Anonym
3. MAI 1992
15:22 UHR
1 Eins muss ich gleich klarstellen: Ich bin der große böse Wolf, aber wenn jemand gebissen werden muss, existiere ich offiziell nicht. Heute ist mein Auftrag, mehrere Wohnhäuser zu stürmen, in denen Gangaktivitäten verzeichnet wurden, und ich kann Ihnen sagen, ich werde meine ganz persönliche Freude daran haben. Weil die Operation illegal ist, kann ich Ihnen nicht sagen, wer ich bin oder für wen ich arbeite. Strenggenommen darf ich Ihnen nicht mal verraten, was genau ich tue, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, aber das hier sind außergewöhnliche Umstände, darum werde ich Ihnen doch darlegen, was ich tue, und zwar während ich es tue, dann können Sie sich selbst ein Bild machen. Aber zunächst einige Hintergrundinformationen.
Derzeit befehlige ich zwei Transportfahrzeuge, die mit sechzehn Mann besetzt in südlicher Richtung auf dem knochentrockenen Betonbett des Los Angeles River unterwegs sind. Wir sind durch einen Tunneleingang unter der 6th-Street-Brücke hierhergelangt. Das Becken ist ab 1935 im Verlauf einiger Jahre vom Pionierkorps der US-Armee kanalisiert und betoniert worden, es ähnelt eher einer Straße als einem Fluss und wird uns heute als Einfallschneise dienen nach South Central Los Angeles. Wir sind unterwegs zu einem Haus, in dem mehrere polizeilich bekannte Gangmitglieder ihren Wohnsitz haben und illegalen Geschäften nachgehen. Bevor es losging, war mein Team, obwohl einsatzbereit, zum Nichtstun verdammt, meiner Meinung nach weil bis vor einer Stunde keiner von denen da oben den Mumm hatte, den Einsatz zu genehmigen. So lange saßen wir in einem Außenposten für LAPD und alle anderen Notfall-Einsatzkräfte fest.
Für mich und mein Team war das besonders frustrierend, weil Polizei und Nationalgarde überall in Los Angeles in Schießereien und Scharmützel mit feindlichen Einheimischen verwickelt wurden, die im Straßenkampf erfahrener sind als die meisten Guerillas im Ausland. Diese Sicht der Dinge wird in der Öffentlichkeit kaum vertreten, aber sie ist zutreffend. Es kommt zu solchen Vorfällen, weil die Stadt faktisch balkanisiert ist. In Los Angeles ergibt sich aus der Unterschiedlichkeit der kulturellen Hintergründe und der Wertesysteme ein besonders toxisches Gemisch, aber vor allem trifft man auf verschiedenste Gangs, die zusammen etwa 102000 Mitglieder zählen. (Als ich über diese Zahl unterrichtet wurde, lautete meine Reaktion: «Das ist keine statistische Größe, Sir, das ist eine Armee.») Allein im Jahr 1991 waren sie für 771 Morde im Stadtgebiet verantwortlich – mehr als zwei pro Tag.
Und es kommt noch schlimmer: Die Polizei von Los Angeles wurde zu Beginn der Unruhen angewiesen, in der ganzen Stadt die Waffenläden zu sichern. Dabei hat sie versagt. Über dreitausend Feuerwaffen (fast alles halbautomatische und sogar einige vollautomatische Gewehre) wurden allein an den ersten beiden Tagen erbeutet. Diese Zahl ist zwar verifiziert, aber nie veröffentlicht worden, genauso wenig wie das hier: Der Verbleib nahezu aller Waffen ist weiterhin ungeklärt. Für den Einsatz ist die Information unerlässlich, dass die schwarzen und die Latino-Gangs in der Gegend schwer bewaffnet sind.
