18

Während des langen und beschwerlichen Ritts zur Stadt der Ubier, dem Oppidum Ubiorum, fühlte sich Elda schmerzlich hin und hergerissen zwischen der Sorge um ihren verschwundenen Gefährten und dem Staunen über die vielen unbekannten Eindrücke, die auf sie einstürmten, seitdem sie den Rhenus erreicht hatten. Zum ersten Mal in ihrem Leben erblickte sie einen so mächtigen Strom, betrat eine Stadt, die sie bis dahin nur aus den Geschichten vorbeireisender Kaufleute kannte und die sie für Übertreibungen gehalten hatte. Als sie nun die gemauerten Häuser betrachtete, stellte sich nichts von dem, was ihr erzählt worden war, als übertrieben heraus. Die verspielten Farben der Fassaden bereiteten ihr eine Art kindlicher Freude. Am liebsten wäre sie stehen geblieben und hätte ihrer Fantasie freien Lauf gelassen. Was verbarg sich wohl hinter den blau und gelb und rot getünchten Wänden? Als Elda vom Pferd stieg, spürte sie das harte Pflaster der Straßen unter ihren Füßen, die bisher nur an weiche Feld-und Waldwege gewohnt waren. Sie bewunderte den Marktplatz mit seiner Rednertribüne, die großen Hallen und die monumentalen Häuser der römischen Götter.

»Da seht ihr, was wir Germanen können, wenn wir uns nur mit den Römern verbünden«, rief Segestes voller Bewunderung aus. Und nicht einmal Elda konnte ihm widersprechen. »Wir sollten uns an den Ubiern ein Beispiel nehmen.« Das war ihr denn doch zu viel, und sie wollte schon etwas möglichst Spöttisches erwidern, da trat ein Beamter des Statthalters auf sie zu und begrüßte sie würdevoll. Er fragte Segestes nach seinem Namen und bot sich an, sie sogleich zum Haus des Ritters Lucius Marcus Lupus zu führen, der sich die Ehre gäbe, sie für die Dauer ihres Aufenthaltes bei den Festlichkeiten als Gast in seinem Haus beherbergen zu dürfen.

»Der Statthalter hat alles trefflich vorbereitet«, stellte Segestes befriedigt fest.

»Saturninus ist ein erfahrener Politiker und ein siegreicher Feldherr. Er überlässt nichts dem Zufall«, erwiderte der Beamte in belehrendem Ton und mit unbewegtem Gesicht. »Euer Gastgeber, der ehrenwerte Lucius Marcus Lupus, ist römischer Ritter, außerdem der Steuerpächter der Germania inferior.«

Elda wusste, dass der Senat die Steuerschuld an Privatpersonen verpachtete, denen es dann überlassen blieb, das Geld einzutreiben. Eine verwerfliche Tätigkeit, wie Elda fand, deshalb traute sie ihren Ohren nicht, als sie den Römer prahlen hörte: »Er besitzt das größte Haus und ist der zweitwichtigste Mann in der Provinz, nach dem Statthalter, versteht sich. Ein besseres Quartier könnt ihr schwerlich finden.«

Elda sah ihrem Vater an, dass er sich geschmeichelt fühlte, und beschloss, von nun an besonders auf der Hut zu sein, denn mit Speck fing man bekanntlich Mäuse.

Unterdessen waren sie vor dem zweistöckigen Haus des Ritters angekommen. Die Mauern des Gebäudes schienen kein Ende zu nehmen und den ganzen Straßenzug auf einer Seite zu begrenzen. Elda fragte sich, wie weit sich das Anwesen hinter den Mauern wohl erstreckte. Steuern einzunehmen schien ein einträgliches Geschäft zu sein.

