Sie jagten auf ihren schnellen Pferden dahin. Die Landschaften flogen an ihnen vorbei. Auf einer Straße brachten sie schräg eingegrabene Spieße zum Stehen. Sogleich erschien ein Trupp Markomannen. Bevor der Anführer etwas sagen konnte, teilte ihm Arminius mit befehlsgewohnter Stimme auf Germanisch mit, dass Julius Claudius Nero Germanicus, Velleius Paterculus und Julius Caesar Arminius König Maroboduus zu sprechen wünschten.
»Wer sagt uns, dass ihr keine Spione seid, die nur unsere Verteidigungsstellungen ausspionieren wollen?«
»Unser Rang, Dummkopf. Meinst du, dass Militärtribunen als Kundschafter durch die Landschaft schleichen? Tiberius schickt uns!«
Arminius konnte deutlich sehen, wie es im nicht allzu hellen Kopf des Anführers arbeitete. Das listige Lächeln, das sich in seinem dümmlichen Gesicht ausbreitete, rührte Arminius fast. Oh ihr Götter, der Gimpel hatte eine Idee!
»Ich schicke einen Boten zum König, soll er entscheiden.« Doch so schnell, wie der Gedanke in seinem Kopf aufgeleuchtet war, erlosch er auch wieder. Erneut machte sich Ratlosigkeit in seiner Miene breit. »Aber wer von meinen Männern könnte sich eure Namensungetüme merken?«
Arminius barst beinahe vor Zorn. Es ging um eine Angelegenheit von weltpolitischem Ausmaß, und sie scheiterten womöglich mit ihrer Mission, weil diese Trottel sich keine römischen Namen merken konnten.
»Dann sag ihm eben, dass Germanicus ihn sprechen möchte. Kann sich das einer von deinen Männern merken?«
Das Strahlen kehrte in das Antlitz des Markomannen zurück. Erleichtert zog er den Rotz hoch und spuckte ihn aus.
»Das geht. Gerbod, reit zum König, und sag ihm, bei mir wartet ein Römer mit Namen Germanigos, der ihn sprechen will.« Der Angesprochene sprang auf das Pferd und ritt los.
»Wie lange wird es dauern?«, fragte Arminius.
Der Markomanne wollte schon antworten, biss sich aber noch rechtzeitig schmerzhaft auf die Zunge, verzog kurz das Gesicht und setzte wieder die Miene auf, die er für klug hielt.
»Du glaubst wohl, du kannst mich an der Nase herumführen. Ich verrate dir doch nicht, wie lange Gerbod braucht, damit du weißt, wie weit die Burg des Königs entfernt ist!«
Er ließ ein schallendes Gelächter hören, in das seine Leute einfielen. Arminius konnte nur noch die Augen verdrehen und in einer Mischung aus Hilflosigkeit und Bedauern zu seinen beiden Begleitern schauen.
Inzwischen hatte sich der Anführer wieder beruhigt und meinte, sichtlich angetan vom eigenen Scharfsinn, versöhnlich: »Steigt schon ab von euren Gäulen. Ihr müsst ja nicht die nächsten zwei Stunden im Sattel zubringen.«
Er hatte nicht gelogen. Zwei Stunden später war Gerbod zurück und rief schon von Weitem: »Der König hat befohlen, Manigos und seine beiden Begleiter zu ihm zu bringen. Aber wir müssen ihnen die Augen verbinden. Sie sollen unsere Verteidigungsanlagen nicht sehen.«
Arminius informierte seine beiden Gefährten.
»Sie könnten uns aber auch etwas vorgaukeln und uns unterwegs erstechen«, wandte Velleius ein.
»Oder uns als Geiseln nehmen«, fügte Germanicus hinzu.
»Keine Angst, darin habe ich bereits Erfahrung, großer Manigos«, ulkte Arminius mit Galgenhumor. »Aber ich fürchte, wir müssen das Risiko eingehen.« Innerlich widerstrebend ließ er sich als Erster die Augen verbinden.
»Begeben wir uns in die Hände der Parzen«, seufzte Velleius und hielt den Kopf hin.
»In deren zartfühlenden Händen befinden wir uns ohnehin«, lachte Germanicus unbekümmert, und man hätte ihn in seinem schönen Leichtsinn für den ewig jugendlichen Gott Apollon halten können.
