Ernesto Vera

29. APRIL 1992

 

20:14 UHR

1 Ich bin in Lynwood, South Central, irgendwo Nähe Atlantic Avenue und Olanda Street, decke Tabletts voll ungegessener Bohnen mit Alufolie ab, irgendein Kindergeburtstag, und da kriege ich gesagt, ich soll früh Feierabend machen und morgen wohl gar nicht zur Arbeit kommen. Vielleicht die ganze Woche nicht. Mein Boss hat Angst, was weiter oben an der 110 los ist, könnte bis hier runter kommen. Er sagt nichts von Aufständen oder Unruhen oder so. Er sagt bloß «die Sache im Norden», aber er meint, dass Leute Sachen anzünden und Schaufenster einschlagen und niedergeprügelt werden. Ich überlege, ob ich widersprechen soll, weil ich das Geld brauche, aber das würde nichts bringen, also lass ich es. Ich packe die Bohnen in den Kühlschrank im Wagen, schnappe mir meine Jacke und gehe.

Als wir am frühen Nachmittag herkamen, Termite und ich – das ist der Typ, mit dem ich hier arbeite –, da haben wir den Rauch gesehen, vier schwarze Säulen, wie die brennenden Ölquellen in Kuwait. Vielleicht nicht ganz so riesig, aber groß. Der halbbetrunkene Vater vom Geburtstagskind merkt, dass wir es sehen, als wir die Tische aufstellen, und er sagt, das ist wegen den Bullen, die Rodney King verprügelt haben und jetzt nicht in den Knast kommen, und was wir denn davon halten? Mann, wir waren bestimmt nicht froh drüber, aber das sagen wir doch nicht dem Kunden von unserm Boss! Ich meine, war zwar schon schlimm und so, aber was hatte das mit uns zu tun? Das ging woanders ab. Hier hielten wir die Schnauze und machten unsere Arbeit.

Ich fahre schon bald drei Jahre den Imbisswagen von Tacos El Unico. Egal, was ihr haben wollt, ich pack es euch rein. Al pastor. Asada. Kein Problem. Wir machen auch schöne cabeza, wenn ihr Lust drauf habt. Ansonsten gibt es lengua, pollo, alles Mögliche. Für jeden etwas eben. Normalerweise parken wir bei unserem Laden Ecke Atlantic und Rosecrans, aber manchmal machen wir auch Geburtstage, Jubiläen, eigentlich alles. Solche Sachen kriegen wir nicht pro Stunde bezahlt, darum bin ich immer froh, wenn sie schnell wieder vorbei sind. Ich sage Termite adios, erinnere ihn dran, sich nächstes Mal vorher gründlich die Hände zu waschen, und haue ab.

Wenn ich schnell gehe, sind es zwanzig Minuten bis nach Hause, wenn ich den Boardwalk zwischen den Häusern nehme, nur eine Viertelstunde. Das ist natürlich keine Strandpromenade wie in Atlantic City oder so. Bloß so ein schmaler Betonstreifen zwischen den Grundstücken entlang, ein Fußweg von der Hauptstraße in die Wohngegend. Das ist unsere Abkürzung. Meine Schwester sagt immer: «Der Boardwalk ist schon ewig der Fluchtweg für Idioten.» Richtung Osten bringt er einen direkt runter zur Atlantic Avenue. Richtung Westen führt er tiefer ins Viertel hinein, über eine Straße nach der anderen. In die Richtung gehe ich, als ich hinkomme. Rein.

Bei den meisten Leuten ist das Verandalicht aus. Auch die Gartenbeleuchtung. Niemand ist draußen. Keine vertrauten Geräusche. Kein Oldiesender mit Art Laboe. Kein Mensch repariert sein Auto. Aus den Häusern höre ich bloß die laufenden Fernseher, und die Nachrichtensprecher reden alle nur übers Plündern und Brände und Rodney King und Schwarze und Wut, und das ist okay, was soll’s, ich konzentriere mich auf andere Dinge.

Versteht mich nicht falsch. Ich bin nicht eiskalt oder so was, ich kümmere mich nur um das, worum ich mich kümmern muss. Wenn ihr in so ’nem Viertel aufwachst wie ich, wo der Waffenladen Kugeln für fünfundzwanzig Cent das Stück verkauft, an alle mit üblen Plänen im Kopf und einem Vierteldollar in der Tasche, dann würdet ihr vielleicht genauso werden. Nicht kaputt oder angepisst oder so, einfach nur konzentriert. Und im Augenblick zähle ich die Monate, bis ich hier rauskomme.