Damit Sie wissen, von welchem Standpunkt aus ich spreche: Wenn ich den Begriff schwarz verwende, hat das etwas zu bedeuten. Wie mein aus dem Süden stammender Vater häufig zu sagen pflegte: «Du bist schwarz geboren und wirst auch so sterben.» Ich bin in Watts aufgewachsen, vor und nach den Unruhen von 1965, das Los Angeles von heute ist ein ganz anderes als das Los Angeles von damals. Ich bin in Lynwood geboren, im St. Francis Hospital, im April 1956, weil es in Watts damals kein Krankenhaus gab. Als ich neun war, brachen in meinem Viertel die Unruhen aus wegen der Verhaftung von und der Polizeigewalt gegen «den Frye-Jungen», wie meine Mutter ihn nannte, weil sie seine Mutter Rena aus der Kirchengemeinde kannte. Lynwood galt damals noch als nette Nachbarschaft für Weiße, und meine Mutter fuhr selbst mit dem Bus hin, um dort zu putzen. Weitere Einzelheiten aus meinem früheren Leben tun nichts zur Sache, also sage ich nur so viel: 1974 bin ich nach Vietnam und leistete zwei Einsatzzeiten ab. Danach wurde ich Berufssoldat, ehe ich in den vorzeitigen Ruhestand ging, um eine gewisse Stelle bei einer gewissen Regierungsbehörde anzutreten, deren Namen ich im Augenblick nicht nennen kann. Mehr kann ich Ihnen über mich nicht verraten, aber ich hielt es für unerlässlich, klarzumachen, dass ich an diesem Einsatz ein persönliches Interesse habe. Er findet sozusagen in meinem Revier statt.
Die gegenwärtige Lage ist nicht über Nacht entstanden. Ich kann Ihnen aus persönlicher Erfahrung sagen, dass nach den Unruhen von Watts kein Problem wirklich gelöst wurde, weder ökonomisch noch sonst wie, und es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass wir diesmal auf einem noch viel größeren Pulverfass sitzen als je zuvor. In dieser Stadt von fast 3,6 Millionen, diesem County von 9,15 Millionen Einwohnern versuchen gerade einmal 7900 Polizisten und Sheriffs für Recht und Ordnung zu sorgen. (Stellen Sie dieser Anzahl die fast 102000 aktiven Gangmitglieder gegenüber.) Von allen größeren Stadtgebieten des Landes ist das das gegenwärtig schlechteste Größenverhältnis, und es wird noch schlimmer, wenn man sich die zu überwachende Fläche vor Augen hält. Los Angeles County ist wie eine Stranddecke, flach und breit: Es erstreckt sich vom Hafen im Süden über San Pedro und Long Beach bis ins Vorgebirge von Pasadena und ins San Fernando Valley im Norden, in west-östlicher Richtung von den Stränden Santa Monicas bis zur Wüste des San Gabriel Valley.
Nur zum Vergleich: Die Aufstände von Watts spielten sich innerhalb sechs quadratischer Häuserblocks in meinem alten Viertel ab. Deshalb konnte man sie auch unter Kontrolle halten. In der ersten Nacht unserer derzeitigen Unruhen wurden jedoch Brände auf einem Stadtgebiet von über 270 Quadratkilometern in South Central Los Angeles gemeldet. Infolgedessen wurden sowohl eine Ausgangssperre als auch ein Alkoholverbot erlassen, denn ein Gebiet von dieser Größe mit einer derart hohen Anzahl an Gangmitgliedern zu überwachen ist schon unter optimalen Umständen höchst mühsam; in einem bürgerkriegsähnlichen Zustand, wie ihn dieses Land noch nicht erlebt hat, ist es schlicht unmöglich. So weit die schlechten Nachrichten bis jetzt, aber hier kommt die gute: Heute Abend wird sich alles ändern.
Im Außenposten habe ich mit einigen andere Vietnamveteranen geredet, die meisten Nationalgardisten, aber auch Verkehrspolizisten und städtische Polizeibeamte. Fast alle erzählten davon, wie sehr sie die jetzige Situation an ihre Patrouillen in Nam vor zwei Jahrzehnten erinnere. Sie erwähnten das Unbekannte. Dass es ihnen schwerfalle, den Feind zu erkennen. Ich habe für beides volles Verständnis, aber mein Team hat nicht den Auftrag, Einkaufszentren zu verteidigen. Wir agieren zielgerichtet, angeleitet von einem Verbindungsmann aus der Mordkommission, der über außerordentliche Kenntnisse der Gang-Szene in South Central und über verlässliche Informanten verfügt. Er wählt unsere Ziele aus, wir tun unsere Arbeit. Kurz gesagt: Wir sind die Rache.
«Keine Sorge», habe ich den Veteranen in der Schlange vor der Essensausgabe geantwortet, die von den freundlichen Mitarbeitern der Waldschutzbehörde organisiert wird. «Ich weiß, wer der Feind ist, und ich werde ihm nicht nur in eurem Namen die verdammten Rippen brechen, sondern ich werde ihm dabei auch in die Augen sehen.»
