Antonio Delgado

alias Lil Creeper
alias Devil’s Business

30. APRIL 1992

 

10:12 UHR

1 Ich steh auf dem Parkplatz vor meinem Motel und überlege, welches Auto ich knacken soll, und ich bin enttäuscht und denk so, ich bin vielleicht ’n Junkie, aber ich hab Geschmack, esé. Ich bin vielleicht ’n billiger Scheißmexikaner, aber ich hab Geschmack. Ist lange her, dass ich bei J.C. Pennies die falschen Fahrräder geklaut hab. Könnt ihr jeden Arsch fragen. Ich weiß, was gut ist.

Gleich danach fällt mir auf, dass ich keine Ahnung hab, wie ich hierhergekommen bin.

Also, ich lag so in meinem Motelzimmer, das ich mit dem Geld von Fate für die Glock gemietet hab. Ich bin allein aufgewacht, auf dem Wecker stand 10:05. Der Fernseher lief, also muss ich ihn angelassen haben, ja, das weiß ich noch. Und dass ich mich wie eine zerknüllte Papiertüte gefühlt hab. Ungelogen.

Und wie jeder andere war ich überzeugt, die Bullen würden nach allem, was gestern passiert ist, die verfickten mayates in den Boden stampfen. So polizeistaatsmäßig wie 1984 auf irgendwelche armen Idioten aus Florence und Normandie losgehen. Aber dann sieht man im Fernsehen so culeros (Schwarze, Braune, sogar Weiße, sogar Kinder, Mann!), die eine Drogerie ausräumen, Bier und Popcorn und so, und mein erster Gedanke ist: Ihr dämlichen Motherfucker denkt zu klein. Viel zu klein.

Ich schnall das schon. Du bist arm, du hast so lange nichts Anständiges gehabt, dass es sich richtig toll anfühlt, was in die Finger zu kriegen. Aber wie lange soll denn das Zeug halten, das du dir nimmst? Eine Woche? Nicht mal. Das ist doch amtliche Zeitverschwendung, Leute. Wacht auf. Wenn ihr schon Scheiß bauen wollt, dann baut richtigen Scheiß. Klotzen, nicht kleckern.

Also, wenn ihr alles tun könnt, was ihr wollt, was macht ihr?

Ich höre auf, mir geparkte Autos anzugucken, und stell mir das eine Weile vor.

Ich meine, für mich wäre das ganz klar: Payasa und ein anderes Mädchen gleichzeitig ficken. Aber weil das garantiert niemals passieren wird, kann ich mir wohl auch einen zweiten Traum gönnen.

Aber echt, gestern Abend sah sie so scharf aus, richtig wie ein normales Mädchen und so! Wer hätte gedacht, dass sie in Kleid und Absätzen so gut aussieht? Apache hat nichts gesagt, aber er hat es auch gemerkt. Jeder Typ in dem Zimmer hat es gemerkt, und wir haben uns die Vorstellung alle für später aufgehoben.

Was den anderen Traum angeht, den zweiten Traum, da gibt es nur eine Antwort: Momo komplett ausnehmen. Sein ganzes Haus leerräumen.

An jedem anderen Tag wär das kein so guter Traum, weil der Arsch ganz eng ist mit der clica, die Ernesto erledigt hat. Also, er ist nicht so richtig drin, sondern eher drüber. Beinahe so zwischen denen und den großen Jungs. Was ganz gut zu einem Salvi cerote passt, von dem gar keiner wusste, dass er ein Salvi ist, bis er älter und bekannter wurde, weil er als Junge keinem verraten hat, wo seine Familie herkommt. So ein hinterhältiger Wichser ist das.

Er ist keine große Nummer oder so, aber er unterstützt die andere Gang. Knarren. Drogen. Wenn sie was brauchen, besorgt er’s ihnen. Und er weiß auch, dass ich irgendwie mit Fate und seinen Leuten rumhänge. Das war immer so ein bisschen – wie sagt man?

Knifflig.

Ja, zwischen uns war’s immer knifflig. Aber so ist es eben, wenn Frieden ist und es um Drogen geht, gehen alle dahin, wo man das beste Zeug kriegt, und das war meist bei Momo. Beim saudummen, geschmacklosen Momo.

Aber dann wird Ernesto umgebracht, und der Frieden ist vorbei. Jetzt ist Krieg.

Also kann ich den Motherfucker auch ausnehmen. Plündern und schänden wie ein Wikinger. Aber nicht wie diese Sheriff-Gang aus Lynwood, sondern wie die richtigen Wikinger. Die von früher.

Ich hab noch andere Gründe, aber die beiden wichtigsten sind:

  1. Ich weiß gar nicht, wie viele Tage mir noch bleiben.

  2. Es gibt nur wenige Arschlöcher, die es so verdienen wie Momo.

Aber Moment mal. Wo war ich? Zurückspulen.

Ich hab über Geschmack geredet.

Also, es ist zum Beispiel ein Riesenunterschied, ob man cocaína aus El Salvador hat oder guten Stoff aus Kolumbien. Das eine macht mich nervös und schreckhaft. Das andere scharf und glatt wie ein Messer. Wenn man Geschmack hat, weiß man das. Geschmack ist eigentlich bloß die Fähigkeit, zwischen Schrott und Schätzen zu unterscheiden.

Und ich glaube, ich hab heute ganz früh am Morgen salvadorianisches Zeug von irgendeinem Cadillac gezogen, bestimmt hab ich deshalb das Gefühl, dass mir gleich das Herz platzt.

Wenn’s nämlich nicht das ist, dann ist es Big Fate.

Ich hatte drei Nachrichten von dem Killertypen auf meinem Pager, als ich heute Morgen aufgewacht bin und die ganze Stadt total übergeschnappt und loco war. Und eins kann ich euch sagen, das ist echt nicht normal. Mann, eine Nachricht von Fate macht einen schon ganz krank im Kopf. Schmeißt den ganzen Tag durcheinander. Schon bei einer geht mein Atem schneller.

Aber dreimal hat er mich noch nie angefunkt.

Dreimal! Als ich den ersten Anruf sah, hab ich mich vom Fernseher weggedreht, meinen Pager genommen, seine Nummer am Code hintendran erkannt und hab gedacht, okay. Als der zweite um 8:54 kam, hat mein Magen schon rumort wie irre. Aber beim dritten um 9:12 – ach du Scheiße! Als ich den gesehen hab, da hab ich ins Waschbecken gekotzt.

Weil meine erster Gedanke war: Scheiße, ich bin tot. Aber dann hab ich einen tiefen Schluck aus dem Wasserhahn genommen, mir den Mund ausgespült und ausgespuckt, und dann hab ich gedacht: Nee. Wenn jemand wie Fate dich erledigen will, dann war’s das.

Da gibt’s keine Anrufe. Keine Vorwarnung.

Dann erwischt es dich einfach. Im Schlaf. Unter der Dusche. Egal.

Dann hab ich mir gedacht, vielleicht weiß er, woher ich diese eingewickelte Glock habe, mit dem weißen Tape drum wie so ’ne Mumie, und es passt ihm nicht, dass die von Momo kommt, weil das die Sache komplizierter macht. Oder er weiß, dass ich gelogen hab und dass die Glock nicht die einzige Knarre im Safe war. Ich mein, ein anderes Teil war noch drin. Ich stecke die Hand in die Tasche, um es noch mal zu spüren, und als ich das tu, muss ich es mir noch mal angucken.

Ich ziehe also diesen schicken, glänzenden, kurzen Scheißrevolver aus der Tasche, ganz silbern mit Perlmuttgriff, der zwischen Weiß und Blau schimmert, wenn ich ihn im Tageslicht drehe.

Scheiße. Fate muss das alles wissen.

Gibt keine andere Erklärung dafür, dass er mich unbedingt sehen will.

Ich reagiere also darauf, indem ich nicht reagiere, okay? Indem ich meinen Arsch auf die Straße schiebe, weg vom Parkplatz, weil hier nichts mein Interesse weckt. Nichts als Hondas und zerbeulte Trucks, und keiner davon ist gut genug. Ich meine, für diesen Scheiß brauch ich schon ein besonderes Auto.

Wisst ihr, wenn ich tatsächlich so gut wie tot bin, wenn Fate mich bloß aus meinem Loch locken will, denk ich mir, dann muss ich leben, als wär das mein letzter beschissener Tag auf Erden.

Weil, vielleicht ist er das auch.

Ist ein saudämlicher Plan. Aber das ist meine Spezialität. Wenn ich Momo so richtig fertigmache, vielleicht vergibt Fate mir dann, dass ich ihn belogen hab. Aber wenn ich Momo fertigmache, wird Payasa trotzdem nicht ihre chonies fallen lassen, als wäre ich ihr großer Held.

Aber ist mir scheißegal. Vielleicht ist es einfach Zeit für Mister Creepers wilden Ritt, okay? Anschnallen und los.

Weil, im Augenblick ist das meine beste Idee.

Yeah, denke ich.

Ich ziehe die Kapuze hoch und trete vom Bordstein mitten in den fahrenden Verkehr auf dem Imperial.

Ich hab keinen Schiss, als ein fetter Taurus mir ausweicht und mich nicht erwischt. Ein Kombi mit Holzimitat an den Türen macht das Gleiche. Der Dritte?

Auf den Dritten richte ich meine glänzende neue Knarre.

Die andere Knarre, die ich Momo geklaut habe.

 

 

2 Der Dritte ist ein dicker schwarzer Chevy Astro, ein Van mit verbeulter Stoßstange. Aus der Ferne sieht der Alte, der ihn fährt, wie mein alter Gemeindepriester und Boxtrainer aus, Padre Garza, und da macht mein Magen einen richtigen Sprung, als der Wagen direkt vor mir hält, und ich höre die Reifen quietschen, als ich zur Fahrertür renne, und – ach du Scheiße!

Es ist tatsächlich Garza.

Die Stadt ist klein, denke ich. Ständig trifft man irgendwelche Idioten.

Garza sieht geschockt und zittrig aus, bis er mich auch erkennt. Ich ziehe sogar meine Kapuze runter und warte drauf.

Als es so weit ist, lächle ich und spreche ein Gebet zum Himmel.