Zwei sollten reichen. Dann habe ich genug Geld gespart, um mir wieder eine Karre zu kaufen. Nichts Besonderes. Bloß vier Räder, die mich zur Arbeit und wieder zurück bringen, damit ich nicht mehr über diese Straßen laufen muss. Wisst ihr, ich koche ja schon seit Ewigkeiten die Rezepte anderer Leute, aber dabei will ich nicht bleiben. Wenn ich wieder ein eigenes Auto habe, dann fahr ich nach Downtown und bettele um den Ausbildungsplatz in der Küche vom R23, diesem verrückten Sushi-Laden mitten in dem Bezirk, wo früher das meiste Spielzeug auf der ganzen Welt hergestellt wurde – aber jetzt stehen die Lagerhäuser alle leer, und China kümmert sich um das Spielzeug.

Ich hab durch Termite davon erfahren, weil er Japanisch auch so gern mag. Ich meine, er liebt alles aus Asien, vor allem Frauen, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Letzte Woche hat er mich mit hingenommen, und ich musste schlappe achtunddreißig Dollar nur für mich hinblättern, aber das war es wert für was diese japanischen Köche da anstellten. Sachen, von denen ich vorher nicht mal geträumt hatte. Spinatsalat mit Aal. Thunfisch, der so gut mit dem Brenner gegart wird, dass er außen gebraten und innen ganz butterweich und roh ist. Aber was mich richtig umgehauen hat, war dieses Sushi-Teil, das die California Roll nennen. Draußen rum ist Reis, der in so kleine orange Fischeier gedrückt wird. Darin ein kleiner Kreis aus Algen um Krabbenfleisch, Gurke und Avocado. Diese letzte Zutat hat mich komplett fertiggemacht.

Mann, ihr versteht das nicht. Ich werde alles tun, um von diesen Köchen zu lernen. Ich werde abwaschen. Ich werde fegen, ich werde Klos putzen. Ich werde jeden Abend länger bleiben. Mir ganz egal! Ich will nur in der Nähe dieser japanischen Köche sein, weil ich diese Rolle bloß wegen des Namens bestellt hatte, und dann hab ich sie angestarrt und beschlossen, dass ich sie nicht essen will, weil ich von Avocado die Nase voll hab; aber dann hat Termite mich angeschnauzt, und ich hab die Achseln gezuckt und reingebissen. Als ich es auf der Zunge hatte, da zündete irgendwas in mir. Mein ganzes Hirn fing an zu leuchten, und ich sah plötzlich Möglichkeiten, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Und das nur, weil ein paar Köche eine Zutat genommen hatten, die mich eigentlich so langweilt, weil ich sie jeden Tag sehe, und sie in etwas ganz anderes verwandelten.

Wenn ihr genug Avocados durchgeschnitten, ausgelöffelt und zerdrückt habt, dann wisst ihr Bescheid. Das tut einem schnell in den Knochen weh, wenn die Hände eine Bewegung auswendig können, weil sie die immer und immer wieder machen, bis man sie sogar im Traum macht. Macht ihr mal jeden Tag außer sonntags Guacamole, dann wollen wir mal sehen, ob ihr nicht auch die Schnauze voll habt von den schleimigen grünen Scheißern.

Irgendwas knallt neben meinem Kopf an den Zaun, und ich springe mit erhobenen Fäusten zurück, abwehrbereit. Als ich sehe, dass es bloß eine fette rötliche Katze ist, muss ich lachen. Scheiße, das hat mein Herz ganz schön zum Rasen gebracht.

Ich gehe weiter. Wenn man schlau ist, lässt man sich in Lynwood nicht beim Rumstehen erwischen. Downtown ist anders. Das ist eine bessere Welt, könnte es jedenfalls für mich sein, ich will so viel wissen, diese Köche so viel fragen. Zum Beispiel, welchen Einfluss hat der Standort auf die Zubereitung? Ich habe vielleicht nicht viel Ahnung, aber ich bin ziemlich sicher, dass in Japan keine Avocados wachsen. Das meiste Essen in unserer Stadt ist mexikanisch, weil Kalifornien mal Mexiko war. Kalifornien hat sogar so einen kleinen Zipfel, Baja California, der immer noch zu Mexiko gehört, obwohl das Land nördlich davon inzwischen was anderes geworden ist. Ein bisschen so wie ich. Meine Eltern sind aus Mexiko. Ich bin da geboren, und als ich ein Jahr alt war, haben sie mich nach L.A. geschleppt. Meine kleine Schwester und mein kleiner Bruder sind hier geboren. Wegen ihnen sind wir jetzt Amerikaner.