Im Grunde war es natürlich Diebstahl, aber wer lebte schon besser als ein Dieb, den die Macht beschützte, weil sie seine Komplizin war. Immer, wenn die Steuereintreiber auf dem Hof des Segestes erschienen waren, hatte Elda sich für den Vater geschämt, der bereitwillig seinen Tribut entrichtete, obwohl er doch ein freier cheruskischer Fürst war und das Raubgesindel mit bissigen Schweinen vom Hof hätte jagen sollen, anstatt ihnen von ihrem hart erarbeiteten Gut abzugeben. Und wofür? Damit sich dieser Ritter hier ein großes Haus bauen konnte?

Der Zauber der unbekannten Welt schwand, als Elda der Preis der Pracht in den Sinn kam. Mit einem Mal fehlte ihr Ansar, und sie fragte sich traurig, wo er wohl war und wie es ihm ging. Sollte ihr Vater tatsächlich Hand an ihn gelegt haben, so würde sie ihm das nicht durchgehen lassen, sondern den Tag herbeisehnen, ihn dafür zu bestrafen. Die kindliche Freude in ihren Augen erlosch.

Den pompösen Eingang des Hauses fassten zwei dorische Säulen ein, während auf der Eingangstufe ein Schriftzug in vergoldeten Lettern mahnte: »Du bist willkommen! Lass deshalb alle Unbill fahren!« Das hättest du wohl gern, dachte Elda böse.

»Tretet ein«, forderte der Beamte Segestes und seine Familie auf. Elda folgte ihrem Vater nach ihrer Mutter, dem älteren Bruder, seiner Frau und ihren drei kleinen Rangen ins Atrium.

Der Pfortensklave, der in der Nische, die vom Eingang rechts abging, angekettet war, schlug eine kleine Glocke. Ein anderer Sklave – wie es schien der Verwalter des Hauses – kam ihnen entgegen und führte sie nach einer kurzen, gewohnheitsmäßig freundlichen Begrüßung in die Empfangshalle. Aus dem Inneren des Hauses trat bald darauf der Hausherr, begleitet von zwei Mädchen, die Elda auf sieben und fünfzehn Jahre schätzte. Während die Jüngere die neuen Gäste scheu anblickte, musterte die Ältere sie unverhohlen mit einem Blick, in dem Neugier und Furcht standen. Elda erkannte, dass sie und ihre Familie in den Augen der Mädchen eine Unterart schöner wilder Tiere waren, nämlich Barbaren. Die Römer schienen es für ein Mittel der Herrschaft zu halten, sie zu zähmen. Sie aber wollte kein Haustier werden.

»Edler Lucius Marcus, ich bringe dir deine Gäste!«, sagte der Sklave.

Der Hausherr lächelte freundlich und streckte Segestes die Hand hin. Diese Art der Begrüßung war dem Cheruskerfürsten fremd, doch nach einem kurzen Zögern legte er seine Hand um die des Römers. Nicht weniger erstaunt war Elda, als die beiden Töchter des Steuereintreibers sie auf den Mund küssten.

»Dies sind meine beiden Töchter Marcia major und Marcia minor. Ihre Mutter hat uns leider vor einem Jahr verlassen, ohne mir einen Erben geschenkt zu haben. Das Klima hier war ihr zu rau. Aber was rede ich. Ihr werdet müde sein, Thulicus wird euch eure Zimmer zeigen. Erfrischt euch erst einmal und ruht von den Anstrengungen der weiten Reise aus. Wir treffen uns zur neunten Stunde zum Abendessen im Garten.«

Die Mutter half Elda am nächsten Morgen, ihre langen, blonden Haare kunstvoll herzurichten. Sie waren zu einem Zopf gebunden, der ihr fast bis zur Hüfte reichte. Marcia major hatte ihr eines ihrer Seidenkleider angeboten, doch Elda trug lieber ihr schönstes Kleid. Es war aus weißer Wolle gewebt und brachte die Kette aus Bernstein wunderschön zur Geltung.