Die Ankündigung fand, das muss ich sagen, allgemeinen Beifall. Seit dem Beginn der Unruhen haben Gangster überall in der Stadt Gardisten und Polizisten bedroht. Den Nationalgardisten, der nicht mindestens eine Variante der folgenden Situation erlebt hat, muss ich erst noch treffen: Ein paar Gangster fahren langsam vorbei, stellen ihre Schusswaffen zur Schau, zeigen mit dem Finger auf die Uniformierten und sagen: «Wenn es dunkel ist, kommen wir wieder und bringen euch um.»
In meiner Branche gilt das als terroristische Bedrohung und fordert rasche Vergeltung. So müssen wir die Situation angehen, denn eine drastische Lage verlangt nach drastischen Mitteln. Innerhalb des Krisenstabs gibt es bereits Stimmen, die der Meinung sind, die Situation in der Stadt sei insgesamt so weit unter Kontrolle, dass die Ausgangssperre morgen wieder aufgehoben werden könne, also kann unser Einsatz nur heute Nacht stattfinden. Wir haben nicht einmal vierundzwanzig Stunden, um eine sehr laute und deutliche Botschaft zu senden.
Nach den letzten fünf Chaostagen ist das der Silberstreifen am Horizont: Was wir gleich tun werden, wird auf keinen Fall in irgendeiner Weise auf uns zurückfallen. Wir ziehen los, wir erteilen den Rowdys eine Lektion, damit sie wissen, wer größer und böser ist, dann ziehen wir wieder ab. Echtes Steinzeitverhalten, aber zufällig auch die einzige Sprache, die jede Gang versteht.
Unsere Einsätze unterliegen zwei Grundbedingungen: Erstens sollen wir auf keinem Grundstück mehr als sechs Minuten verweilen, und zweitens dürfen wir alles tun, was uns angemessen erscheint, solange wir erst dann das Feuer eröffnen, wenn wir zuerst beschossen werden. Ich habe beiden Maßgaben im Krisenstab zugestimmt, aber ich bin Realist. Das Einzige, worauf man sich im Feld verlassen kann, ist, dass auf einmal alles anders ist. In der Einsatzbesprechung konnte ich nicht an mich halten, als der frisch eingeflogene Bürohengst von Kommandeur mit mehr Streifen am Ärmel als Synapsen im Schädel mir erzählen wollte, diese Regel – also erst zu schießen, wenn man auf uns schießt – sei das Einzige, was uns von den Gangs unterscheide.
«Uns unterscheiden, Sir?», sagte ich ihm ins furchtbar ernste Gesicht. «Wir sind eine Gang.»
Sie hätten sehen sollen, wie ihm die Kinnlade runterklappte. Er ist nicht mein Kommandeur, ich bin ihm keine Rechenschaft schuldig. Er ist über diesen Einsatz nur aus Höflichkeit in Kenntnis gesetzt worden. Mir schien diese Gang-Parallele immer auf der Hand zu liegen, aber das sieht wohl nicht jeder so.
In diesem Fahrzeug hier sitzt ein handverlesenes Team erstklassig ausgebildeter Männer. Wir tragen identische Uniformen, grüne Kampfanzüge und Helme. Unser Ziel ist es, «geballt» (wie die Gangster das selbst nennen) in das Hauptquartier einer Gang einzudringen und sie so kraftvoll wie möglich daran zu erinnern, wo die Grenze liegt. Das müssen auch Gangs gelegentlich tun. Ob es nun um Reviere oder um Verhalten geht, es gibt immer eine Grenze, auch unter Kriminellen, und ich sage es noch einmal, in einer bürgerkriegsähnlichen Lage, wie sie das Land noch nie gesehen hat, vergessen die Menschen gern, wo diese Grenze liegt.
Jedenfalls bis jetzt. Denn jetzt wird diese Grenze neu gezogen. Jetzt sind wir so gefährlich wie nie, weil es keine Überwachung gibt und – das ist das Beste – weil morgen früh kein Papierkram zu erledigen ist. Keine Formulare. Keine genauen Schilderungen. Keine Berichte in dreifacher Ausführung. Perfekter können die Rahmenbedingungen für eine von Regierungsseite initiierte Operation eigentlich nicht sein, weil sie so wahnsinnig einfach ist, und fürs Protokoll wird sie sich ohnehin nie ereignet haben.
Wir haben keine Namen auf die Uniformen genäht. Wir sind so anonym wie der Wind. Was wir tun, existiert nur in geflüsterten Geschichten. Nur die Bösen werden wissen, was wir getan haben, und die zählen nicht.