An jeden beschissenen Heiligen, den es je gab und je geben wird.

Weil, ich wusste ja überhaupt nicht, dass das mein Traum war, bis er direkt vor mir saß, dieser Typ, der mir gesagt hat, dass Haltung das Einzige ist, was man im Ring braucht, dass ich kein bisschen Disziplin hab und er mich nie zum Profi machen kann, weil ich nicht zuhöre, dieser Typ, der mich vom zehnten bis zum siebzehnten Lebensjahr trainiert hat, und jede Woche hat er mir eingeschärft, ein kluger Boxer werde ich nur, wenn ich genau das tue, was er mir sagt, auch so total eklige Scheiße, die nichts mit Boxen zu tun hatte, Sachen, die einfach falsch waren, vor allem für ein Kind.

Zu diesem Haufen Scheiße, der nicht zu atmen verdient, sage ich also: «¿Qué pasa, du dreckiger Arschficker?»

Wär’s irgendwer anders, würde ich ihn leben lassen. Aber es ist Garza.

Ihr wisst also, was Sache ist.

Versteht mich nicht falsch, ich bin kein Tier.

Ich erschieße ihn nicht in seinem Van, weil, den brauche ich noch.

Ich zerre ihn zuerst auf die Straße, dass er fällt.

Ich trete ihn so hart unters Kinn, dass ich hören kann, wie seine untere Zahnreihe ordentlich gegen die obere kracht. Dann lasse ich ihn ein bisschen Blut spucken und betteln, ehe ich ihm eine Kugel in die Fresse jage.

Fühlt sich super an, den Abzug zu drücken, fast als hätt ich mein ganzes Leben drauf gewartet. Und danach seufze ich so tief wie noch nie zuvor. Friedlich. Irgendwie erfüllt. Und dann schieße ich ihm noch in die Brust.

Nur so zur Sicherheit.

Der Verkehr ist vielleicht vorher schon zum Stehen gekommen, aber jetzt hauen alle den Rückwärtsgang rein und verpissen sich súbito.

Und das ist cool. Bloß dann guck ich so die Leiche an und denke, hatte Garza wirklich so ein Muttermal am Hals? Hm. Daran kann ich mich gar nicht erinnern.

Und dann denk ich, war Garza wirklich so groß?

Aber dann denk ich so Scheiß drauf und steig in den Van und fahr los, und ich danke Christo, dass er hinten keine Fenster hat, aber dann wird mir klar, das liegt sicher daran, dass er so einem Kinderficker gehört.

Oder gehört hat. Weil, es muss Garza gewesen sein.

Es war Garza, sage ich mir sofort. Fang gar nicht erst an zu grübeln. Der Wichser hat’s nicht besser verdient.

Ich lenke meinen brandneuen Van in Richtung Momos Haus und reibe mir die letzten Krümel vom Pulver aus Salvador ins Zahnfleisch, weil, nur Vollidioten ziehen beim Fahren. Braucht bloß ein Schlagloch zu kommen, und schon liegt der ganze Scheiß auf dem Boden.

Hab ich einmal gemacht. Musste mir die halbe Fußmatte reinziehen, als wir angehalten haben. Jetzt bin ich schlauer.

Na ja, nicht unbedingt schlauer. Nicht in jeder Hinsicht.

Weil, Leute, die schlauer sind, die kehren nicht an den Ort ihres Verbrechens zurück. Sagen sie jedenfalls im Fernsehen immer.

Deshalb ist es saudämlich, dass ich wieder zu Momo fahr, wo ich doch seinen Waffensafe geknackt und die beiden Knarren rausgeholt hab.

Die Glock, die Fate wahrscheinlich Payasa gegeben hat, damit sie ihr Ding durchziehen kann.

Und den kleinen Revolver, den ich jetzt in der Tasche habe.

Also scheiß drauf. Das ist mein Spruch des Tages. Scheiß drauf.

Ich fahr wieder hin. Warum eigentlich nicht.

Ich trete das Gaspedal durch.

Ich rase los.

 

 

3 Manchmal drehe ich echt total ab. Ich weiß aber zum Beispiel noch, dass ich der Stadt Los Angeles einen großen Dienst erwiesen hab, als ich Garza eine bala hab fressen lassen. Das werde ich nie vergessen.

Und ich weiß noch, wie ich in den Van gestiegen bin.

Und dass ich gecheckt hab, ob der Tank noch mehr als halbvoll ist, war er, und dass ich dann Gummi gegeben hab wie bei so ’ner Verfolgungsjagd in Miami Device.

Und dass der Van nach alten Tortilla-Chips gestunken hat und nach einer Million toter Mentholzigaretten, die für immer im Autohimmel hängen.

Und dass ich gedacht hab, Rauchen ist echt die schlimmste Sucht, die es gibt, und dann – nichts mehr.

Ich zermartere mir das Hirn. Ich frage mich noch mal.

Also, und dann?

Aber ich hab keine Erinnerung.

Ich weiß nicht mehr, wie ich den Wagen halb auf dem Bürgersteig vor Momos Haus geparkt hab, keinen halben Meter vor seinem Scheißbriefkasten, auf den ein kleiner Kanarienvogel gemalt ist, wer ist denn bloß auf diese bekackte Idee gekommen? Sieht auf jeden Fall nicht aus wie das Haus eines Dealers, aber das ist wohl auch der Sinn der Sache. Tarnung.

 

 

4 Mein Kopf tut weh, direkt über den Ohren. Aber das ist ein guter Schmerz. Der sagt mir, dass ich noch da bin. Noch am Leben. Bereit, richtig Scheiß zu bauen. Also trete ich gleich wieder aufs Gas, und der Van schießt vorwärts. Er hat ordentlich Power und biegt den Briefkasten nach hinten, aber der Pfosten bricht nicht. Er kommt einfach ganz aus dem Boden, wie wenn irgendein blöder Golfer die Fahne aus dem Loch haut und dabei ein Rasenstück mit rausreißt.

Scheiße, aber klar guck ich Golf im Fernsehen! Na und? Gibt nichts Besseres beim Kiffen. Alles so ruhig und grün und so. Ein echt sanftes High.

Jedenfalls setze ich mit dem Van zurück und fahr noch mal über den Briefkasten, und noch mal, bis die Metallkiste unter den Reifen zerknautscht ist. Scheiße, yo!

Übrigens weiß ich genau, dass es eigentlich Miami Vice heißt. Ich finde Device einfach viel besser. Außerdem verarsche ich damit ständig alle Leute. Ständig.

Ich fahr noch einmal über den Briefkasten, nur so zur Sicherheit, halte an und steige aus.

Das Leben läuft viel leichter, wenn die Leute glauben, du bist estupido. Das ist Fakt.

Ist tausendmal leichter, jemanden reinzulegen, wenn der Wichser einen für stockdumm hält.

Ihr sollt alle denken, ich bin Müll. Austauschbar. Unsichtbar. Wenn ich das nämlich in eurem Kopf bin, dann kann ich jeden Scheiß anstellen und komm ungeschoren davon.

Aber jetzt bin ich ins Quatschen gekommen. Wo war ich?

Ach ja, ich steh in Momos Vorgarten, das hohe Gras kitzelt meine Knöchel, und da merk ich, dass ich keine Socken angezogen hab, als ich aus dem Motel raus bin. Meine Füße stecken nackt in meinen schwarzen Vans, Mann. Ich wackle ein bisschen mit den Zehen und denke so, hm. Das ist schräg.

Wieso hab ich keine Socken angezogen, Alter?

Das ist nicht normal, wenn ich auf cocaína bin.

Cocaína ist eigentlich meine beste Freundin. Mein Schub. Mein Hochschalten in den höheren Gang, wo ich flüssig rede, schnell handle, nicht zu fassen bin. Wo ich fliege. Nicht wie so eine scheißverrückte mosco, nicht so wie Ray, sondern wie ein Vogel. Wie eine Rakete beim Abschuss. Als wär mein ganzer Körper eine Bombe, und cocaína zündet meine Lunte gerade richtig. Nicht zu sehr. Nicht so, dass ich verbrenne. Gerade richtig.

Yo, denke ich. Ich bin eine verdammte Bombe.

Der Gedanke bleibt hängen, als ich den Rasen überquere, auf die Veranda steige und an der Tür klingele wie ein echter Gangster. Ich lehne mich nämlich gegen den Klingelknopf und lasse nicht wieder los. Die Klingel macht einmal Ding und bleibt dann in der Luft hängen. Man wartet auf das Dong, aber das kommt erst, wenn ich mich nicht mehr dagegenlehne, und das passiert erst, wenn jemand die Tür aufmacht.

In dem Moment merk ich, dass ich vorm Spion stehe, und trete schnell zur Seite, weil, wenn von drinnen einer wissen will, was draußen los ist, soll er die Tür aufmachen.

Das ist wie beim Wolf und Rotkäppchens Großmutter.

Beinah muss ich loslachen, aber ich unterdrücke es. Der böse Wolf bin ich, na klar. Und die Großmutter?

Ich halte das Ohr an die Tür. Ich höre, dass der Fernseher läuft. Ich höre kleine Füßchen schlurfen, und ich hab das Gefühl – nein, ich weiß – Momo ist nicht da. Der sitzt in seinem Lager, genau wie letzte Nacht. Da ist mehr Ware zu beschützen. Und da weiß ich, ich hab aufs richtige Pferd gesetzt, als ich hierhergekommen bin.

Die Füßchen bleiben hinter der Tür stehen. Ich merke, jetzt denken sie nach.

Sie denken nach, ob sie was sagen sollen oder nicht, weil jemand auf der anderen Seite womöglich eine Schrotflinte oder so was hat.

Ich höre eine Stimme.

«Also, ihr müsst später noch mal wiederkommen, Momo ist nämlich nicht da, und ich mache niemandem die Tür auf.»

Es ist Cecilia, die fette Nutte. Großartig.

Das läuft ja perfekt!