Zuvor hatte Elda eine Weile lustvoll im Bade verbracht, das sich in dem prachtvollen, mit Skulpturen und kunstvoll geschnittenen Bäumchen verzierten Garten des Anwesens befand. Lavendel und Myrte schwammen im Wasser, verführten die Geruchsnerven und hinterließen ihren zarten Duft auf der Haut. Die Töchter des Hauses halfen ihr bei der Auswahl der Badeessenzen und Öle, die ihre Haut geschmeidig machten. Zu Hause hatte Elda im See unweit ihres Gehöfts hin und wieder ein Bad genommen, doch ein großes Bassin im Garten, das man täglich nutzen und in dem man den Körper mit allerlei Zusätzen verwöhnen konnte, war ihr bisher fremd. Es erschien ihr als durchaus nachahmenswerte Einrichtung.

Gegen ihren Willen musste sie sich eingestehen, dass sie von all dem Luxus beeindruckt war. Ihr Kopf lehnte jeden Zierrat und Putz ab und doch genoss sie im Stillen beides sehr. Schlug ihr Fühlen dem Denken etwa ein Schnippchen? Sie schob ihre Verwirrung auf den außergewöhnlichen Tag, auf das üppige Mahl, das ihr Gastgeber hatte auftischen lassen, auf seine elegante Gesprächsführung und nicht zuletzt auf das weiche Bett, in dem sie geschlafen hatte.

Die Weihe des Altars für ganz Germanien am späten Vormittag stellte alles, was Elda bis dahin in ihrem Leben gesehen hatte, in den Schatten. Eigens für das feierliche Zeremoniell waren elf salische Priester aus Rom angereist. Alle traten in leuchtend weißen Gewändern auf, die bis zu Erde fielen, sodass man ihre Füße nicht sah. Der für das Ritual unverzichtbare zwölfte Salier war der Statthalter Saturninus höchstselbst, der auch der Bruderschaft der salischen Priester angehörte. Umrahmt von den anderen Saliern stand Sentius Saturninus auf halber Höhe mitten auf der Freitreppe und hob den Arm. Die vielen Menschen – Römer, Germanen und Gallier –, die sich auf dem Platz versammelt hatten, verstummten und blickten erwartungsvoll auf die stattliche Erscheinung.

»Rom besitzt viele Provinzen«, hob der Statthalter mit lauter, wohltönender Stimme an. »Ich kenne sie alle! Aegyptus ist geheimnisvoll, Achaia ist weise, und Africa Proconsularis ist reich, Gallia Lugdunensis und vor allem Gallia Narbonensis blühen in großer Pracht. Aber Aegyptus wird schal wirken mit seinen Allerweltsgeheimnissen, Achaia dumm mit seiner Spitzfindigkeit, Africa Proconsularis wird ein Bettler sein und Gallia wie ein armseliges Pflänzchen erscheinen im Vergleich zu den tiefgründigen Geheimnissen, der natürlichen Klugheit, dem erarbeiteten Reichtum und der von selbst sprießenden Kraft der blühenden Gärten der neuen Provinz Germania Magna, die ich mit euch, meine lieben germanischen Freunde, schaffen werde. Im Angesicht des Altars der Provinz Germania sage ich, dass von hier künftig Heil und Segen ausgehen werden.«

»Heil und Segen!«, antworteten wie aus einer Kehle die römischen Soldaten und Beamten, die sich versammelt hatten.

Anschließend weihten die Salier die Flaminen, die neuen Priester des Altars. Unter ihnen war Segimund, Eldas jüngerer Bruder, den Segestes zum Priester bestimmt hatte, um einen Vertrauten in der Nähe des zentralen Heiligtums zu haben. Auch eignete sich der empfindsame junge Mann ohnehin nicht für die Herrschaft und den Krieg.