Sie kamen rasch voran, weil sich je ein Markomanne hinter ihnen aufs Pferd setzte, um das Tier zu führen. Allerdings kam Arminius die Zeit, die sie ritten, wie eine Ewigkeit vor. Nicht nur, weil sich in der Dunkelheit die Zeit dehnte, sondern auch weil ihm der faulige Atem des Markomannen hinter ihm langsam aber sicher die Sinne zu rauben drohte. Wozu braucht Marbod noch Verteidigungsanlagen, wenn Männer mit einem solch mörderischen Atem unter seinem Befehl stehen, fragte er sich.
Nach einer schier endlosen Weile nahm man ihnen die Augenbinden wieder ab. Sie fanden sich im Innenhof einer Burg wieder. Vor ihnen erhob sich eine riesige Holzwand, davor lag ein sehr breiter und sehr tiefer Wehrgraben. Im Rücken bildete eine Palisadenwand den Außenring. Sie mussten vom Pferd steigen. Gerbod ging voraus. Als sie durch ein breites Tor schritten, sah Arminius, dass die innere Befestigung wie bei römischen Militärlagern mit Steinen und Erde verfüllt war. Die Verteidigungsanlage, die sie sahen, stellte tatsächlich keine große Überraschung für sie dar, denn sie entsprach völlig der römischen Bauweise.
Im Innern stand eine trutzige Wohnhalle, ein riesiges, aus Bohlen errichtetes Blockhaus. In der Mitte des Daches befand sich wie bei einem römischen Atrium ein quadratisches Loch, durch das Licht und Luft fallen konnten. Im Unterschied zu einem römischen Haus erhob sich jedoch ein einzelnes Dach mit großem Abstand über dem Loch, um Regen und Schnee abzuhalten. Arminius erklärte seinen Begleitern, dass es hier genügend Wasser gäbe, sodass man es nicht in einem Bassin im Atrium auffangen musste.
Sie betraten das Haus und gelangten gleich in den großen Saal. In der Halle herrschte ein diesiges Halbdunkel, an das sich ihre Augen erst gewöhnen mussten. In der Mitte stand ein mehr oder weniger runder Tisch, an dem etwa zwanzig Männer saßen. Drei Gefolgsleute des Königs standen auf und boten den römischen Gesandten ihre Plätze an, blieben dann aber bedrohlich hinter ihnen stehen.
Arminius blinzelte und versuchte, den Krieger, der ihm gegenübersaß, zu erkennen. Seine Ahnung hatte ihn nicht getrogen: Der kräftige Mann mit dem rasierten Gesicht, den leidlich gut frisierten Haaren und den listigen Augen, die er immer wieder zusammenkniff, war Marbod.
»Wer von euch ist Manigos?«, fragte der König der Markomannen.
»Julius Claudius Nero Germanicus!«, gab sich Arminius’ Freund zu erkennen. »Neben mir sitzen Velleius Paterculus und Julius Caesar Arminius.«
»Du wirst verstehen, Römer, dass ich dich nicht Germanenbezwinger nennen kann, lassen wir es also bei Manigos«, ließ Marbod in exzellentem Latein verlauten. Das Kräftemessen hat also begonnen, dachte Arminius. Beraubt er Germanicus seines Namens, nimmt er ihm die Würde als Verhandlungsführer. Arminius senkte den Kopf und konzentrierte sich. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft. Er musste einen Weg finden, Marbod Achtung einzuflößen, wenn sie nur halbwegs erfolgreich verhandeln wollten.
»Ich sollte einen alten Mann schonen, der weder fremde Namen, noch den eigenen Urin halten kann!«, gab Germanicus barsch zurück.
Wütend über die Beleidigung stand Marbod auf und zog sein Schwert. Mochte er auch die Fünfzig überschritten haben, so war sein Körper immer noch der eines Kriegers, sehnig, muskulös und wendig. Fast gleichzeitig sprang auch Arminius auf, zog noch in der Drehung um die eigene Achse in der Luft sein Schwert und stieß es einem Markomannen, der mit dem Langdolch auf Germanicus zugestürmt kam, in die Brust. Blitzschnell setzte er dann seinen Fuß auf den Bauch des Mannes und zog das Schwert aus dem Leib des Sterbenden, der wie eine Gliederpuppe, deren Fäden man gekappt hatte, in sich zusammenfiel.
