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Plötzlich war die Luft von Geschrei und Gezeter erfüllt. Tiberius zügelte seinen Rappen und wandte sich um.

Ein Centurio sprengte heran: »Imperator, der Bengel ist weg!«

Der Feldherr brauchte gar nicht erst zu fragen, nichts war in diesem Augenblick gewisser, als dass der Legionär den kleineren der beiden Fürstensöhne meinte, den mit dem aufrührerischen Blick. »Seht zu, dass ihr die Geisel wieder einfangt! Und beeilt euch, wir haben keine Zeit zu verlieren!«

Tiberius ließ seinen Blick durch den dichten Wald streifen und schüttelte den Kopf. Der kleine Strolch wird sich während des Galopps vom Widerrist des Pferdes geschwungen haben, dachte er. Eine lebensgefährliche Aktion, denn leicht hätte er dabei von den Hufen des Pferdes oder denen der nachfolgenden Tiere getroffen und zu Tod getrampelt werden können. Dennoch hatte der Knabe es gewagt. Und wofür? Die Frage traf den Römer wie ein brennender Pfeil. Für die Freiheit. Dieses seltsame Trugbild.

Klare Begriffe wie Pflicht verstand Tiberius, Ehre auch, Tugend natürlich und Sitte, all das. Aber Freiheit? Dieses schillernde Wort, mit dem etwas Vielschichtiges, Unreines, Chaotisches in eine Form gepresst wurde – damit konnte er beim besten Willen nichts anfangen. Wer in Rom von Freiheit sprach, meinte damit nur seine Zügellosigkeit. Allein die Senatoren, denen es einzig um die Erringung von Macht und Reichtum ging, führten das Wort Freiheit ständig im Munde. Das römische Volk hingegen hatte Angst vor der Freiheit und flüchtete bei jeder sich bietenden Gelegenheit lieber in die Wärme und den Schutz der Unfreiheit, die Geborgenheit bot.

Wie in Rom war es im ganzen Imperium, nur eben nicht bei den Germanen. Was aber soll man von Leuten halten, die statt Geborgenheit die Kälte wählen?, fragte sich der Feldherr, schob den Gedanken aber sogleich beiseite und befahl seinem Adjutanten knapp: »Du bleibst hier.« Dann gab er seinem Pferd die Sporen.

Tiberius spürte, dass es nur ihm gelingen würde, den Jungen aufzustöbern. Und er musste ihn finden, koste es, was es wolle. Kein Barbar nähme ihnen ab, dass dem Kleinen die Flucht geglückt sei, vielmehr glaubten alle, dass die Römer die Geisel getötet hätten, und das würde neuen Aufruhr im Land entbrennen lassen. Ganz abgesehen von der Blamage, dass es einem Kind gelungen wäre, den besten Kriegern der Welt zu entwischen. Und dabei, gestand sich der Feldherr ein, hatte der Knabe in der Finsternis und dazu noch im dichten Unterholz des Waldes gute Aussichten, dass sein tollkühnes Unterfangen gelang.

Obwohl Tiberius’ Augen bei Tage schlecht sahen, waren sie seltsamerweise in der Nacht allen anderen überlegen. Nichts entging ihm, wenn sich die Dunkelheit auf die Welt gelegt hatte.

Eigentlich ritten oder marschierten die Legionäre nur im Hellen und errichteten bei Einbruch der Dämmerung ein kleines Lager, stellten Wachen auf und schliefen, um am nächsten Morgen die Reise fortzusetzen. Schließlich befanden sie sich in der Fremde, die sie nur ungenügend kannten und die bis vor wenigen Stunden noch Feindesland gewesen war. Zwar hatte Tiberius mit den Fürsten der Marser, der Chatten, der Chauken, der Cherusker, der Brukterer, Bataver und Friesen, mit den Barbaren, die jenseits des Rhenus siedelten, einen Friedensvertrag ausgehandelt, doch es gab wahrlich keinen Grund, Leuten zu trauen, die weder lesen noch schreiben konnten und wohl auch nicht zu ermessen vermochten, was ein Vertrag bedeutete.

