Josesito Serrano
alias Watcher
3. MAI 1992
20:17 UHR
1 Jetzt hab ich eine Knarre. Jetzt bin ich wer. Jetzt kann ich was leisten. Ich fühl mich gut. Alle wissen, dass Momo toter als tot ist. Alle haben gehört, er lag in dem Laster, den die Bullen an der Wright Road gefunden haben. Was von ihm übrig war. Geschieht dem Motherfucker recht, sag ich, wenn er sich mit Big Fate anlegt. Groß sein oder tot sein. Ich will zu Big Fate und seiner clica gehören. Also gehe ich zu diesem Mini-Vegas, wovon alle immer quatschen, und klopf an die Tür und warte. Sie lassen mich rein und durchsuchen mich und finden die Knarre und behalten sie. Die Krankenschwester ist auch da. Sie guckt mich komisch an, sie erkennt mich nämlich wieder aus der Nacht, als der Bruder von Miss Payasa in der Gasse gestorben ist. Miss Payasa ist auch da. Steht neben der Krankenschwester. Miss Payasa sagt ihr, sie soll jetzt gehen, und bedankt sich für alles. Miss Payasa drückt der Krankenschwester Geld in die Hand. Ein paar gefaltete Hunderter. Sieht mir aus wie tausend. Die Krankenschwester guckt mich an, als ob sie mich mitnehmen will. Als ob sie mich womöglich retten will oder so. Aber Miss Payasa schiebt die Krankenschwester nach draußen und macht ihr die Tür vor der Nase zu. Die kann grad noch sagen, dass alle, die sie verarztet hat, schnell ins Krankenhaus müssen. Big Fate hat den Arm in so ’ner Riesenschlinge. Auch noch ’ne Menge andere Typen. Dieser Sherlock Homeboy hat ein Horn am Kopf so groß wie ’n Baseball mit einem Eisbeutel drauf. Neben ihm sitzt so ’ne scharfe Schlitzaugenbraut, die Hände eingewickelt wie ’ne Mumie. Ich seh auf einen Blick, manche Typen würden gutes Geld zahlen, die zu ficken. Aber das behalt ich für mich. Vor allem, weil dieser Motherfucker Apache, der Leute skalpiert, genauso scheiße aussieht. Er spielt mit der heilen Hand am Spielautomaten, der dreht sich und macht Geräusche, und Apache sitzt in der Ecke und trinkt so was Goldenes aus einer großen Glasflasche. Big Fate sieht, dass ich die ganzen Wunden und Schienen und Verbände anstarre. Er ruft mich zu sich und sagt, das Programm Prügeln und Laufenlassen ist in Los Angeles immer noch in Kraft. Er nennt mich kleiner Homie und sagt, sie können uns niederschlagen, aber wir kommen immer zurück, und zwar stärker als vorher. «La neta», sagt er. Also sag ich auch «la neta». Ist ja auch wahr. Und wie. Sie sind noch da. Alle. Jeder Einzelne. Sie haben auf die Fresse gekriegt, aber sie machen weiter. Nicht so wie Momo. Nicht so wie Trouble. Nicht so wie die ganzen andern Idioten. Diese Gang besteht nur aus echten Killern. Hart wie Stahl. Nicht mal die Scheiß-Sheriffs können ihnen was anhaben. Aus heiterem Himmel fragt mich Big Fate, wie man mich nennt, weil er’s wissen will. Früher haben mich alle bei so einem Scheißnamen gerufen, den habe ich gehasst. Baby. Aber jetzt hab ich einen neuen. Ich streck die Brust raus und sage, mein Name ist Watcher, aber ich sag ihm nicht, wo ich den herhabe. Er nickt, als ob ich was gut gemacht hab. Sagt, der Name gefällt ihm. Also sag ich den andern der clica auch meinen Namen. Ganz stolz. Außerdem sag ich: Lynwood controla. Ist ja klar, sie kontrollieren Lynwood und niemand sonst. Danach guckt Big Fate mich komisch an und sagt, er hat sich nach mir erkundigt, seit ich ihnen geholfen hab. Er hat gehört, ich würde für Momo verticken. Darauf antworte ich sofort. Stimmt, sag ich. Hab ich. Darüber lacht er. Fragt mich, ob ich vielleicht bereit wär für was Neues. Scheiße, klar, sag ich, ich hab nämlich jede Menge Respekt für ihn und wie er getan hat, was nötig war. «Du bist also bereit, richtig dabei zu sein?», fragt mich Big Fate. Scheiße, ja! Das sage ich zweimal und nicke die ganze Zeit dabei. ¡La clica es mi vida! Bis ich draufgehe. Das sage ich auch. Er wartet ein bisschen ab. Es wird ganz still im Raum. Ich erinnere ihn dran, wie ich sofort gekommen bin und ihm erzählt hab, dass der Bruder von Miss Payasa tot ist. Das habe ich gut gemacht, sagt er. Und dann sagt er, dann geben wir dem kleinen Motherfucker mal seinen Begrüßungstanz. Oh Scheiße, Mann. Das macht mich so glücklich, dass ich einfach nur die Augen zumache, ehe der erste Schlag kommt. Oder der erste Tritt. Egal. Ist mir echt scheißegal, was es ist und woher es kommt. Es wird weh tun. Richtig weh tun. Aber das wird es wert sein. Es wird alles wert sein.