Genau die Schlampe, die mich gestern reingelassen hat, obwohl sie nicht sollte. Die umgekippt ist, nachdem sie einen Speedball genommen hat – hab ich ihr jedenfalls erzählt, in Wirklichkeit waren’s bloß zerstoßene Schlaftabletten. Und die nicht weiß, dass ich Momos Waffensafe geknackt hab, weil ich ihn nämlich hinterher wieder zugemacht hab und da drin alles genauso aussieht wie vorher. Gestern Abend bin ich reingekommen, weil ich ihrem Affen Zucker versprochen hab – weil, Momo war ja nicht blöd und hat ihr nicht allzu viel dagelassen, bloß grade genug, und kaum war er draußen, hat sie sich natürlich alles reingezogen und schon nach mehr gejapst, als ich aufgetaucht bin. Junkies sind so beschissen leicht zu durchschauen. Und genau darum kann ich die gleiche Nummer auch nicht zweimal abziehen, sonst wird sie bestimmt – wie heißt das noch?

Argwöhnisch.

Ja, genau das.

Also mach ich was anderes. Ist ganz leicht, ich bin nämlich manchmal Schauspieler. Reine Impro. Das heißt, ich denk mir irgendeinen Scheiß aus und mach immer weiter und weiter. Ich bin im Flow.

«Cecilita, ich bin’s», sage ich. «Antonio.»

Sie kennt mich nämlich nicht als Creeper, sondern nur als Antonio.

«Toño?» Das klingt so, als ob sie zuerst nicht glaubt, dass ich es bin. Sie ist vielleicht eine fette Nutte, aber nicht estupida.

Ich huste ein bisschen. Als ich dann was sage, ist es echt Oscar-reif. Die Rolle meines Lebens. Ich spreche zur Tür: «Geht es dir gut, mi angelita? Bist du in Sicherheit?»

«Mein Engelchen» heißt das. Mädchen lieben so ’nen Scheiß. Vor allem dicke Schlampen, weil kein Schwein sie liebt. Niemand behandelt sie zärtlich. Das nutze ich zu meinem Vorteil. Ich muss sie ja nicht respektieren. Scheiße, Mann, darf ich auch gar nicht. Aber manchmal muss ich eben sanft sein. Die Karte muss man ab und zu ausspielen, und das kann ich wie verrückt – ich hab’s genau getroffen, das merk ich an ihrer Antwort …

«Wieso fragst du das?» Ihre Stimme ist ganz weich und ein bisschen so, als ob sie mir nicht glaubt.

Ich weiß, jetzt hat sie ihr Auge am Spion. Ich weiß, sie will mich sehen, und diesen Moment darf ich nicht vergeuden, also wühle ich in den Taschen, und Gott sei Dank steckt eine Rasierklinge hinten in der Hosentasche. Schnitzt mir bloß ein Stück vom kleinen Fingernagel ab, als ich sie rasch rausziehe.

Als ich klein war, wohnte so ein Junge in meiner Straße, dessen Vater war luchador – einer von diesen maskierten Wrestlern –, unten in Sonora oder so. Die Gottesanbeterin hat er sich genannt. Mantis religiosa. Hatte auch so glubschige Insektenaugen an seiner Maske. (Als Kind fand ich das eklig, hat mich total fertiggemacht. Seh ich manchmal noch im Traum, aber das erzähl ich keinem. Zahlt sich nie aus, wenn die anderen Idioten deine Schwächen kennen. Niemals.) Jedenfalls hat mir dieser Junge erzählt, sein Vater sagt immer, nichts blutet so wie die Stirn. Da glaubt das Publikum jedes Mal, du bist richtig verletzt. Bringt richtig Drama, und sieht immer total echt aus.

Ich schneide mich also direkt unterm Haaransatz, und ein Büschel schwarzer Haare löst sich, als ich dran ziehe. Scheiße. Das wollt ich eigentlich nicht. Ich starre die Haare kurz an und lasse sie ins Blumenbeet neben der Tür fallen, in dem gar keine Blumen wachsen, ist bloß Erde drin. Es hilft bestimmt, dass ich schwitze, in einer Sekunde brennt nämlich das Blut in meinen Augen.

Ich weiß, sie guckt immer noch durch den Spion, also warte ich noch eine Sekunde und stelle mich dann vor die Tür, wo sie mich sehen kann. Ich lasse den Kopf hängen. Und dann schaue ich hoch, mit dem besten Welpenblick aller Zeiten und auf der ganzen verfickten Welt.

Das ist sofort ein Klassiker, garantiert. So würde Fate das sagen. Garantiert. Ich gehe aber noch einen Schritt weiter. Ich nehme den Finger von der Klingel, um noch ein Ausrufezeichen zu setzen.

Dong!

Als der Ton abklingt, mache ich den Mund auf und sage: «Ich habe mir einfach solche Sorgen gemacht –»

Ich kann gar nicht zu Ende sprechen, ehe die Schlösser aufgehen – eins, zwei, drei, und ein Querriegel wird aufgeschoben, kssssss, und fällt dann Päng auf die blauen Bodenkacheln, die ich so gut kenne –, und dann geht die Tür so schnell auf, dass meine Klamotten im Zug wehen.

Das ist, als ob Fort Knox die Tore für mich öffnet. Nein, noch eher so wie, wie heißt noch diese Geschichte, so wie die Kondome?

Troja. Genau. Die mit dem Holzpferd.

Das wahre Ich versteckt sich im falschen Ich, und ich komme ins Wohnzimmer. Abgestandene Luft, ich sehe das grüne Sofa, den Fernseher in der Ecke, Fertigmahlzeiten auf dem Boden verstreut. Kein Fenster ist offen, nicht mal die Klimaanlage läuft, aber es riecht immerhin nicht nach Rauch hier drinnen, nicht so wie draußen, und das ist gut.

Als Nächstes halte ich mir den Kopf und stolpere gegen den Türrahmen. Cecilia quiekt und greift nach mir.

Oh, Momo, ich bin drin. Was anderes kann ich nicht denken. Du dämlicher Motherfucker, was hast du dir dabei gedacht, dieser nichtsnutzigen Schlampe dein Haus anzuvertrauen?

Ich bin drin, verfluchte Scheiße.

 

 

5 Als Cecilia mich nach drinnen zieht, will sie wissen, was passiert ist. Verdammt, ist die anstrengend. «Sag mir sofort, was passiert ist, Toño!»

Sie ist ja nicht meine Freundin oder so was. Sie ist bloß so ’ne Tussi, die mein Dealer fickt und die ich auch manchmal ficke. Keiner weiß, wo sie herkommt, eines Tages ist sie einfach da, und ziemlich kaputt ist sie auch, warum also nicht?

Sie drückt ihr Gesicht an meine Brust, und als sie mich umarmt, fühlt sich das gut an.

Sie hat schwarze Haare, so ’ne Betty-Boop-Frisur, ziemlich kurz wie das Haarbüschel am Ende einer Peitsche, mit Pony. So ein scharfer, schnurgrader Pony direkt über den hellgrünen Augen. Diese Augen machen mich fertig.

Klar, sie hat ’nen Bauch, so rund wie ’ne halbe Wassermelone, aber Scheiße, Mann, sie hat zwei Kinder gekriegt! Und Schultern wie ’n Bauarbeiter, aber damit kann sie dich umso besser in den Arm nehmen – außerdem sehe ich sowieso nur die Augen. Die sind grün wie Gatorade.

Ich sacke in ihre Arme, bleibe noch in meiner Rolle, obwohl ich gar nicht will.

Eigentlich will ich sagen: Gar nichts ist passiert, Bitch. Halt die Fresse!, bloß damit sie merkt, dass sie was Falsches getan hat, diesen Ach-du-Scheiße-Momo-schlitzt-mich-auf-wenn-er-das-rauskriegt-Blick will ich sehen, und vielleicht müsst ich sogar drüber lachen, denn wie ich Momo kenne, würde er sie wirklich aufschlitzen. Der Wichser steht auf Messer und auf Blut an der Klinge. Fast so sehr wie aufs Atmen. Aber ich reiß mich zusammen.

Ich sage es nicht. Ich sage gar nichts. Noch nicht.

Weil, jetzt rennt sie von mir weg in die Küche. Dabei sehe ich ihren Arsch. Ich sehe, wie er sich unter einer dunklen Trainingshose spannt und anstrengt, und fast bin ich traurig, als sie mit einer Serviette zurückkommt und sie mir auf die Stirn drückt, so ganz lieb, wie’s wohl ’ne mamá machen würde, ich hatte ganz vergessen, wie gut dieser Arsch ist. Wenn es Arsch-Weltmeisterschaften gäbe, wär sie dabei. Ich sag nicht, dass sie eine Medaille gewinnen würde (Scheiße, der reicht nicht mal für Bronze), aber dabei wär sie. Ein, zwei Runden würde sie bestimmt überstehen. Hundert Pro.

Und dann ist mir gar nicht mehr so nach Schadenfreude.

Mich interessiert nur noch eins.

Ich küsse sie heftig, und ruckzuck bin ich an ihrer BH-Schnalle, lasse sie durch den T-Shirt-Stoff aufschnappen, und sie weicht zurück, macht mit beiden Händen so Stoppzeichen (macht sich aber nicht die Mühe, den BH wieder zuzuhaken, das Detail ist wichtig) und sagt: «Was soll der Scheiß, Toño? Ich dachte, du bist verletzt

Ich sehe ihr eine lange Sekunde in die Augen. Diesmal kein Welpenblick.

Anderer Blick. Der sagt: Ja, ich bin verletzt, aber ich werde dir nie erzählen, wie schwer, Baby. Richtige Pausen sind ’ne Kunst. Die richtig hinzukriegen, ist im Gespräch genauso wichtig wie in der Musik. Ohne ein paar gute Pausen sind’s bloß Geräusche.

Als ich lange genug still gewesen bin, blinzle ich das Blut aus dem Auge, das bisschen, was noch da ist, es trocknet nämlich schon, und sehe zum Fernseher, wo auf Channel 7 zwei Typen eine Straße langlaufen und zusammen einen Riesenfernseher schleppen, dann sehe ich wieder sie an und sage: «Ich hab das Gefühl, die Welt geht unter, und wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich bin hergekommen, so schnell ich konnte, weil …»

Da mach ich wieder eine Pause (ja, schon wieder, weil, die erste war bloß der Vorlauf, die hier ist die entscheidende), lasse die Worte in der Luft baumeln, während ich ihr tief in die grünen ojos blicke, die Lippen ein bisschen vorschiebe und ganz tief sage: «Ich konnte nur an eins denken – zu dir zu kommen.»