Sein abgrundtiefes Misstrauen fand Ausdruck in einem einfachen Satz: Sie waren keine Römer. Sie verstanden weder etwas vom Recht noch von der Leitung eines Staates, kannten weder Städte noch öffentliche Bäder, keine Kriegstechnik noch Schrift oder Gesetz. Sie hausten auf vereinzelt stehenden Gehöften am Waldesrand wie das Vieh, mit dem sie sogar unter einem Dach lebten. Ohne Sitte und Moral, ohne das, was die Römer mores nannten. Wenn er dem Chatten, der leidlich Latein radebrechte, glauben durfte, gab es nicht einmal ein germanisches Wort für die mores, den Urgrund des römischen Daseins. Tiberius empfand nur Verachtung für diese groben Menschen, mehr noch, sie erzeugten in ihm einen unüberwindlichen Ekel.

Mit einem Blick erkannt er, dass es zwecklos war, sich zu Pferd tiefer in den Wald zu begeben, denn gewiss hatte sich der Bengel im dichten Unterholz versteckt. Deshalb befahl Tiberius seinen Legionären, eine Kette zu bilden und zu Fuß den Forst zu durchkämmen. Eigentlich konnte der Junge nicht weit kommen, wenn man nur keine der von Sträuchern bedeckten Senken übersah.

»Gibt es hier giftige Schlangen?«, fragte ein Reiter.

»Still! Verlasst euch auf eure Ohren!«, fuhr Tiberius ihn an. Wind spielte mit den Wipfeln der großen Eichen und Buchen. Der Geruch von feuchtem Laub und Pilzen stieg ihm in die Nase und betörte seine Sinne. Doch die Feuchtigkeit, die in seine Knochen kroch, verscheuchte den wohligen Moment. Er sehnte sich nach einem heißen Bad. Nach der Wärme. Nach dem Süden. Keinesfalls danach, im kalten und unwirtlichen Germanien einem aufsässigen Kind nachzujagen! Trübsinnig beobachtete der Feldherr seine Leute. Wie tölpelhaft ihm diese kampfgestählten Kerle auf einmal vorkamen, wie sie da ungelenk zwischen Brombeersträuchern und Farnen umherstapften.

Plötzlich schoss ihm eine kurze Spiegelung des Mondlichts aus einem Gebüsch ins Auge, das die Legionäre bereits überprüft hatten. Vorsichtig schlich er dorthin, drückte das Gesträuch zur Seite und entdeckte Ergimer, der, am Boden der winzigen Grube kauernd, Eldas Amulett in den Händen hielt, von dem er stumm Schutz erfleht und das ihn nun durch den Reflex verraten hatte. Der Blick des Feldherrn fiel auf die heftig pochende Halsschlagader des Knaben. Wie ein flüchtender Hase, dachte er, der dadurch den Hunden zu entgehen sucht, dass er sich in einem Erdloch versteckt.

Ihre Blicke kreuzten sich. Das Kind hielt dem finsteren Blick des Römers stand und ließ das Amulett wieder unter seinem Hemd verschwinden. Tiberius erkannte Angst in den Augen des kleinen Ausreißers, was ihn nicht weiter verwunderte, doch gleich darauf entdeckte er auch Trotz, der von einem schlichten Stolz herrührte. Blut tropfte von der Stirn des Knaben. Er musste sich beim Sturz vom Pferd verletzt haben.

Der Germanenbengel begann den Feldherrn allmählich zu beeindrucken. Er rührte eine Seite in seinem Inneren an. Tiberius nahm zwar den Hass in den Augen des Kindes wahr, verstand aber auch die Einsamkeit im Blick der kleinen Geisel, weil sie der seinen glich. Die Schwermut seines Wesens, das hatte er inzwischen verstanden, stammte aus seiner Kindheit. Das Einzige, woran er sich in den oft verzweifelten Tagen seiner frühen Jahre hatte halten können, war diese abgrundtiefe Traurigkeit gewesen. Sie hatte ihn aufgenommen und beschützt. Doch sie forderte ihren Preis, der darin bestand, dass sie ihn bis zu seinem letzten Tag auf Erden in ihren Fängen halten würde. Ohne Aussicht auf Erfolg war jeder Versuch, ihr zu entkommen. Leichter schnitt man sich Hand, Nase, Füße ab, als sich die Wurzeln der Einsamkeit aus dem Herzen zu reißen. Jeder Schutz ist auch ein Gefängnis, dachte Tiberius, jeder Panzer eine Abschnürung der eigenen Existenz.