Ich hab nur eine einzige Direktive ausgegeben: versucht zu verstümmeln, und zwar fürs Leben. Das sage ich meinen Männern, und außerdem korrigiere ich unsere zweite Einsatzvorschrift.
«Wartet nicht, ich wiederhole, wartet nicht, bis man auf euch schießt», sage ich, als unser Fahrzeug über eine Bodenwelle hüpft. «Wenn irgendwer auch nur die Scheißknarre hebt, dann streicht ihr sofort seinen Cinco de Mayo.»
2 Mit all diesen Informationen im Hinterkopf möchte ich Sie nun um eins bitten. Sie müssen hart sein. Holen Sie tief Luft, wenn nötig. Wir tun, was wir tun müssen, und ich würde auch Ihnen raten, werden Sie nicht weich. Betrachten Sie die Zielpersonen weder als Opfer noch als Menschen, sondern als Kriminelle, die eine gesunde Dosis der einzigen Medizin verabreicht bekommen, die bei ihnen anschlägt. Ich würde Ihnen dringend ans Herz legen, kein Mitleid für sie zu empfinden. Die Verbrecher, auf die unser Einsatz abzielt, haben es nicht anders verdient, und was wir tun, ist längst überfällig. Und vor allem werden sie wissen, dass sie sich das ganz allein selbst zuzuschreiben haben.
Hinter dem Zufluss des Rio Hondo zum Los Angeles River führt eine Ausfahrt auf den Imperial Highway. Dort verlassen wir das Flussbett, benutzen den Zufahrtsweg, öffnen die Abzäunung und fahren auf die Straße. Ich gebe unseren Einsatzfahrern noch einmal die Adresse in der Duncan Avenue durch, die wir von unserem Verbindungsmann in der Mordkommission bekommen haben. Ich habe zwar ausdrücklich darum gebeten, dass unser Verbindungsmann bei diesem Einsatz meiner Einheit zugeordnet wird, aber das wurde abgelehnt. Er wäre sehr gern dabei, sagte er, vor allem, um die Gesichter der «kleinen mexikanischen Wichser» zu sehen, wenn sie ihre gerechte Strafe kriegen, aber er kann nicht riskieren, erkannt zu werden. Er war gestern Abend vor Ort und hat einen der Gangster in der Duncan verhört. Die Gegend liegt immer noch in seinem Dienstbereich, sagte er, während wir nur «zu Besuch» sind. Ich habe ihm versichert, dass ich volles Verständnis habe.
Wenn wir das Überraschungsmoment auf unserer Seite haben, greifen wir Häuser standardmäßig frontal an. In diesem Fall jedoch haben wir Meldungen von Beobachtern bekommen, dass zurzeit eine Gruppe auf der Terrasse hinterm Haus versammelt ist. Außerdem wissen wir, dass das Grundstück im Norden von einer Auffahrt begrenzt wird. Dementsprechend habe ich einer Vierergruppe aus dem zweiten Fahrzeug befohlen, in der Mitte des Häuserblocks auszusteigen und mit erhobenen Waffen rechts und links am Haus vorbei vorzudringen, um die Gruppe einzuschließen und eventuell Flüchtende zurück auf die Terrasse zu treiben, während die zweite Gruppe im Fahrzeug den Frontalangriff durchführt. Die beiden Vierergruppen aus meinem Fahrzeug werden die seitlichen Fluchtwege abschneiden.
Als die Flankengruppe aussteigt, trifft sie auf ein mögliches Gangmitglied, das den Bürgersteig in vom Angriffsziel wegführender Richtung überquert. Wir haben Grund zur Annahme, dass er die Versammlung gerade verlässt, weshalb wir ihm den Weg verstellen. Er hebt sofort die Hände und versucht gar nicht erst, irgendjemanden vor uns zu warnen. Als er aufgefordert wird, sich mit ausgebreiteten Armen und Beinen ins Gras zu legen, kommt er der Aufforderung nach und wird nach Waffen durchsucht. Er ist sauber. Auf die Anweisung, zu bleiben, wo er ist, nickt er gehorsam, und meine Gruppe rückt weiter zur Hausflanke vor.
Ich trage einen neuen Helm deutscher Bauart, an den ich mich noch gewöhnen muss, außerdem Kniepolster, Oberschenkelpolster und eine Kevlar-Schutzweste – im Grunde bin ich geschützt wie ein Footballspieler. In der Rechten halte ich einen Teleskop-Schlagstock aus massivem Stahl, ebenfalls in Deutschland entworfen und produziert. Voll ausgezogen ist er sechsundsechzig Zentimeter lang. Er wiegt 650 Gramm und ist in den richtigen Händen ein erschreckend wirkungsvolles Werkzeug. Einen Augenblick lang, bevor das Fahrzeug zum Stehen kommt und wir hinausspringen, fühle ich mich unbesiegbar.