Mann, bin ich gut.

Lügen sind Werkzeuge. Ach was, Worte sind Werkzeuge, kaum anders als Knarren. Ich verwende sie, um zu kriegen, was ich will. Macht jeder.

Und man kann sehen, dass es gewirkt hat, ihr Gesicht sieht nämlich aus, als ob hinter ihren Augen eine Bombe hochgegangen ist, als ob sie innerlich explodiert ist.

Während sie versucht, wieder zu Atem zu kommen, bewundere ich mein Werk. Ich bin wie dieser Wichser Warren Beatty. Hab total den Bugsy abgezogen. Los, gebt mir sofort den verfickten Oscar, denn die fette Nutte stürzt sich so schnell auf mich, dass wir schon auf dem Teppich landen und uns die Ellbogen aufschrammen, bevor ich richtig merke, wie mir geschieht.

Ihr T-Shirt zieht sich praktisch von selbst aus, die Hose auch. Wie Zauberei.

Im Hintergrund läuft der Fernseher, Leute hieven geklaute Gartenstühle über den Kopf und hauen vor der Kamera alles zu Klump, und ich ficke sie so gut, Mann.

Der allerbeste Koks-Fick. Wie kämpfende Vögel, so laut und wild, und man spürt alles, bloß dass einem die Schläge und Kratzer überhaupt nichts ausmachen.

Nur das Gute dringt durch.

Nur das Gute.

Und sie schreit, ich soll es ihr von hinten besorgen, sie dreht total durch, packt meine Eier und so, sagt, ich soll ihr ins Ohrläppchen beißen, ihr mit den Fingern kräftig in die Hüften kneifen, so richtig, ihr ins Gesicht schlagen – richtig hart. Und klar, ich mach’s. Scheiße, ich will ja, dass alle zufrieden sind.

Wir müssen nur einmal ’ne Koks-Pause machen. Ich schniefe das Zeug von ihrer linken Brustwarze, die sieht aus wie ein Mini-Pfannkuchen, so dunkel und breit. Ich lecke sie ganz sauber, bevor sie ihre lange Line von meinem Schwanz zieht.

Was dann kommt – stellt euch einfach die krasseste Scheiße vor, die ihr im Kopf habt. Was ihr schon immer mal mit einer schwarzhaarigen Schlampe mit fettem Arsch anstellen wolltet, die sich in alle Richtungen biegt und krümmt. Stellt euch vor, sie macht Spagat auf eurem Schwanz und lutscht dabei euren Zeigefinger, als wär’s was anderes, und stöhnt und verdreht die Augen so weit, dass ihr schon Angst kriegt, sie hat einen Anfall.

Yeah – genau so.

So gut, da würde sogar die panocha lutschende Payasa drauf stehen.

 

 

6 Danach geht es mit den Fragen los. Cecilia sitzt auf mir wie ein Cowgirl oder so, und Mann, ist die angepisst. Zuerst hör ich gar nicht, was sie sagt. Ich hör eigentlich überhaupt nichts. Aber als ich mich vorbeuge und versuche, den Kopf vom Teppich zu heben, tauchen Worte auf und passen zu ihren Lippenbewegungen, so als ob irgendwer grad meinen Ton angeschaltet hat.

Es prasselt auf mich ein.

«Was soll der Scheiß, Toño? Pennst du mir hier ein?! Was ist, hast du ’ne Gehirnerschütterung? Wer hat dir überhaupt eine verpasst? Plünderer oder was? Und hast du von denen auch den Schnitt?» Und das war noch nicht alles. Geht noch eine volle Minute weiter.

Ich weiß gar nicht mehr, dass ich weggeknickt bin. Das Zeug muss doch besser sein als gedacht!

Aber nichts ist schlimmer als eine wütende Latina, Mann.

Nichts.

Endlich finde ich meine Zunge wieder und werfe sie an. In meinem Mund ist alles trocken und geschwollen, aber ich kriege immerhin raus: «Gar nichts ist passiert, Bitch. Halt die Fresse.»

Da werden ihre Augen riesengroß. Und richtig, genau in diesem Moment merkt sie, dass es der größte Fehler ihres Lebens war, die Tür aufzumachen.

Jetzt bin ich nämlich schon drin im Haus. Gibt es nicht so ’ne Redensart, dass man den Wolf nicht ins Haus lassen soll oder so? Denn genau das bin ich jetzt.

Cecilia würde ja wegrennen, aber ich hab die Hände in ihren Haaren und knalle sie wieder auf den Boden, und sie würde aufstehen, aber ich bin zu schnell. Ich sitze auf ihr, drücke ihr die Knie in die Achseln und klemme ihre Arme unter ihr fest, dann schnappe ich mir meine Jeans, die neben mir auf dem Teppich liegt, und suche nach den innen eingenähten Geheimtaschen, von denen nur ich weiß, an die man nur rankommt, wenn man die Finger hinter den Reißverschluss schiebt. In einer dieser Taschen find ich die Spritze, schon gefüllt mit Heroin, keine Ahnung, wie alt.

Ist aber noch flüssig, als ich mit dem Fingernagel gegen das Plastik tippe, tsik-tsik-tsik, dann schüttele ich sie und sehe so einen winzigen Strudel und finde, das ist gut.

Jedenfalls gut für Cecilia.

Sie findet das aber anscheinend gar nicht. Sie schüttelt den Kopf, als ich die Knie fester in ihre Achselhöhlen drücke. Die Adern an ihrem Hals treten vor, als sie sich wehrt, und ich denke: Das ist gut. Das ist richtig super. Da brauch ich gar nicht erst am Arm zu suchen, Baby. Streng dich weiter an. Das ist gut.

Die Nadel ist auch noch gut, nicht abgebrochen oder so, vielleicht ein bisschen stumpf. Und Scheiße, vielleicht auch erst einmal benutzt. Ich schieb die Spitze in die dickste, fieseste Halsvene, nur zur Probe, aber sie geht so leicht rein, dass ich den Kolben einfach runterdrücke.

Sogar sie ist schlau genug, sich dabei nicht mehr zu wehren.

Sie weiß, was passiert, wenn man eine Vene rausreißt. Ist ’ne ernste Sache.

Sie weint, als sie den Schuss kriegt, weint stumme Tränen, als ich den Kolben bis zum Anschlag runterdrücke, und ich fang schon an, so richtig drüber nachzudenken, so, wie viel Stoff war das eigentlich?

Ich denke eine Sekunde, aber es kommt nichts.

Ich hab nämlich keinen Schimmer.

Ich weiß nicht mal mehr, ob ich sie gestern Abend oder heute Morgen betankt hab.

Darüber muss ich lachen, weil, Mann, ich fühl mich so schlecht. Beinah spuck ich es sogar aus. Sag beinah Ups! und spreche das alles laut aus.

Aber ich schüttele schon den Kopf. Muss mich konzentrieren, denke ich. Scharf nachdenken. Ich bin aus zwei Gründen hier, und nur aus diesen beiden Gründen.

  1. Um das Geld zu finden, das Momo versteckt hat, wie ich weiß.

  2. Um alle verdammten Drogen zu klauen, die ich in die Finger kriege.

Dass ich Cecilita gefickt hab, ist bloß das Sahnehäubchen, die Tortenglasur. Eine richtig gute, aus Frischkäse und dulce de leche zusammengerührt. Aber eben bloß Glasur.

Momo lebt nämlich schon seit Jahren von mir und anderen blöden Arschlöchern. Kassiert überhöhte Preise. Dreht mir schlechten Stoff an, wenn er ganz sauberen Stoff im Nebenzimmer liegen hat. Schickt mich los, alles Mögliche zu besorgen (letzte Woche war es ein Windeltransporter, keine Verarsche, weil dieser perezoso nicht mal die selbst kaufen kann), und dafür gibt er mir nie, was mir zusteht.

Big Fe, der zahlt dich immer aus, wenn du lieferst. Und jetzt muss ich wieder an seine Telefonnachrichten denken und krieg das Zittern, bevor ein neuer Adrenalinstoß kommt.

Jetzt kann er mich sowieso auf keinen Fall finden. Der hat wahrscheinlich selbst genug Scheiß am Laufen. Aber wünsche ich mir, ich hätte dem Motherfucker, der aussieht wie ’n Azteke, nicht gesagt, wie viele Patronen in der dicken Glock waren, die ich ihm gestern Abend gebracht hab? Scheiße. Wünsche ich mir, er hätte einfach den vollen Preis bezahlt? Darauf könnt ihr euren culo wetten! Hat er aber nicht, und mehr krieg ich nicht. So ist das Leben. So läuft’s eben.

Weißt schon, wenn ich dich in die Pfanne haue, wenn ich dich betrüge, wenn du mir eine Lüge abkaufst, dann hast du selbst Schuld, weil du estupido bist.

Wenn ich dich ausraube, tja, dann hättest du mich eben dran hindern sollen, Mann!

Dein Pech.

Aber Fate – der Bastard ist abgebrüht. Der ist wie ’n General. So richtig strategisch und so. Den kann man nicht überlisten. Er und ich sind ganz verschiedene Spezies. Niemals könnte ich Fate in die Pfanne hauen. Nicht ein einziges Mal.

Aber was noch wichtiger ist, niemals würde er einen Preis für irgendwas nennen, und wenn du deinen Arsch riskierst, es ihm zu bringen, es sich dann anders überlegen und einen niedrigeren Preis bezahlen und dabei so tun, als hättest du dich beim ersten Mal verhört.

Bei Fate bleibt der Preis der Preis. Der Typ hat Ehre.

Bei Momo ist das nie so.

Momo ist in einer ganz eigenen Kategorie: die für Arschlöcher, die nur dafür leben, andere über den Tisch zu ziehen.

Und jetzt wird es Zeit, dass Momo über den Tisch gezogen wird.

Wo ich herkomme, nennt man das Vergeltung. Und manchmal ist das alles, was einen am Leben hält. Tage wie dieser.

Tage, an denen man die Arschficker endlich in den Arsch ficken kann.

Ich stehe ganz langsam von Cecilia auf und gehe mit einem Grinsen im Gesicht, so breit wie der Hollywood-Schriftzug, ins Schlafzimmer.