Das mache ich, wenn ich zu Fuß nach Hause gehe, Fragen im Kopf rumdrehen, träumen, nachdenken. Manchmal verliere ich mich richtig dabei. Als ich um die Ecke in meine Straße biege, überlege ich gerade wieder, wie zur Hölle ein japanischer Koch wohl darauf kommt, die California Roll zu erfinden, und meine Gedanken kreisen darum, dass sogar aus Avocado was Neues und Schönes entstehen kann, wenn man sie in eine andere Umgebung stellt, und in dem Moment grummelt ein Automotor hinter mir.

Ich denk mir nicht viel dabei. Nicht so richtig. Ich gehe zur Seite, aber der Wagen bremst neben mir. Ich gehe also ganz ran an die Seite, okay? Ist ja kein Problem, der wird einfach weiterfahren, wenn er sieht, dass ich nicht dazugehöre. Keine Cholo-Uniform. Keine Tätowierungen. Nichts. Ich bin sauber.

Aber das Auto hält mein Tempo, kriecht im Schritt neben mir her, und als das Fenster auf der Fahrerseite runtergeht, strömen schnelle Klavierläufe raus, Motown-Style. Jeder hier kennt den Sender KRLA. 1110 ist die Frequenz auf der Mittelwelle. Die Leute hier mögen Oldies. Das ist der Anfang von «Run, Run, Run» von den Supremes. Ich erkenne das Saxophon und das Klavier.

«Hey», sagte der Fahrer laut über die Musik hinweg, «kennst du diesen Homeboy Lil Mosco?»

Als ich den Straßennamen meines kleinen Bruders aus dem Mund dieses Fremden höre, drehe ich sofort um und renne den Weg zurück. Bei jedem Schritt fühlt es sich an, als wollte mein Magen sich aus meinem Bauch krallen. Ich weiß, ich hab richtigen Scheißärger am Hals.

Ich höre den Fahrer lachen, als er den Rückwärtsgang einlegt und aufs Gas tritt. Der Pick-up überholt mich locker und kommt dann mit quietschenden Reifen zum Stehen. Dann steigen vorne zwei Typen aus, und einer springt von der Ladefläche hinten. Drei Typen, alle in Schwarz.

Mein Adrenalin steht jetzt am Anschlag. Ich bin so wach wie noch nie im Leben, und ich weiß, wenn ich es hier lebend rausschaffe, muss ich mir so viel wie möglich gemerkt haben, also drehe ich mich beim Rennen um und versuche mir alles einzuprägen. Das Auto ist ein Ford. Dunkelblau. Ich glaube, ein Ranchero. Ein Rücklicht fehlt. Links.

Das Nummernschild kann ich nicht mehr erkennen, weil ich mich wieder umdrehe und um die Ecke in den Boardwalk einbiege, ich schlage mich zwischen die Häuser, versuche es auf die nächste Straße zu schaffen, über einen Zaun zu springen, bei irgendwem im Hof zu verschwinden, aber sie sind zu schnell bei mir. Alle drei. Sie haben keine zehn Stunden am Grill gestanden und einer verdammten Horde von Kindern und Betrunkenen Tacos serviert. Sie sind nicht müde. Sie sind stark.

Ich höre sie von hinten herankommen, das Blut pocht mir in den Ohren, und ich weiß, sie haben mich so gut wie erwischt, Mann. Eine kalte Sekunde hab ich noch, um Luft zu schnappen, dann schlagen sie zu, hauen mir die Füße weg und hämmern mir im Fallen irgendwas Hartes gegen den Kiefer. Danach wird alles schwarz, für ich weiß nicht wie lange.

Ich hab schon mal aufs Maul gekriegt, aber nie so. Als ich zu mir komme, schleifen sie mich zum Auto zurück, und es fühlt sich an, als würde mein Gesicht in zwei Stücke brechen. Durch das Klingeln in den Ohren hindurch höre ich, wie meine Stiefelabsätze über dem Asphalt scharren, und ich rechne mir aus, dass ich bloß ein paar Sekunden weg gewesen sein kann.

«Tut das nicht.» Ich höre mich diese Worte sagen. Es überrascht mich, wie ruhig sie klingen, wenn man bedenkt, dass mein Puls bei einer Million liegt. «Bitte. Ich hab euch nichts getan. Ich hab Geld. Was immer ihr wollt.»

Die drei antworten mir aber nicht mit Worten. Raue Hände reißen mich hoch, weg vom Boardwalk in eine Gasse mit Garagen auf beiden Seiten. Sie stellen mich zurecht.