Auf meinen Befehl verlassen wir das Fahrzeug und schwärmen aus, während eine unserer Zielpersonen schreit: «Der Schlägertrupp kommt. Verpisst euch!»
Darüber muss ich lächeln. Schlägertrupp ist nicht ganz falsch.
Als wir die Terrasse betreten, spritzen Essen und Trinken zu gleichen Teilen auf den Beton. Teller und Tassen werden fallen gelassen, als verschiedene Gangster zu fliehen versuchen. Auf der Terrasse befinden sich ein Propangasgrill und zwei kleine Picknickgarnituren, die aus Tischen mit angebauten Bänken bestehen. Der ganze Bereich ist betoniert und ungefähr sechs mal sechs Meter groß. An der Rückseite wird er von einem etwa einen Meter hohen Metallzaun begrenzt. Dahinter liegt der Garten des nächsten Hauses, mit dichtbelaubten Bäumen bestanden. Die Zielpersonen, die über den Zaun flüchten wollen, erstarren mit einem Fuß darauf, als ihnen aus dem Blattwerk mehrere Läufe von M16-Gewehren entgegenragen. Sie hasten zurück auf die Terrasse, und jetzt gehören sie mir.
Es sind neunzehn Gangmitglieder anwesend. Die meisten sehen wie verängstigte Kaninchen aus, die bei der ersten Gelegenheit wegrennen wollen, aber es sind auch ein paar ganz Coole darunter, und das ist gut. Das bedeutet, sie rechnen wahrscheinlich damit, dass wir sie verhaften wollen und dass es ordnungsgemäß vonstattengehen wird. Wollen wir aber nicht und wird es nicht.
Meine sechzehn Mann sind alle mit Pistolen ausgerüstet, acht von ihnen haben dazu den gleichen Schlagstock wie ich, die übrigen M16. Es wurde in letzter Zeit viel über die Sicherungsplättchen diskutiert, die an den Gewehren der Nationalgarde verhindern, dass man vollautomatisch feuern kann. Ich versichere Ihnen, das gilt nicht für meine Einheit. Sollte es nötig werden, können und werden wir vollautomatisch feuern. Einer meiner Männer entnimmt dem in der Auffahrt geparkten Fahrzeug eine Kiste und öffnet den Deckel.
«Machen wir’s uns einfach», sage ich. «Wer von euch bewaffnet ist, legt sein Eisen jetzt sofort in diese Kiste. Gesichert, wenn ich bitten darf.»
Die Gangster kommen der Anweisung nach. Es dauert keine Minute, dann haben zwei meiner Männer die Kiste verschlossen und in einem unserer Fahrzeuge verstaut. Jetzt geht der Spaß los. Wir haben fünf Minuten, um ihnen so richtig die Party zu versauen.
Ich gehe zum Chefkoch hinüber, der am Grill steht. Unser Verbindungsmann hat ihn als den Anführer bezeichnet.
Als ich mich Nase an Nase vor ihn stelle und ihm zeige, dass ich eine Handbreit größer und zehn Kilo schwerer bin, stehen am Nebentisch zwei Gangster auf. Der eine ist spargeldünn, aber der andere sieht irgendwie indianisch aus und hat einen Stiernacken wie ein Wrestler. Mein Vize tritt zwischen sie und mich und lädt seine Waffe durch. Das Einrasten einer Patrone in der Kammer eines automatischen Gewehrs ist ein äußerst wirkungsvolles Geräusch.
Die beiden harten Jungs weichen also zurück, allerdings eindeutig gegen ihren Willen. Eine hübsche kleine Asiatin versteckt sich hinter dem Mageren. Keine Ahnung, was sie hier zu suchen hat. Unser Informant hat allerdings angedeutet, dass diese Gang weibliche Mitglieder nicht grundsätzlich ablehnt.
Ich wende mich wieder dem Grillmeister zu, der meinem Blick mit einem ausdruckslosen Starren begegnet. In der Rechten hält er einen metallenen Fleischwender, der allerdings regungslos über dem Grill schwebt, dessen Stäbe braun von gebratenen Fleischresten sind. Als kleine Tröpfchen klares Fett vom Spachtel fallen, spucken und zischen sie in den Gasflammen darunter.