Während des Zeremoniells wurden Segimund in einem schaurig-schönen Ritual die Arme mit Goldbändern umwunden, die zuvor in das Blut eines geopferten Stieres getaucht und mit Eichenlaub geflochten worden waren. Weitere Opferhandlungen folgten, die Elda tief beeindruckten. Seher weissagten die Zukunft aus dem Flug und Geschrei der Vögel und aus der Eingeweideschau geschlachteter Opfertiere. Selbstredend verwiesen alle Vorzeichen auf eine herrliche Zeit und eine große Zukunft.

Der große Tag wurde gekrönt durch ein glanzvolles Fest, das der Statthalter für die römischen Edelleute und die germanischen Fürsten in seinem Haus ausrichtete. Selbst Segestes wirkte so unruhig wie ein Jüngling, der in den Kreis der Männer aufgenommen werden sollte. Die Aufregung steht ihm, dachte Elda, sie macht ihn jünger, umgänglicher, freundlicher.

Alle, die sich an diesem Abend im Haus des Statthalters einfanden, gehörten der neuen Oberschicht der Provinz an. Es waren die mächtigen Männer und Frauen der Germania Magna, römische Beamte, Offiziere der Legionen und Hilfstruppen sowie germanische Fürsten. Die anwesenden Gefolgsherren hatten sich durch das Bündnis mit den Römern einen Vorteil gegenüber den anderen Fürsten ihrer Stämme verschafft. Und jeder von diesen Männern, die mit ihrer gewaltigen Statur, ihren langen Haaren – einige von ihnen, die Sueben, hatten allerdings das widerspenstige Haar in einen festen Knoten auf der rechten Stirnseite gezwungen –, mit wallenden Bärten, bekleidet mit Fellen oder Hosen und Hemden aus gefärbter Wolle, war entschlossen, diesen Vorteil rücksichtslos zu nutzen. Das mussten sie auch, denn sie waren zu weit gegangen, um auf halbem Weg stehen bleiben zu können – ihr Verhalten gegenüber den Römern rief unter den Germanen auch Widerspruch und sogar tödlichen Hass hervor.

Wissend, dass er es mit Barbaren zu tun hatte, die nicht im Liegen aßen, hatte Saturninus statt der Speisesofas lange Tische an die Wände stellen lassen, deren intarsienverzierte Platten sich bogen unter Wein, Met, Wasser, Brot und den verschiedensten Braten, vom Eber bis zum Fasan. Eine kleine Gruppe von Flötenspielern musizierte, während sich ein paar etwas verloren wirkende Tänzerinnen zu den Klängen bewegten. Sklaven huschten hin und her, um den Gästen die Wünsche von den Augen abzulesen. Saturninus tat alles, damit das süße Gift des Luxus in die Adern der neuen germanischen Oberschicht drang.

Während Segestes mit dem Statthalter, dem Ubierfürsten Ubulux und einigen anderen Gefolgsherren über Marbod sprach, den alle gleichermaßen als Bedrohung empfanden, schlenderte Elda neugierig durch die Halle, bewunderte die Wandmalereien, die Götter, Dämonen, Tiere und Menschen, die in einer schönen lindblauen Welt lebten. Unschuldig nackte Knaben hielten kleine Amphoren in der Hand, während über ihren Häuptern Delfine sprangen oder mit Schleiern bekleidete Mädchen sich wohlig in Bächen und Seen rekelten. Was sie sah, musste die wirkliche Welt sein, denn sie war um so vieles schöner als die Scheinwelt, in der die Cherusker ihr Leben fristeten. Keine Spur von Leid und Schmerz, von Kümmernissen und Angst fand sich in dieser römischen Wirklichkeit. Sollten die Menschen nicht befreit und unbeschwert leben dürfen, fragte sich Elda. Wer hatte nur die grauen Weiber Not, Pein und Sorge gezeugt? Und wozu?