Schnelle, schwache Schläge treffen mich in die Nieren, in den Bauch, auch in die Rippen. Sie fühlen sich gar nicht hart an, trotzdem rauben sie mir den Atem. Erst begreife ich gar nichts, aber dann sehe ich das Blut, starre die Flecken auf meinem Hemd an und frage mich, wieso ich die Stiche gar nicht gespürt habe, als mich ein Baseballschläger trifft.

Eine Sekunde vor dem Aufprall sehe ich etwas Schwarzes auftauchen und zucke weg, darum trifft mich das runde Ende nur an der Schulter, aber trotzdem stehe ich danach nicht mehr auf den Füßen und starre auf mein Hemd, sondern liege platt auf dem Rücken und starre den Nachthimmel an. Verdammt.

«Yeah», schreit mir einer ins Gesicht, «da, du Motherfucker!»

Ich rolle mich zusammen, und meine Wange fühlt sich an, als würde sie in einer Pfanne gebraten. Ich versuche mein Gesicht mit den Händen zu schützen, aber das nützt nichts. Immer wieder saust der Schläger nieder. Einmal trifft er mich am Hals, und mein ganzer Körper wird taub.

Eine andere Stimme sagt: «Bind den Scheißkerl da dran, solange er flachliegt.»

Ich kriege kaum noch Luft.

Eine weitere Stimme, vielleicht ist es auch die erste, kommt dazu: «Ja, mach doch, wenn du so eine große Nummer bist, Joker!»

Einer heißt Joker. Ich glaube, das muss ich mir merken. Das ist eine wichtige Information. Joker. Das Wort bleibt in meinem Hirn hängen, und ich drehe es in alle Richtungen. Ich kenne keinen Joker außer dem von Batman, und es hat überhaupt keinen Sinn, dass sie mich fertigmachen und nicht meinen Bruder, weil der wieder irgendeine dämliche Scheiße gebaut hat.

«Bitte», sage ich, als ich wieder Luft kriege, als hätten diese Monster in ihrem Leben schon mal auf so was gehört. Niemals. Die sind vollauf beschäftigt, an meinem Fußgelenk rumzuzerren, aber bei mir ist alles so taub, dass ich nicht mal sagen kann, an welchem. Ich merke bloß, dass meine Beine krampfen.

«Das wär’s», sagt einer.

Ich mache die Augen auf und denke: Das wär was? Ich schaue mich um und erkenne die Häuser nicht. Einen Augenblick glaube ich in Sicherheit zu sein, als ich sie weggehen höre und die Bremslichter des Autos die Garagen in rotes Licht tauchen. Erleichterung durchsickert mich. Sie hauen ab, denke ich. Sie hauen ab! Dann sehe ich einen kleinen Jungen, vielleicht zwölf, der sich im Boardwalk versteckt. Sein Gesicht wird rot vom Bremslicht, und ich merke, er starrt mich an. Aber mit riesengroßen Augen. Sein Blick bringt mich so durcheinander, dass ich seiner Richtung folge und auf meine Füße schaue, und dann muss ich beinahe kotzen, als ich begreife, dass meine Füße mit einem dicken Drahtseil ans Auto gebunden sind.

Ich ziehe heftig, aber die Fessel löst sich nicht, das Seil schneidet mir nur in die Haut. Ich trete mit aller Kraft, die ich noch habe, aber nichts passiert. Nichts rührt sich. Ich strenge mich an, meine Finger dran zu kriegen, die Schlinge irgendwie abzuschieben.

Aber dann heult der Motor auf, es schlägt mich flach hin und schleift mich über den Boden, das Tempo zerrt meinen Schädel über den Asphalt. Fahrtwind weht über mich, jeder Zentimeter Haut an meinem Rücken schlägt Flammen. Dann bremst das Auto scharf.

Der Schwung schleudert mich vorwärts. Drei Meter? Sechs? Anscheinend hüpfe ich dabei, ich fliege durch die Luft, bevor mein Gesicht gegen etwas Kaltes und Metallisches knallt und ich spüre, wie mein Wangenknochen bricht. Ich merke richtig von innen, wie er nachgibt, wie das Knacken in meinen Ohren hallt, wie der Knochen knickt und Blut auf meine Zunge schießt. Ich drehe den Kopf, mache den Mund auf und lass es laufen. Als ich es auf die Straße klatschen höre, als das Tropfen nicht aufhört, da weiß ich, dass es vorbei ist.

Ich weiß, ich bin erledigt.

Vorher hatte ich vielleicht noch eine Chance, aber jetzt nicht mehr.