«Du», sage ich, «Mister Big Fate, du musst endlich aufhören, Menschen umzubringen.»
Darauf antwortet er nicht, aber das braucht er auch nicht. Ich nicke meinem Vize zu. Der Mann ist eins fünfundneunzig groß, über zwei Zentner Muskelmasse; eine Maschine, die nur einem einzigen Zweck dient: Schmerz zuzufügen. Als Big Fate (also ehrlich, diese Namen werde ich nie begreifen) sich zu meinem Vize umdreht, drückt der ihm einen Kolbenkuss auf den Schädel. Mr. Big Fate geht schneller auf den Estrich als ein Fallschirmjäger ohne Schirm.
Ich beuge mich über sein blutendes Gesicht und sage: «Du musst aufhören, Menschen umzubringen!»
Wiederholung ist der einzige Weg, zu diesen Tieren durchzudringen. Das weiß ich, weil ich selbst ein Tier bin. Alles, was ich im Lauf der Jahre gelernt habe, habe ich nur deshalb gelernt, weil ich es zehntausendmal wiederholt habe. Fragen Sie meine derzeitige Frau, und wenn Sie schon mal dabei sind, fragen Sie auch meine beiden Ex-Frauen.
Da Mr. Big Fate jetzt am Boden liegt, beschäftigt sich mein Vize mit seinem rechten Oberarm. Um den Bizeps läuft ein Tattoo in mexikanischem Stil. Nach dem ersten besonders dumpf klatschenden Treffer fällt ihm der Fleischwender aus der Hand und scheppert auf den Estrich. Während das Grillwerkzeug zur Ruhe kommt, schlägt mein Vize wieder auf genau den gleichen Fleck am Arm, trifft mit dem Kolben auf genau denselben Tintenschnörkel. Das ist sein neues Ziel, und er trifft dieses Ziel mit jedem Wort, das ich ausspreche.
«Du», sage ich zu Mr. Big Fate.
Kolbenkuss ist ein netter Ausdruck für eine schlimme Sache.
«Musst.»
Es bedeutet, einen Angreifer mit dem Gewehrkolben außer Gefecht zu setzen.
«Endlich.»
Ein voll geladenes und schussbereites M16 wiegt vier Kilo. Richtig angewendet, lässt sich damit genügend Kraft ausüben, um Knochen zu brechen.
«Aufhören.»
Mein Vize hämmert auf den stärksten Knochen des Oberkörpers ein, den Oberarmknochen, und zwar immer wieder auf dieselbe Stelle.
«Menschen.»
Unter normalen Umständen ist eine ungeheure Krafteinwirkung vonnöten, um den Oberarmknochen zu brechen, und es geschieht eigentlich nur bei Autounfällen oder Stürzen aus großer Höhe.
«Umzubringen.»
Doch in diesem Fall hat mein Vize die Stelle so lange bearbeitet, bis ein Riss entstanden ist, und dann weiter auf den Bruch eingeschlagen, bis der ganze Knochen mit einem lauten Knacken durchbricht, das klingt, als habe jemand mit einem hölzernen Baseballschläger einen Homerun geschlagen, so sauber ist die Fraktur, und in diesem Augenblick biegt sich Mister Big Fates Arm in die falsche Richtung durch, und er brüllt, aber das ist noch nicht das Ende, denn mein Vize beschließt, jetzt auf den schlaff herabhängenden Teil des Arms zu treten. Dann dreht er die Sohle seines Kampfstiefels darauf hin und her. Er legt sein ganzes Gewicht hinein, volle einhundertfünf Kilogramm. Ist mir vollkommen egal, für wie hart Sie sich halten: Einen derartigen Schmerz hält niemand aus. Mr. Big Fate geht es nicht anders. Er verliert unter dem Stiefel meines Vizes das Bewusstsein und fällt nach hinten, knallt mit dem Schädel auf den Beton.
Als das geschieht, bricht die Hölle los.
3 Der Stämmige geht auf meinen Vize los, der Magere springt mich voller Wut an. Es ist schon fast komisch, wie die beiden zu Boden gehen. Der Stämmige läuft direkt in einen Judogriff, bei dem ihm mein Vize die rechte Schulter mit lautem Knacks auskugelt. Den Mageren stoppe ich mit einem Schlagstockhieb auf die Rippen und schalte ihn dann mit einem Schlag auf den Kopf aus. Sämtliche Luft weicht aus seinem Körper, ehe er zuerst auf die Knie und dann zusammensinkt. Hinter ihm hat einer meiner Männer die Asiatin zu Boden geworfen und schlägt ihr mit einem handelsüblichen Metallschlagstock auf die Handgelenke. Ich höre ihre Knochen brechen. Sie schreit vor Schmerz auf, und der Magere, dem Blut übers Gesicht strömt, ruft ihren Namen.