Noch bevor Marbod etwas sagen konnte, war Arminius auf den Tisch gesprungen. Germanicus und Velleius folgten ihm mit gezückten Schwertern. Sie hatten sich nicht abgesprochen, aber in diesem Moment trat das große Wunder ein, dass sie meinten, die Gedanken des anderen zu hören. Arminius sprang mit einem großen Satz vom Tisch und ging auf Marbod zu. Germanicus und Velleius, die ihm folgten, hielten ihm den Rücken frei, indem sie sich umwandten und die nachdrängenden Markomannen mit ihren Schwertern empfingen.
Als Marbod und Arminius die Klingen kreuzten, wich der König bald unter den Hieben des jungen Kriegers zurück.
»Du bist ein Germane. Ich sehe es dir an«, keuchte Marbod.
Mehr noch als die Kraft der Schläge machte ihm die Schnelligkeit des Angreifers zu schaffen. Viele mochten kräftiger sein als Arminius, nur wenige aber waren schneller als er. Gern hätte er seinen Gegner noch weiter geschwächt und ihn noch ein wenig länger in den kräftezehrenden Zweikampf verstrickt. Doch Arminius spürte, dass Velleius und Germanicus dem Ansturm der Gefolgsleute nicht mehr lange würden standhalten können. Er beschloss daher, einen kräftigen Streich gegen die Knie des Königs auszuführen, den dieser abwehren würde, um dann als Nächstes auf Marbods Kopf zu zielen. Der Markomanne war ein erfahrener Kämpfer und nicht so leicht mit einer Finte zu überlisten, doch Arminius musste alles auf eine Karte setzen. Wenn dieser Angriff misslang, würde er kaum die Gelegenheit zu einem zweiten haben, dann hätte die Überzahl der Krieger des Königs sie überwunden. Wie erhofft parierte Marbod diesen Streich und sah den nächsten Hieb nicht voraus. Blitzschnell änderte Arminius die Stoßrichtung und schlug das Schwert des Gegners nach unten, sodass es zu Boden fiel. Im gleichen Moment spürte Marbod die Spitze des gegnerischen Schwertes in seiner Halsmulde.
»Lasst die Schwerter fallen!«, brüllte Arminius auf Germanisch. Die Gefolgsleute gehorchten ihm. »Hochverehrter Maroboduus, würdest du die Freundlichkeit besitzen, mit Julius Claudius Nero Germanicus, den du der Einfachheit halber Germanicus nennen darfst, zu verhandeln, oder soll ich dich zu den Manen schicken?«
»Verhandeln wir, Germanicus«, presste der bedrängte König hervor.
»Schick deine Leute hinaus«, forderte Germanicus, noch etwas außer Atem vom Kampf.
»Geht, lasst uns allein.«
Marbods Gefolgsleute verließen den Saal, während sich der König mit den drei Gesandten an den Tisch setzte. Sie verhandelten bis zum Mittag des nächsten Tages. Dreimal servierten die Mägde Speisen und Getränke, dann stand der Vertrag. Und wahrlich, er kam die Römer recht teuer zu stehen, denn sie mussten Marbods Reich nicht nur anerkennen und seine Grenzen respektieren, sondern auch garantieren, dass die Albis die Grenze der Provinz Germania bildete. Jenseits des Flusses aber sollte sich Marbods Einflussgebiet erstrecken, das die Stammesgebiete der Semnonen, der Langobarden, der Rugier und Sachsen umfasste und von der Gabelung der Albis bis ans Mare Suebicum reichte.
In gewisser Weise bewunderte Arminius den König, wie er Stück für Stück sein germanisches Reich erweiterte. Vor wenigen Tagen noch hätte niemand mehr ein paar Kupfermünzen für ihn gegeben, nun aber stand er als Sieger dar. Der Aufstand gegen die Römer in Pannonia hatte Marbod nicht nur den Hals gerettet, er hatte ihm zudem den Kopf vergoldet. Gestern noch hatte es so ausgesehen, als ob ihn zwei mächtige römische Heerzüge vernichten konnten, nun baten die Römer um Frieden und kamen mit Geschenken.