Sein Vater, der ebenfalls Nero Claudius Tiberius hieß, hatte in den Bürgerkriegen beständig die Seiten gewechselt. Bei keiner der kämpfenden Parteien war es ihm geglückt, heimisch zu werden. Und da die Glücksgöttin sich von ihm fernhielt, wählte er mit zielsicherer Hand immer die Seite der Verlierer. In den ersten Jahren seines Lebens hatte der kleine Tiberius höchstens ein paar Monate an ein und demselben Ort zugebracht. Die Familie hatte sich fortwährend auf der Flucht befunden: von Perusia nach Rom, von da nach Ägypten, dann nach Sizilien.

Am Ende der Bürgerkriege hatte sich der Vater dem siegreichen Octavian unterworfen und überdies Verständnis gezeigt für die heftige Leidenschaft, die der neue Herrscher, der sich von jetzt an Augustus nannte, für seine Ehefrau empfand, Tiberius’ Mutter Livia. So ließ er sich scheiden und brachte Augustus seine schwangere Frau persönlich ins Haus, um sich mit seinem dreijährigen Sohn Tiberius in seine Villa auf dem Esquilin zurückzuziehen.

Nur drei Monate später wurde Livias zweiter Sohn, Drusus, geboren, von dem das Gerücht ging, er sei eigentlich der bereits im Ehebruch gezeugte Sohn des Augustus. Im Inneren seines Herzens glaubte Tiberius das Gerücht, das ihm seine Amme eingeflüstert hatte, doch – zu Recht misstrauisch – behielt er diese Meinung für sich. So hatte das Kind, kaum, dass es Laufen und Sprechen konnte, die Mutter verloren, als sein Bruder zur Welt kam. Drusus hatte ihn verdrängt.

Bald darauf starb der Vater, und die Mutter nahm ihn in das Herscherhaus auf. Doch Tiberius vermochte Livias Verrat niemals zu verwinden, schon allein deshalb nicht, weil er die Bevorzugung des Drusus täglich wie eine neue Wunde erlitt.

Wegen dieses ungeliebten Halbbruders, der nun im Sterben lag und der alles gehabt hatte, woran es ihm mangelte – Humor, Optimismus, Ausstrahlung, Lebensbejahung, Leutseligkeit und die daraus folgende Beliebtheit –, eilte er nun durch die feindliche Finsternis, um Drusus, den er heimlich für sein gefälliges Wesen hasste, noch lebend anzutreffen. Der nahende Tod des Lieblings des Heeres und des Herrscherhauses nahm eine große Bürde von den Schultern des tristissimus hominum, des traurigsten aller Menschen, wie man Tiberius hinter seinem Rücken nannte, ein Etikett, das der liebe Drusus für ihn erfunden haben mochte. Tiberius’ misstrauisches Wesen zweifelte jedenfalls nicht daran.

Ach, Drusus, er war immer sein Schicksal gewesen! In diesem Moment, tief im Herzynischen Wald, verstand der einsame Mann, was ihn an dem germanischen Jungen faszinierte. In dem widerspenstigen Barbarenspross erkannte Tiberius seine eigene gedemütigte Kinderseele wieder. Er musste sich fast gewaltsam vom Anblick des Knaben losreißen.

»Kommt her, ich habe ihn gefunden«, rief er, worauf seine Soldaten herbeieilten. Der Centurio, dem sich Ergimer vom Pferd gewunden hatte, wollte den Knaben ohrfeigen, doch Tiberius hielt ihn zurück. »Wage es nicht, das Kind für deinen Fehler zu bestrafen. Niemand schlägt den Jungen. Er wird gut behandelt.«

Er wandte sich ab, ging zu seinem Pferd und stieg hastig auf. Die Begegnung hatte ihn aufgewühlt und völlig unerwartet Gefühle zutage gefördert, die tief in seinem Inneren verborgen lagen. Mag der kleine Kerl auch ein Barbar sein, dachte Tiberius, so hat er doch das Zeug zum Römer. Denn den Römer zeichnete nur eine Begabung vor allen anderen Menschen auf der Welt aus, die gleichzeitig seine Bestimmung war: Er war zum Herrschen geboren.

Und dieser Junge, das fühlte der Feldherr instinktiv, war zum Herrschen geboren. Das hatte er den vielen verweichlichten Senatorensöhnchen voraus. Wenn er eines nicht allzu fernen Tages zum Manne gereift sein würde, könnte man mit Kerlen wie ihm die römische Provinz Germanien schaffen. Es würde eine der besten Provinzen des Reiches werden, denn wer solche Männer zu regieren verstünde, der wäre wahrhaft mächtig.