«Irene!»
Ich glaube jedenfalls, dass er das ruft. Es ist nicht leicht, alles mitzubekommen, denn wer bisher noch nicht zu fliehen versucht hat, rennt jetzt los. Wie Antilopen stieben sie in Richtung Zaun und setzen darüber, oder in Richtung Haus. Das reinste Chaos, aber ganz nützlich für uns, denn jetzt fängt die richtige Arbeit erst an.
Ich schlage drei zu Boden, bevor sie an mir vorbei- und zur Hintertür des Hauses kommen. Ich treffe Kehlen, Ohren, was sich gerade als weiches Ziel darbietet.
Mein Vize beugt sich über seine beiden Kandidaten und brüllt so laut, dass man ihn auch ohne Megaphon die ganze Straße entlang hört.
«Wir wissen, ihr habt geplündert», ruft er. «Wir wissen, wo ihr den Scheiß versteckt habt!»
Unsere Strategie ist simpel. Wir zielen vor allem auf Gelenke und kleinere Knochen. Wir brechen Hände, Fußgelenke, auch Knie und Ellbogen. Da sind wir nicht wählerisch. Das ist vor allem eine Frage der Verfügbarkeit – welcher Körperteil bietet sich dar, wenn ein Gegenüber ohne tiefergehende Kenntnisse im Nahkampf sich zu verteidigen versucht. In solchen Fällen gibt es zahlreiche Möglichkeiten: Er oder sie wendet sich ab und rennt weg – ihr bringt ihn oder sie mit dem Schlagstock zu Fall und zielt auf ein Sprunggelenk; er oder sie versucht euch zu treten – ihr weicht aus und schlagt gegen Knie oder Knöchel des Standbeins; er oder sie könnte euch auch einfach entgegentreten, ihr täuscht einen Schlag auf den Kopf vor, worauf euer Gegenüber instinktiv schützend die Arme hebt – dann schlagt ihr auf Finger, Handgelenke, Ellbogen.
Ich habe meinen Männern gesagt, sie sollen an Fastfood denken: einfach zugreifen und weitergehen. Gliedmaßen zurückbiegen und auf den Schrei warten, dann ziehen, bis es knackt. Dann noch einmal. Wenn man es einmal gemacht hat, geht es beim zweiten Mal leichter. Nur zwei von zehn Menschen kämpfen trotz eines so starken Schmerzreflexes weiter. Die übrigen geben auf. Sobald er oder sie sich der Horizontalen ergibt, schlagt ihr auf die Rippen, um ganz sicherzugehen, dass er oder sie keinen tiefen Atemzug mehr machen wird, ohne an euch und eure harten Schläge zu denken. Den Rest ihres kurzen Lebens werden diese Leute an euch denken. Heute könnt ihr Leben verändern, habe ich meinen Männern gesagt, bevor wir aufgebrochen sind. Manchmal lernt man am besten aus den schlimmen Erfahrungen, und die müssen wir heute liefern.
Inzwischen riecht es nach verbranntem Fleisch, und ich will ein weiteres Exempel statuieren. Der Stämmige kriecht vor meinen Füßen auf Mr. Big Fate zu, während das Mädchen das schlaffe Handgelenk im Arm hält und sich an den Mageren drückt.
Den Stämmigen packe ich am Fußknöchel und reiße ihm den senkellosen Schuh ab. Er rollt sich herum und sieht mich an, als ich ihm mit dem Schläger auf die Zehen haue, bis jeder einzelne von ihnen am linken Fuß schlaff und blutig herabhängt. So wie ihn haben Sie noch nie jemanden schreien hören. Als ich fertig bin, sehen die Überreste seiner Zehen aus wie zermanschte Maraschino-Kirschen, die durch seinen weißen Socken sickern. Schocktränen strömen ihm über die Wangen, als ich ihm die Rippen breche. Bei sechs höre ich auf. So Gott will, wird dieses kleine Monster nie wieder richtig laufen oder atmen können. Gut so. Langsamere Verbrecher sind besser für alle.
Aber dieser Kerl keucht nicht nur, er wimmert.