Zum Abschied hielt der König Arminius zurück, während Germanicus und Velleius bereits ihre Pferde bestiegen.
»Ich weiß nicht, aus welchem Stamm du kommst, Germane, aber auch der wird mir eines Tages zu Füßen liegen. Ich habe heute ein gutes Geschäft gemacht. Aber es hätte, wenn du nicht gewesen wärest, um ein Vielfaches besser ausfallen können. Sieh also zu, dass du mir nicht ein zweites Mal unter die Augen kommst, denn dann wirst du sterben. Und achte darauf, dass ich niemals erfahre, aus welcher Sippe du stammst. Ich würde sie ausrotten bis auf das kleinste Kind, das in eurem Schweinestall plärrt.«
Marbods Augen funkelten vor Hass. Er hatte halblaut, aber mit einem wölfischem Grollen in der Stimme gesprochen. Und er war kein Mann der leeren Drohungen. Vor dem geistigen Auge des Arminius erschienen Marbods Krieger als Männer mit scharfen Schwertern und ohne Gesichter, die mit Brandfackeln das Gehöft seiner Eltern überfielen, die Männer erschlugen, die Frauen vergewaltigten und dabei unablässig brüllten: Ergimer hat euch das angetan. Er schlug die Augen nieder aus Sorge, der König könnte seinen Geburtsnamen in seinen Augen lesen.
»Komm endlich!«, rief Germanicus ungeduldig. »Oder veranstaltet ihr da noch ein Familienfest?«
»Aber sicher doch! Wir sind uns so verwandt wie Feuer und Wasser, das erst Ruhe findet, wenn es das Feuer gelöscht hat«, antwortete Arminius. Dann machte er einen Schritt auf Marbod zu. Er spürte die rücksichtlose Gewalt des Mannes und die Heimtücke des gelernten Politikers.
»Warum, Marbod, hast du in Rom nur das Schlechte gelernt, wo es dort doch auch so viel Gutes gibt?«
Jetzt, da er dem Markomannen beim Abschied gegenüberstand, empfand Arminius seltsamerweise Furcht. Er durfte sich nicht von den Netzen der Angst, die der König auswarf, fangen lassen. So kalt, wie er unter Aufbietung seiner gesamten Selbstbeherrschung vermochte, sagte er: »Such nicht nach mir, Marbod! Die Spitze meines Schwertes hat dich schon einmal gefunden, sie wird dich auch ein zweiter Mal finden, und sie wird dann nicht so höflich sein und verharren, alter Mann!«
Im Davonreiten streiften ihre Blicke noch einmal die Verteidigungsanlagen, die Marbod in aller Eile hatte errichten lassen und die für die römischen Legionen kein ernsthaftes Hindernis dargestellt hätten. Das machte ihnen noch einmal bewusst, dass ihnen der Sieg im Feldzug gegen die Markomannen sicher gewesen wäre. Dass sie diesen wegen des Aufstandes im Rücken aufgeben mussten, hatte die Verhandlungen mit Marbod doppelt bitter gemacht. Wie kann das Schicksal nur so einen Widerling begünstigen, fragte sich Arminius.
Germanicus, der rechts neben ihm ritt und seine Gedanken erraten hatte – wenn ihn nicht ähnliche quälten –, versuchte, den Freund zu trösten: »Mag er auch heute triumphieren, umso tiefer wird morgen sein Sturz sein. Das Schicksal ist ein knausernder Geldverleiher, es verschenkt seine Münze nicht!«
Arminius gab keine Antwort. Er gestand es sich nur ungern ein, aber das Gespräch mit Marbod beschäftigte ihn immer noch, weil der Markomanne wie er selbst seine Jugend in Rom verbracht hatte. Waren sie einander ähnlich, verschieden nur, weil er, Arminius, jünger war? Hätte er nur gewusst, was ihn so verunsicherte!
Sicher trug auch die Kunde von Elda, die ihm Germanicus überbracht hatte, zu seiner Verwirrung bei. Ohne Vorwarnung war in der Zeit, die ein Satz benötigte, sich sinnvoll zu runden, eine Wunde, die er für geheilt erachtet hatte, wieder aufgebrochen und blutete. Er beneidete Germanicus darum, Elda gesehen und sogar mit ihr gesprochen zu haben. Tief innerlich verübelte er es ihm auch ein klein wenig. Wieder durchzog ein Schmerz seinen Körper bei dem Gedanken an Elda. Sehnsucht, der Schmerz hieß Sehnsucht.