 

 

7 In weniger als einer Stunde hab ich die Bude von oben bis unten leergeräumt. Die Zeit kann ich am Fernseher ablesen, da ist nämlich oben in der Ecke so eine kleine Uhr. Ich nehme an, wenn in der Welt so richtige Scheiße abgeht, soll man immer genau wissen, was die Stunde geschlagen hat.

Hab zehn Minuten gebraucht, den anderen Safe zu finden. Unterm Wasserbett, in den Rahmen eingebaut. Clever. Aber nicht clever genug. Das Ding hab ich in dreißig Sekunden geknackt. Solltest wohl deine Versicherungspolicen und Pässe und so was nicht in der Nachttischschublade rumliegen lassen, Momo. Die Sachen verraten eine Menge über dich. Allerdings hab ich das eigentlich gar nicht gebraucht, weil die Kombination genau die gleiche war wie an deinem Scheißwaffensafe – dein Geburtsdatum, puto –, und das kannte ich schon.

Als ich den kleinen Safe aufklappte, sprang mir der Fang entgegen wie bei einer Erwachsenen-Piñata. So als hätt ich sie genau richtig getroffen und krieg jetzt die ganzen Süßigkeiten.

Drinnen waren $ 6000 in sechs Tausender-Stapeln mit Gummibändern drum und noch $ 522 lose. Hab sofort beschlossen, dass Momo mir genau so viel schuldet.

Der Rest war einfach Weihnachten.

Halbes Pfund Marihuana. Ein Pfund cocaína. Ein Pfund H. Das war sein Notlager, sein kleiner Vorrat für schlechte Zeiten. Straßenverkaufswert, wie es in den Fernsehkrimis immer heißt?

Gute Frage. Keinen blassen Schimmer.

Aber eine Menge!

So viel, dass ich einen kleinen Fick-dich-Momo-Tanz auf den Resten seines Wasserbettes aufführe. Vorher hab ich es mit einem Messer aufgeschlitzt, das ich im Bücherregal gefunden hab.

Ich packe alles in eine schwarze Mülltüte, die ich aus der Küche hole, und schmeiße Momos kleine Waage auch noch mit rein.

Als ich wieder durchs Wohnzimmer gehe, hat sich Cecilia keinen Zentimeter gerührt. Ihr Pony sieht aus wie ein kaputter Fächer. Sie liegt so still, dass ich mir Sorgen mache und ihr zwei Finger unter die Nase halte – zwei Finger, die immer noch nach ihr riechen –, um zu checken, ob sie noch atmet. Tut sie, also ich so: Puh.

Ich setze mich und schneide mit Momos Messer den allerwinzigsten Halbkreis in die Kokainverpackung, und wie ein Chemiker, der mit gefährlichen Stoffen rummacht, stecke ich dann bloß meinen kleinen Fingernagel rein und baggere einen ganz kleinen Haufen weißes Zeugs raus, wie so ein Halbmond.

Darum bin ich auch bei diesem einen Kinderspiel unschlagbar – Operation. Wo man mit so ’ner Zange Sachen aus den Löchern holen muss. Gebt mir die Pinzette und seht zu, wie ich das ganze weiße Zeug raushole!

Diese Portion saug ich direkt in die nariz, und das beißt richtig, ehe mein ganzes Gesicht taub wird (nicht nur die Nase, sondern auch die Wangen und sogar die Augen), aber da weiß ich, das ist der heiße Scheiß.

Colombiano. Pura.

Ich muss ein paarmal heftig husten, aber das Zeug bringt mich auf Trab. Schiebt mich im Eiltempo aus der Tür. Gleich darauf reiße ich die Schiebetür vom Van auf und schmeiße die schwarze Tüte oben auf die vier Kisten mit allen möglichen Schnäpsen, die man sich denken kann, hauptsächlich aber Rum aus Puerto Rico. Vierundvierzig verfickte Flaschen. Ich hab sie gezählt.

Ach, hab ich eigentlich erwähnt, dass ich die auch alle rausgeschafft hab?

Hab ich jedenfalls. Jede einzelne Flasche.

Momo ist echt ’n Säufer. Aber ich brauch das Zeug für was ganz anderes.

Ich schnappe mir die erstbeste Flasche, dreh den Verschluss ab, rolle einen Lappen auf, den ich aus dem Wäscheschrank genommen hab (ja, verdammt, Drogendealer haben Wäscheschränke, und die sind sogar voll, weil anständige Dealer alles sauber halten), also, ich rolle mit der anderen Hand den Lappen auf, so als ob ich einen Riesenjoint aus Stoff drehe, und dann stecke ich ihn so tief in die Flasche, dass er bis in den teebraunen Rum reicht und ihn aufsaugt.

Dann stecke ich das obere Ende des Lappens an. Er wird erst schwarz, als er verbrennt, dann flammt er orange auf.

Gibt eine einfache Regel:

Wenn man jemanden fertigmacht, muss man ihn auch richtig brennen lassen.

Die Flasche liegt schwer in meiner Hand, und die Wärme kriecht meinen Arm hoch bis zu meinem Gesicht. Als die Flamme näher an die Flaschenöffnung brennt, schaue ich sie noch eine Weile an, wie sie so gelb und rot und orange ist, mit kleinen schwarz verbrannten Flecken. Am liebsten würde ich sie gar nicht loslassen.

Denn dieser Scheiß hier ist für mich, aber gleichzeitig auch nicht.

Sondern für Ernesto, weil ich dem Kerl mehr schulde, als ich je bezahlen kann.

Wisst ihr, wer vor so vielen Jahren in die Boxhalle gegangen ist und dem Wichser Garza gesagt hat, wenn er je wieder ein Kind anfasst, ist das Letzte, was er sieht, die Mündung einer Schrotflinte?

Bestimmt nicht meine Eltern. Die waren Old-School-Junkies, beide. Die waren Junkies, bevor irgendwer das Wort Junkie kannte.

Payasas großer Bruder war es, der da reinmarschiert ist.

Hat sein ganzes Leben keine Knarre angerührt, aber er war so wütend, dass er gesagt hat, er würde, und das hat er auch so gemeint. Dieser Dummkopf, hat überhaupt nicht mitgemischt oder so, ist da rein und hat richtig Alarm gemacht. Hat mit ’nem Baseballschläger eine Pokalvitrine zerschlagen und dann seinen kleinen Bruder Ray rausgezerrt (der war damals so dreizehn), mich auch, und noch zwei andere.

Am Ende bin ich eine Weile bei ihm und Ray und Payasa und ihrer madre eingezogen. Richtig gute Leute. Die wollten unbedingt an mich glauben. Ich meine, sie haben sich echt Mühe gegeben, bis mein Hunger zu groß wurde. Dann kam Fate ins Spiel, ihre madre zog aus, und ich hab mich sowieso in die Scheiße geritten. Das war bei mir wie bei den Franzosen, ich musste «La Vi» sagen und abhauen, weil dieses Leben echt irre werden kann. Na, ega–

Scheiße! Diese Glasflasche verbrennt mir die Hand, also schmeiß ich sie einfach in Momos offene Haustür. Sie fliegt im hohen Bogen durch die Luft, wie so ein perfekter Chip, mit dem Fuzzy Zoeller den Ball aufs Grün legt, und als sie auf den Wohnzimmerteppich knallt, geht das ganze Ding hoch!

Oh Mann, ich liebe dieses Geräusch, wenn die Flammen hochschlagen. Wa-Fwuumm!

Das könnte ich mir tagelang anhören. Oder …

Moment.

Warte mal.

Hab ich grad –?

Fuck.

Cecilia ist noch da drin!

Aber ich bin schon auf dem Rückzug. Ich kann gar nichts dagegen machen.

Ich sage mir, dass es gutgehen wird. Sie wird aufwachen, kein Problem. Die Hitze, ja genau, die Hitze wird sie aufwecken, und dann wird sie rausrennen.

Ich mein, klar, ich hab dran gedacht, reinzulaufen und sie rauszuschleifen, den Helden zu spielen, aber dann kommt so ein Typ angerollt, auf so einer Art Motorroller, hinten drauf hat er einen Ghettoblaster festgezurrt und hört Punkrock oder so was, und ich hab das Gefühl, ich hab ihn schon mal gesehen, aber ich weiß nicht, wo, und außerdem sieht er nach nicht viel aus (mal ehrlich, wer trägt schon rote Hosenträger?!). Aber er starrt mich lange an, also verpisse ich mich ganz schnell.

Ich steige in den Van, Mann, und los geht’s.

 

 

8 Ich muss was beichten. Manchmal weiß ich nicht die ganze Zeit, was ich eigentlich tue. Manchmal tu ich’s einfach.

Impulsiv, sagt Clever immer. Ich lebe nach meinen Trieben, irgendwas platzt mir grad so ins Hirn, schon bewegen sich meine Muskeln, und ich tu’s, ehe ich’s richtig merke.

Das Ergebnis ist manchmal gut, manchmal scheiße. Hängt davon ab.

Bereue ich was? Irgendwie schon.

Aber nicht so richtig.

Wie gesagt, wenn ich dich übern Tisch ziehen kann, bist du selbst schuld, weil du es zulässt.

Wenn Cecilia nicht aufwacht und ihren Arsch aus dem Haus schafft, dann hat Momo sie auf dem Gewissen. So einfach ist das. Wenn er sie nicht zum Aufpassen dagelassen hätte, wäre das alles nicht passiert.

Mann, Scheiß auf Momo, dass er mich dazu gezwungen hat.

Das schrei ich aus dem Fenster allen und keinem zu, dann bin ich in der Kurve Nähe Ham Park, wo die Josephine Street in Richtung Virginia abbiegt, und seh diese bescheuerte Handball-Wand aus Holz, wo man so Squash ohne Schläger dran spielt, und mir fällt ein, wie viele Splitter ich mir damit in die Hand gezogen hab, weil immer welche im Gummiball steckenbleiben, wenn man ihn kräftig dagegenhaut, und dann kommt er mit Wucht zurück, und man haut wieder kräftig drauf, und dann rammt man sich die Splitter richtig tief in die Handfläche (oder noch schlimmer in die Haut zwischen den Fingern), wenn man keine Handschuhe anhat, und da wird mir klar, die Scheißwand muss weg.