«Halt deine Fresse.» Schwer atmend halte ich der Heulsuse einen Vortrag. «Wer spielt, muss zahlen. Das muss dir doch keiner erzählen. Kannst von Glück sagen, dass ich dir nicht den ganzen verfickten Fuß abgeschossen habe. Stell dir das mal vor! Ein Verbrecher mit Beinstumpf! Da könntest du beim nächsten Mal nicht mehr vor mir wegrennen.»
Danach beißt er sich auf die Lippe. Er leidet stumm, aber es ist die lauteste Stille, die ich je gehört habe. Ich sehe auf die Uhr. Fünf Minuten sind um. Die Zeit ist fast abgelaufen.
Die Gruppe auf der Terrasse ist etwas ausgedünnt. Nach meiner Zählung sind zwei davongekommen, und das sind zwei zu viel. Das Fleisch auf dem Grill ist schwarz verbrannt, und kleine Rauchsäulen steigen davon auf. Los Angeles im Kleinen, denke ich: ein sich selbst überlassener Grill, auf dem das Fleisch verbrennt, das dummerweise obendrauf festsitzt.
Ich zähle siebzehn Gangster, die auf dem Terrassenbeton liegen. Alle stöhnen, krümmen sich und/oder schnappen nach Luft. Es reicht noch lange nicht, aber wir haben Anweisung, schnell rein- und schnell wieder rauszugehen, also befehle ich den Rückzug.
«Wir kommen wieder, wann immer wir wollen», sagt mein Vize zu dem Stämmigen, der angestrengt versucht, nicht auf die Überreste seines Fußes zu gucken. «Wir werden alles beschlagnahmen, was ihr geklaut habt, aber wir werden euch nicht verhaften und vor Gericht stellen, oh nein! Das nächste Mal werden wir euch Wichser einfach erschießen.»
Zum Abschied winkt mein Vize auf die ekligste Art und Weise: Er hält die Hand dicht ans Gesicht und krümmt nur so ein bisschen die Fingerspitzen, so wie mein Sohn, als er gerade gelernt hatte, mir zuzuwinken.
Nur fürs Protokoll: Ich wünschte, was mein Vize gerade gesagt hat, würde stimmen. Tut es aber nicht.
Das ist die größte Lüge unserer kleinen Operation: Wir werden nicht wiederkommen, auch wenn wir es noch so oft androhen. Wir sitzen schon wieder in unseren Fahrzeugen und sind zum nächsten Einsatzort unterwegs, wo wir uns um den nächsten kleinen Haufen Krebsgeschwüre kümmern. Sie kriegen es heute Nacht alle, bevor die Ordnung offiziell wiederhergestellt und die Ausgangssperre aufgehoben wird. Unser Auftrag lautet jetzt lediglich, sie auf Linie zu halten. Wir wissen, sie haben gemordet, aber die Tatorte überall in der Stadt sind kalt, die Spuren verwischt oder nicht mehr existent. Verhaftungen und Anklagen wird es in dieser Situation nicht mehr geben. Darum ist die bestmögliche Lösung zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung ein kräftiger Schlag auf die Finger – einer, der nur sehr langsam oder auch gar nicht heilt, wenn wir es richtig gemacht haben.
Heute Nacht werden wir jedes bekannte Gangsterschlupfloch heimsuchen, das anzusteuern sich lohnt, denn die brutale Wahrheit lautet, dass schon viel zu viele Kriminelle die Gefängnisse dieser Stadt verstopfen. Der Strafvollzug war von vornherein überfüllt, aber wenn man in vier Tagen über achttausend Menschen verhaftet, ist der Ausdruck Überlastung nicht mal ansatzweise angemessen. Jedes System hat ein gewisses Fassungsvermögen, und das war in diesem Fall schon am dritten Tag erreicht.
Wie ich die Sache verstanden habe, werden jetzt nur noch für ganz besondere Drecksäcke Plätze freigehalten, vor allem für die Mörder, die dämlich genug sind, sich auf frischer Tat ertappen zu lassen. Für Brandstifter, wenn wir je einen davon erwischen. Für diejenigen, bei denen wir mit einer Anklage und einem Urteil rechnen können. Alle anderen, die wir als bekannte Straftäter notiert und über die wir womöglich weitere Informationen haben, werden wir heute Nacht besuchen. Wir werden ein paar hervorragende Überraschungspartys veranstalten. Es wird nicht reichen, es wird weniger sein, als sie verdienen, aber immerhin etwas, und mit ein bisschen Glück werden sie sich den Rest ihres Erdenlebens daran erinnern.