Nachdem sie schweigend, jeder in seine Gedanken versunken, den Wegposten der Markomannen passiert hatten, zügelten sie ihre Pferde.
»Zeit, Abschied zu nehmen«, sagte Germanicus. »Du, Velleius, reitest zum Rhenus, zu Saturninus, du Arminius zu Tiberius nach Siscia und ich nach Rom, um die Nachricht vom Friedensschluss mit Maroboduus zu überbringen.«
»Was macht es aus, wenn ich Saturninus die Nachricht bringe und dann zu Tiberius eile?«, hörte sich Arminius sagen. Aber schon, als er die Bitte vorbrachte, wusste er selbst, das sie vergeblich war.
»Der Imperator erwartet dich«, erwiderte Germanicus. »Er hat unsere Aufgaben selbst festgelegt. Finde dich drein wie ein echter Römer. Nur Barbaren folgen ihrem Herzen in die andere Richtung, wenn der Verstand oder die Pflicht in die entgegengesetzte Richtung zeigt.«
Du hast gut reden, dachte Arminius wütend, du hast sie gesehen, mit ihr gesprochen. Und ich? Velleius führte sein Pferd dicht an Arminius Seite, während Germanicus’ Pferd von vorn seinen Kopf zwischen die Hälse der anderen beiden Reittiere steckte.
»Kopf hoch, mein Freund. Was immer du dort willst, die Zeit würde ohnehin nicht reichen, um deine Wünsche zu erfüllen. Du müsstest fast vom Pferd aus noch Meldung erstatten und dich sogleich nach Pannonia wenden«, sagte Velleius tröstend.
»Ach, verdammt, Arminius, du kommst schon noch zurück ins Cheruskerland, zu Elda. Jetzt ist keine Zeit, an die Liebe zu denken, Mars regiert, nicht Amor«, fügte Germanicus hinzu.
Wie wahr, dachte Arminius bitter. So lange er lebte, herrschte bereits der Kriegsgott, und wahrscheinlich würde er immer noch regieren, wenn er dereinst zu den Ahnen ging. Musste er denn so lange warten, bis er Elda wiedersah? Mit einem gezwungen Lachen wischte er die trüben Gedanken beiseite. Jetzt hieß es erst einmal, Abschied von den Gefährten zu nehmen.
»Wir sehen uns bald wieder«, sagte er zu ihnen.
»Ja, in Pannonien. Und dann werden wir die Schufte zusammenhauen, die uns den Sieg gegen Maroboduus gestohlen haben«, erwiderte Germanicus grimmig.
»Ruhm und Ehre«, rief Velleius.
»Ruhm und Ehre«, antworteten die beiden anderen, dann umarmten sich alle drei, indem sie sich im Sattel zueinander reckten, und ritten eilig los. Sie wussten nicht, was ihnen die Zukunft bringen würde, aber sie glaubten, dass die Ereignisse der letzten Stunden sie für immer vereint hatten. Gefährten fürs Leben, mit diesem Gefühl nahmen sie Abschied voneinander.
Arminius ritt durch den Tag und durch die Nacht und wieder durch den Tag und wieder durch die Nacht. Das Wetter zeigte sich von seiner angenehmen Seite, es war frühlingshaft warm. Zuweilen schlief er im Sattel, zuweilen ruhte er zwei, drei Stunden an einer Station der kaiserlichen Post oder unter einem Baum aus, wenn die Vernunft gebot, dem Pferd ein wenig Erholung zu gönnen, um es nicht zuschanden zu reiten.
In der Nacht hatte er das Militärlager in Nordpannonien passiert, von dem sie noch vor wenigen Tagen hochgemut aufgebrochen waren. Wer hätte damals die jähe Wendung vorausahnen können? Er ließ die alte Militärstraße, die über die Alpen nach Emona führte, links liegen und schlug den geraden Weg nach Süden ein, scharf vorbei an den Julischen Alpen.