Ich reiße das Steuer rum, hopple über den Bordstein und fahre schnell auf die Wand zu. Ein bisschen zu schnell, merke ich, weil man auf Rasen nicht so gut bremsen kann wie auf Beton, und ich reiße die Kiste herum, damit ich nicht dagegenrausche, und ich fange an zu schleudern, reiße Grassoden aus dem Boden, zwei breite Spuren, wie Schlittschuhläufer, wenn sie abbremsen. Scheiße. Beinahe hätte ich die Karre umgekippt.

Beinahe.

Als ich endlich stehe, schnappe ich mir eine Flasche, Deckel ab, Lappen in den Rum. Ich suche im Van nach einem Feuerzeug und finde keins, bis mir schließlich einfällt, dass ich ja noch eins in der Tasche habe.

Ich stecke den Stoff an, und der fängt schnell Feuer! So ein kleines Fwuumm direkt in meiner Hand.

Ich denke überhaupt nicht nach. Ich werfe meinen besten Fastball Richtung Wand.

Die Flasche trifft am unteren Ende und geht sofort hoch.

Es wird orange und fängt an zu qualmen.

Ich bin stolz darauf, weil sie uns jetzt eine gute Handball-Wand bauen müssen. Aus Beton oder so. Irgendwas, das wirklich hält.

Das ist ein gutes Gefühl. Wie würde man das nennen?

Stolz.

Genau. Das ist es. Stolz.

 

 

9 Ich wache im Gras auf, und Scheiße, hab ich schlimme Kopfschmerzen. So Druck von allen Seiten. Als ob ich heftig erkältet wär, so als ob das ganze Gesicht zusammenfällt. Und zuerst denk ich so, wie bin ich hierhergekommen?

Aber dann fällt mir der Van ein, und der Park, und dass ich Momos Haus ausgeräumt hab, und ich schau mich um, und da steht der Van immer noch, in extrabreiten Reifenspuren, die durchs Gras gezogen sind.

Das Feuer ist jetzt superlaut. Klingt wie ein wildes Tier, das die Wand auffrisst, darauf rumkaut und heftig dabei keucht, sie in große Stücke reißt, und ein großer Teil davon ist schon ganz schwarz.

Ich krieche rückwärts zum Van, als ob mich das Tier auch auffressen will, und steh ganz langsam auf.

Das wird langsam zur Gewohnheit.

Irgendwie kommt mir Zeit abhanden, wie ein Schnitt im Film.

So ein Zeitsprung, okay?

So ist mein Leben grade. Und das bringt mich zum Nachdenken, sollte ich vielleicht einen Gang runterschalten oder was?

Klingt zuerst wie eine gute Idee, einfach mal chillen und runterkommen, versteht ihr? Irgendwo ein Hotel mit Pool finden und auf so einem Liegestuhl einschlafen, der sich in der Mitte nach hinten klappen lässt.

Aber dann denke ich, nee.

Ich muss unbedingt weiter.

Weil, ich bin eine Bombe.

Und wenn ich mich nicht mehr bewege, explodiere ich.

 

 

10 Ich steuere den Freeway 105 an, dabei ist das Ding noch gar nicht fertiggebaut, aber Scheiß drauf, wieso nicht? Lachend rase ich an den Baustellenschildern vorbei und eine Auffahrt rauf, die einfach im Himmel endet, ein paar Eisenträger ragen am Ende raus, kein Asphalt mehr. Guter Parkplatz, Mann. Von hier oben fühlt es sich an wie meine eigene Straße, als wär sie bloß für mich gebaut. Ich schau nach Norden zu den Feuerpunkten und einer Qualmwolke, die so groß ist, dass sie quer über den ganzen Himmel reicht. Überall ist es schwarz, als wär’s früher dunkel geworden. Ich seh kein Stück von den San Gabriel Mountains. Auch nicht von Downtown. Ich seh überhaupt nichts.

Aber ich seh mehr, als ich den ganzen Tag gesehen hab. Fühlt sich an, als hätt ich stundenlang im U-Boot gesessen und durch so ’n Periskop geguckt, aber jetzt bin ich an der Oberfläche und mache die Klappe auf und gucke raus.

Still ist es auch. Stiller als man denken sollte. Ich hör nicht mal Sirenen.

Aber der Verkehr ist super. Ich kann von hier den 710 sehen, darauf ist kein Mensch unterwegs. Alle sitzen entweder zu Hause und warten, dass es vorbeigeht, oder haben irgendwas vor. Rumfahren tun sie jedenfalls nicht. Und das heißt, die beste Zeit, in L.A. rumzufahren, ist jetzt, wo die Stadt niederbrennt. Das finde ich zum Totlachen! Und was noch witziger ist: Solche Tage gibt es hier ungefähr alle zwanzig Jahre.

Wenn wir von Mexikanern in dieser Stadt reden, dann fallen einem als Erstes die coolen Jungs in ihren scharfen Anzügen ein, die von weißen Ledernacken und Matrosen und so verprügelt wurden. Jeder abuelo kann darüber eine gute Story erzählen. Wann war das, 1944 oder so? Um den Dreh.

Da ging es also auch schon um Hautfarbe. War ja ganz einfach: Siehst du einen braunen Typen, schick gekleidet, prügelst du ihm zusammen mit deinen weißen Brüdern den Glanz von den Schuhen. Weil der Idiot sich besser kleidet als du, klar?

Als das passiert ist, haben alle zurückgeschaut und gemeint (jetzt meine beste weiße Nachrichtenstimme): «Hey, das war furchtbar, einfach grauenhaft, das darf auf keinen Fall wieder passieren.»

Aber dann vergessen sie es und vergessen sogar, dass sie es schlimm fanden, eine Weile passiert nichts, aber es wird auch nichts besser, wird bloß trockener, bereit für den nächsten Buschbrand, und dann geht Watts hoch, das war wohl irgendwann in den Sechzigern, weil alle möglichen alten Onkel ständig noch davon quatschen. (Ich versteh ja nicht viel von Familie – Scheiße, ich weiß überhaupt nichts von Familie, aber ich hab den Eindruck, dass die Kinder nie zuhören. Ich höre alten Leuten immer zu. Sieht vielleicht nicht so aus, aber ich höre immer zu. Ich tu vielleicht nicht, was sie sagen, aber ich hör sie. Meine Ohren sind immer auf Empfang, Mann.)

Und nach Watts war alles genauso wie vorher, klar? Alle sehen zurück und sagen: «Hey, das war furchtbar, das darf auf keinen Fall wieder passieren», und das Abgefuckte daran ist, dass sie es diesmal tatsächlich ernst meinen, aber natürlich vergessen sie es auch diesmal wieder, und nichts ändert sich.

Und es hat sich immer noch nichts geändert. Also, was macht das? Immer zwanzig Jahre Abstand zwischen den Rassenunruhen? Genug Zeit für alle, alles zu vergessen? Weil, jetzt haben wir 1992, und das sind an die dreißig Jahre, oder? Wahrscheinlich ein bisschen weniger. Auch egal. So wie das hier abgeht, war es überfällig.

Das ist wie ein Bankkredit. Mit Zinsen.

Ich sage ja nicht oft schlaue Sachen, die irgendwer außer mir kapiert, aber das hier solltet ihr euch aufschreiben. Oder unterstreichen. Oder so was.

Wenn L.A. jemals stirbt, wenn die Leute alle aufgeben und abhauen, dann könnt ihr das in ihren Scheiß-Grabstein ritzen …

L.A. hat ein verdammt kurzes Gedächtnis. Diese Stadt lernt nichts.

Und das wird sie umbringen. Wartet’s ab. 2022 gibt es die nächsten Rassenunruhen. Oder auch früher, keine Ahnung.

Scheiße.

Moment mal.

Gerade eben fällt mir ein, dass ich hier oben eigentlich nicht rumfahren sollte, weil, das Ding könnte ja einstürzen oder so. Ich drehe mich nach hinten und sehe die Geldtüte, und dann grinse ich breit. Ich denke an das Heroin und das Gras da drin und stecke noch mal einen Fingernagel in die Packung cocaína und reibe es mir ins Zahnfleisch, dann wende ich den Van und fahre vorsichtig die Auffahrt runter.

Ist an manchen Stellen richtig unheimlich, weil es so bröckelig klingt! Rauf war auf jeden Fall leichter. Aber als ich wieder am Boden bin, wird mir klar, dass ich unbedingt zurück zum Hotel muss. Ich muss den Scheiß gut verstecken. Das Geld und alles.

Aber es ist noch was besonders an L.A.: Es ist riesig groß, aber die Leute bleiben alle in ihren Ecken. Gibt ganze Straßenzüge, wo die Leute nur Spanisch oder Äthiopisch oder sonst was sprechen.

So als ob jede Gruppe Einzelkämpfer ist, wie ’n Boxer, und wenn so eine Einstellung herrscht, dann passiert es ganz leicht, dass man alle anderen als Gegner sieht, als jemand, den man schlagen muss, denn wenn nicht, kriegt man selbst in die Fresse. Dann gewinnt man keine Preise, klar?

Und das ist es vielleicht auch schon, der Kern der Sache sozusagen.

Man pflückt von überall her ein paar Leute, hält sie alle für sich in ihrer Ecke, damit sie sich nicht mischen und Sachen schnallen, und alle sind ständig in Konkurrenz, weil in L.A., Mann, da wollen immer alle irgendwas abziehen.

Moment, wo war ich?

Scheiße.

Oh Mann, diese Kopfschmerzen machen mich fertig.

Ist so schlimm, dass ich meinen Herzschlag im Kopf spüre.

Bumm-bumm. Bumm-bumm.

Ich gehe noch mal an das weiße Pulver und lege das Häufchen diesmal unter die Zunge. Schmeckt so, wie wenn man Aspirin ohne Wasser schlucken muss, bloß schlimmer. Bitterer. Ich hole tief Luft durch die Nase, versuche die Lunge ganz zu füllen, ehe ich wieder ausatme und den Geschmack rauspuste.

Also, wie gesagt, dieser Scheiß wird im Jahr 2022 wieder losgehen. Passt bloß auf.

