Willst du die Frau oder die Römerin heiraten?«
»Die Frau kenne ich doch noch gar nicht.«
Sie band ihren Gürtel ab, das Kleid glitt zu Boden.
»Dann solltest du die Frau kennenlernen.«
Mit der Ruhe war es ganz und gar vorbei. In der Nähe des Gehöfts hatte man ein niedriges, langes Holzhaus errichtet, in dem die Sklaven untergebracht waren, die Lucius Marcus Lupus dem cheruskischen Fürsten Segestes zur Verfügung gestellt hatte. Löcher und Gräben rissen Wunden in den Boden um das Anwesen. Rhythmische Axtschläge hallten aus dem Wald, aus dem kräftige Bausklaven eifrig Stämme herbeizogen. An zwei Stellen ließ sich schon erkennen, dass hier großzügige Wehrgräben und eine Wehrmauer entstanden. Unterkünfte und Wirtschaftsgebäude wurden errichtet und die Wohnhalle des Fürsten vergrößert. Mit einem Wort, Segestes baute eine Burg.
Elda missfiel diese Geschäftigkeit von Tag zu Tag mehr – ihr Zuhause verlor sein vertrautes Gesicht. Sie lief mit Ansar tief in den Wald und ließ sich von ihm allerlei Kräuter und Pflanzen erklären, um nicht dabei zusehen zu müssen. Als sie zurückkehrte, entdeckte sie die Sänfte des Steuereintreibers mit seinen Tragesklaven und ein paar Bewaffneten, ausgedienten Legionären, die ihn beschützen sollten. Ansar und sie waren noch ein Stück weit entfernt, da rief ihr der Vater schon, gegen den Lärm der Bauleute anbrüllend, zu: »Komm, wir haben Besuch.«
»Verrecken soll er, der römische Hund!«, presste Elda wütend durch die Zähne. Wenn sie von diesem Besuch gewusst hätte, wäre sie länger im Wald geblieben. Zwar kam sie der Aufforderung des Vaters notgedrungen nach, beeilte sich jedoch nicht allzu sehr. Sie fragte ihren Gefährten, ob er nicht ein Mittel kenne, um den Römer durch Magie fernzuhalten.
»Nein, das geht nicht«, lachte Ansar.
Wozu sollt ich mich von ihm im Wissen über heilkräftige Kräuter unterweisen lassen, wenn ihm nicht einmal ein kleiner Zauber gelingt, dachte Elda verärgert.
Inzwischen waren sie auf dem Hof angekommen. Segestes winkte die Tochter eifrig herbei. »Komm, und begrüße unseren Gast.«
Elda ging zu ihrem Vater, während Ansar in einiger Entfernung verharrte.
»Einen famosen Begleiter hast du da«, spöttelte der Römer.
»Ich weiß auch nicht, was sie an dem Frettchen findet!«, dröhnte Segestes.
»Ansar! Er heißt Ansar, Vater«, sagte Elda scharf.
»Sei nicht so streng, Segestes. Den Sklaven darf sie bei mir behalten. Mein Haus ist groß genug, da findet sich auch ein Plätzchen für den da!«
»Er ist kein Sklave! Er ist ein freier Mann«, sagte Elda frostig.
»Putzig, sehr putzig. Das musst du wirklich noch lernen. So einer wie der kann nur ein Sklave sein!«, beschied sie Marcus gönnerhaft.
Der Steuereintreiber war zwar von schlanker Statur, doch ließ ihn seine Überheblichkeit feist wirken. Zu gern hätte Elda einen Pferdeapfel auf seinem Gesicht zerdrückt oder ihn in Schweinemist gestoßen. Seitdem ihr Vater mit der Hilfe des Römers das Familiengehöft zu einer Burg umbaute, spielte sich der windige Römer hier als Herr auf. Elda spürte, dass sie zum Angriff übergehen musste.
»Willst du mein Sklave sein?«, fragte sie ihn mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln.
Der Römer schaute sie verdutzt an. Er wusste nicht, wie sie das meinte. Ironisch, sexuell oder als kleines Liebesringen?