Warum hatte sie nicht mit Ergimer gemeinsam aufwachsen, ihn heiraten, Kinder mit ihm haben und ihre Tage im Kreis der Enkel und vielleicht sogar Urenkel nach einem satten und arbeitsreichen Dasein beschließen können? Warum mussten fremde Männer von weither kommen und ihn verschleppen? Weshalb durften sie so einfach in das Leben anderer Menschen eingreifen? Elda wusste zwar, dass es so war, aber sie verstand nicht, warum es so sein musste.

Doch dann ergriff sie erneut der Zauber der Fresken. Woher kannte der Maler nur die wirkliche Welt? Je länger sie die Bilder mit den Augen liebkoste, desto mehr schwand jeder Zweifel, dass der Künstler die Vorbilder für sein Werk mit eigenen Augen gesehen hatte, weil er sie so überzeugend zu porträtieren verstand. Oder hatten ein Magier, ein Gott oder eine weise Frau die Bilder an die Wand gezaubert? Während Elda sich immer tiefer in den Einzelheiten der dargestellten Szenen verlor, trat ein junger Mann in Begleitung zweier Frauen zu ihr.

»Gefallen dir die Bilder?«, fragte er.

Elda brauchte einen Moment, bevor sie begriff, dass ein Fremder sie ansprach, und schaute sich um. Vor ihr stand ein schöner Mann, aus dessen ebenmäßig rundlichem Gesicht große schwarze Augen unter einer hohen Stirn hervor lächelten. Seine Haare bogen sich mutwillig in unzählige Locken, während ihm zwei zangenförmige Strähnen keck in die Stirn fielen.

»Ja, sehr«, antwortete Elda schließlich. »Lauter Frauen und Knaben, leider fehlen die Männer. Sind sie im Krieg? Und wenn ja, warum sind die Knaben und Frauen so ausgelassen, während die Männer kämpfen?«

Der junge Offizier betrachtete sie verwundert und belustigt zugleich. Sie spürte, dass er darüber rätselte, ob sie es wirklich nicht wusste oder sich über ihn lustig machte.

»Aber das Bild ist doch voller Männer! Schau genau hin«, sagte er lächelnd. Elda verstand, was er meinte, und beschloss, zum Angriff überzugeben, um sich keine Blöße zu geben.

»Aber wo denn? Sag bitte, kannst du irgendwo einen Bart entdecken?« Sie schaute ihm herausfordernd aufs Kinn. Eine leichte Röte strich über seine Wangen. Eine seiner beiden Begleiterinnen, die Elda schon die ganze Zeit verwirrte, weil etwas an ihr unecht wirkte, lachte schrill auf. Dann trat sie unverschämt nahe an Elda heran.

»Was ist denn das für ein Schätzchen? Nur weil Germanicus nicht aussieht wie ein Affe, soll er kein Mann sein?«, zischte sie.

Elda wusste nicht, was das sein sollte, ein Affe, und verzichtete deshalb auf eine Antwort.

Doch die zweite Frau stichelte: »Schau mal, Popea, was unsere kleine Kuhmagd für einen Fetzen trägt.«

»Findet unsere kleine Hinterwäldlerin wahrscheinlich schick, aber der Stoff ist natürlich viel zu derb«, sagte Popea abfällig.

»Stimmt, nicht mal meinen Sklaven würde ich diesen Sack zumuten.«

Elda bemerkte, dass der römische Offizier sie nicht aus den Augen ließ. Er wartete gespannt darauf, was sie auf die Unverschämtheiten antworten würde. Sie spürte, wie eine hilfslose Wut in ihr hochstieg, doch dann entdeckte sie endlich, was sie unterbewusst die ganze Zeit beschäftigt hatte: Trotz ihrer dunklen Augen hatte Popea dickes, blondes Haar!

»Unechte Haare, unechte Worte. Fehlen dir etwa die Haare auf dem Kopf, dass du eifrig aufsammeln musstest, was wir abschneiden ließen, um damit deine Glatze zu bedecken?«

»Ich … ich habe doch keine Glatze, ich …«, Popea lief puterrot an, ihre Schlagfertigkeit war dahin.