Aber wenn es nach mir geht, sind es dann Roboter gegen Menschen.

Dann müssten wir alle uns wenigstens zusammentun. Das wär so hundertprozentig Terminator 2. Wir könnten mit Sattelschleppern und Motorrädern den L.A. River langbrettern, ohne Scheiß!

Yeah.

Klingt fett, aber das liegt vielleicht auch nur daran, dass meine Kopfschmerzen nachlassen und meine Zähne jetzt so richtig zu summen anfangen, Mann.

 

 

11 Mit dem Bargeld miete ich ein weiteres Hotelzimmer, direkt gegenüber von dem Zimmer, das ich schon vier Tage im Voraus bezahlt hab. Nein, jetzt zehn Tage. Wenn die vorbei sind, ziehe ich in ein anderes Hotel, wo mich noch niemand je gesehen hat. Vielleicht draußen in Hawthorne oder so. Weit draußen, klar?

Jetzt ist mein neues Zimmer erst mal im selben Stockwerk wie das alte, im ersten, direkt gegenüber, aber keiner weiß, dass es meins ist. Ich hab dem Penner am Empfang Geld gegeben, damit er keinem was davon sagt. Und ich glaube, da bin ich auf der sicheren Seite, weil er kaum Englisch spricht und überhaupt kein Spanisch, das heißt, wenn Fate und Momo je darauf kommen, ihn auszufragen, wird er ihnen keine große Hilfe sein. Ich weiß nicht, ob er Chinese ist oder was. Koreaner vielleicht?

Scheißegal. Ist mir alles recht. Je weniger Englisch, desto besser.

Keins der Zimmer läuft unter meinem Namen. Eins hab ich als Shane gemietet, einfach nur Shane, und das andere unter Alfredo Garcia. Ihr wisst schon, wie in den alten Western.

Ich passe gut auf, dass mich niemand in das neue Zimmer gehen sieht. Als die Tür hinter mir zufällt, schließe ich ab und ziehe die Vorhänge zu. Ich ziehe den kaputten Stuhl rüber zum Lüftungsschlitz überm Fernseher, und mit der Spitze von Momos Messer löse ich die Schrauben.

Mann, ist das staubig da drinnen! Ich muss volle zwei Minuten husten, dann hole ich mir zwei Papierhandtücher und schaufele die Staubmäuse da raus und direkt in den Mülleimer und sage dabei: «Fickt euch, ihr Staubmäuse! Ihr habt noch niemandem was genützt.»

Dann stecke ich das H rein, und das Gras, und den Rest Bargeld. Alles ordentlich nebeneinander.

Im Badezimmer schütte ich so viel Koks, wie reinpasst, in so eine durchsichtige Kodak-Filmdose, die ich für solche Zwecke immer bei mir hab. Ich bin ganz vorsichtig, damit ich nichts verschütte, aber das Zeug ist verdammt pulvrig. Ein bisschen was fällt ins Waschbecken, aber ich erwische es. Den Rest wickele ich fest in die Plastiktüte aus dem Eisbehälter und stecke auch sie in die Lüftung. Dann schraube ich die Abdeckung wieder fest, hänge das Bitte nicht stören-Schild an die Tür und verpisse mich.

Als ich unten auf dem Parkplatz bin, hör ich jemanden nach mir rufen. Ich krieg beinah einen Herzinfarkt und greife nach der Knarre in meiner Hosentasche.

«D.B.», sagt er, «hey, Devil’s Business! Was geht, du Idiot?»

Ich drehe mich um, und es ist Puppet. Hosenscheißer Puppet.

Ich merke, jetzt muss ich den Harten raushängen lassen. «Was willst du? Du sagst nicht Idiot zu mir!»

Als ich den Wichser kennenlernte, dachte er, ich hab noch keinen Spitznamen, aber er wusste, dass ich ständig Mist baue, darum hat er sich diesen Scheiß mit Devil’s Business ausgedacht. Fand er wohl besonders schlau. Elegant oder so. Jetzt weiß er zwar, dass man mich Creeper nennt, aber macht immer noch weiter damit. Keine Ahnung, wieso. Ego wahrscheinlich. Wer weiß schon, wieso Leute den ganzen Scheiß machen?

«Oh, tut mir leid», sagt er. Klingt aber nicht so. «Hast du was?»

Puppet will wissen, ob ich Drogen bei mir habe. Was glaubt ihr, werd ich dem Wichser die Wahrheit sagen?

«Nein», sage ich, «seit einer Stunde nicht mehr.»

«Oh Mann, du bist doch ein Arschloch, Mann! Du hättest das Zeug teilen sollen!»

Als würd ich jemals freiwillig was mit Puppet teilen.

Puppet kommt näher, und ich sehe, eigentlich braucht er gar nichts, guckt nämlich schon total glasig, aber er will nicht bloß einfach wissen, ob ich Stoff hab, er hat noch was anderes auf dem Herzen, und das will er mir jetzt erzählen.

Als er das tut, hör ich sehr gut zu, und zwar so, als höre ich gar nicht richtig hin, weil, die Straße hört alles und weiß alles. Wenn ihr das nicht glaubt, denkt lieber noch mal nach.

«Schon gehört, dass Fates Crew Joker und seine Jungs erwischt hat? Gestern Nacht ist so eine Braut bei ihrer Party aufgetaucht und hat losgeballert.» Puppet macht mit der Hand eine Pistole und richtet den Zeigefinger auf irgendwelche Ziele auf dem Parkplatz. Dann überlegt er es sich und dreht die Hand zur Seite. «So bamm, bamm, bamm. Total kaltblütig, Alter!»

So eine Braut, ja? Muss er wohl Payasa meinen. Kann ja sonst keine gewesen sein. Irgendwie trifft mich das, weil ich weiß, so hart war sie bis jetzt nicht unterwegs. Ist so ähnlich, als hätte sie ihre Unschuld verloren, als sie die Idioten abgeknallt hat. Jetzt ist sie irgendwie ’ne neue Frau. Keine Jungfrau mehr.

«Ja, hab ich gehört», sag ich, aber ihr wisst ja, ich hab noch gar nichts gehört.

Ist besser, wenn er denkt, ich weiß Bescheid, denn Puppet ist der einzige Wichser auf der weiten Welt, der nicht denken soll, er sei schlauer als ich, damit ihm nicht einfällt, er könnte mich verarschen.

Nach so einem langen peinlichen Schweigen sagt er schließlich: «Ich wette mit dir, ich kann mehr Brände legen als du. Wir könnten doch so eine Art Wettkampf machen. Was meinst du? Bist du ein Mann?»

Er hat ein Feuerzeug in der Hand und spielt damit, als wär’s was Großes. Beinah lache ich dem Arsch ins Gesicht. Aber ich halte mich zurück. Er hat ja keinen Schimmer, dass er schon einen hinten liegt, oder zwei, wenn man die Handball-Wand mitzählt, was ich auf jeden Fall tu. Und er weiß auch nicht, dass ich einen ganzen Haufen Zeug hab, der schon ein Loch in Garzas Van brennt. Nicht wörtlich, aber könnte er. Und dann denk ich, ist gar keine so schlechte Idee.

Ich könnte doch ein so großes Loch in diese Stadt brennen, wie es noch keiner in der Geschichte Amerikas geschafft hat. In der Geschichte der ganzen Welt. Nicht mehr seit … weiß nicht, irgendeinem Krieg oder so. Und Feuer ist so was wie Reinigung. Verwandelt den ganzen Dreck und schafft Platz für was Neues. Putzmittel brennt ja auch, oder? Ist irgendwie das Gleiche.

Ich sage nichts und starre Puppet an, dann wandern meine Augen zu diesem Obdachlosen, der über den Parkplatz humpelt, auf so einen Metallstock gestützt, mit Federn drangebunden, aber er hält den Kopf hoch, als ob er der Schamane von Los Angeles wäre. Er guckt mich nicht mal an, aber sogar aus der Ferne kann ich erkennen, dass er eine hässliche Narbe auf der Nase hat, auf der Seite, die ich sehen kann. Einen Moment überlege ich, ob ich Puppet auch so eine verpassen sollte.

Dann wende ich mich wieder zu ihm und rede wie Charles Bronson. «Du bist so estupido, Puppet. Wieso sollte ich so ’nen pubertären Scheiß anstellen?»

Pubertär heißt kindisch, was so ein saudummer Teenager tun würde, unreif. Und Puppet versucht mir zu erklären, dass es gar nicht blöd ist, ganz und gar nicht, aber es ist schon zu spät, ich sitz nämlich schon im Van und lasse den Motor aufheulen und zähle aus dem Augenwinkel die Flaschen. Immer noch vierundvierzig. Nein, zweiundvierzig.

Hab ich euch erzählt, dass ich noch mehr Lappen aufgerollt und in Flaschen gesteckt hab? Nein?

Hab ich aber.

Und als ich den Automatikhebel auf Drive stelle, kann ich nichts anderes denken, als dass ich der größte Brandstifter in der Weltgeschichte sein werde.

Der größte Brandstifter, von dem nie jemand erfahren wird.

Ein Art Held.

Eine Legende.

 

 

12 Jetzt hab ich meine beiden besten Feuerzeuge im Schoß liegen (schwarze BICs, ihr Wichser), und es ist mir scheißegal, in welchem Viertel ich unterwegs bin. Lynwood, Compton, egal. South Gate? Huntington Park? Wen juckt das? Ich weiß nur, dass ich vom Imperial Highway nach rechts auf die Western Avenue einbiege und beschließe, nach Norden zu fahren, bis mir der Sprit ausgeht, und auf der ganzen Strecke Cocktails zu werfen.

Ich werde die ganze Stadt eigenhändig in Brand setzen. Sie niederbrennen, damit wir sie besser wieder aufbauen können. Neu anfangen. Irgendwer wird mir irgendwann dankbar dafür sein.

Zuerst lege ich mir mal zurecht, wie ich vorgehe.

Ich halte vor einem Laden, der so aussieht, als würde er gut Feuer fangen – hat vielleicht eine Markise, oder die Tür steht offen, oder ein Fenster, und wenn ich das sehe, schnappe ich mir eine Flasche, steck sie an und schmeiße das Mistding aus dem Fahrerfenster wie der beste Zeitungsjunge der Welt. Bloß dass es keine Zeitungen sind. Die Dinger zerplatzen und machen Fwuumm wie verrückt!