»Dummes Ding«, fuhr Segestes sie an. »Wie kann er dein Sklave sein?«
Sie beschloss, ihrem Vater erst gar nicht zu antworten. In ihren Augen verwandelte er sich ohnehin immer mehr zu einem Römerknecht.
»Lieber Marcus, ich glaube, dass du ein perfekter Sklave wärest. Ansar ist nur ein armer, freier Cherusker. Ihm fehlt einfach die Kultur, um ein richtiger Sklave zu sein!«
»Sprich nicht so mit deinem künftigen Mann!«, fuhr Segestes dazwischen.
Elda stand da, wie vom Donner gerührt. Warum war sie nicht von allein darauf gekommen? Nun wurde ihr einiges klar, nun verstand sie, worum es die ganze Zeit ging: Der Preis für die Burg war sie selbst, ihr Vater hatte sie an den Römer verkauft!
»Ach, bin ich etwa der Gegenwert für die vielen Sklaven des Marcus, die deinen lächerlichen Fürstensitz errichten? Lieber Marcus, lass es dir ein für alle Mal sagen: Du machst ein schlechtes Geschäft, denn ich werde niemals deine Frau …«
Weiter kam sie nicht, denn Segestes hatte sie bereits am Hals gepackt und drückte zu.
»Und doch wirst du es, Tochter!«, herrschte er sie mit vor Zorn blitzenden Augen an, bevor er sie wieder losließ.
Elda rang nach Luft und hörte, wie ihr Vater zu dem Römer sagte: »Mach dir keine Sorgen, Marcus, ich halte mein Wort. Wenn die Burg steht, führst du sie als Braut heim.«
Elda ging ins Haus. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was sollte sie tun, was konnte sie tun? Sie wusste nur eines: Niemals würde sie den Römer heiraten, nie und nimmer. Bis zu dem Tag, an dem die Burg fertig war, würde noch einige Zeit vergehen. Diese Frist würde sie nutzen. Ihr würde, nein, ihr musste etwas einfallen!
Am späten Nachmittag traf sie sich mit Ansar in ihrem Waldversteck.
»Gibt es denn keinen Zauber, der den Römer krankmacht oder ihn tötet?«, fragte sie.
Ansar schwieg. Aber Elda sah, dass er heftig mit sich rang. Schließlich antwortete er, seine Worte wägend und mit großen Pausen: »Es gibt etwas, wovon du jedoch nichts wissen darfst.«
»Was, Ansar? Was?«
Er vermied es, sie anzusehen. »Auch nur darüber zu sprechen, ist schon ein todwürdiges Verbrechen!«
»Niemand wird es je erfahren!«
»Auch ich dürfte es nicht wissen.«
»Dann erzähl es mir, und wisse es nicht.«
»Seid«, hauchte er kaum hörbar den grollenden Namen mit dem gerollten R.
»Seidr?«
»Pst! Nicht so laut. Ich spreche vom Schadenszauber. Mit diesem Zauber kannst du einen Menschen sterbenskrank machen oder ihn sofort töten.«
»Weißt du, wie das geht?«
Ansar schwieg. Elda sah ihm an, dass er überzeugt war, schon zu viel gesagt zu haben. Aber sie ließ nicht locker.
»Ich kann Nehalenia fragen«, sagte sie.
»Sie ist eine weise Frau. Sobald sie den Zauber anwendet, zürnen ihr die Nornen, und sie wird zur Hexe.«
»Ich frage sie trotzdem!«
»Bist du wirklich fest entschlossen, den Zauber, komme, was da wolle, anzuwenden?«
Wie konnte er da noch fragen?
»Ja.«
»Nicht so leichtfertig, Elda. Es geht um das Leben eines Menschen!«
»Um das Leben eines Römers, der mich noch dazu zur Ehe zwingen will.«
»Ist es auch Zauber, so ist es dennoch Mord! Bedenke das.«
»Worüber soll ich nachdenken, Ansar? Sein Leben oder meines!«
»Dann lass es uns versuchen. Vielleicht gelingt es, vielleicht finden wir dabei den Tod.«