Darin bestand das eigentliche Ziel, weshalb sich der römische Feldherr durch diese Einöde schlug, statt in Rom das Leben zu genießen: Er gedachte diese Bestimmung zu verwirklichen und die Herrschaft noch in die entlegensten Winkel der Erde zu tragen. Selbstmitleid hasste er, gern trug er das wohltuende Joch der Pflicht. Politische Konstellationen wechselten, aber die Pflicht blieb. Deshalb liebte Tiberius sie über alles – weil sie verlässlich war. Die römische Pflicht schätzte er als Wert der germanischen Freiheit als weitaus überlegen ein. Wo die Pflicht wankt, geht die Welt unter, daran glaubte er fest.

Mit dem Feldherrn an der Spitze setzte sich die Reiterhundertschaft wieder in Bewegung. Weit konnte es bis zum Militärlager Aliso nicht mehr sein.

Grausam seid ihr Götter, dachte Tiberius mit einem grimmigen Lächeln und gab seinem Pferd die Sporen, ihr fresst mit Vorliebe eure Lieblinge. Sollten die Reiter seiner Einheit später ruhig verbreiten, dass es Bruderliebe war, die ihn, die Gefahren nicht achtend, zu Drusus getrieben hatte – den er wie nichts auf der Welt hasste.

Weit folgte Elda den Reitern, die ihren Freund einfach mit sich genommen hatten, in den Wald, lief noch, als sie längst schon wusste, dass es vergeblich war. Doch die Verzweiflung trieb sie immer weiter und hinderte sie daran, innezuhalten. Was wäre denn, wenn sie nicht mehr laufen würde? Sie müsste in das Leben ohne Ergimer, den sie wohl niemals wiedersehen würde, zurückkehren. Müsste einsehen, dass die Menschen, die sie liebte oder achtete, ihn verraten, ihn zur Garantie eines schändlichen Vertrages herabgewürdigt hatten. Sie rannte, um dieser Wahrheit zu entkommen. Solange noch die Bäume und Sträucher an ihr vorbeiflogen und der Puls in Hals und Schläfe immer lauter pochte, war sie von allem Nachdenken erlöst. Die Frage, die sie quälte, lautete: Wie sollte sie mit den Menschen, die sie zu lieben glaubte, weiterleben, mit all jenen, die Ergimer verraten oder diese Heimtücke mitbeschlossen, zumindest aber zugelassen hatten? Wie sollte sie weiterleben? Wäre er tot, verunglückt, so könnte man um ihn trauern, aber die Wahrheit stellte sich als viel scheußlicher dar: Sie hatten ihn verraten. Und Verrat ist schlimmer als Tod!

Hinter sich hörte sie das Schnaufen eines Pferdes. Kurz vor ihr brachte der Reiter das Pferd zum Stehen, dann sprang er ab. Es war ihr Vater.

Sie konnte nicht mehr im Lauf innehalten, und so fiel sie in Segestes’ Arme, die sich fest, und doch zärtlich um Elda schlossen.

»Verzeih mir, meine Tochter«, murmelte er bewegt. »Verzeih mir. Aber die Welt wandelt sich, auch unsere Welt. Du kannst das heute noch nicht verstehen. Aber wir werden untergehen, wenn wir uns nicht ändern. Die Römer sind da, sie werden auch nicht wieder verschwinden! Man mag den Tag bedauern, an dem sie am Rhenus erschienen, ungeschehen machen kann man ihn nicht. Ein Dummkopf, wer etwas anderes glaubt und von einem Leben ohne die Römer träumt.«

Elda indes schmiegte sich nicht an ihn, wurde nicht weich in den Armen des Vaters. Etwas, das sie nicht verstand, hinderte sie daran. Sie hörte seine Stimme und wollte doch ihre Ohren verschließen. Sie vertraute ihm nicht mehr, wollte nicht mehr auf seine Worte hören, denn sie klangen nach Verrat und nicht nach Wahrheit.

Segestes ließ seine Arme sinken und stand auf. Kurz entdeckte Elda einen traurigen Zug um seinen Mund, der sie schon anrührte, doch dann wirkte ihr Vater wieder so undurchdringlich wie gewohnt.

»Du musst es auch nicht verstehen. Du wirst eines Tages eine Frau sein. Ich werde dich sobald als möglich verheiraten! Dein Mann wird dir schon deine Flausen austreiben, dazu ist er da!«, sagte Segestes. Dann hob er seine Tochter auf das Pferd, setzte sich dahinter und ritt los.