Er hatte nicht die Tage und Nächte gezählt, als er endlich die Umrisse von Siscia in der Ferne erblickte. Ungewöhnlich weit von der Siedlung entfernt war er bereits auf römische Späher getroffen. Die Legionäre, aber auch viele Sklaven der römischen Bevölkerung, schufteten in größter Eile, um Befestigungen zu errichten. Die Soldaten hatten ihre Brustpanzer und Waffen unmittelbar neben sich griffbreit abgelegt.
Sogar körperlich spürte Arminius die Nervosität, die in der Luft lag. Die Bewohner und Bewacher der Stadt rechneten mit einem unmittelbar bevorstehenden Angriff. Die Siedlungen, aber auch das Legionslager barsten vor Zivilisten. Es waren Flüchtlinge, die der Schrecken des Aufstands unter den Schutz der Legionsadler getrieben hatte. Noch vor wenigen Tagen, sinnierte Arminius, hatten sie in prächtigen Villen gelebt, und nun schätzen sie sich glücklich, wenn sie in einer Hütte oder einem Zelt Aufnahme fanden.
Schon von Weitem erkannte er Tiberius inmitten seiner Legaten, der sich persönlich ein Bild vom Stand der Arbeiten und der Verfassung der Flüchtlinge machen wollte. Ein Prätorianer trat Arminius entgegen, einer von denen, die Ordnung und Disziplin im Lager gewährleisten und wenn nötig den Imperator beschützen sollten: »Halt, wer bist du?«
Arminius sprang vom Pferd. »Julius Caesar Arminius mit wichtigen Nachrichten für den Imperator!« Er drückte dem Prätorianer die Zügel in die Hand und begab sich zu Tiberius.
»Woher kommt ihr?«, fragte der Feldherr gerade einen Vater, dessen Frau und seine sieben Kinder erschöpft im Staub saßen. Aus ihren Augen sprach die Angst.
»Aus Sirmium, Imperator. Wir haben es einfach nicht für möglich gehalten, dass es den Breukern gelingen würde, die Provinzhauptstadt zu erobern. Sie waren doch nur ein Haufen Barbaren.« Der Mann schüttelte fassungslos den Kopf und fuhr leise fort: »Ich war in den Thermen, als mich die Kunde erreichte, dass die Legionäre der kleinen Garnison geflohen waren und die Stadt schutzlos den Breukern überlassen hatten. Ich lief sofort los und musste mich immer wieder vor den Barbaren verstecken. Meine Hoffnung schwand, sie alle …«, er deutete auf seine Familie, »… lebend wiederzusehen. Aus einem Versteck beobachtete ich, wie der Präfekt mit seiner Familie, den Großeltern, seiner Frau Gaia, seinem kleinen Sohn und den beiden Töchtern aus dem Haus getrieben wurde. Der Anführer der Barbaren …«
»Bato?«, fragte Tiberius.
Die Stimme des Mannes begann zu zittern. »Ja, Bato. Du kannst ihn leicht erkennen an seiner sonnenverbrannten Glatze und der langen schwarzen Haarlocke, die ihm aus der Mitte seiner Platte auf die Schulter fällt. Bato ließ die Familie des Stadtvorstehers auf die Mitte des Vorplatzes treiben. Dann ritt er mit fünf seiner Getreuen immer wieder über den Platz. Bei jeder Runde hieben sie mit den Schwertern auf die Kinder, Frauen und Männer ein. Blut färbte das Pflaster rot, und die Schreie der armen Kreaturen drangen mir mitten ins Hirn. Ich höre sie immer noch. Sie wussten nicht, warum ihnen die fremden Männer die Arme abhackten und die Schädel zertrümmerten. Weißt du das, Imperator? Ich weiß es nämlich auch nicht. Bald schon blitzten ihre Schwerter nicht mehr in der Sonne, weil die Klingen voller Blut waren. Aber sie hörten nicht auf …« Der Mann weinte, ohne dass Tränen aus seinen Augen flossen. Mit beiden Händen hielt er sich die Ohren zu und drehte und krümmte sich dabei vor Schmerzen. Selbst die Sonne schien nur noch auf ihn zu achten, denn er drehte sich in ihrem Lichtkegel.