Eine Stimme schreit aus dem Auto, ich weiß nicht welche: «Hol das Seil rein, du Idiot, und sieh nach, ob das Scheißarschloch tot ist!»

Eine Tür geht auf, ich höre sie nicht zuschlagen. Schritte kommen näher, dann beugt sich eine Gestalt über mich und sieht nach, ob ich noch atme.

Ich denke gar nichts. Ich spucke, so kräftig ich noch kann.

Ich muss getroffen haben, denn ich höre ein schnelles Schlurfen, die Gestalt zieht sich zurück.

«Verdammt», sagt sie. «Ich hab sein Scheißblut im Mund! Willst du mich mit Aids anstecken oder was?»

In dem Moment wünsche ich mir, ich hätte Aids, um wen anzustecken! Ich versuche, die Augen etwas weiter zu öffnen. Nur das rechte geht auf. Ich sehe, wie die Gestalt sich was in den Mund steckt, dann fletscht sie die Zähne. Dann springt der Typ auf mich, so schnell, dass ich keinen Plan habe, was passiert, und schlägt mir dreimal heftig gegen die Brust. Zuerst spüre ich das Messer gar nicht, aber ich weiß, dass er eins in der Hand hat, wegen der Geräusche und weil er mir die Luft damit rauszieht. Es gibt so ein hohles Klopfen, als er es tief reinsticht. So tief, wie ein Messer geht.

«Sag deinem Bruder, wir kommen.» Das flüstert er, wie meine Mutter flüstert, wenn sie in der Kirche wütend auf einen ist. Leise wütend.

Derjenige, der aus dem Wagen Befehle gibt, schreit jetzt: «Da gucken Leute zu, Vollidiot!»

Da verschwindet die Gestalt über mir. Das Auto auch. Es streut beim Wegfahren Schotter über mich. Ich atme noch, aber der Atem ist nass. Halb Blut. Ich werde überall taub. Ich versuche, mich herumzurollen. Ich denke, wenn ich mich umdrehen könnte, würde das Blut einfach rausfallen und mich nicht ersticken. Aber ich schaff es nicht. Ich sehe eine neue Gestalt über mir. Ich kneife die Augen zusammen, mache sie wieder auf, und ich sehe ein Gesicht. Es ist eine Frau, die sich die Haare zur Seite streicht, als sie sich runterbeugt. Sie sagt, sie ist Krankenschwester, ich soll still liegen. Ich möchte lachen und ihr sagen, dass ich mich sowieso nicht bewegen kann, also keine Sorge, ich bleib schon still liegen. Ich möchte ihr sagen, sie soll meiner Schwester erzählen, was passiert ist. Neben ihr taucht eine zweite Gestalt auf, kleiner. Sieht fast aus wie der Junge von eben, aber es ist alles zu verschwommen. Doch die Stimme des Jungen höre ich ganz klar: «Der Idiot wird sterben, was?» Einen Augenblick glaube ich, er meint jemand anderen. Nicht mich. Dann flüstert die Frau etwas, das ich nicht hören kann, und ich spüre Hände auf mir. Nicht so richtig Hände, bloß Druck. Der Schmerz ist nicht das Schlimmste. Das Problem ist, ich kann nicht atmen. Ich versuche es und kann nicht. Meine Brust hebt sich nicht. Fühlt sich an, als würde ein Auto drauf parken. Das versuche ich, den beiden zu sagen. Dass sie bitte dem Auto sagen, es soll wegfahren, dann ist alles gut. Dann ist es nicht mehr so schwer, und ich kann atmen, und alles wird wieder gut, wenn ich bloß Luft kriege. Das versuche ich laut zu rufen, irgendwas davon. Aber mein Mund funktioniert nicht mehr, meine Haut fühlt sich zu groß an, ganz locker, und der Himmel ist zu dicht, als wäre er auf mich draufgefallen, auf mein Gesicht, wie ein Laken, und ich hab ein ganz komisches Gefühl, als käme er runter, um mich wieder heil zu machen, käme in mich rein, so eine Art dunkler Zement, der von innen meine Löcher flickt, damit ich wieder atmen kann, und ich denke, wie gut, wenn das wahr wäre, aber ich weiß auch, ich sterbe bloß, der Junge hat recht, ich weiß, ich denke, dass ich einfach so wegschmelze, weil mein Hirn nicht genug Sauerstoff kriegt, und das weiß ich, weil es logisch ist, weil das Gehirn ohne Nahrung nicht richtig arbeiten kann, und ich weiß auch, ich werde eigentlich nicht zu einem Stück Himmel, und das weiß ich weil, weil