Nicht nur für Ergimer, auch für das Mädchen würde sich von nun an das Leben ändern. Etwas, das Elda nicht benennen konnte, hörte auf, und sie wusste, dass sie es vermissen würde, wie einem ein grundloses Lachen oder die Anfälle plötzlicher Fröhlichkeit fehlen konnten. Ihr Vater hatte Recht, eine neue Zeit begann für die Cherusker, und Elda misstraute seinen Worten, dass es eine gute Zeit würde. Wie konnte sie gut sein, wenn sie mit Ergimers Entführung begann?

Zu spät begriff der Junge, dass er den Vater nicht festgehalten hatte. Wie gern würde er ihn nun zurückholen, wie viel hätte er ihm noch zu sagen gehabt, Worte, die nun auf immer unausgesprochen blieben! Tief im Innern fühlte Julius den eisigen Zaun der Ewigkeit, vor dem er so unvorbereitet gestanden und an dem er nicht zu rütteln gewagt hatte. Bitter bereute er nun seine Verdrossenheit, die ihn dazu gebracht hatte, den todkranken Vater auf dem Rückmarsch in den letzten Tagen zu meiden, statt die kostbare Zeit zu nutzen, die ihnen die Schicksalsgöttinnen noch zugebilligt hatte. Doch woher hätte der Knabe wissen sollen, was Ewigkeit und Endgültigkeit bedeuten und womit er es in diesen unglücklichen Tagen zu tun bekam? Er erstarrte in einer grenzenlosen Verzweiflung, die ihn im Angesicht der Trennung wie ein schweres Tuch zu ersticken drohte. In dieser Reglosigkeit fühlte er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter, schwerer und größer als die seiner Mutter, eine Hand, die ihn hielt.

Julius blickte sich um und erkannte seinen Onkel Tiberius, der, obwohl er neben ihm stand, weit entfernt wirkte. Der Feldherr sah dem Knaben fest in die Augen und befahl dem Legaten Galerius knapp, ihm den besten Hundertschaftsführer des Heeres zu bringen. Wenig später kehrte der Legat mit dem Mann zurück, der Julius damals aufs Pferd gehoben hatte und mit ihm zur Spitze der Marschkolonne geritten war. Tiberius musterte den Centurio kurz, dann fragte er ihn nach seinem Namen.

»Lucius, Imperator!«

»Gut, Lucius, du kannst dir ein Landgut in Latium im Wert von zehntausend Sesterzen verdienen. Willst du das?«

»Ja, Imperator.«

»Dann säume nicht! Nimmt dir ein paar Soldaten und pflanze das Siegeszeichen des Drusus, sein tropaeum, an den Ufern der Albis auf. Und verrate niemals, wenn dir dein Leben lieb ist, dass du es aufgestellt hast. Ich will, dass für heute und bis ans Ende aller Tage jeder weiß, dass mein Bruder als Sieger von der Albis zurückgekehrt ist, dass er dort das Siegeszeichen aufgerichtet hat, weil er Germanien bis zu dem Strom unterwarf, Roms bester Feldherr und kühnster Mann. Verstehst du, Centurio?«

»Verlass dich in allem auf mich, Imperator. Ich werde beschwören, dass Nero Claudius Drusus das tropaeum an der Albis aufgestellt und die Barbaren unterworfen hat. Und jeden, der es wagen sollte, das Gegenteil zu behaupten, reiß ich mit meinen eigenen Händen das Herz aus dem Leib! So wahr meine Name Lucius ist, werde ich schnell wie ein Hecht im Rhenus sein, um deinen Wunsch zu erfüllen!« Der Centurio salutierte, dann strebte er energisch fort.

Dankbar schaute der kleine Julius auf seinen Onkel, weil dieser das Ansehen des Vaters aufrechterhielt. Er liebte ihn dafür, dass Tiberius an seinen Vater glaubte, während Julius an ihm gezweifelt hatte und ihm in seinen letzten Tagen und Stunden ausgewichen war, anstatt ihm beizustehen, mit dem Einzigen, was er zu geben hatte und was doch so wertvoll war, mit Sohnesliebe.

In diesem Augenblick schwor Julius dem Onkel ewige Treue. Und noch eines nahm er sich vor: zu keiner Zeit Unsicherheit oder Skepsis gegenüber der Wahrheit zuzulassen, dass sein Vater Germanien unterworfen hatte.