Arminius wollte schon zu ihm laufen, um ihn aufzufangen, doch da begriff er, dass der Mann nicht taumelte, sondern den armen, blutigen Menschentod tanzte.
»Wer nicht vom Schwert zerhauen worden war, den zertrampelten die Hufe ihrer Pferde. Den Präfekten hatten sie gefesselt und gezwungen, das Gemetzel anzuschauen. Als sie fertig waren, banden sie ihn los und warfen ihm einen Holzstecken hin. Er stach so oft mit dem stumpfen Holz auf sich ein, bis er blutüberströmt zusammenbrach.«
Der Mann blieb plötzlich stehen. »Und weißt du was, Imperator, er brauchte lange, bis das Holz ihm den Tod gab. Aber er tat es stumm. Der Schmerz, den er sich unablässig zufügte, schien geradezu barmherzig, weil er seine Qualen linderte.«
Tiberius legte seinen Arm um den Mann und fragte ihn flüsternd. »Und dann?«
»Wie auf glühenden Kohlen rannte ich, das Herz an den Fußsohlen, denn ich hatte eine so verdammte Angst, dass sie vor mir mein Haus erreichen könnten. Was sie vergnügte, wusste ich ja nun. Aber meines Nachbarn Pech war mein Glück. Sie waren dabei, das Haus neben dem meinen zu brandschatzen, und ich nutzte die mit Blut erkaufte Frist, um meine Familie zu retten. Wir schlichen uns heimlich aus dem Haus und aus der Stadt.«
Der Feldherr umfasste mit seiner rechten Hand kraftvoll und zärtlich den Hinterkopf des Familienvaters und drückte ihn an sich. »Du bist mit deiner Familie in Sicherheit, mein Freund.«
Der vielleicht vierzigjährige Mann machte sich sanft los und schaute dem Feldherrn verwundert wie ein Kind an. »Weiß du, Imperator, was ich nicht verstehe? Wo waren bei dem Gemetzel unsere Leute? Warum haben sie uns nicht beschützt? Hätte nicht die Garnison kämpfen und uns verteidigen müssen? Wo wart ihr, als all das geschah?« In den Augen des Mannes lag kein Vorwurf, nur Unverständnis.
»Richtet mein Zelt für ihn und seine Familie her. Und kümmert euch um ihn. Dir aber, guter Mann, schwöre ich, dass ich solange im Freien schlafen werde, bis die ungeheure Bluttat gerächt ist.«
Mehrere Offiziere begleiteten den Mann samt seiner Familie zum Zelt des Feldherrn, während sich Tiberius an die verbliebenen Legaten und Militärtribunen wandte: »Ihr habt es gehört. In Sirmium haben wir das Vertrauen der Bürger verloren. Wenn die römischen Bürger nicht mehr an die res publica glauben, dann bricht das Reich zusammen. Jeden einzelnen Soldaten der Garnison will ich eingefangen wissen. Sie werden gekreuzigt. Allesamt! Und niemand soll es wagen, die Verräter von den Kreuzen zu nehmen, lebendig und tot sollen sie zur Speise der Vögel und des anderen Getiers werden.«
»Marschieren wir nach Sirmium, und kaufen wir uns Bato, Feldherr!«
»Nicht so voreilig, Messalinus. Bato ist schlau. Er will uns in eine Falle locken. Ich werde ihm den Gefallen nicht tun und meine Männer verheizen. Legionärsblut ist kostbar, du kannst es nur ein einziges Mal vergießen. Wir kriegen ihn schon noch, Eile mit Weile, mein Freund!«
Dann drehte er sich um und entdeckte Arminius. Er schritt auf ihn zu, umarmte ihn kurz und herzlich, dann zog er ihn mit sich. »Du hast die Geschichte mitbekommen?«
»Ja.«
»Dann weißt du, wie es steht. Das ganze Illyricum brennt. Sie jagen die römischen Bürger, verbrennen ihre Häuser und Villen und erschlagen ihre Sklaven, wenn es keine Einheimischen sind. Aber selbst ihre eigenen Leute verschonen sie nur, wenn die sich ihnen anschließen. Ich brauche den Frieden in meinem Rücken, um endlich mit den Legionen losschlagen zu können. Habt ihr mit Maroboduus verhandelt? Bringst du mir den Frieden?«