Ich glaube, ich arbeite mich gerade nach Inglewood vor oder so, als allmählich an allen möglichen Läden die Worte BLACK OWNED oder BLACK OWNERS auftauchen. In großen schwarzen Buchstaben an die Wände gesprüht. Nur Großbuchstaben. Zuerst schnalle ich überhaupt nicht, was das soll.

Aber nach ein paar Straßen fällt mir ein, dass die mayates wohl Hinweise brauchen, welche Läden sie plattmachen sollen. Darüber muss ich lachen. Und als ich fertig bin mit Lachen:

  1. Schmeiße ich auch auf diese Läden.

  2. Und ich schmeiße auf alles andere.

Ich halte nur einmal an, als ich auf einer der großen Querstraßen nach Osten schaue (Scheiße, ich weiß gar nicht mehr, ist das hier die Manchester?) und so was wie einen Panzer sehe, ganz hellbraun mit Tarnbemalung, und oben drauf sitzen Typen in kugelsicheren Westen mit Gewehren. Bei dem Anblick rutscht mein Magen einen Augenblick ’ne Etage tiefer, aber die gucken gar nicht in meine Richtung. Die stehen da einfach auf der Kreuzung.

Ich halte mich also ein paar Straßen lang zurück, um auf der sicheren Seite zu sein, und das ist auch gut so, weil an einer roten Ampel ein Bus neben mir hält, und ich gucke so rauf, und die ganze Kiste ist vollgepackt mit Soldaten. Einer sieht ein bisschen braun aus oder so, und er sieht mich an, also lächle ich und winke, und er nickt und winkt zurück, und als es grün wird, bleib ich ganz cool und unterm Tempolimit, bis der Bus abbiegt. Ich bleibe noch ungefähr sieben Blocks unauffällig, bis ich wieder sehe, wie die Leute Läden ausräumen. Ich schwör’s euch, auf einem Supermarktparkplatz steht sogar ein Streifenwagen, und die Cops schauen zu! Also echt jetzt! Die versuchen gar nicht, jemanden zu verhaften. Stehen bloß da. Tun nichts. Gucken nur zu.

Danach beschließe ich, wieder loszulegen. Mir doch scheißegal. Ich zünde an und werfe, zünde an und werfe.

Ich lande mehr Treffer als Fehlwürfe. Pioneer Chicken, buumm. Tong’s Tropical Fish & Pets, buumm. (Den bereue ich allerdings ein bisschen.) Tina’s Wigs, buumm. Eine Hütte mit einem Schild SHOE REPAIR in roter Schrift davor – vergiss es, der Schuppen geht hoch wie Feuerwerk.

Als ich die zweite Kiste durchhab und die dritte auch schon halb, haue ich mit der Faust auf den Radioknopf, und es tut nicht mal weh. Es geht an, es kommt so Weiße-Jungs-Musik, laute Gitarren und Geschrei, und dafür bin ich echt nicht in der Stimmung grade, also drücke ich auf den Mittelwellenknopf und hoffe auf Art Laboe oder so was. Paar schöne Oldies. Irgendwas mit mehr Beat.

Ich lande wohl grad am Ende einer Ansage von Art, denn seine Stimme kommt aus dem Radio und rät allen, sie sollen sich vorsehen und drinnen bleiben, und dann sagt er: Hier ist ein kleines Lied, um Sie alle auf andere Gedanken zu bringen und von dem abzulenken, was da draußen passiert.

Darüber muss ich lachen, denn das «da draußen» bin ich, und ba-ba-bap setzt das Schlagzeug ein. Eine Snare, glaub ich. Und der Sänger legt gleich danach los.

Ich glaub, den Song kenn ich. Das ist «Rock Around the Clock», aber was sind eigentlich «glad rags»? Fröhliche Lappen?

Ich sag euch, was das ist. Diese Dochte in den Flaschen, das sind glad rags.

Diese ganzen Lappen, die ich kleingerissen und den Flaschen in den Hals gestopft hab. Mich jedenfalls machen sie froh. Und als das Scheißgitarrensolo losgeht, kommt es mir vor, als würde der Song nur für mich laufen, allein für mich, so schnell und alles, und ich halte das Lenkrad mit den Knien fest, zieh mit rechts eine Flasche aus der Kiste, steck den Lappen mit links an, pack sie dann am Hals und wechsle wieder zur Linken und werfe sie von unten, und als der Song zum Ende kommt, da werd ich traurig und fahre einfach weiter.

Ich wünschte, ich könnte zurückspulen und ihn immer und immer und immer wieder spielen.

 

 

13 Meine Karre läuft auf Reserve, als ich zur Kreuzung 6th und Western komme, und das wär noch nicht so, hätt ich nicht einer Horde Armeetypen ausweichen müssen: Auf der 76th bin ich ein ganzes Stück nach Osten gefahren, dann auf der Hoover nach Norden, dann hab ich mich auf der Gage Avenue wieder zurückgeschlichen bis zur Western, und dann weiter nach Norden. Was für ein Umweg.

Hatte ich eigentlich so nicht geplant, und ich hab nur noch eine Kiste Rum übrig, als ich auf der 6th eine Ladenzeile sehe und denke: Scheiß drauf. Wieso nicht? Auch kein schlechter Ort für mein Meisterwerk, weil, ich werde die ganze Scheißladenzeile niederbrennen.

Den ganzen zweistöckigen Dreck.

Aber das Komische ist, ich kann mich nicht so gut konzentrieren. Schon eine ganze Weile sausen lauter verschiedene Geschmäcker in meinem Mund rum.

In einem Moment ist es so Erdnussbutter, und ich denke, wann hab ich denn bitte zum letzten Mal Erdnussbutter gegessen? Ich mag das Zeug überhaupt nicht. Da muss ich, keine Ahnung, fünfzehn gewesen sein, oder was?

Und als ich gerade überzeugt bin, den Scheiß das letzte Mal mit vierzehn gegessen zu haben, schmecke ich Tomaten. Frische Tomaten. Und riechen kann ich sie auch.

Mann. Ich hab echt viel zu viel Koks genommen.

Ich versuche, die Tomaten aus meinem Kopf zu vertreiben, indem ich mir den Montierhebel greife, der hinten im Van rumrutscht, seit ich in das Scheißteil gestiegen bin, und anfange, Schaufenster einzuschlagen. Wenn sie geknackt sind, stecke ich eine Rumflasche an und werfe sie rein. Ich hab schon zwei Läden gezündet, ehe ich merke, dass eine Horde Typen auf der anderen Straßenseite zugange ist.

Aus der Entfernung bin ich nicht sicher, aber vielleicht sind es Schwarze. Egal, die Typen drehen jedenfalls total durch beim Versuch, die Gitter vom Schaufenster eines kleinen Eckladens abzureißen. Sie gehen sogar so weit, irgendein Seil an die rostige Anhängerkupplung eines Trucks zu knoten und die Gitter damit aus der Wand zu reißen, und dann sehe ich, wieso.

Da ist noch jemand drin, an den sie rankommen wollen. Ein Ladeninhaber mit ’ner Knarre oder so, ich höre nämlich Geschrei, und die Leute springen vor und zurück an dem Fenster, und zwischendurch knallen Schüsse, als ob wir hier in Beirut sind.

Darum beeil ich mich ein bisschen. Ich schlage ein drittes Fenster ein, ein viertes. Ich nehme nur die dunklen Ladenfronten.

Scheiß auf die erleuchteten. Ich brauche keinen Typen mit Knarre da drinnen.

Ich bin beim fünften Geschäft, eine Videothek mit Postern im Fenster, deren Schriftzüge ich nicht lesen kann, weil es ein anderes Alphabet ist, da höre ich’s hinter mir quietschen, als ob ein schnelles Auto plötzlich bremst, und ich denke erst, das ist der rostige Truck von drüben, aber dann schreit jemand so was wie: «Wir schießen, wir schießen!» Aber ich drehe mich nicht um. Ich schlage noch ein Fenster ein und nehme an, die Wichser auf der anderen Straßenseite sind gemeint. Aber als ich einen brennenden ron ins Fenster schleudere, höre ich: «Aufhören oder ich schieße», ganz laut und auf Englisch, und vielleicht bin doch ich gemeint.

Wenn ja, denke ich, scheiß drauf.

Ich hebe den Montierhebel wieder auf und will das nächste Schaufenster entglasen …

Aber ehe ich zuschlagen und das Glas zerschmettern kann, höre ich einen Knall, und sofort fangen meine Ohren an zu klingeln. Und jetzt ist ein Loch im Glas, ein ganz kleines, als hätte wer ein Steinchen reingeschmissen.

Ich huste, und Blut klatscht auf die Scheibe vor mir.

So ein Spritzer.

Mir ist sofort klar, dass es meins ist. Und ich so, «Fuck». Das flüstere ich, als ich die Hand ausstrecke und das Zeug auf der Scheibe anfasse.

Sieht viel dunkler aus, als Blut aussehen sollte.

Und ich versuche, es wieder reinzutun. Das versuche ich echt.

Estupido, stimmt’s?

Ich versuche das Blut von der Scheibe zu wischen und wieder in mich reinzutun, aber als ich meine Wange berühre, stelle ich fest, dass ich da ein Loch drin hab.

Ein Loch so groß wie meine Fingerspitze. Das weiß ich, weil ich es fühlen kann.

Und ich versuche es von innen zuzuhalten.

Aber als ich das versuche, geht mein Finger ganz durch bis nach draußen und ich spüre die Koteletten auf meiner Wange …

Auf der Außenseite.

Da wird mir klar, dass ich schon fast mein Ohr berühre.

Obwohl meine halbe Hand in meinem Mund steckt.

Scheiße.

Das ist nicht gut.

Es fängt an, taub zu werden.

Im Kopf. Also, ich spüre nichts mehr im Schädel.

Gar nichts mehr.

Und das ist komisch. Ich hab nämlich keine Kopfschmerzen mehr.

Da ist …

Nichts mehr.

Bloß Schwärze, die vom Boden zu mir aufsteigt.

Nach mir greift wie Hände.