»Ich verstehe ja, dass du so aussehen möchtest wie ich«, fuhr Elda mit einem unschuldigen Lächeln fort. »Du hättest mich auch fragen können, ich hätte dir gern eines meiner Kleider geschenkt.«

»Komm, Saturnina«, sagte Popea spitz, hakte ihre Freundin unter und warf Elda einen hasserfüllten Blick zu. »Du wirst deine Frechheiten noch bereuen, das verspreche ich dir.«

Als die beiden Römerinnen verschwunden waren, sah der Offizier Elda mit einem breiten Grinsen an.

»Sind alle Germaninnen so schlagfertig?«, fragte er schmunzelnd.

»Sind alle Römerinnen so überheblich?«

»Ich darf mich vorstellen: Julius Claudius Nero Germanicus.«

»Oho! Wenn man dich morgens ruft, ist man am Abend mit deinem Namen noch nicht fertig.«

»Du kannst mich ruhig wie alle Germanicus nennen. Zu welchem Stamm gehörst du?«

»Zu den Cheruskern.«

»Hast du von einem Mädchen gehört, das Elda heißt?«

Sie zuckte zusammen. Woher kannte dieser Römer ihren Namen? Es war besser, vorsichtig zu sein. Womöglich hatte ihr Vater den jungen Mann auf sie angesetzt. Er wollte sie ja ohnehin mit einem Römer verheiraten. »Ja, ich habe von ihr gehört. Kennst du sie denn?«

»Nein, aber ein Freund bat mich, sie zu grüßen, wenn ich sie treffen sollte.«

»Ein Freund? Sie hat mir nichts davon erzählt, dass sie einen Römer kennt.«

»Oh, mein Freund ist kein Römer, obschon er ein römischer Bürger ist.«

»Ziemt es sich bei euch, einer Frau gegenüber in Rätseln zu sprechen?«

»Das nicht, aber was ich zu sagen habe, geht nur Elda etwas an. Weiß ich, ob ihr nicht am Ende verfeindet seid?«

Elda musste laut und hell lachen. »Verfeindet? Ich mit Elda verfeindet? Glaub mir, Römer, sie ist mir näher als jeder andere Mensch.«

»Ich glaube dir«, antwortete Germanicus feixend, und sie fragte sich, ob er sie durchschaute.

Doch er blickte sie nur freundlich an und erzählte von Arminius. Während sie dem jungen Römer lauschte, schlug Elda vor Hoffnung das Herz bis zum Hals. Sie zwang sich, ihre Aufregung zu verbergen, denn sie wollte sich nicht verraten.

»Hat dein großer Arminius auch einen germanischen Namen?«

Germanicus legte die Stirn in Falten. »Ja, warte mal, wie war der doch gleich … wir waren ja noch Kinder, als er seinen richtigen Namen bekam, warte, irgendetwas mit Egim … Igimir … Edimir …«

»Ergimer vielleicht?«

Als sie das Lachen in seinen Augen entdeckte, wusste sie, dass sie sich verraten hatte.

»Ja, Ergimer. Sag bloß, du kanntest ihn auch als Kind?«

»Nicht gut, etwas«, antwortete sie gespielt kühl, während in ihr alles jubelte, denn nun wusste sie, dass der Freund lebte. Aber gab es Ergimer denn wirklich noch, oder hatte er sich vollkommen verändert, sich in einen Römer mit dem merkwürdigen Namen Arminius verwandelt? Sicher war er in der langen Zeit ein anderer geworden. So einer vielleicht wie der Jüngling ihr gegenüber, ein junger, aufgeblasener Kerl, der meinte, ihm läge die ganze Welt zu Füßen. Allerdings spürte sie, dass er wirklich mit Ergimer oder Arminius befreundet war, denn seine Augen strahlten, als er von ihm sprach.

