Die Zeit flog schneller dahin, als dass sie das schnellste Pferd einzuholen vermocht hätte. Arminius nahm Quartier im Lager der Hilfstruppen in Aliso. Umgeben von seinen Soldaten fühlte er sich am sichersten. Durch Herolde gab er seine Verheiratung weithin bekannt und ließ alle wissen, dass er kein Fest ausrichte, weil es sich nicht schickte, in einer Zeit zu feiern, in der er um seine Eltern trauerte, die feige und brutal ermordet worden waren. Dann ritt er in die Stadt der Ubier, um mit Varus zu sprechen.
Velleius begleitete ihn zum Forum, wo der Statthalter an diesem Tag Gericht hielt. Als er Arminius sah, erhob er sich, um ihm sein Beileid zu bekunden, doch dieser hob abwehrend die Hand und sagte: »Salve, Varus. Ich bin gekommen, um Klage zu erheben!«
Varus nahm wieder Platz. »Bitte.«
Die Menschen, die sich an diesem Tag aus vielerlei Gründen auf dem Forum versammelt hatten – manche, weil sie Klage führen oder sich verteidigen wollten, andere, nur um dem Schauspiel des Gerichts beizuwohnen –, verstummten mit einem Mal. Einige, die Markt oder Tempel besuchten, wurden ebenfalls aufmerksam, denn es war in der Provinz durchaus unüblich, dass ein Militärtribun Klage führte. Er verfügte über andere Möglichkeiten, sein Recht durchzusetzen. Demnach handelte es sich um etwas Außergewöhnliches, das wie alles Besondere die Neugier der Leute entfachte.
Arminius wartete, bis die Menschen, die herbeigeströmt kamen, ihren Platz gefunden hatten und Ruhe eingekehrt war. Unterdessen war auch Lucius Marcus Lupus eingetroffen. Seine Prätorianer hatten ihm eine Gasse durch die vielen Menschen gebahnt, bis er an der Seite des Statthalters anlangte.
Lange hatten Arminius und Elda an der Klagerede gefeilt, immer und immer wieder neue Formulierungen erprobt. Schließlich lernte er die mehrmals durch den Verstand gesiebten Wendungen auswendig. Jedes Wort musste sitzen, kein Fehler durfte in der Anklage sein, nichts, was ihn angreifbar machte oder ihn verriet.
Und nun, als er hier in eigner Sache vor den vielen Menschen stand, drohten ihm Aufregung und Wut den Hals zuzuschnüren. Doch durfte seine Stimme keinesfalls vor Zorn zittern oder heiser klingen. Nur der sichere, aus der eigenen Mitte kommende Ton, der allein den Eindruck der Lauterkeit erweckte, würde zum Erfolg führen. Arminius bemühte sich, seiner Erregung Herr zu werden und die nötige Fassung zurückzugewinnen. Lucius Marcus Lupus half ihm dabei, wenn auch unbeabsichtigt.
Als Arminius den Mann sah, den er am liebsten mit dem Dolch durchbohrt hätte, überkam ihn eine eisige Ruhe. Am Ende meiner Rede wird dein Tod stehen, dachte er und warf dem Steuerpächter einen kurzen, eisigen Blick zu. Und schon befreite sich seine wohlklingende Stimme aus seinem schützenden Zentrum und erhob sich wie auf Adlerschwingen über das Forum, sodass jeder seine Worte verstehen konnte: »Höre, edler Quinctilius Varus. Eine Bluttat ist geschehen, die alles Dagewesene in den Schatten stellt! Während ich arglos Elda, die Tochter des Segestes, heiratete und bei meinem Onkel Ingoumer weilte, fielen Mörder wie blutgierige Wölfe über meine unschuldigen Eltern her. Niemand, der auf dem Hof meiner Sippe lebte, nicht Vater, noch Mutter, nicht Großvater, noch Großmutter, nicht Anverwandte, noch Knechte, noch Mägde verschonte die grausame Brut. Erspare mir, großmütiger Varus, dass ich dir schildere, wie grausam man sie abgeschlachtet, wie man mit ihren Leibern und mit ihren Qualen entmenschlichten Hohn und schauderhaften Spott getrieben hat.
Das Blut der Opfer, das Blut meiner Familie aber schreit nach Rache. Deshalb bin ich hier, Klage zu führen und Vergeltung zu fordern. Nur im Vertrauen auf die Gerechtigkeit halte ich mein Schwert noch zurück. Nur deshalb verzichte ich noch darauf zu tun, was die Pflicht dem Sohn gebietet.«
»Weißt du denn, wer es war?«, fragte Varus listig.
»Nein, aber wenn du es nicht herausfindest, werde ich es tun.«
»Wen soll ich mit der Untersuchung beauftragen?«