»Weißt du«, sagte Germanicus, »als mein Vater damals nicht weit von hier starb, hätte ich nicht gedacht, dass ein Germane einmal mein bester Freund sein würde. Aber so ist es, und so wie es mit uns kam, kann es mit allen hier werden.« Er berührte Eldas Schultern und drehte sie einmal im Halbkreis. »Na, was siehst du?«

»Römer.«

»Und?« Plötzlich bemerkte sie, dass ihr Vater sie die ganze Zeit beobachtet hatte. Sie konnte förmlich auf seiner Stirn lesen, was er dachte.

»Verräter!«, sagt sie kalt und wollte den erstaunten Römer stehen lassen, doch der hielt sie fest. »Der Verrat, meine Schönheit, ist das Fundament der Reiche. Nichts Großes in der Geschichte ohne Verrat.«

»Groß scheint mir nur deine Dummheit zu sein, größer aber noch deine Überheblichkeit!«

Elda riss sich los und spürte, als sie sich entfernte, seinen lächelnden Blick im Rücken. Sie wusste, dass sie zu grob gewesen war, aber sie wollte ihn nicht zu nah an sich heranlassen, den Freund des Arminius, diesen Mann, der offenbar nur zu gut wusste, dass er den Frauen gefiel. Ein eitler Schönling, sagte sie sich und verdammte ihn aus ihren Gedanken.

Noch in der Nacht erkundigte sich Germanicus bei Sentius Saturninus nach der jungen Frau. Er hatte sich nicht geirrt, es war tatsächlich Elda, und sie war wirklich etwas Besonderes.

»Ihr Vater sucht nach einem römischen Ehemann für sie.«

»Wieso das?«, fragte Germanicus barscher, als er wollte.

»Segestes wird König der Cherusker werden und will einen germanisch-römischen Enkel für sein Geschlecht. Wie ist es mit dir? Du heißt doch Germanenbezwinger, dann fang doch am besten gleich bei ihren Töchtern an, mein Freund.«

Zur gleichen Stunde stand Elda im Garten ihres Gastgebers. Ihre Familie schlummerte bereits. Doch sie war noch einmal aufgestanden. Sie wollte allein sein mit den Sternen, um die Unruhe in ihrem Herzen zu besänftigen. Der junge Mann ging ihr nicht aus dem Sinn, und auch nicht, dass Ergimer lebte, nur dass er jetzt Arminius hieß und weit, weit fort dem Römischen Reich diente. Wehmutsvoll erinnerte sie sich an die schöne Zeit, in der sie noch Römer und Cherusker gespielt und erbittert darüber gestritten hatten, wer der Cherusker sein durfte und wer den Römer geben musste. Sie hatte damals darauf bestanden, dass er den Römer geben würde, und nun war er, Arminius, der Römer.

Ein Geräusch riss sie aus ihren Gedanken. Etwas raschelte im Gebüsch. Sie wollte schon ins Haus flüchten, als eine Gestalt im fahlen Licht der Sterne vor ihr auftauchte und sie aus roten Augen anlachte.

»Ansar!«, rief sie voller Freude aus. Er legte den Zeigefinger auf die Lippen.

»Wo warst Du? Ich habe mir solche Sorgen gemacht.«

»Nehalenia brauchte länger für das Orakel. Und als ich zurückkam, erfuhr ich, dass ihr euch bereits auf den Weg zum Rhenus gemacht habt.«

Elda umarmte ihren Gefährten, drückte seinen Kopf an ihre Brust und fuhr ihm immer wieder durch das struppige Haar, glücklich, dass sie ihn wiederhatte. Innerlich leistete sie ihrem Vater Abbitte, weil sie ihn verdächtigt hatte.

»Was sagt Nehalenia?«, fragte Elda.

»Dass die Zeit der Prüfung gekommen ist!«